Erich Mühsams Freund
Zur Psychologie und Karriere eines prominenten Nationalsozialisten
Der Leiter der Kommission für Wirtschaftspolitif", Bern = hard Köhler. dürfte unsterblich werden. Dazu gehört der Fall Multatuli und seine Sentenz: Zum Kriegführen braucht man Geld, Geld, Geld" bemeist es mitunter nur die Prägung einer banalen Redensart. Diese Redensart hat Bernhard Köhler mit seinem klassischen Ausspruch über die Brechung der Zinsknechtschaft geleistet. Mensch be= zahle Deine Schulden und mache keine Schulden; damit ist. das Problem der Zinsknechtschaft ganz von alleine gelöst. Die Nachwelt dürfte nur dieser eine Satz an der Person des Herrn Köhler interessieren; für die Gegenwart ist er sozusagen noch als Mensch und Karrierenmacher interessant. Vor dem Krieg fannte man ihn in München als trinf frohen Bohemien. Was er war. wußte man nie, was er eigentlich fonnte, wußte er selber nicht. Richtiger Typus der Ratlosigkeit; außerdem ein Mensch, der nach Art damaliger Bohemiens mit allem durch Zynismus fertig wurde.
Sein bester Freund zwischen 1910 und 1914 ist Erich Müh sam gewesen. Die Lust am politischen Gespräch hat er im Umgang mit Mühsam bekommen, von ihm lernte er auch einiger maßen die Kunst, sich literarisch in Wort und Schrift aus zudrücken. Der Krieg war wohl das erste Ereignis, das Bernhard Köhler ernst nahm. Er trat als Freiwilliger in ein Münchener Regiment ein und diente sich als tapferer Soldat zum Offizier herauf. In München war er öfters auf Urlaub. Immer noch war Erich Mühsam sein bester Freund. Als er einmal wieder ins Feld zog, händigte er Mühsam sein Testament zur Aufbewahrung ein und vertraute ihm seine wertvolle Bibliothef mit einem ganzen Stoß von Priyatbriefen an. Als Mühsam Bedenken äußerte, bat und beschwor ihn Köhler förmlich, dieses Eigentum aufzubewah ren; er fönne es nur einem Menschen überlassen, zu dem er so absolutes Vertrauen habe. wie zu ihm.
Nach dem Krieg geriet Köhler abermals in die Schwierigkeiten der Berufsentscheidung. Offizier konnte er nicht bleiben, wollte es auch unter den neuen Verhältnissen nicht. Etwas mußte er doch werden. Nun war damals im„ Cafe Stefanie" und im Wein- Restaurant Simplizissimus", den bevorzugten Aufenthaltsstätten Köhlers, viel von der Schwundgeld- Theorie die Rede. Es war der Sensationsstoff jener Tage. In ihrer ersten primitiven Form war die Theorie von Silvio Gsell entwickelt worden, und Bernhard Köhler hatte sie diereft von Giell fennen gelernt. Für Silvio hatte Bernhard viel übrig, wohl nicht zuletzt deshalb, meil es jenem etwas abenteuerlich ergangen war. In der Münchener Räterrepublic war Silvio Gsell als Finanzsachverständiger tätig gewesen, also wurde ihm hinterher. 1919 der Hochverratsprozeß gemacht. Die Richter des ,, Volksgerichts" nahmen den Angeklagten nicht recht ernst. Als er am Schlusse der Beweisaufnahme noch pathetisch versicherte:„ Nach einigen Jahren werden Sie, meine Herren, für ein Mittag mehr als 1000 Mark zahlen", brüllte das Richterfollegium lachend los und war sich über Gsell im Klaren: total unzurechnungsfähig. Er wurde freigesprochen. Eine Weile blieb er noch in München , und Bernhard Köhler trat mit ihm in Beziehungen. Bei seinen Unterhaltungen im Cafe und Wein- Restaurant faßte er Feuer für die Schwundgeld- Theorie und von hier aus fand er seinen Weg zum Beruf. Nationalöfonom mollte er werden. Ohne gründliches Studium geht das gewöhnlich nicht, aber Köhler hatte Glück. Nach Silvio Gjells Abreise wandte er sich ganz nach rechts. Dem Einfluß Mühsams war er so wie so entzogen. Da Mühsam vom„ Volksgericht" zu 15 Jahren Festung ver urteilt worden war.
Es fam Dietrich Eckhardt und gründete den„ Bölkischen Beobachter"; es fam Gottfried Feder mit seiner„ Brechung der Zinsfnechtschaft". Köhler fabrizierte feltiame Kombinationen vom Schwundgeld und 3insfnechtschaft- Theorie zusammen und begann in national- sozialistischen Versammlungen darüber zu reden, in völfischen Blättern darüber zu schreiben. Er wurde offizieller Finanziachverständiger der Partei und später auf hohem Posten Wirtschaftstheoretifer des Deutschen Reiches.
Erich Mühsam gegenüber verhielt er sich zunächst durchaus anständig. Er besuchte ihn in Offiziersuniform oder als SA.- Mann mehrmals auf der Festung Nieder- Schönenfeld.
Es blieb im Gespräch beim Du und Du. Mühsam kam es während der Strafzeit zugute, daß auch solche Herrschaften" zu seiner Befanntschaft zählten. Nach sechsjähriger Strafverbüßung wurde Mühjam begnadigt. Die Freundschaft erlitt feinen Abbruch dadurch, daß der eine immer noch ganz linfs stand, der andere ganz nach rechts gegangen war. Nach Hitlers Machtergreifung fam Mühsam wieder unter die Räder; diesmal furchtbarer als je. Er ist den ininfernalisti schen Beinigungen in den Konzentrationslagern ausgesetzt gewesen und dort ermordet worden. In höchster Not schrieb er an seine Frau, sie möchte doch Bernhard Köhler mit seiner Angelegenheit befassen. Er erinnerte an dessen ehemalige Teilnahme für ihn in Nieder- Schönenfeld, er erinnerte an das Vertrauen, das Köhler ihm einst vor seiner Abreise ins Feld geschenkt hatte. Es ist alles geschehen, um den „ Leiter der Kommission für Wirtschaftspolitit" mobil zu machen, Köhler antwortete nicht, er ging auf keine Vermittlungen von gemeinsamen Freunden ein. Möglich, daß ihm die Sache leid fat. Mühlam und später Silvio Gsell hat er schließlich doch zu verdanken, daß er überhaupt zur Beschäftigung mit geistigen Angelegenheiten heranreifte. Möglich auch, daß Köhler nichts machen konnte. Gerade da mals hat das Preußische Innenministerium strengste Verbote an nationalsozialistische Funktionäre erlassen, sich für die Konzentrationshäftlinge zu verwenden. Das braune Regime bekämpft Humanität noch in der harmlosen Form der Freundschaft mit politischen Gegnern. Wahrscheinlich hat sich Köhler in seiner alten zynischen Art damit abgefunden. Er wird sich eine neue Sentenz zurückgelegt haben, konform seiner Empfehlung zur Brechung der Zinsknechtschaft: Kommt nicht erst ins Konzentrationslager, dann braucht Ihr Euch nicht über schlechte Behandlung zu beklagen."
Die Kleinen hängt man!
Das Schöffengericht Beuthen verurteilte einen Marfthändler zu zwei Monaten Gefängnis, weil er auf dem Wochenmarkt Wurst, für die ein Richtpreis von einer Mark pro Pfund feitgeießt war, für 1,20 Reichsmart verkauft hatte
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Daß Bank- und Börsenfürsten verurteilt werden, davon liest man nichts.
..Ich und der Führer sind eins"
Das Geheimnis des deutschen Wirtschaftsdiktators Mitte Dezember hielt Schacht vor einem geladenen Kreis Schacht in Köln tm Reichswirtschaftsministerium eine Rede über die deutsche Lage. Er führte aus:
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„ Von Mighelligkeiten zwischen ihm und dem Führer in der Wirtschaftspolitif fönne teine Rede sein.„ Angriffe gegen mich" so sagte er find nicht gegen mich, sondern gegen den Führer gerichtet. Melne Politik und die des Führers find eins."
Zur Arbeitsbeschaffung führte er aus, daß die bisherige Politik der Aufwendung staatlicher Mittel nicht fortgesetzt werde. Es reiche aus, wenn man den anderen Industriezweig"( das heißt die Rüstungsindustrie) starf alimentiere. Die Löhne müßten in ihrer jeßigen Kauffrait erhalten wer den, die Preise dürften deswegen nicht weiter steigen. Bei der Aufrechterhaltung der jeßigen Löhne werde es möglich sein, den Beschäftigungsgrad auf der bisherigen Höhe zu erhalten.
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Die Verflechtung Deutschlands mit der Weltwirtschaft sei sehr eng. Wenn Deutschland in einigen wichtigen Roh stoffen fühlbaren Mangel haben werde, dann würden große Industriezweige lahmgelegt werden. Es sei untunlich, viel vom Ersatz zu reden. Die Ersazwirtschaft werde nicht weiter betrieben werden. Es müsse nun end lich Schluß sein mit dem Unfug von der Brechung der 3 in 3- fnechtschaft.
Deutschland branche Kredite. Die ausländischen Gläubiger müssen deswegen glauben, daß sie ihr Geld bekommen wer den, ob sie es bekommen würden, sei eine andere Frage. Wie Deutschland seine anderen Industriezweige finanzieren werde, sei sein Geheimnis, das er nicht bekanntgeben
In Köln hielt Schacht eine Rede vor einem Kreis von Industriellen. Er wurde mit eifigem Schweigen angehört. Nach der Rede schickten die Schwerindustriellen einen Mann vor, der Schacht fitzeln sollte. Nach einigen plumpen Lobsprüchen fragte dieser Mann geradezu, ob es nicht besser wäre, wenn Hitler sich auf die Reichspräsidentschaft beschränke und Schacht Reichsfanzler würde. Schacht lächelte geschmeichelt und antwortete nur:
„ Also meine Herren, aus Ihren Reihen fommt das erste Wort vom Umsturz."
Schacht hielt in Hamburg vor der Hamburger Kaufmannschaft eine Rede. Sie bestand aus nationalsozialistischen Schlagworten. Die Rede und die nachfolgende Diskussion hat so gewirkt, daß das letzte Vertrauen in Schacht in Hamburg zerstört worden ist. Ein Fabrikant von kosmetischen Artikeln beschwerte sich über die Fehlleitung bei der Devisenzuweisung. Schacht bagatellisierte die Sache, der Fabrikant sagte: Das fann man nicht ertragen, wenn man alte Arbeiter entlassen muß, und wenn die Frauen im Hof stehen mit bleichen Gesichtern, weil diese Geschichten bei der Devisenzuweisung passieren!" Schacht, der schon nervös und wild geworden war, sagte ihm:„ Sie fabrizieren fosmetische Artifel? Geben Sie doch den Arbeitern Schminke, dann sehen Sie nicht, daß sie bleich find." Dieser Zynismus hat allgemeine Entrüstung hervorgerufen.
werde. Es würden eben alle deutschen Finanzquellen aus 600 v. II. Bürgersteuer
Aeußerste ausgeschöpft werden. Im übrigen ergäben sich manchmal günstige Zufälle. So sei fürzlich ein englischer Experte bei ihm gewesen. Er habe sich über die deutsche Devisenlage und Finanztage informiert. Beim Abschluß habe er erklärt, aus allem, was er gesehen habe, müsse er den Schluß ziehen, daß die Behauptung über die deutsche Aufrüstung nicht richtig sein fönne.
Zum Schluß machte Schacht noch einige höhnische Bemermerfungen mit sehr scharfer Spize gegen Darre. Er sprach von dem Gedanken, Industrieerbbetriebe einzuführen und bemerkte dazu: Wir leben nun einmal in der Zeit der Zellen bildung und Durchschachtelung, es wird sogar behauptet, daß einige Leute den Plan hätten, Erbministerien zu schaffen. Darüber brauchen wir uns nicht länger aufzuhalten."
Während dieser Rede wurde ihm ein Zettel gereicht mit der Bemerkung, daß uneingeladene Hörer anwesend seien. Er geriet in große Erregung und verlas den Zettel. Im Nu drang eine Schar von SS .- Lenten in den Raum ein. Ihr Führer erflärte, er bedauere die Störung, aber die Unbe=" rufenen, die es angehe, hätten es sich selbst zuzuschreiben, wenn sie nachher Unannehmlichkeiten haben würden.
Die Ausrede
In der bayrischen Stadtgemeinde Eichstädt hat die braune Stadtverwaltung die Bürgersteuer von 400 auf 600 Prozent erhöht. Steuererhöhungen sind immer eine unangenehme Sache, und sie sind es erst recht für diese Leute, die ihren abergläubischen Wählern ja ein steuerfreies Paradies versprochen haben. Also braucht man eine populäre Begründung für das Ungemach. Und man hat sie gefunden. Nämlich so sagt man allen Ernstes: Hätten die früheren Stadtverwaltungen in der Systemzeit" die Steuerfäße bereits gesteigert, so müßten sie nicht erst jetzt erhöht werden.
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Richtig das vermaledeite" System" ist an allem schuld. Hätten z. B. schon die Weimarer Koalitionsregierungen die Röhm, Ernst usw. erschossen, so hätte es nicht erst der arme Hitler tun lassen müssen. Das ist so flar wie Sloßbrühe!
In dieser Woche gelangt zur Auslieferung
WEISSBUCH
über die Erschießungen des 30. Juni 1934
Das Weißbuch über die Erschießungen des 30. Juni gibt die erste authentische Darstellung von den Ereignissen in der deutschen Bartholomäusnacht.
Das Weißbuch bringt das Geständnis des Gruppenführers Ernst über die Brandstiftung im Reichstag mit voller Namensnennung aller Brandstifter und der Anstifter.
Im Weißbuch kommen zu Wort: ein hoher Beamter des Münchener Polizeipräsidiums, ein Gefängnisbeamter des Zuchthauses Stadelheim, wo Röhm und andere SA .- Führer erschossen wurden, ein Hotelgast des Hotels Hanselbauer. Augenzeuge der Verhaftungen in Wiessee.
Das Weißbuch enthält ferner Auszüge aus dem Blaubuch der Reichswehr.
Das Weißbuch erscheint im gleichen Großformat wie die ..Braunbücher", im Umfang von zirka 250 Seiten. Es enthält zahlreiche Dokumente sowie eine Illustrationsbeilage von 16 Seiten. Es erscheint in Form einer Volksausgabe in festem Kartoneinband. Der Preis beträgt: fr. Fr. 15,-, Hfl. 2., Schw. Fr. 4.-, Ke. 25,-, für die übrigen Länder gilt der Preis in französischen Franken.
Ausgabe für das Saargebiet Sonderpreis nur 10,- ffrs.
EDITIONS DU CARREFOUR, PARIS VI, 83, Bld. du Montparnasse