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find. Scheiben und Räder baut man in unermeßlicher Fülle. Dampfzylinder, Kessel und Rohre zeigen im Querschnitt die Kreis­form. Vielfach schafft die Technik soge nannte Rotationsförper. Das sind solche, bie man auf der Drehbank herstellen tann oder deren Entstehung sich wenigstens in dieser Art vorstellen läßt. Drehen wir ein rechtwinkeliges Dreiec um eine der beiden Linien, die den Rechten bilden helfen, so wird aus dem Raume ein gerader Regel herausgefräft und man erkennt, daß dieser feine Entstehung einer freisenden Bewegung perdantt. Auch die Kugel ist in diesem Sinne eine Tochter des Kreises. Und wo andere Kurven auftauchen es geschieht verhältnismäßig felten- so handelt es sich zumeist um die sogenannten Regelschnitte, bie als solche wieder zur Familie derer Dom Kreise" gehören.

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Dagegen der menschliche Rörper, die Lebendige Wärmefraftmaschine! Bei ihm erscheint alles gerundet; die krumme Linie herrscht vor, die sich feiner mathematischen Formel oder Definition fügt; die Flächen erscheinen gebogen und ganz willkürlich ge­Staltet. Die Beine sind für den Stehenden fozusagen Träger". Wie anders nehmen fie fich aber aus als jene Träger, mit denen der Techniker Dächer, Brücken und der gleichen gegen die Wirkung der Schwerkraft fichert. Im Künstlichen wieder Eden, Ranten  , scharfrandige Gebilde, alle nach dem Reichenbrett und nach Zeichengeräten Ichmeckend; im Natürlichen scheinbar ein Nichtbeachten aller ftatischen Künste und Regeln.

Beim menschlichen Körper spielt der Kreis und die von ihm abgeleiteten Bil bungen faum eine Rolle. Bliden wir je­mand ins Auge, fo fehen wir dort aller­bings Formen zu deren Herstellung der Birfel nötig gewesen zu sein scheint. Aber Im übrigen fügen fich die Gebilde faum der Mathematik. Der Schädel lehnt sich in Jeiner Bildung allerdings an die Kugel an. Aber er weicht wieder so vielfach von deren Form ab, daß der Vergleich mit jenem Gebilde fast fühn erscheint. Selbst der Aug­apfel, der doch zwecks leichter Beweglichkeit völlig rund gestaltet sein sollte, zeigt oft recht erhebliche Abweichungen DON der regelmäßigen Form. Bei Kurzsichtigen ist der Augapfel nicht wie in einem normalen Auge von vorn nach hinten und von oben nach unten gleichachig, sondern die wage­rechte Achse ist länger. Das umgefehrte Uebel plagt den Beitsichtigen. Und auch die für die Beweglichkeit der Glieder bereit­gehaltenen Rugel- und Rollengelente find Gebilde, mit denen ein Drechsler wenig Ehre einlegen würde.

Die Neue Welt. Illustriertes Unterhaltungsblatt.

gemisfermaßen um die Herstellung von Rohmaterial handelt.

Die Biene formt bei ihrem Kleinbau mit feiner Raumfunft sechseitige, fantige Zellen, mit denen sie den Blag aufs beste austauft, und ihr Stachel zeigt eine so tadellose Zu­spigung, daß die Technik der Fadelfabri fation bavor die Flagge streichen muß. Die fleine Blaubeere ist tugelförmiger als die größere Kirsche, und gegen diese tritt wieder der noch umfangreichere Apfel zurück.

Oft gewinnt man bei der Betrachtung der Formen bei niederen Tieren und gewissen Pflanzen den Eindruck, als ob sie auf dem Reißbrett des Zeichners entworfen worden wären. Man dente nur an das Schnecken­haus. Und die Flügeldecken mancher In­fetten erwecken den Eindruc, als ob ihre Form von einem Waffentechniker bestimmt worden wäre, der in der Anfertigung von Schußschilden geübt ist.

Es liegt natürlich nahe, die Formgebun­gen in Technif und Natur gegeneinander abzuwägen. Wo findet man die besseren Gebilde? Jedenfalls ist die Natur eine sehr alte Techniferin. Und es ist schon darum anzunehmen, daß sie unserer fünftlichen Technik überlegen sein wird. Bei ihren Ge bilden hat alles 3wed. Und wo ein solcher nicht zu bestehen scheint, liegt dies meistens nur daran. daß wir ihn noch nicht aufge­deckt haben. Irgendein Budel, eine Ver­tiefung, wodurch die Regelmäßigkeit einer Form gestört erscheint, hat oft einen tieferen Ginn; gerade sein Fehlen würde daher einen Mangel bedeuten. Die Natur hat ungezählte Sahre hinter sich, in denen sie die besten Formen ausgestalten fonnte. Und seit den Jahrtausenden, die das Buch der Geschichte umfaßt, haben sich ihre Gebilde verhältnismäßig wenig geändert. Da und dort zeigen fich freilich noch gewiffe Ueber­gänge und Wandlungen. So mag der Blinddarm em Organ sein, das noch weg­geschafft werden will.

Kindlich jung ist dagegen unser tech­nisches Schaffen und Können. Heberaus wandelbar sind eine Schöpfungen. Wie haben sich diese fortwährend umgestaltet, feit die Dampfmaschine geboren wurde! Wir arbeiten mit verhältnismäßig leicht be. rechenbaren und in ihrer Wirkung un­schwer überschaubaren Gebilden. Zu ihnen gehört zum Beispiel die Kugel. Hier be­stimmt sich die Lage des Schwerpunktes un­mittelbar; ihre Wirkung ist übersichtlich, ihre Herstellung ziemlich einfach. Ebenso umreißen wir eine Fläche am bequemsten mit geraden Linien. Nach ihnen läßt sich ein trennender Schnitt am leichtesten führen; geradlinig begrenzte Flächen er­schließen ihren Inhalt dem Rechner am schnellsten So halten mir uns an lauter ziemlich durchfichtige Formen, während die Natur, scheinbar regellos, mit tieferem Blide ihre Gestaltungen wählt.

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dente nur an Atomzerfall und an Elektronen. Da sind Energiemengen vorhanden, die wir gar nicht abzuschäzen vermögen. Und Ma schinen, die solche Strahlungen auswerten, würden sich wohl in völlig neue Gewänder kleiden.

Wird noch eine Technik fommen, bei der Eden, Kanten und streng mathematische Gebilde verschwunden sind, und die jene scheinbar planlose Ungezwungenheit auf­weist, die uns bei den Naturformen ente gegentritt?

Aus allen Eden

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Alltagsweishelf. Wer spricht, hat recht. Beginnst Du irgend einen Kampf, und Du gewinnst, so warst Du im Recht, denn Du hast die meiste geistige und för­perliche Kraft besessen. Alle Wissenschaft ift legten Endes ein Glaube. Wer für die Masse denkt, gehört zu ihr. In jedem Ropfe fieht Gut und Böse anders aus. Ueberzeugt und erzogen werden, heißt den Willen anderer scheinbar in sich hinein­tragen laffen Religion und Sozialismus ift ein Begriff. Die Ernährungsfrage ist meist der erste Paragraph im ungeschrie benen persönlichen Gelehbuche, und hierauf baut fich alles auf. Wenige Menschen denken, aber alle wollen Meinungen haben.

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Was als Nächstenliebe bezeichnet wird, ist in den meisten Fällen Deckmantel. Nichts ist wahr, alles ist erlaubt. ( Aus einer fleinen Spruchweisheit- Samm­fung Anticipando" von A. W. M. Fun­der, die vor der Revolution in Deutschland  verboten war; die im Selbstverlag des Ber­faffers erschienene Schrift ist zum Preise von 40 Pfg. in allen Buchhandlungen zu haben.)

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Neue Bücher. Im Berlage für Sozial­missenschaft( Berlin  ) sind fürzlich zwei zeit­gemäße Broschüren erschienen: Erich Kutt­ ner  : Wie werden wir wieder reich?"( Preis 20 1.) und Parvus: Der Arbeitersazia­fismus und die Weltrenolution, Briefe an die deutschen   Arbeiter; 3. Teil, Die Entfal tung des fozialistischen Wirtschaftssystems" ( Preis 40 Pf.)- Die mirtschaftliche Unab hängigkeit behandelt Ingenieur Menzel in feiner Schrift Das Problem des Sechs­ftundenarbeitstages"( Hannover  , A. Fride u. Co. Preis der Bolfsausgabe 50 f.) In weitesten Kreisen Interesse erregen dürfte die mit einem Geleitwort 2. Ridlers ver fehen: Broschüre Antlage der Gepeinigten" ( Berlin  , Firn- Berlag Breis 80 Bf.), in der nach dem Tagebuche eines Sanitäts­feldwebels die Geschichte eines Feldlazaretts in den Jahren 1914 bis 1918 gegeben wird. Eine Grundlage der modernen Völker­und Menschheitsentwidlung will eine Schrift von Karl Harz geben, die Soziale Reli gion"( Altona  - Ottensen  , Gebr. Harz. Breis 50 Bf.) heißt. Selbsterlebnisse gibt Willi Bunger in feiner intereffanten Schrift Meine Flucht durch das belschewiftische Rußland"( Berlin  , Selbstverlag. Breis 50 Pf. Von Karl Bröger   ist ein Roman Der Held im Schatten"( Jena  , Eugen Diederichs  . Preis brosch. 5 Mt., gebd. 7 m.) fürzlich herausgefommen: Ein feffelndes, das Werden eines Proletariars schilderndes Bekenntnisbuch, dem viele Lefer zu wünschen sind. Der Bocreiter" ( Stuttgart  , Deutsche Berlagsanftalt. Preis geb. 3. Mr., gebd. 5 f.) nennt sich eine Novelle Josef Bontens, die reich an starter Gestaltungstraft ist. Johann Ferch hat unfängst einen neuen Roman Der Herr Bürgermeister"( Dr. S. Rabinowik. Leip­ zig  . Preis brosch. 6 Mr., gebd. 8 Mt.) er­fcheinen laffen, in welchem die fommunal politischen Kämpfe Biens während der drei dem Kriege vorangehenden Sahrzehnte recht fesselnd und anschaulich geschildert werden.

Immerhin berühren sich Technik und Matur vielfach in ihren Gebilden. Aber man gewinnt bei näherem Zusehen den Eindruck, daß sich die Natur nur dann zu technischen" Formen bekenne, wo sie nie­bere Zwede verfolgt oder Kleinbau treibt. Ecken und Kanten, echt mathema­tische Körper, finden wir bei den Kristallen. Gehen Stoffe aus dem gelöften, dampf­förmigen oder flüssigen Zustand in den Starren über, so bilden fich jene tantigen Rörper, die man gern aus Pappe oder Draht modelliert. Aber es will scheinen, als ob die Natur fich nicht allzuftreng an die regelmäßige Formgebung binden wollte. Denn sie läßt dem Zufall allenthalben freie Hand, der immer dahin strebt, die mathe= matischen Idealgeftalten durch abgerundete und minder regelmäßige zu ersetzen. Selten erfolgt die Auflagerung neuer Schichten so, wole fie fich nach der Regel vollziehen sollte, und schließlich eriftiert der richtig ausge­ftaltete Kristall faft nur in den wissenschaft­lichen Werken. Aber selbst wenn die Kristallformen planmäßiger ausfielen, fo bliebe doch zu beachten, daß es sich hier nur Nachdrud des Jabalts verboten! Berantwortl. Rebatteur 2. Salomon- Reifen Berlin  . für die Rebattion bestimmten Sendungen find zu richten nah Berlin  , Lindenstr. 3. Berian Hamburger   Buddruckerei und Berlagsantall Auer& Co., Hamburi Drut: Mornicts Busbruderei und Verlagsanftat Baul Singer& Co., Berlin   S. 68.

Vielleicht befehrt sich eine weiter ent­wickelte Technik noch zu natürlicheren" Formen. Aber das wird nicht von heute auf morgen geschehen. Möglicherweise müssen wir uns auf ganz andere Kräfte und Kraft­mirtungen stüßen, als es jetzt der Fall ist. Man darf vielleicht sagen: die Technik ar beitet vorwiegend mit mechanischen Mitteln, die Natur in sehr hohem Grabe mit chemischen. Am Ende müssen wir den Zug der Technif auch auf diesen Strang lenten. Neuerdings macht sich die Bedeu­tung der Kolloidchemie immer mehr geltend, und man erkennt, was die Natur mit Rol­loiden ausrichtet. Werden wir auch mit ihnen als Kraftquellen arbeiten lernen? Mit folchem Wechsel würden wir gewiß auf neue Formen in der Technik geführt werden, und ihre Schöpfungen würden dann von selbst ein natürliches Ansehen ge­minnen. Oder mird es uns gefingen, lene Kräfte zur Geselligkeit zu zwingen? Man