Der katholische Arbeiterführer und frühere Reichstags= abgeordnete des Zentrums konnte an der heutigen Kundgebung nicht teilnehmen, weil er noch schwer unter den Folgen des nationalsozialistischen Mordanschlages in Blics= lastel leidet. Er ist durch mehr als 20 Stopfverlegungen ver wundet. Sein brieflicher Gruß an die Kundgebung ist in der vorliegenden Ausgabe abgedruckt.
Ein Brief
Saarbrüden, 5. Januar 1935.
Sehr geehrter Herr Braun! Besten Dank für die Einladung zu der Kundgebung der Einheitsfront, die als Kundgebung aller Hitlergegner auf: gezogen ist. Es ist mir nicht möglich, an der Kundgebung teilzunehmen. Mein Kopf hat Blieskastel noch nicht ge= nügend vergessen. Ihrer Kundgebung wünsche ich- obwohl immer Gegner der marristischen Parteien war und noch bin einen vollen Erfolg. Troß der Verschiedenheit un= serer Grundsäße können und müssen wir in der Frage der Abstimmung am 13. Januar zusammengehen, um ein gutes Ergebnis zu erzielen. Hier haben wir trotz der Verschieden heit unserer Grundsäße gemeinsame Interessen.
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Wir wollen hier an der Saar den letzten Rest hitlerfreier deutscher Erde und den deutschen Geist retten. Wir wollen eine gewissenhafte Rechtssprechung nach vernünftigen Ge: setzen, nicht willkürlichen Massenmord und Konzentrations: lager. Wir wollen an der Saar die deutsche Kultur erhalten, sie nicht der Barbarçi ausliefern. Wir wollen praktisches Christentum und Beobachtung des chriftlichen Gebotes der Nächstenliebe, nicht sadistische Mißhandlungen an derer. wegen ihrer politischen Ueberzeugung oder Rasse. Wir wollen eine vernünftige Wirtschaftspolitik, eine Zusammens
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Der Röchling stand am Fenster, Der Nietmann sprach voll Hohn: " Ich zähle schon hunderttausend der Status- quo- Prozession."
Ich bin so frant, oh Nietmann, Daß ich nichts hör' und seh'; Ich denk an den 13. Januar,
Da tut das Herz mir weh."
Steb auf, wir wollen zum Wadenberg Nimm Kohle und Hafenkreuz,
Vielleicht stehn dort auch ein paar tausend.... Kommerzienrat, mich reut's.
Kommerzienrat, ich fürchte, Troy Freibier und Marschiern
Und trotz der SA.- Kapellen,
Wir werden uns furchtbar blamiern!",
Es flattern die roten Fahnen,
Der Sang flingt hell und froh,
Das ist am Kieselhumes,
Da steht der Status quo.
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Die saarländischen Kumpels Tragen heut ihr bestes Kleid. Für Deutschland nie zu Hitler !
Sie jingen's voll Stolz und Freud.
wir schwören:
Auf der Kundgebung der Einheitsfront am 6. Januar
aus allen Gauen und Orten der Saar, ohne Unterschied der Partei und Konfession, einig im Kampfe gegen den Todfeind Hitler ,
Um Deutschlands Freiheit und um unserer Freiheit willen, um Knechtschaft und Rechtlosigkeit zu brechen, tragen wir unsere Fahnen zum Sieg über Hitler voran!
Durch unsere Kraft wird unser Heimatland bewahrt vor Barbarei und Mord, vor Krieg und Katastrophe!
Durch unsere Macht werden des Saarvolks Zukunft, die Freiheiten und Rechte gesichert werden!
Wir bieten Trotz den finsteren Gewalten, der Lüge und dem Terror! Niemals soll unser Saarland an die braunen Verderber des ,, dritten Reichs" ausgeliefert werden!
Durch unseren Sieg werden wir den Sieg der Freiheitskämpfer Deutschslands vorwärtstreiben!
Ins freie Deutschland kehren wir zurück, sobald die Knechschaft stürzt! Für Deutschlands Freiheit auf zum Sieg;
Um unserer Freiheit willen:
arbeit der Völker auf wirtschaftlichem Gebiet, nicht eine für alle Völker schädliche Absperrung. Wir wollen praktische Sozialpolitik, wollen eine ausreichende Fürsorge für alle Hilfsbedürftigen, wir wollen die Menschen nicht mit leeren Sprüchen von„ Ehre der Arbeit" usw. abipeisen lassen. Wir wollen Erhaltung der Gewerkschaften, Erhaltung der Frei: heit und Gleichberechtigung der Arbeitnehmer, einen gerech= ten Anteil der Arbeitnehmer an den Erträgnissen der Wirt= schaft, ein vernünftiges Arbeitsrecht, eine gute Sozialver= ficherung. Wir wollen die Zerschlagung der Gewerkschaften an der Saar verhindern, wir wollen verhüten, daß auch an der Saar die Arbeitnehmer zu Gefolgsleuten und zu willenlosen Sklaven erniedrigt werden.
Wir wollen sodann den Frieden unter den Völkern er: halten. Wir wollen verhindern, daß die jetzt in Deutsch land herrschende undeutsche, kulturfeindliche Dittatur zu einem neuen großen Kriege, zu einem neuen Massenmorden führt und die europäische Kultur zerstöct.
Wir kennen die Gefahren, die jedem aufrechten Menschen von den entmenten Vertretern des Naziregiments drohen. Das soll un nicht abhalten, unsere Pflicht zu tun. Wir dürfen das Saargebiet nicht auch den Diktatoren des „ dritten Reichs" überlassen. Auch wenn der Kampf dem einen oder andern von uns das Leben foftet: das Eanrgebiet muß frei bleiben. Von hier aus wollen wir auch den Brüdern im Reich die Freiheit zurückerobern. Deshalb unsere Parole: für Deutschland , gegen Hitler , für Status quo!
Die Arbeiter und Bauern Marschiern in Reih und Glied, Die Internationale
Dröhnend gen Himmel zieht.
Es kam heute mancher auf Krücken, Der jego tanzt auf dem Seil,
Gar mancher fam angstvoll und zweifelnd,
Der gestern schrie: Hitler Heil !
Er sah die hunderttausend,
Er spürte, sie ziehen zum Sieg,
Zum Sieg eines freien Deutschland Und nicht für Hitler zum Krieg.
Der Röchling nahm seufzend das Schnupftuch Und wischte sich über den Kopf. ,, Ach Nietmann, wir liegen nicht richtig, Was war ich doch für ein Tropf!"
Der Nietmann nahm stöhnend den Aermei Und wischte sich unter der Nas', Er meinte auf allen Backen Die Tränen strömten ins Glas.
Du Hochgebenedeiter,
Der alle überragt,
Volfskanzler und Reichsführer, Dir jei mein Leid geflagt.
Ich wohnte in Saarbrücken , Im schönen Saargebiet,
Da fam der Versucher Bürckel Und sang ein verführerisch Lied.
Er sang von Ruhm, Geld und Ehre, Das hat mir sehr behagt,
Den Spaniol und auch den Pirro, Die hat er fortgejagt.
Er meinte, ich würde es können, Was die beiden nicht gefonnt, Jetzt gehn sie zu tausenden stiften Aus meiner Deutschen Front!
50 Sonderzüge verloren gegangen Der ehrliche Finder kann sie behalten
Am Samstag verkündete die Presse der deutschen Front" fiegesgewiß, es würden am Sonntag 82 Sonderzüge für ihren Aufmarsch in Saarbrücken eintreffen. Diese schwindelhafte Angabe wurde von uns sofort widerlegt. Am Sonntagmorgen sind es nun nur noch 32 Sonderzüge. Wieviele es wirklich waren, laffen wir dahingestellt.
So sieht die Flunkerei der Lente aus, die seinerzeit in Sulzbach durchaus nur ein paar tausend Leute und darunter meistens Emigranten und Lothringer gesehen haben wollen. In ihrer Verlegenheit, daß fie 50 Sonderzüge preisgeben mußte, redet sich die deutsche Front" mit angeblichen technischen Schwierigkeiten der Eisenbahn heraus. Das ist eine dumme Ausrede. Es würde doch wohl eine telefonische An= frage bei der Eisenbahndirektion genügt haben, um zu er= fahren, ob über 80 Sonderzüge gefahren werden können oder nicht.
Wenn man sehr hoch rechnet, sind vielleicht 25 000 bis 30 000 Leute mit Sonderzügen der deutschen Front" nach Saarbrücken gefommen.
Beim Abmarsch vom Wackenberg half man sich dadurch, daß manche Züge mehrmals denselben Weg durch die Stadt nahmen, um aus den 50 000, die alles in allem zusammengekommen sein mögen, die 200 000 Menschen zu machen, die der deutsche Rundunk gezählt haben will.
Status quo bedeutet: Zurück zum Reich,
aber net gleich!
Der Status quo ist gewachsen, Er hat schon sechzig Prozent, Was soll nun aus mir werden?" Der Nietmann leise flennt.
Ich will nicht nach Esterwege, Ich will nicht in Lager und Haft, Verzeih mir, geliebter Führer, Ich habe es nicht geschafft.
Heil du mein frankes Herze- Ich will auch spät und früh, Inbrünstiglich für dich singen- Doch jetzt brauch ich erst mal Marie!"
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Der Röchling und der Nietmann, Die kamen beim Wackenberg an, Da standen Blockwürste, Amtswalter. Es waren dreitausend Mann.
Der Röchling sah seine Herde. Er legte seine Hand Ganz leise auf sein Herze Und lächelte mild und verschwand.
Der Nietmann, der Landesleiter, Sprach furz und schmerzerfüllt, Er hatte im Geist vor Augen Ein grausiges Schreckensbild:
Da lag dahingestrecket
Die Deutsche Front und war tot, Es spielt mit dem Hakenkreuzchen Das lichte Morgenrot.
Der Nietmann faltet die Hände, Ihm war, er mußte nicht wie; Er klopft sich leis auf die Tasche: Nichts bleibt mir als die Marie!"