Deutsche Stimmen. Beilage zur Deutschen Freiheit Ereignisse und Geschichten

Brauner Habitus

Dienstag, den 8. Januar 1935

Wie funktioniert dec ,, nationale" Roman?

Wir nennen den nationalen Roman einen ,, nationalen" Roman. Die Gänsefüßchen sollen hier nicht der Diffamie­rung, nein: vielmehr der Klärung dienen. Die besondere Sorte der Afterliteratur, die der deutsche Nationalismus der Nachkriegszeit hervorgebracht hat, okkupierte das schmückende Beiwort ,, national" in einem Maße, daß jeder Deutsche, der als Schriftsteller tätig ist, Veranlassung hat, sich zugleich zu distanzieren und zu erklären. Die Erklä­rung muß darauf hinauslaufen, daß das Nationale das Selbstverständliche, weil das Ursprünglich- Bodenständige, also ein Faktor ist, ohne den niemand schaffen kann, der

aus dem kostbaren Gut der Sprache schöpft und gestaltet; mit der Muttersprache wird dem Schriftsteller zugleich ein bestimmter Geist mitgegeben. Aber dies Nationale ist nicht das Wesenhafte, das A und O der Arbeit, sondern je nach dem geistigen Standort des Autors mehr bis minder rele­vant. Jeder Schriftsteller, der etwas leisten will, muß mit beiden Füßen auf dem Humusboden stehen, dem er ent­wachsen ist. Dies scheint mir aber so banal, daß es fast

anmaßend ist, darüber viele Worte zu verlieren. National ist jeder von uns in den Grenzen seines Sprach-, Denk- und Lebensraums. Von hier aus aber geht erst jeder seinen Weg, und dieser Weg ist gerade für den Dichter und Schrift­steller durchaus übernational, eingebettet in die großen und weiten Ströme epochalen Dichtens und Schöpfens in und aus aller Herren Länder.

Die Pioniere

Der unter Kulturwart Goebbels reichsoffiziell gewordenen Mode eines sogenannten nationalen" Dichtens und( honny soit qui mal y pense!) Denkens wurde schon vor Jahren in Deutschland von Schriftstellern der Boden bereitet, die im Verborgenen blühten, solange noch die Alternative: hie Autoren von Rang hie ,, nationale" Literaten rechtens als Maßstab der Kritik galt. Jedem, der diese ,, nationalen" Er­zeugnisse las, fiel sogleich das Unfertig- Stammelhafte in Sprache, Stil und Diktion auf, das Phrasenhaft- Abgenutzte in Handlung und Aufbau, das wie Honig an jeder Seite klebte. Wenn man diese Einwände erhob, pflegte man von Protektoren dieser Literaturbanausen die Antwort zu halten: Ja, aber vergessen sie nicht die echt nationale Ge­sinnung des Buches!" Seitdem wurde es notwendig, sich ein­mal darüber klar zu werden, weshalb eigentlich ein ,, natio­naler" Schriftsteller das Privileg schlampiger Sprache und ge­stalterischer Unfähigkeit haben soll. Und weshalb die guten Schriftsteller, die Dichter und Bücherschreiber, die tausend Herzen und Hirne erhoben und den Ruf des deutschen Geistes in aller Welt zum Klingen brachten, das Etikett national" yerschmähten.

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Bevor der geistesschwache Studienrat Rust Deutschlands offizieller Kulturträger wurde, waren viele unter uns zu hochmütig, ein ,, nationales" Buch zu lesen. Aber es ist unbe­streitbar, daß diese ,, nationalen" Kitschprodukte nicht wenig dazu beigetragen haben, Teile des deutschen Volkes für das reif und empfänglich zu machen, was ihnen seit Anbruch des ,, dritten Reichs" vorgesetzt wird. Wie jedes literarische Er­zeugnis hat auch der ,, nationale" Durchschnittsroman unter anderm die Funktion, durch geistigen Habitus und Gesamt­aufmachung dem Leser eine Welt zu vermitteln, die er die seine oder doch eine von ihm verstehbare wähnt. Dieser ,, nationale" Roman ist Geist vom Geiste des nationalsozia­listischen Programms, Wort von den Worten der Führer des ,, neuen" Deutschlands : er zeichnet sich ausnahmslos durch die absolute Verwaschenheit und den aus zweiter Hand über­nommenen und unverdauten Talmiglanz seiner Ideologien, durch die pubertätische Unreife seiner Gestaltung und seines Tons und durch die grundsätzliche Mißachtung sprachlicher Disziplin aus.

,, Alles ist einfach!"

Eine für den geistigen Ansatspunkt dieser Bewegung sehr bezeichnende Richtschnur, die in vielen Varianten in den Schulungsanweisungen der SA. , der Studentenschaft, der Be­triebszellen, der politischen und künstlerischen Aktionen des Nationalsozialismus wiederkehrt, heißt: alles ist ein­

fach!

Wehe dem. der etwas kompliziert findet, der sich auf in­tellektuelle Scharmützel einläßt, er ist Kulturbolschewist , Nachtreter des liberalistischen Systems, er kann nicht Volks­genosse sein. Alles Große, also vor allem auch alles Poli­tische ist im Grunde einfach. Das Geheimnis des National­sozialismus beruht wie der Mythos des Preußentums nicht auf Wissen, sondern es ist Empfängnis," schreibt beispielsweise der Oberpräsident der Provinz Ostpreußen , Koch, in einem ,, Ostpreußen , Preußen, Ost" überschriebenen Leitartikel der Zeitschrift ,, Der Deutsche Student". Ganz nach diesem Re­zept, daß alles einfach ist, handelt und schreibt auch der ,, nationale" Romancier.

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Da der literarische Soldschreiber des nationalsozialistischen Staates noch immer nicht seine festgefügte künstlerische Form gefunden hat, gerät er nun in die groteske Zwickmühle, daß ihm alles, was er für einfach hält, oder, laut Befehl, ins Einfache umfälscht, unter der Hand zu abgeschmacktester Banalität wird, die nach dem Schema gut böse, schwarz weiß( rot braun), hell dunkel, sittlich erhaben untermenschlich verworfen, deutsch undeutsch verabso­lutierte Werturteile fällt. Aus diesen Voraussetzungen wird dann ein Roman zusammengeschustert, der das tägliche Leben möglichst naturgetreu kopiert, denn in ganz eigenartiger An­wendung der politischen Nutzprosa hat sich im Laufe der Jahre ein sozusagen,.nationalgesinnter Realis­mus" oder, wenn man will, Impressionismus herausge­

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dem Rezept: alles ist einfach! schmockend, für ausreichende künstlerische Legitimation hält.

Alles in diesem Roman ist einfach, weil es unreflektiert banal ist, und seine Helden und dramatischen Verläufe enden mit Treffsicherheit da, wo es sich Herr Piefke und Frau Kulicke justament gedacht hatten.

Der Nationalschmock

Gemäß der nationalsozialistischen Weltanschauung, daß alles Anaytische undeutsch und zersetzend ist, und sich der Organischen " und Irrationalen " offenbart, unterliegt der hohe Schwung echt deutschen Fühlens und Trachtens nur im ,, nationale" Buchschreiber dem Verfolgungswahn der ratio: aus purer Angst vor dem Brunstschrei des Genauer- wissen- wollens, der gerade aus dem Jugendlichen hervorbricht, um den der ältere Nazi lockend scharwenzelt, aus gequälter Furcht: jetzt könnte man einmal auf den Grund der Dinge kommen, nicht nur zu ihrer Oberfläche, biegt der ,, nationale" Schriftsteller um alle echten Probleme, die überhaupt erst das Schreiben eines Buches zu einer Ver­pflichtung erheben. mit dem eleganten Bogen des phrasen­gewandten, un- oder halbgebildeten, blind schwärmenden, aber faktisch ahnungslosen Nationalschmocks herum, alle Lücken, Fragen und Konflikte, die aufgeworfen und nicht beantwortet werden, mit billigen, schnellfertigen Einheits­preis- Bonmots, mit plauschender Pathetik, mit kraftstrotzen­dem Deutschland - über- alles- Schmus und in den Reichsfarben siegreich am braunen Horizont auf- und untergehender Sonne zudeckend. Die ,, nationalen" Romane haben weiterhin eine typische Gemeinsamkeit aufzuweisen, die für die psycho­logische und soziologische Tiefenbindung ihrer Autoren auf­schlußreich genug ist: die deutschbetonte Literatur, kläglich in ihrer Gartenlauben- und Groschenheftgesinnung, pflegt durch die Bank die im Zeitalter des brutal offensiven Mono­polkapitalismus besonders verlogen und ekelerregend wirkende tuntige und kitschige Familienromantik, da ja be­kanntlich die streng disziplinierte Spießbürgerfamilie mit dem Vater als Hausherrn. der Mutter als Hausfrau und Kinderhüterin und den Sprößlingen als Rekruten der Ab­klatsch des Staates ist, dessen Raison die Dienstpflicht des Schwächeren und das Herrschrecht des physisch Starken sanktioniert.

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In all diesen SA. - Romanen handle es sich nun ,, Hitlerjunge Quex " von Schenzinger oder um ,, Die Fahne hoch!" von Thor Goote ( ich nenne absichtlich zwei noch vor der offiziellen Hitlerei erschienene Nazibücher) oder um ein sonstiges Machwerk auf dem braunen Literaturmarkt scheint die ewig stopfende, nähende, den Hausrat besorgende, kinder-, küche-, kirchenselige Naziknaben- Heldenmutter, überall scheint hier goldene Sonne über Familienglück im trauten Heim and sowas wagt ein Pg.- Autor einem SA.­Proleten oder Kleinbürger vorzusetzen, der die Zerrüttung

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Verdammung der Gleichgültigen

Dies kann und kann ich nicht verstehn Und werd' es niemals fassen:

Daß Menschen jetzt noch abseits stehn, Daß Menschen jetzt noch prassen.

Es geht doch nicht um irgendwas Und nicht um Sensationen, Es geht um Liebe oder Haẞ Für Generationen.

Es geht ums höchste Menschengut, Um Freiheit oder Knechtschaft,

Es geht um Geist, es geht um Blut, Darum, ob Frevel Recht schafft.

Wer jetzt nicht kämpft, wer jetzt nicht brennt In heißem Glaubensfeuer,

Wer jetzt noch seine Pflicht nicht kennt, Der ist ein Ungeheuer!

Lesefrüchte

Muß ich das Rauchen einstellen?"

Horatio.

Das Zigarettenrauchen ist gesundheitsschädlich früh und spät. Eine Braut, die später als Mutter für die Gesundheit ihrer Kinder verantwortlich ist, vergiftet ihr Blut besser nicht durch das Nikotin. So harmlos es sich anhören mag, ,, nur zwei Zigaretten"; der zarte weibliche Organismus leidet bestimmt auf die Dauer Schaden. Besser, das kleine Uebel rechtzeitig ablegen, als später gegen die Leidenschaft kämpfen müssen. Denken Sie bitte an Ihre Zukunft als Trägerin eines deutschen Familienglücks.

W. A., Köln - Deut.

Liebe Braut! Ja, Sie müssen das Rauchen einstellen. Jetzt sind es täglich nur zwei. Kommen in der Ehe Sorgen und Konflikte, dann wird nach der Beruhigungszigarette ge­griffen und unter Umständen werden dann aus zwei vielleicht zwanzig. Heute können Sie es noch überwinden. Ist die Leidenschaft aber erst groß, dann fehlen die Energie und der Wille. Es gibt Haushaltungen, in denen die Frau stets Geld für Zigaretten hat, aber sonst fehlt es an allen Ecken und Enden selbst am Essen. Frau Sch., Köln- Deutz.

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Rauchen Sie ruhig täglich Ihre zwei Zigaretten. Es ist vollkommen unverständlich, wie ein vernünftiger Mensch an solchen Kleinigkeiten Anstoß nehmen kann. Die Frau raucht nicht!" und ähnliche marklosen Schlagworte entstehen zumeist an den Biertischen der Spießbürger und Kritikaster. Mit Weltanschauung haben diese Parolen nicht das geringste zu tun. ( ,, Westdeutscher Beobachter")

der Familie durch die ökonomischen Zwangsläufigkeiten des Dec Scheinheilige

Kapitalismus tagtäglich vor sich sieht!

Ueberhaupt geht mit der Herausstreichung der väterlichen Disziplin und der fraulichen Untergeordnetheit unter das Heldisch- Männliche jene abschätige Degradierung der Frau Hand in Hand, die der äußere Ausdruck der Minderwertig­keitskomplexe und Verdrängungen nationalsozialistischer Knaben- und Männerbünde ist; in der Praxis Neu- Deutsch­lands wird die massenhafte Entfernung der arbeitenden Frau aus dem Produktionsprozeß deren wahre Ursache die riesengroße Arbeitslosigkeit ist aus Angst der braunen Herrschaften, die aussichtslose Wirtschaftskrise ihres Regi­mes einzugestehen, mit dem verlogenen Grundsatz der Rück­führung der Frau ins Haus" schmückend umkleidet. Zwischen den Zeilen wird sogar offen zugegeben, daß die straffe sol­datische Erziehung der Hitler- Jugend , daß das bändische Leben der Arbeitsdienstmannen der Verdrängung natürlicher. Triebe dient.

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Das braucht der Untertan...

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So erzieht sich der nationalsozialistische Staat und der nationale" Literat assistiert ihm dabei die Neurotiker, die Stürmer und Verdränger, die er als Unter­tanen braucht. Man könnte auf die vielen schiefen Glaubenssätze und Verlogenheiten noch näher eingehen, die das rein Politische dieser ja eindeutig parteipolitisch ten­dierten Literatur verunstalten, aber die Funktion des ,, natio­nalen" Romans ist wohl weniger die politische Verblödung des Volksgenossen" die ja Spezialaufgabe der national­sozialistischen Staatslehre" und SA..., Schulung" ist, son­dern die raffiniert betriebene geistige und seelische Ver­krüpplung des Leserpublikums, das durch solche Romane

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Selbst porträt eines Staatsanwalts

He. Wa., Köln- Riehl.

In einer der letzten Ausgaben des Streicherschen., Stürmer" ( Nr. 49) wird auf der Vorderseite im Leitartikel das ,, Ende eines Scheinheiligen" abgehandelt. Die große Strafkammer des Landgerichts Aschaffenburg hatte den sechzigjährigen Geistlichen Rat Weidenbörner wegen Vergehens an Kindern nach§ 174 und 176 StGB. zu zwei Jahren Gefängnis ver urteilt. Ueber die Grundlage des Prozesses kann man sich aus dem Streicherschen Bericht kein Urteil bilden. Jedoch wird der allerschlimmste Verdacht berechtigt, wenn man in dem Bericht des ,, Stürmer" über das Vorgehen des Staats­anwalts folgendes liest:

,, Wenn aber der politische Weg beschritten werden solle, dann sei er, der Staatsanwalt Dr. Hauck, bereit, den Marsch mitzumachen. Staatsanwalt Dr. Hauck erinnerte den Geistlichen Rat Weidenbörner an eine Begegnung mit ihm im Jahre 1932. In einer politischen Ver. sammlung, in der Dr. Hauck als Redner auf der Tribüne stand, hatte sich der Geistliche Rat Josef Weiden­börner zur Aussprache gemeldet.

Die Frage, ob der Geistliche W. wirklich Kinder geschändet hat, bleibt offen. Daß der Staatsanwalt Hauck und das Ge­richt die Justiz geschändet haben, steht fest. Sie haben mit Anklage und Urteil nicht nur den wirklichen oder angeb­lichen Verbrecher, sondern auch den politischen Gegner treffen wollen. Der Verdacht ist gerechtfertigt, daß hier in Form eines Gerichtsverfahrens ein gemeiner Racheakt be­gangen worden ist.

daran gewöhnt wird, auf der untersten Stufe des Geschmacks Möge...

und des literarischen Verlangens zu bleiben, alles auch nur entfernt Problematische zu meiden und den mißgestaltesten Literaturfötus, der sich ihnen als nationalgesinnter Dichter und Denker präsentiert, für den literarischen Uebermenschen zu halten, für den das Herz höher schlagen darf. Was das rein Gestalterische anbelangt, so kann dafür keine Handlung platt, kein Sats verunglückt, kein Wort abgegriffen, kein Tonfall liederlich genug sein, der skrupelloseste Schmöker­fabrikant ist gerade der rechte Mann dieser ,, nationalen" Literatur, denn das Programm des nationalen" Lesers lautet so wie das des Hitlerjungen Quex , der, so will es sein Schöpfer Schenzinger , nichts wollte als ,, bewundern und ver­ehren"( o heiliger Freud!). Und ansonsten Maul halten und prinzipiell keinen Gedanken zu Ende denken. Aber das steht nicht da, das ist die stillschweigende Uebereinkunft zwischen dem ,, nationalen" Romancier und seinem Leser.

Günter Dallmann.

bildet, der die möglichst realistische, naturalistische Ueber. Eine Zeitung für Sowjetarchitektur

nahme von Berichten und Vokabeln aus dem politischen und feuilletonistischen Sparten der Nazi- Presse, vermischt mit einer halbwegs literarischen, möglichst rührseligen Umklei­dung. mit Sentenzen aus Haus, Hof und Garten des deutschen Spießbürgers und, was das happy end anbelangt, getreu nach

Das Organisationskomitee des Architektenverbandes hat beschlossen, eine wöchentlich erscheinende Zeitung Archi­tekturnaja Gazeta" zu veröffentlichen, die die Fragen der Theorie und Praxis der Architektur behandeln soll

Er( Schiller ) wandte sich darauf zu Nathan dem Weisen, und nach seiner Redaktion... erscheint das Stück noch gegenwärtig und wird sich lange erhalten... Möge doch die bekannte Erzählung, glücklich dargestellt, das deutsche Publikum auf ewige Weise erinnern, daß es nicht nur he rufen wird, um zu schauen, sondern auch, um zu hören und zu vernehmen. Möge zugleich das darin ausgesprochene göttliexhe Duldungs- und Sehonungsgefühl der Nation wertbleiben!

Man

Goethe ,, Ueber das deutsche Theater"( 1815).

flüstert

Die Droschkenkutscher dürfen sich von nun ab ,, Gaul­leiter" nennen.

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Dem Film des weiblichen Arbeitsdienstes( ,, Ich für Dich, Du für mich") soll ein ähnlicher Film der Deutschen Arbeits­ front folgen: ,, Ich für mich. Du für Dich, jeder für sich".

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In Berlin wurde eine Jüdin zu hoher Zuchthausstrafe ver­urteilt. Sie soll einen deutschen Schäferhund gebissen haben.