Für unsere Mütter und Hausfrauen

Nr. 2 0

O O O O O O O 。。。。 Beilage zur Gleichheit ooooooo

Inhaltsverzeichnis: Eichendorff  . Von Otto Wittner.

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Singen ist

gesund. Von th. Berichtigung. Feuilleton: Das Geheimnis des Waldes. Von Gustaf af Geijerstam.  ( Schluß.)

Eichendorff.

Von Otto Wittner.

Die große literarische Bewegung, die im ersten Viertel des neunzehnten Jahrhunderts alle Literaturgebiete sich unterworfen hatte, hat im Verhältnis zu ihrer Ausdehnung wie der Stärke, mit der sie Leben und Dichtung ergriff, wenig Werke hinterlassen, die dauernd im Bewußtsein des Volkes fortleben. Wenn wir von dem Werke Kleists   und einigen Erzählungen Hoffmanns absehen, so ist's gar wenig, was da übrig blieb. Von der vielbändigen Lebens­arbeit der Arnim und Brentano etwa kaum mehr als ein paar Novellen und Märchen, eine keineswegs große Zahl wohlgeform= ter lyrischer Gedichte, die den besten Teil ihrer Wirkung dem eifrig betriebenen Studium des Wesens und Werdens deutscher Volks­lieder verdanken. Ein Name aber, der unter den ersten im goldenen Buche unserer romantischen Literatur berzeichnet ist, flattert noch immer wie ein farbenbuntes Banner in der vom frischen Hauche des Lebens bewegten Luft. Bei seinem Klange erwachen alle guten Geister deutscher Poesie. Es ist der Name Eichendorffs.

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Und doch ist kein größerer Gegensatz möglich als der zwischen unserer Welt und jener, die Eichendorff   in seinen Dichtungen er­schaffen hat. Das zeigt sich am schärfsten in seinen Prosawerken. Hier ist alles heiter, Lebenslust schwellt die Adern und strafft die Muskeln, man erringt seine Siege ohne sondere Mühe und trägt feine Niederlagen ohne sondere Not, und Trauer und Schwermut find nur dazu da, die Lust am Leben, Lieben, Spielen und Singen mit einem klein wenig Bitterkeit zu höherem Geschmack zu würzen; sie haben nur einen leichten Flor über bunte Gewänder gezogen, den ein leiser Wind fortbläst und jedes Sonnenstrählchen durch­leuchtet. Wenn der Gärtnerbursch, der Taugenichts, ein Lied von Grab und Sterben singt, weil ihm seine vielschöne, hohe Fraue" zu ferne steht und gerade keinen Blick gönnt; wenn der Graf Gaston nach einigem Schmachten die schöne Diana entführt und noch unterwegs erkennt, daß sie nicht die Rechte für ihn ist, und in reuigem Erinnern zu seiner früher geliebten Leontine zurück­kehrt; wenn der fidele und fidelbenamste Student Suppius seiner unbekannten Liebsten Serenaden bringt und am nächsten Tage einer anderen Schönen Herz und Hand reichen will- dann wird uns so recht deutlich, wie wenig tief in dieser Welt Gefühle und Leidenschaften gehen. Leben und Tod und alles, was zwischen diesen beiden Polen   der Endlichkeit liegt, huscht hier aneinander vorbei, oberflächlich, flüchtig, unvermischt und unverbunden wie die Figuren eines Schattenspiels. Es ist eine Welt, der jede wahr­hafte Tragik fehlt, wie ihr auch der wahrhafte Humor fern liegt. Denn beide erwachsen nur aus dem tiefen Grunde des Ernstes. Und diese Welt, die keine Gegensäße tennt, fennt auch den Ernst nicht. Im bunten Fluge wirbelt sie ihre Geschöpfe durcheinander. Das gibt die sonderbarsten Kreuzungen, alle Linien schneiden sich in Den unwahrscheinlichsten Punkten. Keiner dieser Eichendorffschen Helden weiß, wohin er geht. Sie sind Marionetten in der Hand des Unsichtbaren, am feinen Fädchen über Stod und Stein, durch Didicht und über Berg geführt, und doch zuletzt jeder weise seinem Biele zugelenkt, dem Kloster oder der weißseidenen Hochzeits­futsche. Dieses Fädchen führt den Müllerburschen ins Grafenschloß und zieht ihn von seiner im Liebesgram unternommenen Flucht ins gelobte Land Italien   nach hundert Irrungen und Wirrungen zurüd in die Arme seiner geliebten Traumgräfin; läßt das be= mooste Haupt Suppius nach all den Aventüren einer tollen Fahrt im wider Willen gestohlenen Brunkwagen und wunderlichen Ka­priolen in einem verlassenen Schlosse an der Seite seiner Gräfin selig werden; lenkt den Grafen Florio( wie man sieht, bewegt man sich bei Eichendorff   immer in der allerbesten Gesellschaft) aus der Verworrenheit nächtlicher Spukgesichte in die Arme seiner rei­zenden Bianka. Und es war alles, alles gut," schließt der Tauge­nichts die Erzählung seiner Fata, und so könnte jede typisch Eichen­dorffsche Novelle schließen.

Die Frömmigkeit des Dichters vor der Vorsehung, die alle seine Gebilde von der kleinsten Ihrischen Strophe bis zum Roman durch­zieht, zeigt sich hier von der heitersten Seite. Die Vorsehung fügt

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1912

alles zum besten in dieser schönen Welt. Es mag einmal vorkommen, daß die Ereignisse einen Schatten über die selig heiteren Gefilde gleiten lassen. So im Schloß Duranda" etwa, wo die dumpfe, haßerfüllte Stimmung des geknechte. ten Volkes unmittelbar vor dem Ausbruch der französischen   Re­volution nicht übel charakterisiert ist. Aber dann naht wenigstens im letzten Stündlein versöhnende Verklärung, und Graf und Jägermädchen gehen vereint in die ewige Glorie ein. Nie aber ist in dieser Welt einer, was er zu sein scheint. Die Gräfin ist schließlich keine Gräfin, der Räuberhauptmann kein Räuberhaupt­mann, die reiche Braut nur eine verkleidete Marketenderin im ge­raubten Schmud. Besonders dem Geschlecht der auf dieser Puppen­bühne Agierenden ist keineswegs zu trauen. Es wimmelt hier von verkleideten Mädchen, die als Jägerburschen, Pagen, Grooms diese bunte Welt durchziehen, irgendeinem verlorengegangenen oder ent­flohenen Liebsten nach, dem sie am Schlusse in die Arme sinken. Es ist eine Märchenwelt, in der all diese Gestalten sich bewegen, all diese Begebenheiten geschehen, wenn sie auch von der Stimmung und Art der uns vertrauteren Welt des tiefen deutschen Volks­märchens weit verschieden ist, und märchenhaff sind alle Erzählun­gen Eichendorffs, mag er sie auch einmal mit mehr oder weniger realistischen Details schmücken oder durch die Fülle der Episoden zu Romanen anschwellen lassen. Und diese Märchenstimmung ist es, die uns immer wieder zu Eichendorff hinzieht. Ein einziger Akkord bringt alle Saiten dieser Stimmung zum Vibrieren, entlodt ihnen die wunderbarsten Harmonien: die Sehnsucht. Die Sehnsucht treibt alle diese Menschlein vorwärts auf ihren verschlungenen Wegen, Sehnsucht fördert ihre Taten unbekannten Zielen zu, Sehnsucht spricht zu ihnen aus dem Sausen der Wälder, dem Rauschen der Bäche, dem leisen Glanz des Mondes. Und Sehnsucht ist auch die einzige Brücke, die aus unserer Welt der Schwere zu dieser führt, in der die Gesetze der Schwere aufgehoben scheinen: Sehnsucht nach dem Unerreichbaren, nach allem, was anders ist und weltenweit ver­schieden von dem Alltag, der uns erdrückt, unser eigenstes stilleres Wesen in seinem Gelärm und Gedränge übertäubend. Das alles, der ganze Kosmos dieser ewigen Gefühle wird wieder in uns wach, wenn wir dieser Stimme lauschen.

Man hat vielfach gemeint, daß den eigentlichen Wert der Eichen­dorffschen Dichtung die Aufrichtigkeit, Tiefe und Reinheit ihres Naturempfindens ausmacht. In der Tat ist Eichendorffs Natur­gefühl weder rein, noch ganz und gar aufrichtig, noch sonderlich tief. Es wäre leicht zu erweisen, wie sehr er hier von anderen Dich­tern seiner Zeit, sogar seiner Kunstrichtung, etwa Kleist oder der findlichen Natur Bettina, übertroffen worden ist. Er sieht die Welt durch gefärbte Gläser. Er kann die Natur überhaupt nicht als ein Ganzes erfassen. Anderseits ist ihm das liebevoll fromme Sich versenken in das Kleine und Unbedeutende meist doch eigentlich versagt. Er macht sich Ausschnitte aus der Natur, die er sich kunst­reich zu präparieren weiß und dem Bedarf der Stimmung anpaẞt. Sie wird ins Typische stilisiert, nicht in ihrer tausendfachen indivi­duellen Mannigfaltigkeit fünstlerisch bewältigt. Sie wird ins Phantastische gesteigert, oder, wenn man will, herabgedrückt. Das ist übrigens eine Phantastit, die allem Grotesken im weiten Bogen ausweicht, das dem Werke Hoffmanns seine scharf geprägte Eigen­art gibt. So wird die Eichendorffsche Landschaft schließlich konven tionell, sie wird aufgebaut wie eine Theaterkulisse, aber eben: auch mit der sicheren Wirkung einer solchen. Wir können uns dem Reize dieser Einheitlichkeit, dieser Geschlossenheit nicht entziehen. Immer wieder greifen wir zu den längst vertrauten Büchern und lassen uns von ihnen willig gefangen nehmen. Wir sißen mit im Reise­wagen und rollen im raschen Laufe der schwarzen ungeduldigen Roffe durch die laue Sommernacht. Der Vollmond steht über den Bergen, sein Licht hüllt die Gelände in einen milchigen Glanz, der Nachtwind rauscht leise in den Wipfeln. Es rührt sich geheimnis­voll im dichten Schatten, hinter den bergenden Stämmen. Aus den Fenstern des Schlosses, das vom Berge herabgrüßt, bricht festlicher Lichterschein... Wir reiten auf blanken Pferden in den leuchtenden Sonnenmorgen hinein. Hörnerschall, das Schmettern von Jäger­fanfaren erfüllt den ganzen Wald. Das Halali" kündet, daß das Wild, dessen Fährte wir nachgezogen sind, zur Strecke gebracht ist, und ein leuchtender Blick aus schönen Augen begrüßt die glücklichen Schüßen wie vor Zeiten die Sieger im Turnier.... Wir ziehen nach Burschenweise durch die Wälder, unter Liedern, hügelauf,