Das Freiheitsheer der 150 000

Der Sonntag des gewaltigen Aufmarsches in Saarbrücken

Auf dem Kieselhumes

Um zwei Uhr begann der Plaz sich zu füllen. Zuerst stand die große Treppenempore im Hintergrund voller Men­schen. Kopf an Kopf, als noch auf dem Plazz alles durchein­anderlief. Bald aber staute es sich auch dort. Der Ordnungs­dienst hatte mit Seilen und Handketten eine Absperrung mitten durchs Feld gezogen. die in Gestalt eines riesigen Kreuzes die unübersehbaren Massen in vier Blöcke zer­legte. Kopf an Kopf standen sie da.

Es wurde drei Uhr, es wurde halb vier, es wurde vier Uhr, und immer noch marschierten die Züge durchs Tor. Die braune Front hatte geglaubt uns einen Streich zut spielen, als sie den Strom abschnitt. Aber der heimtückische Plan hatte eine Wirkung, die die Herren wohl nicht er­wartet haben. Indem sie dadurch den Versammlungsbeginn verzögerten, gaben sie den durch die Stadt ziehenden Massen Zeit und Gelegenheit, hereinzukommen und sich aufzustellen. Um halb vier Uhr mögen es etwa 100 000 gewesen sein, die den Platz besetzt hielten und noch marschierte und mar= schierte sie. Ringsum leuchteten von gewaltigen roten Spruchbändern, die das Feld umsäumten, die Parolen der Einheitsfront:" Für Deutschland Gegen Hitler "- Alle für den Status quo". Ein gewaltiges 20 Mieter hohes Transparent an der Stirnseite des Feldes verkündete die suggestive Parole: Das Kreuz ins erste Feld!" Davor er­hob sich die mächtige, rot ausgeschlagene Rednertribüne. Auf der gegenüberliegenden Feldseite war ein schwarzer Kata­falt für die Totenehrung aufgebaut.

Schließlich entschloß sich die Versammlungsleitung, die Versammlung auch ohne Pautsprecher zu beginnen. Mit mächtiger Stimme gab Genosse Hey die verschiedenen niederträchtigen Sabotageafte bekannt. Ein Sturm von Pfuirufen der empörten Massen war die Antwort.

Dann begann der Fahneneinmarsch. Ein leuchtender Zug reter Fahnen bewegte sich durchs Feld. Ringsum standen die Massen. die Fäuste erhoben und aus hunderttausend Kehlen brauste das Lied: Brüder, zur Sonne, zur Freiheit über den Platz. War schon der Jubel und die Begeisterung der Massen, die an diesem Tage wieder einmal ihre un­erschütterliche Kraft durch ein Bild von unerhörter Leben­digkeit und Größe sich vor Augen gestellt jah, gewaltig ge= wesen, so wurde diese Stimmung zu Troß und Kamps­entschlossenheit noch gesteigert durch die Schikane unserer Gegner.

Dann begann Max Braun seine Rede. Und nun geschah eine Art Wunder: Kaum hatte Mar Braun die ersten Säge gesprochen, da begann plößlich der Lautsprecher über den Platz zu dröhnen. Mit einem Male war der Strom wie­der da, und während Max Braun sprach, marschierten im­mer noch Menschen durch das Tor.

Die Beifallsstürme brausten über den Play. In ihren Führern Mar Braun und Fritz Pfordt grüßten die Massen die Idee der Freiheit für die deutsche Saar und das deutsche Vaterland. Mit Jubel wurde auch der Gruß des fatholischen Kameraden Imbusch aufgenommen.

Die Menschenmauer erhob die Hände zum Freiheits­schwur. Dann schloß Massengesang die Riesenfundgebung.

Wir haben der toten Märtyrer gedacht. Ihrer Opfer wol­len wir uns würdig zeigen durch den Kampf für Reben Freiheit.

Der Anmarsch und der Abmarsch dieser Massen, die alle Erwartungen übertrafen, war eine hohe Probe der sozia­ listischen Organisationsfunst und auch ein Beweis für die zähe Ausdauer unserer Freunde.

Viele waren in den letzten Nächten kaum zur Ruhe ge= kommen, weil die Volksfront alle Kräfte brauchte. Heute waren fie lange vor Tagesanbruch wieder auf den Beinen. Tann die Märsche im falten Winterwetter. Das lange Warten und nun dennoch diese Begeisterung.

Unter Liedern und Freiheitsrufen marschierte die Volks­front ab.

front.

Saarbrücken , das Saargebiet steht im 3eichen der Volfs= Heute marschierten wir.

Dennoch!

Am 18. Januar fiegen wir!

Sabotageakte gegen die Volksfront

Die deutsche Front" offenbarte heute ihre ganze Unsicher heit und Nervofität. Sie glaubte unsere Kundgebung dadurch stören zu können, daß der elektrische Strom für die Laut: sprecher ausgeschaltet wurde. Ausländische Mitglieder der Abstimmungskommission und ausländische Polizeikräfte mußten gegen diefen Sabotageaft eingesetzt werden.

Bei einem der Sonderzüge von St. Ingbert gab es einen Maschinendefett. Zweifellos ebenfalls ein Sabotageaft. Mit einiger Verspätung konnte auch dieser Zug nach Saarbrücken geführt werden.

Die Brücken über die Saar waren stundenlang gesperrt, so daß tausende Mitglieder der Volksfront nicht rechtzeitig zur Kundgebung kommen konnten.

Die Stimmung der marschierenden Kolonnen und der uns übersehbaren Massen auf den Versammlungsplätzen des Kieselhumes war und blieb begeistert. Die Sabatogealte schürten nur die Stimmung. Das Schneetreiben hörte am Nachmittag auf. Das Wetter blieb trocken. Die deutsche Front" marschiert gegen uns, aber der Himmel ist für uns. Die tiefen, nicht nur politischen, sondern menschlichen Gegensätze, die in den zwei Fronten aufeinander prallen, zeigten sich in ihren Liedern.

Die dentiche Front" rückte ab unter dem Gefang:

Wir werden wetter marschieren und wenn alles in Scherben zerfällt,

Stadt im Fieber

Saarländer auf dem Marsch

Eine Stadt im Fieber! Menschenheere begegnen sich, trennen sich voneinander, finden sich wieder. Polizei aller Arten zu Fuß und zu Pierde hält mühsam den Schein einer Ordnung aufrecht. Wir kommen in die Nähe des Bahnhofes und hören Gesang. Einer der Züge der Freiheitsfront, die nun in unaufhörlicher Reihe den Marsch zum Kiesel­humes unternehmen, bahnt sich den Weg durch mehrere Reihen dichter Spaliere. Er ist vorüber, schon kommt der nächste.

Es ist immer die gleiche Szene, Männer und Frauen aus dem Volke: es ist das wirkliche Volk an der Saar . Ihr Marsch und ihre Fahrt nach Saarbrücken brauchten nicht organisiert zu werden, es war nicht nötig, sie unter Kontrolle eines Blockwartes" oder eines Vereinsvorstandes zu sammeln. Nicht wahr. Ihr Herren von der braunen Front, die Ihr staunend oder mit verframpftem Hohn an den Straßenrändern standet- das waren die bekannten ,, lothringischen Kommunisten" die Emigranten" und Zu­gehörige des Gefindels" des Herrn Pirro?

Die Mehrzahl der Züge, so weit sie vom Bahnhof famen, nahm durch die Kaiserstraße ihren Weg. Ein Brausen lag über diesem ganzen Straßenzug, den wir alle unzählige Male im befohlenen Schmuck der Hafenfreuzfahnen gesehen haben. An der Johanniskirche ging es an berittenen Land­jägerforps vorbei. Immer wieder aber saben wir unsere Ordner mit den roten Armbinden an den Straßenecken. Schon seit dem frühen Morgen sind sie auf den Beinen.

Züge von Kindern werden von Frauen und Männern zu den Lokalen geleitet, wo sie beisammen bleiben und verpflegt werden bis die Eltern sie holen. Wir sahen auch Kinder in den Reihen der braunen Front. Hitlerjugend und BdM. ist voller Uniform mit Brotbeutel und sogar den Zehnjährigen fehlte nicht das dolchartige Fahrtenmesser am Seiten­riemen... Zieht man die Kinder, die Schulpflichtigen und die Jugendlichen von den sichtbar bedrückt ihres Weges schleichenden Aelteren in der Braunfront ab, so verkleinert sich ihre Zahl sehr beträchtlich.

Wieder Musik! Wieder Gesang! Wie still waren dagegen die Kundgeber des Hakenkreuzes! Jedem, der es erlebte, prägte sich der Unterschied zwischen hüben und drüben ein. Bei uns die Freiwilligen, die ihre Fahrt selber zahlten, um den großen Freiheitstag der Saar mitmachen zu dürfen. Bei den andern marschierte das Kommando des Terrors mit, eine unsichtbare Begleitung der braunen und schwarzen Stiefeln und der schwarzen Mützen.

Denn heute gehört nus Deutschland und morgen die Der Aufstieg

Die Kolonnen der Volksfront sangen:

ganze Welt.

Brüder, zur Sonne, zur Fretheit, Brüder, zum Lichte empor..."

Rote Ordner und Polizei

Die kritischen Mittagsstunden

Militär in Bereitschaft

Der Bahnhofsplatz und die um den Bahnhofsplatz an­grenzenden Straßen sind heute wohl mit die gefährlichsten Stellen in Saarbrücken gewesen. Gegen 12 Uhr näherten sich dem Bahnhofsplatz größere Trupps von Deutschfrontlern". zu gleicher Zeit famen die ersten Sonderzüge der Volks­front an. Um Zusammenstöße zu verhindern und den Ab­marsch der Teutschfrontler" und den Anmarsch unserer Züge möglichst reibungslos zu gestalten, bat die Polizei den Bahnhofsplatz mit Hilfe der roten Ordner hermetisch ab­geschlossen. Außerdem wurden größere Abteilungen von Landjägern zum Bahnhofsplatz beordert und furze Zeit nach­dem in der Nähe des Hotels Excelsior einige Reibereien zwischen den gegnerischen Parteien zu beobachten waren.

wurde nach dem Bahnhofsplay auch eine kriegsmäßig aus: gerüstete Abteilung italienischer Soldaten dirigiert. Sie haben an den polizeilichen Absperrungsmaßnahmen direkt nicht teilgenommen, sondern standen im Hintergrunde, jederzeit bereit, einzugreifen.

Als die Tausende und aber Tausende Voltsfrontler mit Gesang und Freiheitsrufen in ununterbrochener Kette durch die Kaiserstraße zum Kieselhumes marschierten, da konnte man die erstaunten und langen Gesichter einzelner Trupps der braunen Front beobachten, die, verhetzt durch ihre Presse, aufrichtig davon überzengt waren, daß wir nur ein Säuflein Separatisten" feien.

Der 6. Januar hat den Einwohnern von Saarbrücken und dem ganzen Saargebiet gezeigt, daß, troy Terror, troz systematischer Püge, das saarländische Volf sich nicht ein­schüchtern läßt. Die 150 000 beherzte Männer und Frauen, die heute aufmarschierten, haben den Beweis da­für erbracht, daß das Saargebiet nie und nimmer an die Hitlerbarbarei ausgeliefert wird.

Marsch auf Befehl

Größere Polizeifräfte standen auch an der Kaiserstraße ,,, Na ja, die Fahrt haben wir doch umsonst" Ecke Karcherstraße, und ließen ab 12.30 Uhr niemanden mehr zum Bahnhofsplatz über die Kaiserstraße durch. Aber es war der Polizei immerhin nicht möglich, die Volksmassen gänzlich zu zerstreuen und immer wieder sammelten sich, insbesondere am Bahnhofsplay. Ecke Kaiserstraße, neue Mengen. Fort­während sah man die berittene Polizei auf dem Bürgersteig, die die Massen zurückdrängte.

Der Blockwart hat gesagt, jeder der heute nicht nach Saarbrücken fährt, hat sich selbst aus der deutschen Front" ausgeschlossen."

Der Hauptbahnhof konnte die enormen Menschenmengen nicht fassen und obwohl größere Zusammenstöße zwischen den beiden Parteien durch die starken Absperrungsmaß­nahmen am Bahnhofsplay verhindert wurden, entstanden immer wieder Verstopfungen, wodurch die gewaltigen Züge der Volksfront, die sich an dem Ostansgang des Hauptbahn= hofes ansammelten, sich nur langsam vorwärts bewegen

fonnten.

Man fonnte sich beim Anblick dieser Vorgänge des Ein­druckes nicht erwehren, daß die deutsche Front" mit voller Absicht die Zugänge zum Bahnhofsplatz besetzte, um auf diese Weise die rechtzeitige Ankunft der gewaltigen Massen der Volksfront am Kiefelhumes zu stören. Gegen 12.30 begann sich der Strom der Volksfront vom Ostausgang des Hauptbahnhofes über die Kaiserstraße zu wälzen. Den Zug eröffneten die Püttlinger , die in großer Zahl erschienen sind und von einer zahlreichen Menge, die am Bürgersteig stand, mit" Rotfront" und" Freiheit" be­grüßt wurden. Kurz darauf kamen die Saarlouiser und dann zogen ununterbrochen die Massen dahin, die auz dem ganzen Saargebiet tamen, um hier in Saarbrücken , acht Tage vor der Entscheidungsschlacht, gegen Hitler zu demon­ftreiren.

No ja, die Fahrt ham mir doch umsonst."

Der Hannes, der wollte nicht mit, weil er so erfältet ist, aber der Blockwart hat ihm gesagt: Meinst Du, im Schützen­graben wirst Du auch mit solchen Ausreden kommen können, und da wird es toller zugehen als in Saarbrücken ." No ja, wenn Befehl fommt, marschiert man."

Es sind viele die marschieren, eigentlich marschieren sie gar nicht, eine Herde marschiert nicht. Unter den vielen Regenschirmen sind die Gesichter stumpf, ohne Begeisterung. Nur hie und da slackert ein bißchen Gesang auf. Aber stumm trotten die meisten, Stumm und voller Sorgen. Sie mar­schieren auf Befehl, aber in welche Zukunft.

Wir wolle hemm. zu Deutschland , das ist doch klar." Wissen Sie was die Frau Mollberg gesagt hat, die ist auch so ne Separatistin. Der wollte ich es doch auch erklären, warum man für Deutschland sein muß. Da hat sie mir ge= sagt: Ich will auch hemm, nach Deutschland , aber erst, wenn ich denken und sagen darf, was meinen Interessen entspricht. Ich will nicht hemm, damit man meinen Mann totschlägt und mich einsperrt. Solche Greueln zu glauben."

Ja, aber vorsichtig wird man ja sein müssen, wenn Hitler tommt. In Deutschland muß man sich jedes Wort überlegen, das man spricht, wenn man nicht ins Konzentrationslager kommen will, hat mir meine Schwägerin gesagt."

,, So, ich dachte, das sind nur Lügen der Separatisten." Und Margarine und Schmalz und Kokosfett sind doppelt io teuer wie bei uns, hat meine Schwägerin gesagt. Und

Neunkirchen

Sulzbach

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Saarbrücken

Im August 1933 trafen wir uns in Neunkirchen . Die Stimmung war gut und fämperisch. Aber die Zahl der Stämpfer war noch flem. Es waren die eisernen Kaders der Sozialdemokratischen Partei aus dem ganzen Saargebiet. Sie waren zu einem ernsten Generalappell angetreten. Und doch brachte dieser Tag schon mitten im scheinbar unge­hinderten Vormarsch der braunen Besatzungsarmee im dritten Reich"- die erste Auflockerung der Fronten.

Die Kommunistische Partei war am gleichen Tag in Sa a r brücken aufmarschiert. Gleich an der Zahl, gleich an fämpferischer Entschlossenheit.

Die Einheitsfront fonnten wir damals nur ahnen! Zehn Monate später war sie Wirklichkeit geworden. Eine Tat! Vielleicht eine, die in die Geschichte eingehen wird, sicherlich aber eine entscheidende, eine befreiende, eine vor­wärtsreißende Tat.

Sulzbach , der 27. August 1934, brachte den ersten Sieg. Zehntausende waren mehr aufmarschiert als nach den Vor­anmeldungen erwartet werden konnte. Das war ein Durch bruch. Von diesem Tag an hockte die Verwirrung im Pager der braunen Front. Zum ersten Male hatten sie sich davon überzeugen müssen, daß ihre Führer eine Lüge ausgesprochen hatten, wenn sie die Zahl der Gegner verächtlich mit drei Prozent angegeben hatten. An diesem Tag nahm der Ver­trauensschwund seinen Anfang.

Inzwischen hat sich vieles geändert!

Als vor einigen Wochen 5000 zum letzten entschlossener Hitlerfeinde in der Festhalle zu St. Ingbert , dieser braunen Hochburg, ein Bekenntnis zur Freiheit und zu einem neuen Deutschland ablegten, da hatten wir alle die Gewißheit gewonnen: wir werden den Endkampf mit Ehren bestehen.

Der heutige Tag aber wir werden ihn nie vergessen, diesen 6. Januar 1935 und seinen im Schneetreiben mar­schierenden Massen gibt uns die andere Gewißheit: wir werden als ieger aus dem Kampf hervorgehen.

Das Stadion am Riesel humes, das sonst den sportlichen Spielen einer gleichgeschalteten Jugend Raum biete, ist der Platz einer wuchtigen und bedeutungsvollen Vorentscheidung geworden. Die unabiehbaren Massen, die heute mittag das Stadion Kopi an Kopf füllten, die die Zugangsstraßen in lebensgefährlichem Gedränge verstopiten, diese Massen befinden sich auf einem siegreichen und über­wältigenden Vormarich. Aus den fieinen, entschlossenen Stoßtrupps, aus den Kaders der Unbengiamen ist ein Heer geworden. Am 13. Januar wird es den Endsieg an seine Fahnen hesten.

Leinen und gute Seife und Zwirn fann man gar nicht mehr bekommen. Aber wir sind doch deutsch und bleiben deutsch ." Jo, jo."

Sie denken und marschieren auf Befehl, aber ganz wohl ist ihnen nicht dabei.

Die Kriegervereine, die Feuerwehr, die Ortsgruppen, die Hitlerjugend , der Bund deutscher Mädel , die Pimpie, alle marschieren geschlossen. Die Blockwarte fönnen bequem ihre Herde übersehen