Jllustrirtes Uuterhaltungsblatt für das Volk. Erscheint wöchentlich.— Preis vierteljährlich 1 Mark 20 Pfennig.— In Heften h 30 Pfennig. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postämter.
Der Erbonkel. Novelle von Ernst von Watdow. (Fortsetzung.)
Das gutmüthige Mädchen machte sich aber bereits Vorwürfe über diese Heiterkeit auf Kosten eines immerhin bedauernswerthen Menschen.„Es ist häßlich von uns, Jakob, daß wir darüber lachen, weil Onkel Jakob unglücklich geliebt,— sind wir denn glücklich?" „Eigentlich nicht," meinte der Bursch und fuhr sich mit den Fingern durch sein Kraushaar,„und wenn man sich nicht manch- mal tröstete und sich Muth einspräche gegenseitig, dann wär's nimmer zuni Aushalten." Wahrscheinlich wollte Jakob die Wirksamkeit dieses Trostes sofort probiren, denn er schlang seinen Arm um Röschens Nacken und drückte einen siebenten Kuß auf ihren rothen Mind. „Süßes Röschen!" „Lieber, theurer Jakob!" „Still!— Hörtest du nichts?" „Nein!" „Aber ja— es knistert in den Zweigen— jetzt wieder!" Das Mädchen warf einen ängstlichen Blick zurück und geivahrte dabei, daß es bereits zu dunkeln begann,— in den Büschen rechts rauschte es verdächtig. „Mach' fort!" flüsterte Röschen angstvoll. Auch Jakob hatte ein Geräusch vernommen, deshalb zog er seine langen Beine sehr schnell an sich, um sie darauf jenseits der Mauer wieder herabgleiten zu lassen, als er sich aber eben zum Sprunge anschickte, fühlte er,'wie eine feste Hand ziemlich unsanft eben eins dieser vorerwähnten langen Beine packte, was ihn sofort veranlagte, alle beide wieder an sich zu ziehen, wodurch er fast wie ein Türke oben auf der Mauer hockte. Zugleich ge- wahrten die geschärften Blicke des Aermsten drei weibliche Gc- stalten, die auf dem Bleichplatze im Schatten der Mauer standen, und zu seinem Entsetzen erkannte er die Hofräthin, Adelgunde und Tante Emmerenzia. Die letztere hatte den kühnen, thätlichen Angriff gegen ihn unternommen und lispelte ihm jetzt, so laut sie es vermochte, höhnisch zu:„Ei, Jaköbchen, du bist es? Ich dachte gar, hier einen Spitzbuben zu fassen, der Lust hat auf die Augustäpfel in Nachbars Garten. Schau, schau, was willst denn du hier?!" Der muthige Bursche würde der bösartigen, alten Jungfer, ob sie auch seine Tante war, sicherlich eine wenig ehrerbietige Antwort gegeben haben, wenn nicht in diesem Augenblick die
Stimme der gefürchteten Schwiegermama in spe sich hätte vernehmen lassen: „Mein Herr, als Sie sich um die Hand meiner jüngsten Tochter Rosa bewarben, sagte ich Ihnen bereits sehr deutlich, daß Ihre Stellung in der Welt" Die feierliche Rede wurde durch das Hinabpoltern zweier großer Steine unterbrochen, die bei einer Bewegung Jakobs, dessen Stellung auf der Mauer oben vorläufig wenigstens eine sehr ungesicherte war, in's Rollen gekommen waren. Ein kläglicher Aufschrei gellte durch die abendliche Stille: ein Stein hatte Tante Emmcrenzia's vorgestreckten rechten Fuß empfindlich getroffen. „Du böser Bube!" zischte sie herauf, während Jakob, seine gefährdete Lage momentan vergessend, spöttisch herabrief: „So soll es allen schlimmen alten Jungfern gehen, die aus Neid, weil sie selbst sitzengeblieben sind, andere glückliche Liebes- paare verfolgen!" „Mein Herr," zürnte Dame Edeltrud,„Sie bedienten sich soeben eines Ausdrucks, der auf Ihr Verhältniß zu meiner Tochter nicht Paßt und— merken Sie wohl auf!— niemals passen wird! Ich will diese empörende Szene nicht noch länger ausspinnen, verlange aber, daß Sie sich schleunig entfernen und es nie wieder versuchen, auf derartigen Schleichwegen das Herz eines unreifen Kindes zu bethören und zum Ungehorsam zu verführen." „Ja, ein elender Verführer ist oieser Bube, der vermeint, die Erbschaft Onkel Jakobs zu erschleichen!" geiferte Emmerenzia, wüthend gemacht durch Jakobs schmähende Worte. Da ließ sich Röschens Stimme sehr deutlich vernehmen und ihr blondes Köpfchen erschien am Rande der Mauer: „Das ist eine schändliche Lüge, Tante Emmerenzia!" Ob- gleich im ersten Moment der Ueberraschung und des Schreckens gewillt zu fliehen, war die tapfere Kleine doch sogleich umgekehrt, als sie die Gefahr erkannt, in welcher ihr Geliebter schwebte. Jetzt war ohnedies schon alles entdeckt, schlimmer konnte es nicht mehr kommen. Nun galt es, dem Sturme Trotz zu bieten. „Ei, sieh' da, Röschen, das Fräulein Nichte nimmt sich ja des braven Jakob recht warm an; na, Frau Schwägerin, da wird man doch wohl gratuliren können! Röschen ist auch der Liebling des„Erbonkels", dem sie zuerst den Namen in's Gesicht gesagt hat—"