D

Deutsche Stimmen Beilage zur Deutschen Freiheit

Dienstag, den 15. Januar 1935

Nocturno mit dem Führer"

Von Bruno Brandy

Zwei Uhr nachts. Der ,, Führer" geht im Pyjama nervös auf und ab. Auf dem Nachttisch Tabletten, Schlafpulver, Zeitungen. Wischt sich über die Stirn, stöhnt, schaltet ge­dämpftes Licht ein, schmeißt sich in einen Sessel, stiert auf den Teppich. Einige Minuten später erscheint der

Lahme.

-

Der Lahme: Sie haben mich rufen lassen suchen Sie's doch mal mit Baldrian.

schlafen

-

Ver­

Führer: Baldrian... Baldrian! Können Sie denn bei der Pleite auf der ganzen Linie? Der Lahme:( legt ihm ein paar Tabletten auf den Nachttisch). Probieren Sie mal G 3! Hat unser Leibmedikus für die ganze Regierung gemixt. Drei Tabletten in schweren Fällen.

Führer: Zieht bei mir alles nicht mehr. Vielleicht sollte mans machen wie Hermann, aber Morphium bekommt mir nicht.( Versucht sich Haltung zu geben.) Mir gehen die Attentate im Schädel herum. Ausgerechnet alte Kämpfer. Wenns wenigstens Marxisten wären!

Der Lahme: Die hätten nicht viel von sowas. Die den­ken historisch, die sind überzeugt, daß der Tod einiger Oberbonzen an den Grundlinien der Entwicklung nicht viel ändert.

Führer: Ausgezeichnet.... Könnten wir denn unseren Leuten nicht auch sowas beibringen?( Sucht nach Worten.) Nur eben noch radikaler, noch historischer als die Marxisten: daß unser Tod nichts, gar nichts ändert und daß alles, alles nur von der Zeit abhängt

Der Lahme: me: M. w. Machen wir schon. Reden wir nicht bereits in Jahrhunderten, in Jahrtausenden? Habe ich nicht schon verkündet, daß erst die Jetzigen aussterben und neue Generationen heranwachsen müssen?! Führer: Na

-

und? Was sagt das Volk dazu? Der Lahme: Es sagt, drum besorgten wir wohl das Aussterben durch die Gestapo  ...

Vom Hofe her tönt ein lauter Knall. Beide schrecken zu­sammen. Der Lahme verschwindet vom Fenster. Man hört Gerenne im Vorsaal. Ein Adjutant tritt ein.

Adjutant: Melde gehorsamst, nichts geschehen. Auto­reifen geplatzt.( Ab.)

Führer( sammelt sich wieder): Sagen Sie

-

gibts

in der Geschichte nicht Beispiele, wo auch viel versprochen

Der Lahme: Und nichts gehalten wurde, meinen Sie! Gibts natürlich, aber die sind für uns nicht zu brauchen es ging immer bitter aus.

Führer: Weil es damals noch kein Radio gab! Der Rundfunk muß mehr hergeben! Ihre Abteilung muß er finderischer werden! Eine ganz neue Sprache muẞ her. wissen Sie, so eine europäische Platte: kein Land kann allein die wirtschaftliche Entwicklung überspringen... ( Ringt nach Worten.) Alle müssen einander helfen...

-

Der Lahme: Solidarität der Völker... Europa   muß einig und planvoll zusammenwirken... Wir sind alle Glie­der einer Menschheitskette...

Führer: Bravo, Josef! Bravo! Weiter so!

Der Lahme: Vorsicht, Vorsicht? Marxistische Fuß­angeln! So reden die seit Jahrzehnten! Und unsere Rü­stungen? Die Rohstoffe verpulvert! Kirchenglocken und Türklinken für Kanonenrohre! Milliarden in der Luftflotte!

-

Schwer, sehr schwer, da plötzlich eine marxistisch- pazi­fistische Kern- und Dauerplatte einzuschmuggeln... Und glauben Sie, daß uns die Reichswehr   nachher noch braucht? Führer( bedeppert): Ach so... .. natürlich... ich meinte ja auch nur so.( Leise bebend). Und dann, Josef was dann? He?

Der Lahme( zuckt die Achseln).

Führer: Wenn Sie schon das Maul nicht mehr auf­kriegen!( Steht plötzlich wie angenagelt, stiert auf einen Schatten an der Wand, grobes Profil.) Guck, da ist er wie­der!( Den Schatten anflüsternd.) Ich hab dich doch nicht gekillt der Kleiderständer wollte es so! Geh doch z dem, ich habe es nicht gewollt, ich habe es nie gewollt.. ich bin immer unschuldig...

-

Der Lahme( geht zum Tisch, rückt eine Vase zur Seite, der Schatten ist verschwunden. Greift zum elektrischen Taster, schaltet helles Licht ein, wirft zwei Tabletten in ein Glas Wasser, rührt um, reicht es dem Führer): Wie gesagt, pro­bieren Sie G 3. Schlafen.... Weiter weiß ich im Moment auch nichts.

-

Führer( mißtrauisch, den anderen bedauernd): G 3? warum gerade G,? Warum gerade G? Legt jeden um, nicht wahr?( Zwingt dem Lahmen das Glas in die Hand.) Trinken! Sofort, sag ich!( Deutet zur Tür.)

Der Lahme: Ich weiß, Ihre Leibwache steht draußen. ( Stürzt das Glas hinunter, schüttelt sich.) Brrrr... In einer Stunde schlafe ich. Wünsche desgleichen!( Durch die Tür ab.) Führer( hinterher): Schick mir wenigstens meinen Ad­jutanten Brückner! Holt Brückner! Brückner soll kommen! Ueber dem Hofe wölbt sich der besternte Nachthimmel. Klumpfuß humpelt zum Auto, wischt sich die Stirn, stöhnt: ,, Immer dasselbe, immer dasselbe Delirium..." Hört ein surrendes Geräusch, zieht den Kopf ein, horcht scharf nach oben.

Der Lahme( zum Chauffeur): Hören Sie?( Deutet zum Himmel.)

Chauffeur: Jawohl, ein Flieger,

Der Lahme: Jegt? Nachts drei Uhr? Ueber dem. Führerpalais?( Schmeißt sich ins Auto.) Gas! Tempo! Durch die Nebenstraßen!( Ab. Ein Wagen mit Schwerbewaffneten hinterdrein.)

Bekenntnisse eines zum Tode Verurteilten

Ich war zum Tod verurteilt, Weber von Beruf, Sohn eines Heimarbeiters und 19 Jahre alt.

Fast zwei Monate hat man mich warten lassen. Dann bin ich in die Kanzlei gerufen worden und die Begnadigung wurde mir vorgelesen.

Wenn man, wie ich, zum Tod verurteilt war und sich mit der Möglichkeit eines gewaltsamen Endes durch den Strang vertraut gemacht hat. rinnt einem ein Eisstrom durch die Adern, wenn man nach Wochen und Monaten qualvollen Harrens diesen unmenschlichen Bescheid der Begnadigung zu lebenslangem Kerker bekommt.

Die einzelnen Worte des Begnadigungsschreibens erschie­nen mir wie Erdschollen, die schwer and dumpf auf den Sarg niederkollern, auf den Sarg, in den man mein Liebstes, meine junge Freiheit, eingeschlossen hatte. Diese Ungeheuer­lichkeit hat mich dazu gebracht, mit nichts anderem ant­worten zu können, als mit Tränen, nur mit Tränen, nur mit Tränen. Ich hab' ja meinem eigenen Begräbnis beigewohnt. Was ich in diesen Minuten erlitten, das faßt keine Hölle

Vor ein paar Jahren war ich strafweise in Zellenhaft ge­kommen und bin später auf eigenen Wunsch dort belassen worden. Ich wollte in meiner arbeitsfreien Zeit geistige Be­schäftigung haben. Ich betätige mich schriftstellerisch, und all das Leben, all die Farbigkeit, wonach ich mich sehne, male ich mit lebendiger Fantasie in den Romanen, die in meiner Zelle entstehen. Das, was ich schreibe, darf ich nicht meinen Angehörigen schicken. Es muß im Gefängnis blei­ben, solange ich selbst dort bin. Mein altes Ich", das sie damals vor Gericht stellten und aburteilten, ist abgestorben und in die Hülle hinein ist von innen heraus ein neuer Mensch gewachsen.

Und jetzt sinds achtzehn Jahre, daß ich das Unerträgliche ertrage....

66

So erzählte der Lebenslange. Vom Zellenbau glotten die eisenvergitterten Fenster, und ein Rabe flog krächzend hoch über die Köpfe.....

Früher! ja früher...

in sich. Mehr als einer ist wohl schon nach der Qual der Früher! ja

Ungewißheit der letzten Wochen von einem solchen Augen­blick weggegangen als ein Gerichteter, als ein Narr.

Der Gedanke begnadigt" durchbricht wie ein Blitz den Dämmerzustand der letzten Tage und es wird für eine kurze Spanne hell. Aber dieser Blitz läßt um so unbarmherziger das hinter ihm lastende Dunkel Lebenslang" in furcht­barstem Kontrast erstehen.

Wie ein Betrunkener bin ich fortgetaumelt, bar fast jeg­licher Besinnung. Die hat sich erst nach ein paar Tagen wieder eingestellt.

Jubelnde Freude darüber, daß es nicht zum Strang ging und schauriges Entsetzen über die vor mir liegende endlose Kerkerstrafe rangen miteinander. Ich wußte nicht, soll ich weinen oder lachen. Manchmal tat ich beides zugleich. Wer in einer solchen Lage noch sagen kann: Am Lachen und Flennen ist der Narr zu erkennen," der ist über die gefährliche Klippe hinweg und er wird den Kampf gegen Windmühlen   wagen, wenn ihre Fügel ihn auch zerschmet­tern. Der andere aber, der den Begriff..Lebenslang" nicht zu fassen vermag, der wird nach dem Henker schreien oder selbst Henkerdienste an sich verrichten.

Wie viele, die, trotz gegenteiliger Ansicht des Staats­anwaltes, noch keine Mörder waren, sind erst durch das harte Urteil Lebenslang" zum Mörder geworden! Sei es an sich oder an ihren Totengräbern, ihren Wächtern.

Ich bin an dieser Klippe vorbeigekommen. Lange Jahre lehnte sich alles in mir gegen die Enge und den Zwang auf. Meine unbändige Freiheits- und Lebenssehnsucht führte zu schweren Verstößen gegen die Hausordnung. Eine Hausstrafe nach der anderen zog ich mir zu. Endlich ergab ich mich resigniert in das Unabänderliche,

Gleichgeschaltete untereinander

Unter den gleichgeschalteten und übergelaufenen Jour­nalisten im ,, dritten Reich" gibt es eine große Anzahl,

-

Ereignisse und Geschichten

An die Militaristen

Laẞt nur eure Bajonette blitzen, Laßt die goldnen Tressen sehn, Prahlerisch die Fahnen wehn

Bei Paraden, die den Mob erhitzen.

Lügt nur weiter: Krieg sei ein Vergnügen, Und er ende stets mit Sieg.

Weil der Tod von jeher schwieg, Konntet ihr so lange lügen.

Warum prott ihr nicht mit Höllengasen, Mit erschlagner Kreatur,

Pest- und Cholerakultur,

Und mit Schrecken, die durch Länder rasen?

Warum sagt ihr nicht, daß Niederlagen Mindestens so sicher sind wie Sieg? Ihr habt Angst um euren lieben Krieg, Denn man würde ihn zum Teufel jagen.

Warum humpeln keine Veteranen Den Paraden stumm voran? Wär' es so, ja dann ja dann Lägen überall zerfette Fahnen!

Horatio

Wieder noch etwas Heiteres

Salander schreibt in der Basler ,, National- Zeitung": In einem Leipziger Verlag ist vor kurzem eine ,, heitere" Umdichtung von Homers Odysee   erschienen, verfaßt von einem Herrn Heinrich Kurtzig  . Sie wird Lehrern an Gymnasien, Schülern und einem weitern gebildeten Publi­kum angepriesen und soll nach Angabe des Verlegers ge­schmackvoll" ausgestattet sein. Das Buch hat den appetit­lichen Titel: Liebes- und Irrfahrten, nach Homers Odysee  , Wieder mal etwas Heiteres" und besteht aus zwölf Gesängen.

Versuche, auf Kosten großer Werke der Dichtung neckisch zu sein, hat es immer gegeben. Es muß für solche Dinge offenbar ein gewisses Bedürfnis bestehen, zu geselligen Zwecken oder so. In England, Frankreich   und Italien   ist allerdings meines Wissens diese besondere Art von Literatur, die bloß in einer witzig sein sollenden Verblödung hoher Dichtwerke besteht, kaum bekannt. Selbst die bewußte sati­rische Travestie, wie sie etwa in den heiteren Verspottungen der griechischen Sagenwelt durch die Textdichter Offenbachs geschehen ist, begegnete in Paris   zuerst scharfem Protest und wurde als geschmacklose Respektlosigkeit abgelehnt.

Man mag zu solchen Versuchen nun aber stehen wie man will, neu ist jedenfalls an dem vorliegenden, daß ein richtig­gehender Homerforscher, der als Uebersetzer antiker Dich­werke bekannte Thassilo von Scheffer  , der sich sonst meines Wissens mit der Uebertragung griechischer Autoren von der dunkelsten und schwersten Sorte zu be, fassen pflegt, ein fast beschwingt zu nennendes Vorwort za der Sache geschrieben hat. Er sagt darin:

,, Wer noch unbefangenen Sinn für Humor hat, wird nicht nur eine helle Freude empfinden und das ,, homerische Gelächter" bei sich selbst spüren, nein, er wird darüber hinaus erstaunen, wie diese liebenswürdig- dreiste Umdich­tung des alten Epikers ihn uns unerwartet nahe bringt und vieles lebendig macht, was uns im philogischen Schul staub zu ersticken drohte. Das vorliegende herz. erfrischende Werkchen usw..

Und nun eine Probe aus dem herzerfrischenden Werk­chen, durch dessen Humor wir nach Thassilo von Scheffer  ,, der Herrlichkeit des alten Werkes näherkommen". Im dritten Gesang Empfang in Pylos  " werden wir zu dem alten weisen König Nestor geführt. Da geht es so zu: ,, Und Nestor   rief: Nun nacheinander gerieben wird ein Salamander. Das ist der alte deutsche   Brauch, den übt man hier zulande auch.

Und dann, o Freunde, laßt uns singen, Gesang muß beim Kommers erklingen. Am meisten mir das Lied gefällt: ,, Der Papst lebt herrlich in der Welt" und Zeus  , erhalte Kaiser Franz  ".

Zum Schluß: ,, Heil mir im Siegerkranz." Es ist mir leider mit aller Anstrengung nicht gelungen, das von Thassilo von Scheffer   verheißene homerische Ge­lächter ,, bei mir selbst zu spüren". Vielleicht versuchen es meine geneigten Leser.

die den anderen die Vergangenheit vorwerfen, um selbst Here Schwarz van Beck!

unbelasteter vor den heutigen Herren Deutschlands   zu er­scheinen. Das erfährt man wieder einmal aus dem ,, Deut­schen Volkswirt", der in einer Abwehr gegen die ,, Deutsche Zeitung" in seiner Nummer vom 9. November u. a. schreibt:

,, Nebenbei bemerkt: In derselben Nummer erledigt Dr. H. B. unsere Ausführungen vom 26. Oktober über ,, Tatsachen und Meinungen" mit einem Schlage durch den bloßen Hinweis auf die frühere Tätigkeit des Verfassers in der Industrie unter einem jüdischen Chef. Wollten wir unserem Herrn Beckmeister folgen und seine, vor der Pressereform von einem bestimmten journa­listischen Typ liebevoll gepflegte Methode, gegen sachliche Darlegungen mit dem Resultat von Recherchen über die Personalien des Autors zu polemisieren, auf ihn selber und seinen Vorgänger Fried. Zimmermann anwenden, so müßten wir etwa erklären, daß der eine durch die Schule der Herren Rathenau   und Deutsch  , der andere durch die Schule der Herren Ullstein gegangen sei, und damit würden wir also der Mühe enthoben sein, uns mit solchen Schreibern" überhaupt noch zu beschäftigen." Es werden wohl nicht viele unter den Kostgängern der Nationalsozialisten sein, von denen sich nicht das gleiche sagen ließe. Nachdem sie hundertprozentig hitlertren ge­worden sind, wird ihnen allen ihre Vergangenheit kaum noch schaden.

Ein erstickter Freiheitsschrei

Im ,, Berliner Acht- Uhr- Abendblatt" ist eine zahme Po­lemik gegen einen Schriftleiter des Angriff" geführt worden. Das Acht- Uhr- Abendblatt" hat sich gegen den Angriff" folgendermaßen verteidigt:

-

,, Da weist Herr Schwarz van Berk   nach, daß die Bürgerlichen" zwar nationalsozialistisch tun, aber nicht handeln würden: Wenn zum Beispiel ein Beamter seine Pflicht nicht tut und die Kampfpresse ihn zur Ordnung ruft, dann, ja dann ist in Stromlinien- Bahnen( der bürgerlichen Presse) nicht der kleinste Luftzug zu spüren." Herr Schwarz van Berk  ! Uebernehmen Sie die Hauptschriftleitung des Acht- Uhr- Abendblattes" und versuchen Sie dann, einen Beamten zur Ordnung zu rufen. Man wird Sie sehr deutlich darauf auf. merksam machen, daß das nicht Ihre Aufgabe sei. Das wissen Sie und es entspricht nicht ritterlichen Kampfregeln, so zu tun, als wüßten Sie es nicht."

Dieses leise Weinen eines gleichgeschalteten Journalisten verrät alles: die Lüge, unter der die Untertanen des dritten Reiches" leben, die Schimpflichkeit des journa­listischen Handwerks in Deutschland  , die Niedertracht der Patentnazis, und vor allem das Fehlen jeder öffentlichen Kontrolle und Kritik an der Verwaltung.

-