Deutsche   Stimmen Beilage zur Deutschen Freiheit"

Cacola

Von Paul Scholl

Der Aufenthalt in diesem feuchten Keller war fast uner­träglich. Die Arbeit wurde schweigend verrichtet. Ingrimm und Steinmeier säuberten die Gaze des Vervielfältigers und schwärzten die Walze. Der Jesus   auf dem Bilde an der Wand sah ihnen zu.

In der entgegengesetzten Zimmerecke saß Carola Herbst vor einer Schreibmaschine und tippte den Text, den ihr der Bruder diktierte, auf eine Wachsplatte.

,, Studenten! Arbeiter! Intellektuelle!

Hitler   hat keine seine Versprechen an die Armen gehalten. Er hat Euch belogen und betrogen. Arbeit und Brot, Freiheit und Sozialismus habt Ihr gewollt; Hunger, Elend und noch mehr Knechtschaft hat er Euch gebracht. Die herrschende Klasse, unfähig einen Ausweg aus dem wirtschaftlichen Jammer und der sozialen Not zu finden, greift zu den Met­hoden des Terrors und der blutigen Unterdrückung, um den Widerstand der hungernden, verzweifelnden Massen gegen dieses grausame Ausbeuterregime zu ersticken.

Sie wollten uns zerschmettern! Sie wolten uns ganz einfach verbieten und aus der Welt lügen. Zwar können sie einige Kämpfer niederschlagen und in ihre Zuchthäuser werfen, ermorden oder in den Konzentrationslagern zugrunde richten, aber niemals werden sie aus den Hirnen und Herzen der Ar­beiter, der Millionen Proletarier der Stirn und der Faust die Idee des Kommunismus austilgen. Wir leben und bereiten den Tag der revolutionären Abrechnung mit den Betrügern und Henkern vor! Keine Schandtat wird ihnen vergessen sein! Es wird ihnen nicht vergessen sein, daß sie unseren tapferen Genossen Ernst Ivens, den Führer der roten Studenten­gruppe, der seit mehr als neun Monaten unschuldig in Unter­suchungshaft sitt, mit Hundepeitschen mißhandelt haben, um ihm Geständnisse zu erpressen. Aber unser tapferer Genosse hielt stand! Kein Wort kam über seine Lippen!

Der Hauptprügelheld war der SS.  - Führer Neidhammel, der Abscheu und Verachtung jedes anständigen Menschen ver­dient.

Das Leben Ernst Ivens ist in Gefahr!

Schickt massenweise Protestbriefe an die Staatsanwalt­schaft und den Untersuchungsrichter! Fordert überall die Freilassung unseres unschuldigen Kameraden!

Der rote Studentenbund."

Carola schrieb schnell und sicher. Vorsichtig spannte sie den Bogen aus, gab ihn dem Bruder.

Sie stand auf, setzte sich gleich wieder, trommelte nervös mit den Fingern auf die Tischplatte und sah den Freunden zu, die den Rotaprint gesäubert hatten, und sich die Finger an einem schmierigen Lappen abputzten. Sie waren beide gleichgroß, hatten dunkles, fast schwarzes Haar und ernste gleichmäßige Gesichtszüge. Sie saben sich beinahe ähnlich.

Walter Herbst hatte den Wachsbogen durchgelesen. Er reichte ihn den Genossen. Sie spannten ihn auf die Gaze, drehten einige Male die Walze um, bis die Farbe gut ein­gesickert war. Dann machten sie die ersten Abzüge.. Die

Buchstaben waren sehr klar ausgeprägt.

ララ

, Werden die speuzen" sagte Walter.

Carola legte die Bogen auseinander, damit sie besser trock­nen konnten. In drei Stunden waren sie mit der Arbeit fertig. Der Wachsbogen wurde sofort verbrannt.

Sie säuberten den Verviefältiger. Dann hingen sie das Jesusbild ab und schoben den Dublikator in eine dahinter befindliche Nische. Die Schreibmaschine stellten sie dazu.

Sie verpackten die Flugblätter.

Carola füllte ihre Aktentasche und ging.

Die anderen erwarteten den Kurier, der die Flugblätter­pakete abholen sollte. Sie konnten sie nicht selber fort­bringen; sie waren zu bekannt. Sie durften sich nicht auf der Straße sehen lassen.

Carola schritt tüchtig aus. Sie war schlank und ihr Gang federnd..

Blunck

Ein deutsch  - jüdisches Konkordat?

a

Der Präsident der Reichsschrifttumskammer Friedrich Blunck   veröffentlicht im Dezember- Heft der Europäischen Revue" eine Rede an die Jugend der Westländer". Ueber die Judenfrage werden darin von Blunck Ausführungen gegen die Einwendungen gemacht, die das Ausland zu dieser Frage gegen das neue Deutschland   erhebt. Es wird der Einfluß der Juden im Deutschland   vor 1933 in sehr übertriebener Weise geschildert und weiter ausgeführt: ,, Unsere Emigranten, die noch vor Jahresfrist Krieg gegen Deutschland   oder zumindest unsere Entwaffnung verlangten, die mit ihren Zeitungen die Parlamente unserer Nachbar­länder überschwemmten, die das junge Deutschland   über­haupt nur von draußen sahen und deshalb an ihm vorüber­leben genau wie die Emigranten der französischen   Revo­lution sollten endlich Rücksicht nehmen auf die Lage jener vier Fünftel der jüdischen Bevölkerung, die hier in Deutschland   verblieben. Die Bestrebungen gerade des deut­ schen   Schrifttums, zwischen der im Reich verbliebenen jüdi­schen Bevölkerung und der Regierung ein Konkordat zu erzielen, werden immer wieder im entscheidenden Augen­blick durch Eingriffe aus dem Ausland verhindert."

Deutschen   Freiheit

Mittwoch, den 9. Januar 1935

Von irgend einem Glockenturm schlug es sieben. Sie mußte sich beeilen.

Die Menschen wogten über die Hauptstraße. Das war der richtige Augenblick.

Vor dem Woolworth- Warenhaus blieb Carola stehen. Am seitlichen Treppenaufgang war ein Emailschild ange­bracht:

Dr. med. Stahl Zahnarzt, 3 Stock

Sie stieg bis ins vierte Stockwerk hinauf. Hier wohnte niemand. Sie öffnete das Fenster und blickte hinunter auf die Straße. Der Wind pfiff ihr über die Ohren. Ein rauher, eiskalter Wind. Die braunen Haare fielen ihr ins Gesicht. Sie strich sie zurück. Ihre Lippen glühten. Sie atmete hastig. Sie horchte einen Augenblick, ob niemand die Treppe hinauf käme. Nichts regte sich. Sie öffnete entschlossen die Tasche, warf die Flugblätter steil in die Luft. Schloß die Tasche, eilte ins dritte Stockwerk. Die Türe war geöffnet. Sie ging geradewegs ins Wartezimmer. Viele Patienten saßen da. Sie blickten Carola mißmutig an.

Ereignisse und Geschichten

Ereignisse

Sein Kampf

Heil dem Mann, der in der Opposition steht! Halb Rußland   wollt' ich für Deutschland   haben. Wehe dem, der an die Macht gerät!

Nun muß ich sogar das Elsaß begraben.

Mein Sohn, bleibe stets in der Opposition! Da kannst du den Wählern den Himmel versprechen. Kaum war ich am Ruder, da mußt' ich schon alles( außer der Zinsknechtschaft) brechen.

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Einst schien ich ein Löwe heut schein ich ein Lamm ( und bin nur immer der Hitler geblieben). Erinnert mich nicht an mein altes Programm­das war eben nur für damals geschrieben.

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Den Frieden will ich für alle Zeit zumindest für tausend Jahre verkünden. ( Und er denkt für sich: Dies sage ich heut). Was ich morgen tuwird sich schon finden. Iwan Heilbert.

Sie setzte sich, nahm den Völkischen Beobachter" und be. Deutsche   Lehrer im Kampf

gann zu lesen. Jetzt erst hörte sie ihren Herzschlag. Sie dachte einen Augenblick an die Freunde.

Sie wußte, daß die Straße schon abgesperrt war. Die Türe ging auf. Ein SA.- Mann trat ein. Er hatte ein geschwollenes Gesicht. Carola wußte, daß er ein Patient war. Hinter ihm kamen noch eine ältere Frau, die einen Watte­bausch an die Backe gepreẞt hielt und leise wimmerte, ein Herr mit einem Spitzbart und ein Sportlehrer den Carola kannte.

Dann wurde die Tür plötzlich aufgerissen. ,, Schweinhunde! Saubande!"

,, Was fällt Ihnen ein, Mann?" fragte der Herr im Spitbart. Ich bin Vorsitzender des Kriegervereins Hassia."

,, Schnauze", brüllte der SS.  - Mann. Die Saukerle haben Flugblätter hier herunter geworfen." Hinter ihm kamen noch etwa acht SA.- Leute mit schußfertigen Pistolen in der Hand. Die Frau mit dem Wattebausch schrie auf. Der bebrillte Zahnarzt erschien im Türrahmen und sagte:

..Meine Herren, ein Mißverständnifs, ein Mißverständnis! Was ist denn vorgefallen?"

Drinnen im Zimmer stöhnte ein Patient.

Der SS.  - Mann war nicht zu beruhigen... Saukerle! Schweine­bande! Hunde! Wer hat hier die Flugzettel herunterge­worfen?"

,, Aber verzeihen Sie bitte", wagte der Zahnarzt zu sagen. ,, Ich bin Arier. Von diesem Fenster aus kann man ja nur in den Hof sehen. Sehen Sie doch selber!"

Der SS.  - Mann überzeugte sich davon.

Dann drehte er sich um, blickte den Arzt aus kleinen hinterlistigen Augen durchdringend an und ging mit seinen Kumpanen davon.

Der Mann vom Kriegerverein sagte, er würde dieses unge­schliffene Verhalten dem Führer melden.

Carola freute sich. Sie wartete noch eine halbe Stunde. Dann ging sie. Noch mindestens acht Patienten kamen vor ihr.

Die Menschen wogten immer noch über die Straßen. Der. Polizeioffizier, an dem Carola vorbeiging, sagte zu einem Spitzel: Die Kommune hat doch Courage! Das muß man den Kerlen lassen."

Sie fühlte eine tiefe Genugtuung. Sie wußte, daß das Flugblatt seine Wirkung nicht verfehlte.

Sie war zufrieden.

Aus dem im Februar im Offensiv- Verlag( London  - Paris­Amsterdam erscheinenden Roman: Der Ausweg", Roman aus dem deutschen Bürgerkrieg 1934-35 von Paul Scholl.

Juden im deutschen   Geistes- und Wirtschaftsleben allerdings einseitig orientiert erscheine.

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Die Jüdische Rundschau  " erscheint im ,, dritten Reich". Sie drückt sich darum sehr zart aus. Um so deutlicher können wir werden. Dieser Herr Präsident Blunck hat sich früher um die Gunst jüdischer Verleger und jüdischer Schriftsteller, deren Geist er nicht emsig genug rühmen konnte, gerissen. In Hamburg   war er Gast in jüdischen Häusern genau so, wie er sich mit Vorliebe von den sozialdemokratischen Mit­gliedern des hamburgischen Senats protegieren ließ. Unter seinen früheren Freunden befinden sich Leute, die emi­grieren mußten. Er hat nie mehr ein Wort für sie gehabt und hat nie seine Stimme erhoben zugunsten verhafteter und gemarterter Kollegen, Knecht des ,, dritten Reiches", dessen Gladiatoren er vor der Machtergreifung verachtete und ver­höhnte.

Das heutige deutsche   Schrifttum, die Blubo  - Autoren und ihr Anhang, haben diesen Präsidenten redlich verdient.

Hierzu bemerkt die Jüdische Rundschau  ", daß die Klub wißbegieriger Kinder"

deutschen   Juden über diese Bestrebungen des deutschen  Schrifttums bisher noch nicht unterrichtet waren. ,, In der Tat dürfte es eine wichtige Aufgabe der Kreise sein, die das geistige Deutschland   repräsentieren, zur Judenfrage in einem positiven Sinne Stellung zu nehmen, da auf die Dauer eine Lösung dieses Problems nicht nur für uns Juden, sondern auch im Interesse der Entwicklung der deutschen   Gesamtheit erforderlich ist." Dabei gelte es, so meint die Jüdische Rundschau  ", Mißverständnisse und irrige Vorstellungen zu beseitigen, was auch aus den angeführten Worten Bluncks hervorgeht, dessen Meinung über die Rolle der deutschen  

in Tiflis  

Das Jugendtheater in Tiflis   hat einen Kinderklub errichtet, in dem Kinder auf Fragen, für die sie Interesse haben, Ant­wort erhalten können. Fachleute und Lehrer geben den Kindern im Klub Auskunft über alle Wissensgebiete, vor allem Geschichte, Geografie, Technik usw. Ausstellungen über aktuelle Fragen werden im Klub organisiert, dem auch ein Spielzimmer für belehrende Unterhaltung( Rätsel, mathe­matische Scherzaufgaben, unterhaltende Aufgaben Chemie und Technik) angeschlossen ist.

aus

gegen nationale Verhetzung

Natürlich nicht im ,, dritten Reich" oder gar im Saarge­biet. Die Reichsvereinigung deutscher sozialdemokratischer Lehrer der Tschechoslowakei   hat einen Aufruf an die sudetendeutsche Lehrerschaft erlassen, in dem sie unter Hinweis auf die Vernichtung der freien Schule und der Lehrerrechte in den faschistischen Ländern zur Ab­wehr der faschistischen Bestrebungen in gemeinsamer Front mit den tschechischen Lehrern auffordert. ,, Die Völkerver­ständigung ist in der Tschechoslowakei   die Voraussetzung für den Sieg über den Faschismus. Wie der Faschismus den Untergang des Sudentendeutschtums bedeutet, so ist die Völkerversöhnung der einzige Weg zur Sicherung der sudetendeutschen   Schule."

Im Dienst dieser Arbeit steht eine pädagogische Woche, die in der Osterwoche( 14.- 19. April) in Teplitz­Schönau dem Gegenstand Schule und Völkerver­söhnung gewidmet sein wird. Dort werden behandeln: 1. Außenminister Dr. Benesch: Die kulturellen Aufgaben der Deutschen   und Tschechen. 2. Minister für öffentliche Arbeiten Dr. Czech( Vorsitzender der deutschen   sozial­demokratischen Partei): Wie kann der sudetendeutsche Lehrer für die Völkerverständigung wirken? 3. Universitäts­Professor Dr. Radl: Wie soll die Demokratie nationale Konflikte lösen? 4. Professor Dr. Kleinberg: Wie be­treibe ich in Geschichte und Muttersprache Völkerversöh­nung? 5. Dozent Dr. Prikoda: Der Gedanke der Völker­versöhnung in den neuen Lehrplänen.

Es ist ein guter Gedanke, gegenüber der nationalistischen Fanatisierung, wie sie von den Faschisten heider Völker planmäßig betrieben wird, den solidarischen Widerstand der deutschen   und der tschechischen Demokratie einzusetzen. Vor allem der Lehrerschaft, die in erster Linie als Kulturver­mittlerin zur völkerversöhnenden Arbeit berufen, ist, und die sich doch so oft zur Schleppträgerin der eigensüchtig- ge. hässigen Verhegungspolitik machen läßt, gilt es zu zeigen, was für sie und die Schule auf dem Spiele steht, ihre Kraft als Trägerin der Erziehung gegen rohe Unterdrückung und blutige Zerfleischung lebendig zu machen. Gelingt es, der gewissenlosen Politik der Chauvinisten hier einen unüber­steiglichen Damm zu setzen, so ist die wichtigste Arbeit für die Rettung und den Ausbau der Kultur geleistet.

Auch für das Saargebiet, wo es zwar nur eine Nation, aber innerhalb dieser eine um so schlimmere nationalistische Verhetzung gibt, würde sich eine solche Veranstaltung sehr empfehlen.

Zschätzsch   gibt Erkenntnis Endlich die ,, tieferen Zusammenhänge"

Karl Georg Zschaetsch hat trotz seiner verdächtig zahlreichen Konsonanten einige Bücher geschrieben, die ,, Herkunft und Geschichte des arischen Stammes" mit einem Bericht über 25 000 Jahre arischer Geschichte" klarlegen, ,, uralte Sippen- und Familiennamen" erläutern, die ,, zum Teil ein Alter von annähernd 16 000 Jahren" haben, und endlich das ,, Geheimnis über die Herkunft der Germanen" entschleiern, welche danach aus Atlantis stammen, wobei ,, der Sintbrant und die Sintflut" ihre definitive Aufklärung finden. Auch wenn man die Bücher nicht selbst liest, bietet schon die Sammlung begeisterter Pressestimmen aus dem ,, Ari- Gau" eine Quelle des Vergnügens. So schreibt die ,, Breslauer Hochschul- Rundschau", daß es dem Verfasser ge­lungen sei, das Wesen und Werden des arischen Stammes ,, von seines Urda Bronnen Raunen an ent­stehen und verstehen zu lassen"( besonders entstehen!). -Im..Schwäbischen Schulanzeiger" Augsburg   heißt es: ,, Der Leser wird mit Staunen auf Zusammenhänge aufmerksam ge­macht ( wer staunt da eigentlich? Schulzeitungen sollten doch besseres Deutsch von sich geben) über die er tag­täglich hinwegstolpert". ( Sachen gibt

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Und die ,, Deutsche Sparer- Zeitung" Berlin  es!) meint gar, daß, wer sich nicht,.am Leitseil der Ver­dummung durchs Leben schleppen lassen will", sich bei Zschaetzsch   Erkenntnis verschaffen soll. Ja, dagegen kämpfen Götter selbst vergebens.

Das Zeichen

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Der Staatsrat Henningsen, Hamburg  , stellvertretender Gauleiter der NSDAP.  , hat, laut Frankfurter Zeitung  " kürz lich erklärt: Wenn es heute noch Deutsche   gibt, die lieber ,, Guten Morgen" statt ,, Heil Hitler" sagen, dann soll man sich darüber nicht aufregen, doch sind diese Leute nicht fähig, Beamte zu sein." Die Prüfung zur Beamten­außerordentlich vereinfacht

befähigung kann

werden!

demnach

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