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Die Neue Welt. Jlluftriertes Unterhaltungsblatt.

Jem Abend Grete erwartet, allerlei mit ihr zu überrechnen. Sie aber blieb in ihrer Stube.

Was sie lange zurüdgedrängt, brach nun mit Macht hervor. Ihr Gesicht glühte, hör­bar pochte ihr Herz.

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Wie wunderlich lief ihr Leben hin! Erst hatte der Jugendfreund sich von ihr abge­wandt, sie hatte die schreckliche Zeit mit Gon­der durchgemacht, Ibold war in das Un­glück am Baumstüd hineingezerrt worden, war heil daraus hervorgegangen. Jetzt fehrte er zu ihr zurück und legte sein Schick­fal in ihre Hände. Seine Worte, das hatte fie wohl gespürt, waren aus der tiefsten Seele gekommen. Er wollte nicht ohne sie sein. Sie glaubte es ihm. Die Stunde heut hat alles ausgelöscht, was sie um sei­netwillen gelitten. Meine Kunst ist an feinen Ort gebunden," war seine Rede ge­mejen, ich geh mit Dir, wohin Du willst!" Er hatte oft davon gesprochen, daß die Auf­traggeber, die für ihn von Bedeutung waren, außerhalb wohnten, daß das Stadt­geschäft für ihn teine Rolle mehr spielte. Wenn er feinen Aufenthaltsort wechselte, würde ihm das teinen großen Schaden bringen. Aber meinte er wirklich, daß sie die Frau war, die um der Lästerzungen und Mullkappen willen der Heimat feig den Rücken fehrte? Da täuschte er sich. Sie ging nicht fort, fie blieb, wo sie war. Das stand fest wie Ziegenhain . Sie hatten ihr, der Witwe mit den geflicten Ellenbogen, hinterliftig die Pfade abgesteckt, hatten sie verfrischen und verleumdet. Als Frau des Ludwig Ibold mußte sie gewärtig sein, nicht minder verschandlappt und verdächtigt zu werden. Sie sah den Ehrabschneidern ruhig ins Auge. Wich feinen Schritt vor ihnen zurück. Der Theobald mag gewesen sein wie die Had' am Stiel," hatte die Else Röber sich ausgedrückt, er war doch Dein Mann. Nach dem, was passiert ist, darfst Du mit dem Ludwig Ibold nicht mehr Sprechen!" Fehlte nur noch, daß sie hinzu­gesetzt hätte: Der Ludwig hat dem Theo­bald seinen Tod auf dem Gewissen!" Herr­gott im Himmel! Galt denn fein Richter­spruch mehr in der Welt? Stand der Lud­wig nicht makellos da? Und wer wollte sich unterfangen, über ihre Eheschaft das Urteil zu sprechen? Da konnte sie selbst nur Rich­terin sein. Mochten sie hinter ihr hausen und hetzen. Sie hatte den Mut, ihr Recht zu verfechten und reinen Gewissens ihrem Herzen zu folgen.

Es schlug elf. Der Altmeister Rühlmann Schritt über den Flur, seiner Gewohnheit gemäß, ehe er zur Ruhe ging, im Haus nach dem Rechten zu sehen.

Grete dachte noch nicht an Schlaf. Sie Jetzte sich hin und schrieb:

,, Lieber Ludwig!

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Du sollst nicht lange im Strandel stehen. Ich will Dir heut abend noch schreiben, was meine Herzensmeinung ist. Du hast mich gefragt, ob ich Deine Frau werden will. Ja, Ludwig, ich will. Es soll mein Erstes und Letztes fein, daß ich Dich glücklich mache, daß ich Dir tragen helfe und wenns ein­mal dunkel in Dir ist daß ich Dir Licht und Freude bringe. Wir wollen wieder Ternen, froh zu sein. Eh wir im Frühjahr verfündigt werden, muß alles wahr und flar zwischen uns fein. Ueber Geldangelegen­heiten haben wir nie miteinander gespro­chen. Du wirst es aber von andern wissen, daß ich mein Vermögen verloren habe. Ich habe durch den Theobald jetzt noch drei­

tausend Mart an den Altmeister Rühlmann zu bezahlen. Ich habe ihm meine Einrich­tung als Faustpfand geben wollen, er hat es aber nicht angenommen, weil er gut und rücksichtsvoll ist. Ich werde nun meine Sachen verkaufen. Der Herr Rosenthal in der Ludwigstraße, der es versteht, spricht, sie wären dreitausend Mark wert. Wenn ich das Meggerhaus verlasse, will ich keinen Pfennig Schulden mehr haben. Und jetzt noch eins. Du haft mir gefagt, Du kannst Dein Geschäft betreiben, wo Du willst. Im stillen hast Du vielleicht den Gedanken, es wäre am besten, wenn wir an einen andern Drt ziehen täten. Da muß ich Dir ent gegenhalten: es ist mein heiliger Wille, ich gehe nicht fort. Mein Vater, mein Groß­vater und Urgroßvater haben hier in Ehren gelebt, und ich gedenke es auch zu tun. Es gibt Menschen, die sich freuen, wenn ein andrer im Unglück ist. Und es gibt auch Menschen, bie so eine enge Herzkammer haben, daß sie wegen dem Leutgeschwäh vor ihrem besten Freund das Zurückschrecken

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Siamesisches Eingangstor mit Elefanten ftatuen

friegen. Davon habe ich früher nichts ge­wußt, jetzt habe ich es erlebt und bin darüber hinausgewachsen. Ich trete standhaft vor und tue was ich verantworten kann. Heut abend habe ich das nicht so von mir geben fönnen, nun habe ich es Dir geschrieben. Dentst Du wie ich, ist kein Berg zu hoch, wir werden den Weg hinauf finden!"

Zwischen Ostern und Pfingsten. Ein taufrischer Morgen. Der Altenburgstopf liegt in Nebel gehüllt. Mit einemmal springt die Sonne auf, zerreißt das Gespinst und übergießt die Kuppe mit blendendem Licht. Ströme flüssigen Goldes rinnen zu Tal. Fluten durch die Gassen und Gäßchen der Stadt. Die badet sich im warmen Glanz und putzt sich festtäglich heraus.

Hoch oben auf dem Turm der Lieb­frauenkirche erhebt die Gloriosa, in der das Silber des Altvaters Fillunger flingt, ihre helle Stimme.

Einer fagt es dem andern: ,, Der Buchbinder Ibold und die Grete Gonder werden heut topuliert!"

Die Menschen strömen in das Gottes­haus. Neben den Wohlmeinenden die Gaf fer und Geiferer, die Schuhspitzengucker und Spettafelmacher. Auf der ersten Bank nehmen Frau Ibold, der alte Rahn und Meister Rühlmann Play:

Droben auf den Emporen geht das Schnurren los.

No, die Frau Ibold friegt jegt eine Tochter ins Haus!"

,, Und was für eine!"

,, Guck emal da, der Herr Rühlmann!" ,, Und, wie's scheint, freuzfidel!"

' s heißt. er hat sich bei der Grete Con­der einen Korb geholt."

,, Er wollt mit der Wurst nach dem Schinken werfen."

Babberlababb! Er mußt's doch am erften wissen, daß sie nig mehr hat." ,,' s ist ein Bajazzekopf, aber ein guter Mensch!"

Ich hab so schrecklich Angst, über dere Trauung bricht das Gebält zusammen." ,, Dumm Tier, warum bist Du denn nicht daheim geblieben?"

Ich möcht in der Grete ihrer Haut nicht Steden!"

Sie hat sich ihren alten Schahz herbei­tribuliert."

,, Man muntelt,' s ist schon was unter­wegs."

Das gibt emal ein ganzes Trüppchen!" ,, Und der Ludwig?"

,, Der Spielt fein Nummero. Der muß Bunzi, Bunzi machen."

" Am besten, man ist still und denkt sein Teil, wie der Jlbeshäuser Papagei."

"' s wurd doch devon gesprochen, daß sie fortziehen wollten."

" Das werden sie fein bleiben laffen. Was hätten sie denn da? Böse Schmu fliegt weit. Draußen müßten sie den Standal noch emal durchmachen."

,, Und wahrscheins viel schlimmer wie hbar."

" Der Tag heut wird einem nicht ver. geffen gehen."

,, Wie wird sich denn der Pfarrer stellen?" " Der Pfarrer mag eine Rapitalred hal­ten,' s bleibt doch was in der Salzbrüh liegen."

,, Die Luft vom Baumstück weht herein!" ,, Und wenn ich so alt werd wie Methu­falem, die Frau fann ich nie verstehen."

,, Sie hat sich unter die Leut gebracht und wird ihr Leben lang drunter bleiben!" Allemeil tommen sie!"

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Die Köpfe redten sich in die Höhe. Unter den Klängen der Orgel trat das Brautpaar vor den Altar.

Der Pfarrer, eh daß er ihre Hände in­einander legte, richtete an die Verlobten warme Worte, besonders an die Braut, die er feit langem fannte und schätzte. Nach seiner Art sprach er ein wenig lehrhaft und breit.

,, Gott trennt," schloß er seine Rede, und führt oft wunderbar wieder zusammen, die er für immer verbinden will. In dieser ernsten Stunde seid dessen eingedenk! Durch bittres Leid, durch üble Nachrede seid Ihr hindurchgegangen. In den Tiefen Eurer Seelen habt Ihr die Kraft gefunden, die fich über alle Heimsuchungen erhob. Auch fünftig bleiben Euch dunkle Stunden nicht erfpart. Erwartet sie mit dem Mut, den der Geist der Wahrheit verleiht, mit dem Mut, der das Recht nicht beugen läßt. Leben heißt fämpfen. Seid Ihr des Guten in Euch gewiß. braucht Ihr den Kampf nicht zu scheuen. Seid Ihr in unverbrüchlicher Liebe vereint, hängt Herz an Herz in fester Treue, wird Euer Leben föstlich sein, wird es sich mit hohen Freuden schmücken, auf daß sich das Wort des Pfalmiften erfülle: ,, Der Gerechte grünt wie die Palme, wie die Zeder auf dem Libanon wächst er em­por. Die bringen Frucht zu ihrer Zeit, ihre Blätter verdorren und welten nicht, sie wer­den im Alter noch sprossen und blühen!"

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Die Feierlichheit war beendet. Die Orgel fiel mit brausenden Akkorden ein. Erhobenen Hauptes schritt Grete am Arm ihres Mannes durch die Menschenreihen ins Freie.