ilcar infurmzellen Nr. 7

Völker in in Sturmzeiten

Im Spiegel der Erinnerung im Geiste des Sehers

Der Freiheitskämpfer Ludwig Börne

Aus seinen ,, Pariser Briefen" vor hundert Jahren

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Zu den großen Freiheitskämpfern des 19. Jahrhunderts gehört Ludwig Börne . Liest man in seinen Schriften, so begreift man nicht, weshalb er heute zu den Halbvergessenen gehört. In seinem Bekenntnis zu der Menschheit ewigen Dingen lodert das Feuer des Gerechtigkeitswillens in einem Stile, an dem sich in den vierziger und fünfziger Jahren eine Generation von Journalisten schulte. Es fehlte ihm die Skepsis und die Ironie seines Zeitgenossen Heinrich Heine . Dafür konnte er das Ueble und Rückständige noch viel tiefer hassen, das Gute und das Echte noch viel stärker lieben als er.

Börnes ,, Pariser Briefe" wurden vom September 1830 bis Mai 1833 geschrieben. Er war nach Paris in den Monaten nach der Juli- Revolution gekommen. Der Nachhall dieser Kämpfe ist in seinen Briefen noch ganz lebendig. Darüber hinaus sind wir auch heute noch gefesselt von der Darstellungskraft eines Menschen und Charakters, dem Kunst nur als Mittel zum Zweck galt: Zum Kampf für Freiheit und Wahrhaftigkeit. Börne macht Besuche

Paris , den 17. September 1830. Alte deutsche Bekannte suchte ich gleich gestern auf. Ich dachte durch sie mehr zu erfahren, als was ich schon ge­druckt gelesen, aber nicht einer von ihnen war auf dem Kampfplate, nicht einer hat mitgefochten. Es sind eben Landsleute! Engländer, Niederländer , Spanier, Portugiesen, Italiener , Polen , Griechen, Amerikaner, ja Neger haben für die Freiheit der Franzosen , die ja die Freiheit aller Völker ist, gekämpft und nur die Deutschen nicht. Und es sind deren viele Tausende in Paris , teils mit tüchtigen Fäusten, teils mit tüchtigen Köpfen.

Ich verzeihe es den Handwerksburschen; denn diese haben es nicht schlimm in unserem Vaterlande. In ihrer Jugend dürfen sie auf der Landstraße betteln, und im Alter machen sie die Zunfttyrannen. Sie haben nichts zu gewinnen bei Freiheit und Gleichheit. Aber die Gelehrten! Diese armen Teufel, die in Scharen nach Paris wandern, und von dort mit dem Morgenblatte, mit dem Abendblatte, mit dem Gesellschafter, mit der allgemeinen Zeitung korrespondieren; die das ganze Jahr von dem reichen Stoff leben, den ihnen nur freies Volk verschaffen kann; die im dürren Vaterlande verhungern würden diese wenigstens, und wäre es auch nur aus Dank­barkeit gegen ihre Ernährer, hätten doch am Kampfe teil­nehmen sollen. Aber hinter einem dicken Fensterpfosten, im Schlafrocke, die Feder in der Hand das Schlachtfeld begucken, die Verwundeten, die Gefallenen zählen und gleich zu Papier bringen; zu bewundern statt zu bluten, und die Leiden eines Volkes sich von einem Buchhändler bogenweise bezahlen zu lassen nein, das ist zu schmachvoll, zu schmachvoll!

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Die Pracht und Herrlichkeit der neuen Galerie d'Orleans im Palais Royal kann ich ihnen nicht beschreiben. Ich sah sie gestern abend zum ersten Male in sonnenheller Gasbeleuch­tung, und war überrascht wie selten von etwas. Sie ist breit und von einem Glashimmel bedeckt. Die Glasgassen, die wir in früheren Jahren gesehen, so sehr sie uns damals gefielen, sind düstere Keller und schlechte Dachkammern da­gegen. Es ist ein großer Zaubersaal, ganz dieses Volk von Zauberern würdig. Ich wollte, die Franzosen zögen alle Weiberröcke an, ich würde ihnen dann die schönsten Liebes­erklärungen machen. Aber ist es nicht töricht, daß ich mich schäme, diesem und jenem die Hand zu küssen, wozu mich mein Herz treibt die Hand, die unsere Ketten zerbrochen, die uns frei gemacht, die uns Knechte zu Rittern geschlagen? ,, Wäre Deutschland reifer als ich gedacht"

Paris , den 18. September.

Ich komme aus dem Lesekabinett. Aber nein, nein, der Kopf ist mir ganz verwirrt von all den Sachen, die ich aus Deutschland gelesen! Unruhen in Hamburg ; in Braunschweig das Schloß angezündet und den Fürsten verjagt; Empörung in Dresden ! Seien Sie barmherzig, berichten Sie mir alles auf das genaueste. Und wenn Sie nichts Besonderes erfahren, schreiben Sie mir wenigstens die deutschen Zeitungen ab, die ich hier noch nicht habe auffinden können. Den französi­ schen Blättern kann ich in solchen Dingen nicht trauen: nicht der zehnte Teil von dem, was sie erzählen, mag wahr sein. Was aber deutsche Blätter über innere Angelegenheiten mit­teilen dürfen, das ist immer nur der zehnte Teil der Wahr­heit. Hätte ich mich also doch geirrt, wie mir schon manche vorgeworfen? Wäre Deutschland reifer als ich gedacht? Hätte ich dem Volk Unrecht getan? Hätten sie unter Schlafmützen und Schlafrock heimlich Helm und Harnisch getragen? O, wie gern, wie gern! scheltet mich wie einen Schulbuben, gebet mir die Ruhe, stellt mich hinter den Ofen gern will ich die schlimmste Züchtigung ertragen, wenn ich nur Unrecht gehabt. Wenn sie sich nur erst die Augen gerieben, wenn sie nur erst recht zur Besinnung gekommen, werden sie sich er­staunt betasten, werden im Zimmer umherblicken, das Fenster öffnen und nach dem Himmel sehen und fragen: welcher Wochentag, welcher Monatstag ist denn heute, wie

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Franzosen allein sind Oel , die Deutschen allein Essig, und sind für sich gar nicht zu gebrauchen, außer in Krankheiten. Bei dieser Gelegenheit will ich Ihnen die höchst wichtige und einflußreiche Beobachtung mitteilen, daß man in Frank­ reich dreimal soviel Oel und nur ein Drittel soviel Essig zum Salat verwendet, wie in Deutschland . Diese Verschiedenheit geht durch die Geschichte, Politik, Religion, Geselligkeit, Kunst, Wissenschaft, den Handel und das Fabrikwesen beider Völker, welches vor mir die berühmtesten Historiker, die sich doch immerfort rühmen, aus der Quelle zu schöpfen, leichtsinnig übersehen haben. Sie sollen sich aber den Kopf darüber nicht zerbrechen. Es ist gerade nicht nötig, daß Sie alles verstehen, was ich sage, ich selbst verstehe es nicht immer. Wie herrlich wäre es, wenn beide Länder in allem so verschmolzen wären, als es beide Völker heute abend bei waren. In wenigen Jahren wird es ein Jahrtausend, daß Frankreich und Deutschland , die früher nur ein Reich bil­deten, getrennt wurden. Dieser dumme Streich wurde, gleich allen dummen Streichen in der Politik, auf einem Kongreẞ beschlossen zu Verdun im Jahre 843. Aus jener Zeit stammen auch die köstlichen eingemachten Früchte und Dragées, wegen welcher Verdun noch heute berühmt ist. Einer der Kongreß­gesandten hatte sie erfunden, und war dafür von seinem gnädigen Herrn in den Grafenstand erhoben worden. Ich hoffe, im Jahre 1843 endiget das tausendjährige Reich des Antichrists. nach dessen Vollendung die Herrschaft Gottes und der Vernunft wieder eintreten wird. Wir haben näm­lich den Plan gemacht, Frankreich und Deutschland wieder zu einem großen fränkischen Reich zu vereinigen. Zwar soll jedes Land seinen eigenen König erhalten, aber beide Länder eine gemeinschaftliche Nationalversammlung haben. Der französische König soll, wie früher, in Paris thronen, der deutsche in unserem Frankfurt , und die Nationalver­sammlung jedes Jahr abwechselnd in Paris oder in Frank­ furt gehalten werden. Wenn Sie Ihre Nichte O*** besuchen, benutzen Sie die Gelegenheit, mit dem Koche des Präsidenten der Bundesversammlung von unserem Plane zu sprechen. Der muß ja die Gesinnungen und Ansichten seines Herrn am besten kennen.

In den Tuilerien

Dienstag, 8. Januar 1935

der Gerechtigkeit schämend, manche ihrer Gefangenen nur heimlich schonte, und es als Verleumdung bestrafte, wenn man sie mild gepriesen! Mich empört die niederträchtige Unverschämtheit der Fürstenmeichler, welche die Völker als Tiger, die Fürsten als Lämmer darstellten. Wenn jeder Machthaber, sobald er zum Besitze der Macht gelangt, gleich seine Leidenschaft zur Regel erhebt, grausame Strafen für jeden Widerspruch voraus bestimmt, und diese Regel, diese Anwendung sich herabrollt durch Jahrhunderte nennen sie das Gesetzlichkeit. Das Volk hat seine Leidenschaft nie zum Gesetz erhoben, die Gegenwart erbte nie die Missetaten der Vergangenheit, sie vermehrt der Zukunft zu überlassen. Wenn dumme, feige oder bestochene Richter aus altem Her­kommen und verblichenen Gesetzen nachweisen können, daß sie in gleichen Fällen immer gleich ungerecht gewesen nennen sie das Gerechtigkeit. Wenn der schuldlos Verur­teilte, durch Reihen schön geputzter Soldaten, durch die Mitte des angstzitternden Volkes, das nicht zu weinen, nicht zu atmen wagt, ohne Laut und Störung zum Blutgerüste ge­führt wird nennen sie das Ordnung; und schnellen Tod in langsame Qual des Kerkers verwandeln sie Milde.

Erinnerung

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das nennen

-Ich eilte die Terrasse hinauf, von wo man in die ety. säischen Felder herabsieht. Dort setzte ich mich auf einen Traumstuhl und meine Gedankenmühle, die wegen Frost oder Dürre so lange still gestanden, fing gleich lustig zu klappern an. Welch ein Platz ist das! Es ist eine Landstraße der Zeit, ein Mark der Geschichte, wo die Wege der Vergan­genheit, Gegenwart und Zukunft sich durchkreuzen. Da unten steht jetzt ein Marmor- Piedestal, auf welches man die Bild­säule; ich glaube Ludwig des Sechzehnten, hat stellen wollen. Die dreifarbige Fahne weht darüber. Es ist noch nicht lange, daß Karl X . mit großer Feierlichkeit den Grundstein dazu gelegt. Die Könige sollten sich doch nicht lächerlich machen und noch ferner den Grundstein zu einem Gebäude legen. Sie täten besser, den letzten Ziegel auf dem Dache an­zunageln; die Vergangenheit raubt ihnen keiner. Wahrlich, die Zeit wird kommen, wo die fürstlichen Köche, wenn sie morgens vor ihren Töpfen stehen, einander fragen werden: wem decken wir das wohl mittags? und in ihrer philo­sophischen Zerstreuung manche Schüssel verfehlen werden.

Was kam mir da oben nicht alles in den Sinn. Sogar fiel es mir ein, woran ich seit zwanzig Jahren nicht gedacht; daß ich vor zwanzig Jahren in Wien gewesen. Es war ein schöner Tag wie heute, nur ein schönerer, denn es war am ersten Mai. Ich war im Augarten , welcher schöner ist als die Tuilerien. Die Volksmenge dort war groß und festlich ausgebreitet, wie die hier. Doch heute bin ich alt und damals war ich jung. Meine Phantasie lief umher wie ein junger Pudel, und sie war noch gar nicht dressiert; sie hatte noch nie etwas dem Morgenblatte oder sonst einem Zeitblatte apportiert. Sie diente nur sich selbst, und was sie holte, holte sie nur, es als Spielzeug zu gebrauchen und ließ es wieder fallen. Und da fragte ich mich heute in den Tui­lerien: damals, im Frühling des Lebens und der Natur, was dachtest du mit deinem frischen Geiste, was fühltest du mit deinem jungen Herzen? Ich besann mich.... auf nichts. Mir fiel nur ein, daß der Herzog Karl und noch andere kaiserliche Prinzen öffentlich im Gartensaale gefrüh­stückt, und daß sie unter anderem Chokolade getrunken, und gleich darauf Spargel mit Buttersauce gegessen, worüber ich mich zu seiner Zeit sehr gewundert. Ferner: daß ich selbst gefrühstückt, und zwar ganz köstliche Bratwürst­chen, nicht länger und nicht dicker als ein Finger, die ich seitdem in keinem Lande mehr gefunden.... Chokolade, Spargel, Bratwürste das waren alle meine Jugenderinne­rungen aus Wien ! Es ist ein Wunder! Und erst heute in den Tuilerien lernte ich verstehen, daß man auch die Frei­heit der Gedanken fesseln könne, wovon ich oft gehört, es aber nie habe fassen können.

Die lieben Tuilerien habe ich heute wieder gesehen. Sie hießen mich willkommen. sie lächelten mir zu und alles dort war wie zu meinem Empfange glänzend und festlich einge­richtet. Ich fühlte mich ein Fürst in der Mitte des fürst­lichen Volkes, das unter dem blauen Baldachin des Himmels von seiner Krönung zurückkehrte. Es ist etwas Königliches in diesen breiten, vom Goldstaube der Sonne bedeckten Wagen, die an Palästen vorüber, von Palast zu Palast führen. Mich erfreute die unzählbare Menschenmenge. Da fühlte ich mich nicht mehr einsam; ich war klug unter tausend Klugen, ein Narr unter tausend Narren, der Betrogene unter tausend Betrogenen. Da sieht man nicht bloß Kinder, Mädchen, Jünglinge, Greise, Frauen: man sieht die Kindheit, die Jugend, das Alter, das weibliche Geschlecht. Nichts ist allein, geschieden. Selbst die mannigfachen Farben der Kleider erscheinen, aus der Ferne betrachtet, nicht mehr bunt; die Farbengeschlechter treten zusammen; man sieht weiß, blau, Das Schönste kostet so wenig.... grün, rot, gelb in langen breiten Streifen. Wegen dieser Fülle und Vollständigkeit liebe ich die großen Städte so sehr. Seine angeborene Neigung und Richtung kann keiner ändern, und um zufrieden zu leben, muß darum jeder, was ihm lieb ist, auf seinem Wege suchen. Aber das kann man nicht über­all. Zwar findet man auch in der kleinsten Stadt jedes Landes Menschen von jeder Art, unter welchen man wählen kann; aber was nützt uns das? Es sind doch nur Muster, die zu keinem Kleide hinreichen. Nur in London und Paris ist ein Warenlager von Menschen, wo man sich versehen kann, nach Neigung und Vermögen.

Still, heiter, freundlich und bescheiden, wie ein verliebtes glückliches Mädchen, lustwandelte das Pariser Volk umher. Als ich dieses sah und bedachte: noch sind zwei Monate nicht

lange haben wir geschlafen? Unglückselige! Nur der Mutige vorüber, daß es einen tausendjährigen König niederge

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wacht. Wie hat man es nur so lange ertragen? Es ist eine Frage, die mir der Schwindel gibt. Einer erträgt es. noch einer, noch einer aber wie ertragen es Millionen? Der Spott zu sein aller erwachsenen Völker! Wie der kleine, dumme Hans, der noch kein Jahr Hosen trägt, zu zittern vor dem Stöckchen jedes alten, schwachen, gräulichen Schul­meisters!... Aber wehe ihnen, daß wir erröten! Das Er­röten der Völker ist nicht wie Rosenschein eines verschämten Mädchens; es ist Nordlicht voll Zorn und Gefahren. Mischung von Deutschen und Franzosen ...

Sonntag, den 19. September. Mitternacht ist vorüber; aber ein Glas Gefrorenes, das ich vor wenigen Minuten bei Tortoni gegessen, hat mich so auf­gefrischt, daß ich gar keine Neigung zum Schlafe habe. Es war himmlisch! Das Glas, ganz hoch aufgefüllt, sah wie ein Nun bitte ich Sie haben Sie langes, weißes Gespenst aus.

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je gehört oder gelesen, daß jemand ein Glas Gefrorenes mit einem Gespenst verglichen hätte? Solche Einfälle kann man aber auch nur in der Geisterstunde haben. Den Abend brachte zu. Es sind sehr liebenswürdige Leute und die ich bei es verstehen, wenn nur immer möglich, auch ihre Gäste liebenswürdig zu machen. Das ist das Seltenste und Schwerste. Es ist da ein Gemisch von Deutschen und Franzosen , wie es mir behagt. Da wird doch ein gehöriger Salat draus. Die

worfen, und in ihm Millionen seiner Feinde besiegte wollte ich meinen Augen oder meiner Erinnerung nicht trauen. Es ist der Traum von einem Wunder! Schnell haben sie ge­siegt, schneller haben sie verziehen. Wie mild hat das Volk die erlittenen Kränkungen erwidert, wie bald ganz ver­gessen! Nur im offenen Kampfe, auf dem Schlachtfelde hat es seine Gegner verwundet. Wehrlose Gefangene wurden nicht ermordet, Geflüchtete nicht verfolgt, Versteckte nicht aufgesucht, Verdächtige nicht beunruhigt. So handelt ein Volk! Fürsten sind unversöhnlich und unauslöschlich ist der Durst ihrer Rache. Hätte Karl gesiegt, wie er besiegt wor­den, wäre das fröhliche Paris heute eine Stätte des Jammers und der Tränen. Jeder Tag brächte neue Schrecken, jede Nacht neues Verderben. Wir sehen ja, was in Spanien , Por­ tugal , Neapel , Piemont und in anderen Ländern geschieht, wo die Gewalt über die Freiheit siegte. Seit Jahren ist der Sieg entschieden und das Werk der Rache und der Verfol­gung geht fort wie am Tage der Schlacht. Und es war ein Sieg, den man nur dem Meineide verdankte! Tausende schmachten noch im Kerker, Tausende leben noch in trau­riger Verbannung, das Schwert des Henkers ist immer ge­zückt, und wo es schont, wo es zaudert, geschieht es nur, um länger zu drohen, um länger zu ängstigen. So entartet, so herabgewürdigt hat sich die Macht gezeigt, daß sie oft mit Grausamkeiten prahlte, die sie gar nicht begangen; sich

Als nun die Frau kam und für ihren Stuhl zwei Sout einforderte, sah ich sie verwundert an und gab ihr zehn. Für diesen Stuhl, diese Stunde, diese Aussicht, diese Erinne­rung hätte ich ein Goldstück bezahlt. Das macht Paris so herrlich, daß zwar vieles teuer ist, das Schönste und Beste aber wenig oder gar nichts kostet. Für zwei Sous habe ich meinem Zorn einen Schmaus gegeben, habe hundert Könige und ein großes Réich verspottet und Taschen voll der schön­sten Hoffnungen mit nach Hause gebracht.

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Es ist drei Uhr, und die Rasenden im Roulette- Zimmer gegenüber stehen noch in dicken Kreisen um den Tisch. Das Fenster nach der Straße ist durch ein Drahtgitter verwahrt. die Unglücklichen dahinter sehen wie wilde. Tiere aus. Ich hoffe, es ist keiner darunter, der im Juli mitgefochten. Gute Nacht!

Unter dem Volke

Paris , Dienstag, den 21. September 1830. Schreiben, Schriftstellern, Gedanken bauen wie wäre mir das möglich hier? Der Boden wankt unter meinen Füßen, es schwindelt um mich her, mein Herz ist seekrank. Manchmal kommt es mir selbst spaßhaft vor, daß ich die Sorgen eines Königs habe und so angstvoll warte auf die Entscheidung der Schlacht, als hätte ich dabei eine Krone zu gewinnen oder zu verlieren. Ach wäre ich doch König, nur einen kurzen Monat! Wahrlich, ich wollte keine Sorgen haben, aber geben wollte ich sie.

Die tägliche, ja allstündliche Bemühung der stärksten Denkreize macht die Menschen hier endlich stumpf und ge­dankenlos. Wenn es nicht so wäre, man ertrüge nicht Paris sein ganzes Leben durch. Die Erfahrung, die anfänglich be­dächtig macht, macht später leichtsinnig, und so erkläre und entschuldige ich den Leichtsinn dieses Volkes. Wir Deut­ schen , die wir am längsten unter einem sanften wolken­freien Traumhimmel leben, sind rheumatisch, sobald wir wachen; wir spüren jede Erfahrung und jeder Wechsel der Empfindung macht uns krank.

( Fortsetzung folgt.)