SAAR  

13

JANUAR

Aufruf

Für DEUTSCHLAND   gegen HITLER  

der Freien Gewerkschaften

Vor einigen Tagen haben die braunen Gewerkschaften" an der Saar   einen Aufruf erlassen, in welchem sie die Ar­beiterschaft aufforderten, für Hitlerdeutschland zu stimmen. Nunmehr erlassen die führenden Funktionäre der freien Ge­werkschaften des Saargebietes ihrerseits einen Aufruf, in welchem sie sich mit den braunen Arbeiterschindern aus= einandersetzen. Der Aufruf schließt mit den Worten:

Kameraden! Gebt den chriftlich- nationalsozialistischen Tor: wächtern des Kapitals am 13. Jannar die richtige Antwort. Sorgt dafür, nachdem sie am 10. Jannar ihre Mitglieder: listen für neue Mitglieder und Uebertritte geschlossen haben, daß sie dieselben auch nach dem 13. Januar nicht mehr zu öffnen branchen. Folgt der Parole der Führung und Funks tionäre und stimmt geschlossen für den vorläufigen Status quo, für Deutschland   gegen den nationalsozia= liftischen Parteistaat!

Denft am 13. Januar daran, daß die Regierung Adolf Hitlers   die Gewerkschaftsbewegung zerschlagen und den Ans teil Eurer Mitgliederbeiträge von dem beschlagnahmten Ver: mögen bis heute nicht herausgegeben hat!

Denkt daran, daß die deutsche Reichsregierung den Inva liden und Witwen ihre Bezüge gekürzt hat und die Beiträge zur Unterstützungsvereinigung der freien, sozialistischen Ar­beiterbewegung in der Höhe von über 4 Millionen Reichs= mark befchlagnahmt hat, während die chriftlich- national­sozialistische Gewerkschaftsbewegung Vermögensanteile und Saffenbeiträge zurückerhalten hat.

Kameraden! Saltet Disziplin und bewahrt Euern Führern das Vertrauen vor wie nach der Abstimmung.

Die führenden Funktionäre der freien Gewerkschaften des Saargebietes. Frizz Dobisch. Julius Schwarz  , Emil Klein  , Karl Amann, Max Bock, Paul Vaders, Heinrich Hünnekens, Wilhelm Kaupp, Martin Schmidt, Anselm Störf, Ludwig Lehner, Klaus Brausch, Sauber, Saarbrücken  ; Hermann Petry, Her= mann Henneide, Neunkirchen  ; Karl Berg  , Ranch, Homburg  ; Rebmann, St. Ingbert  ; Richard Kirn  , Peter Micheln, Sulz­ bach  ; Johann Bernarding, linnen: Johann Dreher, Frau­lautern; Paul Hoffmann  , St. Wendel  ; Albin Weiß, Völf­lingen.

Sorge in Berlin  

Die wackelnde ,, deutsche Front"

Die Basler National- Zeitung" läßt sich aus Berlin   be­richten:

Die Reden der Staatsführer bezeugen die Sorge, die in den letzten Tagen in Berliner   eingeweihten Kreisen um das mutmaßliche Ergebnis der Saarabstimmung herrscht. Denn gerade die deutsche   Front" an der Saar   wird als ein recht unsicheres Gebilde betrachtet, das trotz aller vaterländischen Beteuerungen böse Ueberraschungen bringen könnte. So wird 3. B. befürchtet, die deutsche   Front" sei ein Sam­melbecken zahlloser Nein- Sager die sich hier nur ihr Alibi verschaffen wollen, um in Wirklichkeit dann um so sicherer gegen das ,,, dritte Reich" zu stimmen. Die Frei­heitsfront der Status- quo- Leute mit ihren täglichen Massen­versammlungen, die ihre Propaganda erst jetzt mit voller Wucht zu ent falten scheint, wird in Berliner   Kreisen feines­wegs unterschätzt. Die Antwort des Saarbevollmächtigten Bürcel an May Braun, eine Antwort, die mit Konzentra= tionslagern für die Nein- Sager, statt den Gedanken daran weit von sich zu weisen, im Gegenteil geradezu droht, gift hiesigen Ortes vielfach als sehr unglücklich. Als falsch wird überhaupt die Politik bezeichnet, die die Anhänger des Status quo von vornherein als Vaterlands- und Hochver­räter qualifiziert.

Kostenlose Sonntagsfahrt

Geld gibt niemand für die ,, deutsche Front" aus Die Regierungskommission hat nunmehr der deutschen Front" für Sonntag, den 6. Januar, eine Kundgebung ge= nehmigt, die vormittags 10 Uhr auf einer Wiese bei Saar­ brücken   stattfindet.

Nachmittags um drei Uhr sammeln sich dann die Massen der Volksfront zu ihrer Rundgebung auf den Sportpläßen des Kieselhumes in Saarbrücken  . Von 12 bis 2 Uhr laufen

die Eisenbahnzüge ein. Aus zahlreichen Orten im Umkreise von etwa 10 kilometern werden Fußmärsche von vielen Tau­senden erfolgen. Außerdem wird ein ganzes Heer von Rad­fahrern nach Saarbrücken   kommen.

Alle Mitglieder der Volksfront" müssen auf eigene Kosten fahren. Dagegen steht auf den Einladungen der deutschen Front" die Bemerkung Fahrt mit den Sonderzügen kosten­los". Man fügt also der Peitsche des Terrors noch das Lock­mittel einer kostenlosen Sonntagsfahrt hinzu. Eine so zlt= jammengebrachte Rundgebung hat keinen politischen Wert. Ueberzeugung und Opferwille entscheiden den Kampf. Das wird sich am 13. Januar zeigen.

Ueberfüllte Frauenkundgebung

Eine überfüllte Frauenfundgebung der Ein­heitsfront fand am Freitagabend in St. Ingbert   statt. Beider mußten viele umkehren. weil kein Platz mehr vor­handen war. Wegen überfüllung mußte das Lokal polizeilich gesperrt werden. Die Ausführungen der beiden Referentin­nen, Genossin Wodarcak und Jakobs wurden mit großem Beifall aufgenommen. Eine Entschließung zur Befreiung der beiden Jugendgenossen wurde mit Begeisterung angenom­

men.

Der braune Büttel Bürckel

Die Garantien" für die Saarbewohner

Der Saarbevollmächtigte des Reichsfanzlers, der national sozialistische Gauleiter Bürdel, gab einem Spezialforre­spondenten des Reuter- Büros ein Interview. Es handelte sich vor allem um das Schicksal der Anhänger des Status quo für den Fall einer Rüdgliederung des Saargebietes. Feier­lich gab Bürckel das Versprechen ab, daß das Abkommen von Rom   von der deutschen   Regierung befolgt werden würde. Diejenigen Saarbewohner, die seit drei Jahren im Saar­gebiet lebten, hätten nichts zu befürchten. Sie würden den staatlichen Schutz genießen. Anders stände es freilich mit denjenigen, die erst später hierhergezogen, nicht abstim­mungsberechtigt seien und gegen Deutschland   ge­hetzt" hätten. Sie hätten Anklagen wegen Landes= verrats zu erwarten. Der Schuß dieser Personen nach de m13. Januar komme nicht in Frage. Nach einer Mit­teilung des Stuttgarter Senders fügte Herr Bürckel   hinzu, daß dies Angelegenheit des Völkerbundes sei.

Dabei wurde Herr Bürckel   ironisch. Es gäbe ja, so sagte er, genug schöne un dgroße Mandatsgebiete, wo diese Leute Raum für ihre Tätigkeit finden könnten, und vielleicht ließen die Vereinigten Staaten   eine besondere Einwande­rungsquote zu. Die übrigen Bemerkungen des Herrn Bürckel  waren belanglos. Er wandte sich gegen die Emigranten" in der Saarpolizei und erklärte, die Behauptung über die Mög­lichkeit der zweiten Abstimmung für unehrlich".

Als Beispiel für eine Persönlichkeit, die im Falle der Rück­gliederung sofort wegen Landesverrats festgenommen wer­den würde, nannte Herr Bürckel   den Reichstagsabgeordneten

Imbusch von der christlich- sozialen Volksfront. Seine Be­auftragten haben Herrn Imbusch im Zuge eines organi­fierten Ueberfalles schwere Verlegungen beigebracht. Nun hat Bürckel bereits einen Landesverratsprozeß für ihn und viele andere in Reserve.

Aber haben diejenigen, die länger als drei Jahre im Saar­gebiet wohnen, und sich nicht zu Hitler bekannten, einen wirf­lichen Schuh? Gibt es einen vernünftigen Menschen, der an die Innehaltung von Verträgen durch das dritte Reich" noch glaubt, wo alle Rechtsgarantien aufgehoben worden find? Gibt das Schicksal der rheinischen und pfälzischen Se­paratisten nicht zu denken, die nach der Machtergreifung" in zahllosen Fällen verhaftet, halb totgeschlagen und ins Kon­zentrationslager geschleppt wurden, trotz der sie schützenden Londoner   Vereinbarungen?

Jeder Schutz, der sich auf eine Unterschrift Hitlers   oder eines seiner Bevollmächtigten stützt, ist für das dritte Reich", in dem Recht nur ist, was dem Vaterlande nüßt", nicht verpflichtend. Vaterland" wird gleichgesetzt mit bedingungs­loser Unterwerfung unter die Hitlerdiktatur. Jeder, der sich an der Saar  , gerade aus seinem deutschen   Grundgefühl her­aus, gegen Hitler   und das dritte eRich" gewandt hat, steht in äußerster Gefahr.

Es ist der Fehler und die Schwäche des Völkerbundes- for­male Garantien und Unterschriften der Bevollmächtigten des ,, dritten Reiches" ernster genommen zu haben als sie es verdienen. Damit hat er sich eine schwere Verantwortung gegenüber dem Schicksal vieler Tausender von Saarein­einwohnern auferlegt.

Aufrufe der Kirchen und Bischöfe

Wenn man sie richtig liest.

Die gesamte deutsche Presse ist täglich angefüllt mit Auf­rufen der kirchlichen Organisationen und Repräsentanten an­läßlich der Saarabstimmung. Sie werden demagogisch so aus­gelegt, als ob die Kirchen, die katholische sowohl wie die evangelische, die Gläubigen aufforderten, für die Rückgliede­rung der Saar an das dritte Reich" einzutreten. Rieft man die Botschaften jedoch genauer, so kommt man zu einem etwas anderen Bild.

Am Neujahrstage wurde eine Botschaft des evan­gelischen Oberkirchenrates der altpreußischen Union an die Gemeinden des Saargebietes verlesen Es heißt darin, daß die evangelischen Gemeinden des Saarge­biets treue Mitglieder der Heimatkirche geblieben seien. Nun steht vor den protestantischen Saarländern der entscheidende Tag der Abstimmung. Von ihrem Ursprunge an sei die evangelische Kirche dem Volfe, in dem Gott der Herr uns hineingestellt habe, zugewandt gewesen:

Evangelische Christen sind für die Entscheidung, die sie zu fällen haben von ihrem Volke und vor Gott  , der uns Volkstum und Muttersprache gegeben hat, verantwortlich. Ihr tragt mit eurer Entscheidung am Abstimmungstage Verantwortung für das Schicksal der Hei­mat, für das Schicksal des Gesamtvoltes, für das Schicksal auch der kommenden Gene= rationen"

Es fällt in dieser Botschaft auf, daß in ihr fein einziges Wort über den Führer", nichts über ein Bekenntnis zum heutigen Staat zu finden ist. Von einer Aufforderung, für die Rückgliederung ans dritte Reich" zu stimmen, ist feine

Rede. Volkstum, Heimat und Vaterland sind Fragen der Herkunft und der Gesinnung, die mit einer Forderung zur Abstimmung zugunsten Hitlers nicht gleichgesetzt werden können. Viele gläubige Protestanten werden die Botschaft so deuten, daß sie gegen die Rückgliederung zu stimmen haben im Namen des Volkstums, der Heimat und in der Verantwortung vor Gott  

Es liegen auch einige neue Kundgebungen katholischer Kirchenfürsten vor. Im Breslauer Dom   hielt Kardinal Bertram   am Neujahrstage eine Aussprache, die sich auch furz mit der Saarfrage beschäftigte. Er erflärte, daß neben der firchlichen Verbundenheit die Verbundenheit innerhalb des deutschen Volkstums Geltung habe. Bei aller Achtung vor der Abstimmungsfreiheit wünsche er, daß deutsches Ge­biet bei Deutschland   bleibe". Der Erzbischof von Bamberg  jagt in einem Aufruf, daß der folgenschweren Entscheidung an der Saar   kein wahrhaft Deutscher   gleichgültig gegen­überstehe. Er vervordnet nach dem Beispiel der übrigen Erz­bischöfe Gebete, um einen für unser deutsches Vaterland segensreichen Ausgang der Saarabstimmung zu erflehen.

Auch hier kein Wort für den Führer, nichts von einem Be­fenntnis zum Staat. Die Kirchenfürsten können nicht wagen, offen für die Rückgliederung des Saargebietes an das dritte Reich" einzutreten, weil sie wissen, daß sie sich damit in schärfsten inneren Widerspruch zu zahllosen Katholiken im Reich wie im Saargebiet setzen würden. Sie wählen darum für ihre Sundgebungen eine verhüllte und auslegungsfähige Form. Gegen ihren Wortlaut werden diese Botschaften als Proflamationen zugunsten der Rückgliederung gedeutet.

Schutz für die Minderheiten im Saargebiet

Erklärung des Comité des égations Juives

Das Comite des Delegations Juives hat der Weltöffent­lichkeit folgende Erklärung abgegeben:

Das Comite des Delegations Juives hat vom Abschluß der Verhandlungen des Dreier- Komitees in Rom   und des Völkerbundes in Genf   bezüglich der die Minderheiten im Saargebiet betreffenden Bestimmungen Kenntnis genommen. Das Komitee stellt fest, daß diese Bestimmungen weit hinter den Postulaten zurückbleiben, die es zugunsten der jüdischen Bevölkerung im Saargebiet den Ratsmitgliedern vorgetra­gen hat für den Fall, daß die Abstimmung der Saarbevölke= rung nicht die Aufrechterhaltung des Status quo ermöglichen, sondern den Völkerbund veranlassen sollte, das Saargebiet an Deutschland   zurückzugliedern. Insbesondere hat die Nicht­gewährung dauernden Schutzes der Gleichberechtigung aller Einwohner des Saargebietes, ohne Unterschied der Sprache, der Religion und der Rasse, tiefe Enttäuschung im jüdischen Volke hervorgerufen

Das Komitee verliert jedoch nicht die Hoffnung, daß der Völkerbund bei der Entscheidung über das Schicksal des Saargebietes nach der Abstimmung die Möglichkeit finden wird, der berechtigten Erwartung zu entsprechen, die die Judenheit unverändert in das Gerechtigkeitsgefühl der Welt und des Völkerbundes für die Notwendigkeit des dauernden Schußes aller Minderheiten des Glaubens, der Raffe und der Gesinnung setzt"

Dazu schreibt das Nachrichtenblatt der Synagogen- Ge­meinden des Saargebietes":

Es ist erfreulich, daß das Comite des Delegations Juives der Enttäuschung Ausdruck gibt, die alle Kreise des jüdischen Volkes erfaßte, als sie von den geringen Schutzaussichten für die Saarjuden im Eventualfall der Rückgliederung Kenntnis bekamen Auch wir konnten eine starke Enttäuschung nicht unterdrücken und haben ihr an dieser Stelle bereits Ausdruck verliehen. Die Teilnahme des gesamten jüdischen Volkes für das Schicksal der Saarjuden ist geweckt. Der Völkerbund als Wahrer der internationalen Humanität wird diese Stimme nicht überhören können, sollte das Resultat der Abstimmung ihn in die Lage versetzen, über unser Schicksal als das Schick= sal einer Minderheit zu bestimmen. Die übernationale Stel­lung und Aufgabe des Völkerbundes kann nur in einem voll= ständigen Minderheitenschuh ohne Pretsgabe der Forderuns gen der Menschlichkeit erfüllt werden. Wir halten fest, daß die obenstehende Erklärung des Comite des Delegations Juives sich auf einen Eventual fall bezieht, aber wir begrüßen es, daß sich die maßgebende Vertretung der Inter­essen jüdischer Minderheiten für unser Schicksal in dem er­wähnten Eventualfall einsetzt.