Deutsche   Stimmen

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Beilage zur Deutschien Freifieit"

Donnerstag, den 10. Januar 1935

Alfred, über den Schädel gehauen

Kleine Tragödie eines nationalsozialistischen Dichters

Wir bieten heute unseren zahlreichen geistigen Fein­schmeckern eine besondere Gabe. Freilich, nicht wir spenden sie, sondern der nationalsozialistische Autor Alfred Karrasch  , der den nachfolgenden Brief an die Pg.­Redaktion des., Westdeutschen Beobachters" geschrieben hat. Karrasch   ist der Verfasser eines Romans ,, Pg. Schmiedecke", der bei den gleichgeschalteten Literaturkritikern keine rest­lose Begeisterung hervorrief. Mit ihnen setzt sich Karrasch  auseinander. Wie er es tut, ist das Interessante: die ver­steckten Drohungen gegen Leute, deren braune Tinte noch nicht dickflüssig genug ist; die von den wenigen Quadratzenti­metern geistige Freiheit, die ihnen im Feuilleton noch ge­blieben ist, einem dem Herrn Karrasch   keineswegs will­kommenen Gebrauch machen.

Sein Says, daß diese Anspruchsvolleren ,, d as Land der Emigranten mit der Seele suchen, wenn sie vielleicht auch gar nicht wissen, daß sie es tun", verdient in der Reihe der klassischen Zitate der Welt­literatur einen Ehrenplays. Hinter ihr stecken die Seufzer der Bedrückten und Gefangenen, die manchmal an den Gitterstäben ihres geistigen Käfigs rütteln, immer in Furcht, dafür strengen Arrest bei Wasser und Brot zu erhalten.

Jeder Sats des Herrn Karrasch muß genossen werden. Wie gesagt: etwas für Feinschmecker, wichtig zur Erkenntnis gegenwärtigen deutschen Schrifttums unter Goebbels  ' Kom­manda.

Redaktion der ,, Deutschen Freiheit".

Alfred Karrasch  

an den ,, Westdeutschen Beobachter"

Liebe Kameraden!

Mein Ausschnittbüro übersendet mir einen Ausschnitt aus dem ,, Westdeutschen Beobachter" vom 27. November. Ich habe viele hundert Ausschnitte über meine Bücher, gute und schlechte Besprechungen, nichtssagende und begeisterte. Selten trifft eine Besprechung so ,, den Nagel auf den Kopf", wie die bei Ihnen an jenem 27. November veröffentlichten ,, Kul­turellen Miniaturen".

Sie haben vollkommen recht: ,, Das Volk marschiert in­brünstig zur Kultur, die Kritik läuft zumeist auf dem Bürgersteig nebenher." Oder wenn Sie da schreiben: ,, Wie oft begeistert sich das Volk für ein Buch, hernach aber liest man in einem Literaturblättchen, daß dieses Buch nicht ganz gekonnt" sei."

Ja, da liegt es: die Kritik! Ich bin gewiß keiner, der verdächtigt, um dadurch vorwärtszukommen. Es ist auch so, daß manchmal in begeisterten Besprechungen bedeutender Unsinn steht. Aber Sie haben schon recht: wenn wir vor­wärtskommen wollen, dann werden wir wohl auf die Kritik unser Augenmerk richten müssen. Es scheint mir nicht ganz glücklich( und erfüllt mich immer mit leichtem Argwohn!) wenn so Verschiedene in Bewunderung die Hände ringen, wie nun jetzt bei der gleichgeschalteten Kritik alles, aber auch alles in bester Ordnung wäre. Ich möchte dagegen mit Ihnen behaupten, daß da vieles aber auch gar nicht in Ordnungist.

Sie sagen es in Ihren ,, Kulturellen Miniaturen" an einer Stelle so, daß jedes Mißverständnis ausgeschlossen ist über das, was Sie meinen: ,, Man sabotiert die große Linie!" Das ist nur die blanke Wahrheit.

Die Dinge liegen da meiner Ansicht nach so, daß man unter diesen ,, Saboteuren" zweierlei Arten unterscheiden muß. Auf der einen Seite sind diejenigen, die vielleicht gar nicht wissen, daß sie sabotieren, einfach, weil sie noch nicht zur notwendigen Einsicht gekommen sind. Man hat sie in der früheren Zeit Jahre um Jahre gelehrt, man hat es ihnen durch Riesenpropaganda eingehämmert, nur etwas ganz Be­stimmtes für wirklich wertvolle Kunst zu halten, nur das ge­stelzte Wort, nur die gedrechselte Problemstellung, nur jenes sogenannte Literarische. Das schlichte Wort, das schlichte Leben, den schlichten Wald, die schlichte Erde empfinden. sie als etwas zu Primitives, ja Pöbelhaftes. Das sind die, welche, wie ich immer sage ,,, das Land der Emigranten mit der Seele suchen". Sie wissen es vielleicht gar nicht, daß sie es tun. Zu ihnen gehören jene andern, von der gleichen Partei, die ein Buch, das aus dem Blut und dem Leben der heutigen Zeit kommt, schon begreifen. Aber man hat ihnen früher einmal gesagt, daß Kunst, wohlverstanden wirkliche Kunst, ganz abseits von den Erscheinungen des täglichen Lebens zu stehen hat. Sie können darüber noch nicht hin­wegkommen usw.

Hier könnte man im nationalsozialistischen Geiste und nach jenem wunderbaren Befehl des Führers mit versöhn­licher Belehrung wirken. Sehr viel skeptischer aber bin ich gerade in dieser Hinsicht den wirklichen Saboteuren gegenüber, und die gibt es, und grade hier zeigen sie ihre Zähne, weil sie sonst feige sind, dieser Weg aber gefahrlos ist.

Können der Verfasserin, das hinreißend wäre, man wünschte, daß jede deutsche   Frau so tapfer wäre, wie dieses kleine, tapfere, deutsche(!) Mädel.

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Dieselben Zeitungen, in denen diese Begeisterungshymnen standen, taten meinen Wimpel", das erste Buch, mit nach­lässigen zehn Zeilen ab. Es war ja auch als Gegenstück, auf deutsch  , zu Hasenclever geschrieben. Bei Stein, gib Brot!"

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Ereignisse und Geschichten

Beaune   Journalisten

Die Journalisten sind nicht zu beneiden. Es ist ja wirklich auch unmenschlich schwer, Die Wahrheit stets grundsäglich zu vermeiden. Wo nimmt man immer gleich' ne Lüge her?

Herr Goebbels   spaßt nicht, er ist ohne Gnade, Wenn irgendwo ein wahres Wörtchen steht. Sein Blick wird starr, es sträubt sich die Pomade, Dieweil der Delinquent nach Dachau   geht.

begannen sie, in ihrem Kunstgefühl aufs tiefste beleidigt, be- Anfangen!"

reits zu schweigen. Es ist wohl nicht nötig, besonders zu er­wähnen. daß dieses Schweigen gegenüber dem P g. Schmiedecke" noch tiefer geworden ist.

Dann gab es da ein Buch, das war in jenem literari­schen Sinne wirklich mit einem ,, hohen, lebensechten Problem" erfüllt. Einem Manne stirbt die geliebte Frau. Er tut daraufhin das einzig Naheliegende. Er beschließt, zu warten, sich tot zu stellen, bis das kleine hinterbliebene Töchterchen, seine eigene Tochter, heiratsfähig geworden ist. Dann wird er sie, die ihrer Mutter unerhört ähnlich ist, dem Brautbett entgegenführen...

Ja, das war natürlich auch ganz große Kunst". Oder ,, Im Westen nichts Neues", das war gekonnt"! Da waren alle Szenen wie aus einem Guß, das war das rechte und echte ,, Volksbuch", eine Tat der Menschheit" und was so der­gleichen zu lesen war.

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Ich habe daraufhin in denselben verschiedenen Zeitungen Feststellungen über meine Bücher gemacht. In einigen war vollkommene Fehlanzeige. Meine Bücher, besonders meine beiden letzten, gab es da überhaupt nicht. Sie waren für diese Blätter überhaupt nicht erschienen. Andere wieder schrieben, daß zum Beispiel ,, Stein, gib Brot" ein sehr starkes Buch wäre, leider ,, hafteten die Szenen nicht so stark, in denen sich die Tendenz bemerkbar machte". Oder nachher bei ,, Schmiedecke", daß leider die gerade hauptsäch­lichsten Szenen einen Knick hätten, oder daß es mir doch leider an der Gestaltungskraft fehlte usw. Ja, eine schrieb sogar einmal sehr hübsch und wies ihr blankes Herz: ,, Alfred Karrasch   müßte nur voa der Tendenz lassen."

Was ist Tendenz? Ich glaube, daß es im heutigen natio­nalsozialistischen Staate nur eine Art von Büchern gibt,

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Göring   diktiert in der Oper

Horatio.

Der Musikkrieg in Deutschland   ist keineswegs abge­schlossen. Die Nazis sind bei ihren letzten Aktionen auf eine derartige Opposition in der Bevölkerung gestoßen, daß sie jetzt den Versuch machen, Kleiber in der Staatsoper und selbst Hindemith   wenigstens in der Musik- Hochschule mit Gewalt zu halten.

Was den Einfluß von Kleiber betrifft, so wird uns jetzt von einem Besucher der Staatsoper der Verlauf eines Abends geschildert, dem dieser Gewährsmann selbst beiwohnte. Es handelte sich um eine Vorstellung in den Tagen der schärfsten öffentlichen Auseinandersetzungen um Hindemith   und Furt­ wängler  , die Kleiber dirigierte. Als er erschien, brach ein un­geheurer, demonstrativer Beifall los, das Publikum schrie: ,, Kleiber! Wir wollen Kleiber behalten!", die Manifestation schien kein Ende nehmen zu sollen. Plötzlich stand in einer Loge ein Mann auf, klatschte, indem er Ruhe gebot, in die Hände und befahl: ,, Anfangen." Es war Göring  . Und nun geschah, was Göring   nicht erwartet hatte: das Publikum klatschte weiter. Selbst ein Ruf löste sich aus der Menge, der eine in diesem Rahmen unwahrscheinliche Kühnheit verriet. Jemand rief: ,, Hier hat kein Besucher zu befehlen, wann angefangen wird." Schließlich begann Kleiber  . Als die Ouvertüre beendet war, setzte erneut ein orkanartiger Bei­fall ein, der, wie das ganz Verhalten des Publikums an diesem Abend, eine offene Demonstration gegen die national­sozialistischen Dilettanten war.

Geschehnisse dieser Art lassen es begreiflich erscheinen, daß Göring   den Rücktritt von Kleiber unter dem Vorwand binde. Kleiber dagegen beruft sich darauf, daß der Vertrag abgelehnt hat, daß sein Vertrag ihn bis zum Februar 1935 keine Gültigkeit mehr besitze, weil die ihm garantierte Unabhängigkeit durch die Bestellung von Clemens Krauß  

zum autokratsichen Leiter der Staatsoper angetastet sei. Die Ratlosigkeit der Naziführer wird noch dadurch unterstrichen, daß auch der Rücktritt Hindemiths von seiner Stellung in der Hochschule für Musik nicht bewilligt worden ist.

welche man als tendenziös bezeichnen kann. Das sind die, welche mit aller Kraft an dem, was heute ist, vorbeisehen wollen! Was aber den Knick anlangt, so meine ich, daß von allem abgesehen der Knick bei jener Sorte von Kri­tikern liegt. Ein Arbeiter hat einmal zu mir über den ,, Schmiedecke" gesagt: Wissen Sie, Pg. Karrasch, ich muß Ihnen mal was sagen. Ich bin nämlich in Romanen sehr un­gebildet. Der ,, Schmiedecke" ist der erste Roman gewesen, den ich ganz ausgelesen habe. Aber den auch ganz-." Das erzähle ich hier nicht um der Ruhmredigkeit willen, Hitler

sondern um die Frage zu beantworten, wo jener Knick nun wirklich anzufinden ist, bei jenem Kritiker oder bei mir, dem Tendenzschriftsteller?

Ja, mit der Kritik liegt noch vieles ganz im Argen. Un­verständnis und ausgesprochene Bösartigkeit reichen sich da oft die Hand. Ja, und darüber hinaus ist es auch sonst so, wie ich es jetzt unlängst in der Woche des deutschen   Buches mir in Berlin   in einer Rede gesagt habe: ,, Es ist auch heute nicht ganz ungefährlich, nationalsozialistische Bücher zu schreiben."

Wenn ich davon erzählen würde, was ich schon alles durch den Schmiedecke" an Nackenschlägen bekommen habe viele würden doch etwas den Kopf schütteln. Boykottiert,

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versetzt in die zweite Klasse des Soldatenstandes, ja, ein Literat hat mich sogar einmal Freunden gegenüber bedauert: ,, Der muß doch bestochen sein, daß er solche Bücher wie den ,, Schmiedecke" schreibt-!"

Nun, man lacht, spuckt aus und geht seinen Weg weiter. Die Arbeiter und Angestellten haben schon meinen Schmie­decke" verstanden und wissen, daß solche Menschen, wie der Riede und der Rollenbrecht, heute noch in vielen Betrieben herumlaufen, diese Unsozialen, die ich mit Freimut, und weil wir wieder die klare, deutsche Sprache lernen wollen, als Menschenschinder und Saboteure an unserer Bewegung be­zeichnet habe. Dann ist es ja auch nicht nur bei jenen be­dauernden oder verdächtigenden Kritiken geblieben, sondern das ist ja das wirkliche Wunder, das wirkliche Leben des Nationalsozialismus, daß sich da immer Kameraden finden. Dann steht dort einer auf, in Hamburg  , dann einer in Köln  dann einer in meiner Heimat in Ostpreußen  . Nun, und so geht es fort, rastlos, immer weiter, immer für den Führer und seine Bewegung...!

Uebrigens eine Nachricht, die Sie vielleicht inter­essieren wird: der ,, Schmiedecke" wird von Fröhlich als Großfilm gedreht. Im Februar schon sollen die Auf­nahmen beginnen. Es ist an ganz große Besetzung gedacht. Mit bestem Gruß und Heil Hitler!

Es erscheint diesen Zeitgenossen- man wird Verständnis Jsay Schuc

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nicht ungefährlich, öffentlich etwa gegen dafür haben den Führer oder gegen Dr. Goebbels   oder die Bewegung aufzutreten. Aber erscheint irgendein nationalsozialistischer Dichter nun, den kann man ja ganz gefahrlos würgen oder ihm eins auf den Schädel hauen.

Wenn ich hier mit ein paar kurzen Beispielen von mir spreche, so nur deshalb, weil ich das mir vorliegende Material am allerbesten überschauen kann. Im übrigen weiß ich, daß es in andern Fällen nicht anders ist.

Da gab es zum Beispiel in der früheren Zeit ein Buch, in dem die ,, Heldin" zu ihrem Freunde" folgendes sagte: Ich habe mich schon auf der Schule geschämt, wenn ,, Deutsch­ land  , Deutschland   über alles" gesungen wurde, so ein wider­so fett zu sprechen, so fett zu denken, den wärtiges Lied

ganzen Mund voll Lebertran

Ja, das war natürlich etwas, und Blätter, die durchaus nicht marxistisch waren, wenigstens nach dem Firmenauf­druck nicht, überschlugen sich in Bewunderung über das

Alfred Karrasch  .

Zuerst vertrieben, dann ,, unentbehrlich"

Er

Am 10. Januar 1935 vollendet der Mathematiker und Ordinarius der Berliner   Universität Professor Isay Schur sein 60. Lebensjahr. Isay Schur ist ein Algebraiker von Weltruf, der auf dem Gebiete der Zahlentheorien nicht nur Hervor­ragendes geleistet hat, sondern auch die allgemeine Aner­kennung der mathematischen Wissenschaft genießt. wurde am 10. Januar 1875 geboren, studierte in Berlin   und promovierte an der Universität summa cum laude. Er habilitierte sich dann in Berlin   als Privatdozent, ging 1913 als außerordentlicher Professor nach Bonn  , wurde in eben dieser Eigenschaft 1917 nach Berlin   berufen und 1919 zum ordentlichen Professor ernannt. Er ist ordentliches Mit­

glied der Preußischen Akademie der Wissenschaften  , der Leipziger Akademie, sowie der Göttinger Gesellschaft der Wissenschaften. Nach dem Umschwung der politischen Ver­hältnisse wurde er zuerst beurlaubt, bald aber wiedergeholt und doziert nach, wie vor an der Berliner   Universität.

oberster Filmzensor

Er weiß alles, er kann alles

wie Ex- Wilhelm Die Filmgesellschaften Ufa   und Arya erhielten den Auf­trag zur Herstellung eines politischen Propagandafilms., Um das Menschenrecht". Die gesamte deutsche Presse kritisierte den Film im Sinne des Reichspropagandaministers und lobte ihn. Der Reichspropagandaminister selbst verlieh dem Film das Prädikat künstlerisch wertvoll" und emp­fahl ihn zum Besuche durch die Jugend. Vorgestern wurde dieser Film nun plötzlich zurückgezogen und die weitere Aufführung für das gesamte Reich verboten. Hitler   selbst soll den Film abfällig kritisiert haben. Es scheinen auch außenpolitische Gründe für die Zurückziehung maßgebend gewesen zu sein. Der Film schilderte nämlich die Vorgänge während des polnischen Aufstandes in Oberschlesien  . Da Deutschland   größten Wert auf ein gutes Einvernehmen mit Polen   legt, entschloß man sich, um die Polen   nicht zu ver­letzen, den Film, wohl den größten dieser Saison, der Mil­lionen gekostet hat, zurüzuziehen. Hitler   hat. wie es scheint, nach diesem Zwischenfall beschlossen, selbst die Film politik in die Hand zunehmen. Gestern erschien er in Begleitung des Reichspropagandaministers in den Film­ateliers der Ufa   und nahm dort Einblick in das Werden der Filme, die dort gegenwärtig gedreht werden.

Toleranz und Intoleranz

Von Goethe  

Dann aber tritt er( Johann Heinrich Voẞ  ) mit Macht und Gewalt auf, kämpft hartnäckig wie um sein eigenes Dasein, dann läßt er es an Heftigkeit der Worte, am Gewicht der Invektiven nicht fehlen, wenn die erworbene heitere Geistesfreiheit... einigermaßen getrübt, ge­hindert, gestört werden könnte. Will man dem Dichter dieses Gefühl allgemeinen heiligen Behagens rauben, will aan irgendeine besondere Lehre, eine ausschließende Mej. aung, einen beengenden Grundsats aufstellen, dann steht der friedliche Mann auf, greift zum Gewehr und schreitet ge. waltig gegen die ihn so fürchterlich bedrohenden Irrsale, gegen Schnellglauben und Aberglauben, gegen alle den Tiefen der Natur und des menschlichen Geistes entsteigen­den Wahnbilder, gegen vernunftverfinsternde, den Verstand beschränkende Satzungen, Macht- und Bannsprüche, gegen Verketzerer, Baalpriester, Hierarchen und ihren Urahn, den leibhaftigen Teufel.

Sollte man denn aber solche Empfindungen einem Manne verargen, der ganz von der freudigen Ueberzeugung durch­drungen ist, daß er jenem heiteren Lichte, das sich seit einigen Jahrhunderten, nicht ohne die größten Auf­opferungen der Beförderer und Bekenner verbreitete, mit vielen anderen das eigentliche Glück seines Da seins schuldig sei? Sollte man zu jener scheinbar gerechten, aber parteisüchtig grundfalschen Maxime stimmen, welche, dreist genug, fordert, wahre Toleranz müsse auch gegen Intoleranz tolerant sein?

Keineswegs! Intoleranz ist immer handelnd und wirkend, ihr kann auch nur durch intolerantes Handeln und Wirken gesteuert werden.

( Aus der Goetheschen Rezension der Gedichte Johann Heinrich Vossens in der Jenaischen Allgemeinen Literaturzeitung" vom 26. 2. 1806.).