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Insektenfressende Pflanzen.

Von Dr. A. Mülberger.

Wohl mancher unserer Leser hat schon von insekten- oder fleischfressenden Pflanzen reden hören und wohl auch gewünscht, diese merkwürdige Erscheinung näher kennen zu lernen. Vielleicht gelingt es uns, auf dem einfachen botanischen Spaziergang, zu dem wir hiermit den Leser einladen, das Wissenswerthefte dieser neuen Entdeckung auch dem Unkundigen klar zu machen. In der furzen Spanne Zeit, seit die Entwicklungstheorie die naturwissen­schaftlichen Forschungen zu beherrschen beginnt, ist für die Be­

reicherung unserer Kenntnisse schon unglaublich viel geleistet worden. Das tausendfache Ineinandergreifen des thierischen und pflanz­lichen Lebens, die innigen Wechselbeziehungen, welche zwischen beiden bestehen, früher nur in den allgemeinſten Umrissen zu­gegeben und begriffen, sind heute schon in einer Tiefe und Aus­dehnung erforscht, von der unsere Väter keine Ahnung hatteu. Die Entdeckung Darwins, daß eine ganze Anzahl Pflanzen für ihr Wachsthum fast ausschließlich auf thierische Nahrung

Fig.3.

Fig. 2.

Fig.4.

3. Albrecht, XA Leipzig  .

Fig.1.

Fig.5.

Insektenfressende Pflanzen.  ( Für die ,, Neue Welt" gezeichnet und geschnitten.)

angewiesen ist, hat natürlich nicht verfehlt, allgemeines Aufsehen zu erregen. Sie erschien um so merkwürdiger, da es sich nicht um irgendeine Absonderlichkeit der üppigen Pflanzenwelt in den heißen Ländern Amerikas   oder Afrikas   handelte, sondern um die Wachsthumsgeschichte eines niedlichen kleinen Pflänzchens, das in ganz Europa   fast überall zu treffen ist, stellenweise sogar unter die gemeinsten Pflanzen gehört. Wer in der Nähe seiner Heimat Torfmoore und Sümpfe oder auch nur sumpfige Wiesen mit Wassergräben kennt, der wird an diesen Drten nicht lange ver­geblich nach einem Pflänzchen suchen, das wir hier in natur­getreuer Abbildung und in natürlicher Größe vorführen( Fig. 1). Es ist der gemeine rundblätterige Sonnenthau( Drosera rotundifolia, L.), so genannt, weil die Blättchen der Pflanze im Sonnenschein wie Thautröpfchen glänzen. Jeder von uns, der schon Torfmoore gesehen hat oder nur durch feuchte Nadelwälder

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gewandert ist, kennt jenes eigenthümliche, bleiche Moos, das in schwellenden Polstern einen Theil der Moorgründe ausfüllt oder nasse Wegböschungen im Walde überzieht. Man nennt dieses Moos in der Wissenschaft Torfmoos oder Sphagnum. Was für die gewöhnlichen Pflanzen die Mutter Erde, das ist für unsern Sonnenthau dieses Moos. Auf der weichen Unterlage seiner Bolster teimt und wächst die Drosera und senkt ihre zarten Wurzelchen 1 bis 2 Centimeter tief zwischen das Moos hinab. In niedrig gelegenen Gegenden findet man die Blätter schon Ende Mai fräftig entwickelt; ihr eigenthümlich röthlicher Schimmer sticht namentlich im Sonnenschein äußerst lebhaft gegen die blassen Moospolster ab, und die rosettenförmig gelagerten Blättchen geben dem ganzen Bilde ein überaus niedliches Ansehen. Ende Juli treibt die Pflanze einen Blüthenstempel, etwa 15 Centimeter hoch, im August geht die Blüthe zu Ende. Die unscheinbaren kleinen,