Für unsere Mütter und Hausfrauen
Nr. 7 O O O O O O O O
O O O O O O O O 1912
°°°° Beilage zur Gleichheit o
Inhaltsverzeichnis: Das Ewige. Von Wolfgang Goethe.- Verschollene Freiheitsdichter. Von Otto Wittner. Vom menschlichen Störper. III. Feuilleton: Eine Bescherung. Von E. Wierzbizki.
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Das Ewige.
Kein Wesen kann zu nichts zerfallen! Das Ewige regt sich fort in allen, Am Sein erhalte dich beglückt! Das Sein ist ewig; denn Gesetze Bewahren die lebendigen Schätze, Aus welchen sich das All geschmückt.
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Wolfgang Goethe.
Verschollene Freiheitsdichter
In der Kunst ist der Tod nicht der Abschluß eines Schicksals. Wenn der Kampf des Schöpfers geendet hat, fängt der des Werkés um seine Existenz erst recht an. Auf sich selbst angewiesen, steht es da ganz allein. Seine Wirkung wird nicht mehr gefördert und ge= fragen durch eine Folge neuer Werke. Das mitlebende Geschlecht, das durch allerlei persönliche Beziehungen mit dem Künstler verbunden war, stirbt ab. Er gehört nun jenem Zwischenreich an, in dem die seltsamsten Begräbnisse, Beisetzungen mit feierlichem Geleite und Einscharrungen im Winkel an der Mauer vor sich gehen, und nicht weniger seltsame Auferstehungen. Die Wandlungen im Urteil und Geschmack des Aufnehmenden entscheiden über solche Schicksale des Kunstwerkes. Und da diese Wandlungen bedingt sind durch die gesellschaftliche Entwicklung, so kann allein die materialistische Geschichtsauffassung jene Sonderbarkeiten, jenen Wechsel der künstlerischen Woden und Bewertungen erklären, die von jedem anderen Standpunkt aus als willkürlich und zufällig erscheinen. So sind bei den Schichten, die immer noch die Hauptkonsumenten unserer literarischen Produktion sind, zwei wichtige Literaturgattungen völlig in Mißkredit geraten: die politische Lyrik und der Zeitroman. Dies erklärt sich aus der sozialen Situation unseres Bürgertums. Der Zeitroman wie die politische Lyrik sind durchaus aktive, fämpfende, dem Leben zugewandte, unruhige Kunst. Das Bürgertum, das längst darauf verzichtet hat, die Alleinherrschaft im Staate zu erobern, denkt nur daran, sich zu behaupten, das Erworbene zu genießen, das Störende abzuwehren. Es liegt und besitzt und verdaut. Es hat den Pessimismus des bösen Gewissens. Es will seine Ruhe haben. Was sollen ihm Fanfaren und Aufrufe? Das sind verklungene, schwülstige Redensarten und Gemeinpläßlichfeiten. Was sollen ihm die Tatenfreudigkeit und die fampfesfrohe Einseitigkeit in der Charakteristik und künstlich verschlungenen Handlung des Zeitromans? Das sind Stimmungen und Wahrheiten von vorgestern, literarische Versteinerungen. Das Bürgertum will eingewiegt und eingelullt sein, nicht aufgereizt, es will gefielt und in Spannung verseßt sein, nicht ernstlich mit gesellschaftlichen und politischen Fragen beschäftigt werden. Und so hat man endlich Freiligrath mit allen literarischen Ehren eines „ Klassikers" feierlich beigesetzt, und Spielhagen, der seinen Ruhmi um mehr als ein Jahrzehnt überlebte, ist von allen denen, die ihn seit fünfundzwanzig Jahren nur noch mit Achselzucken begrüßten, mit Trauersaluten unter einem schweren Denkmal von Nekrologen bestattet worden.
Das weniger fest gebaute Lebenswerk so mancher Dichter ist durch diese Umwälzung der Gesinnung und Weltanschauung seiner Klasse verschüttet worden und versunken. Aber wie Freiligrath im Proletariat heute noch lebendig ist, das seinen Trotz und seine revolutionäre Leidenschaft teilt, können auch sie durch das Prole= tariat neues Leben empfangen, wenn sich ihre ruhenden Kräfte bei der Berührung mit den seinen wiederum entzünden.
Von zwei so Verschollenen soll hier gesprochen werden. Es sind die beiden Deutschböhmen Morib Hartmann und Alfred Meißner . Vierzig Jahre sind seit dem Tode des ersten, bald dreißig seit dem des zweiten verflossen. Ihre dichterische Schöpfung verstaubt in den Gestellen provinzialer Leihbibliotheken. Die neueren Literaturgeschichten erledigen" sie vornehm- oberflächlich in einigen Zeilen. Und nur selten erinnert sich ein Nachdrucker ihrer oder ein fleißiger Germanist, der Material für seine Differ
tation sammelt. Die Lebensschicksale der beiden befreundeten Männer liefen eine lange Strecke einander parallel. Beide haben in ihrer Jugend die Bedrückungen des absolutistischen Systems an sich erfahren, das in Österreich lückenloser herrschte als in den übrigen Staaten des Deutschen Bundes , und beide haben dieses System aufs grimmigste befehdet. Für beide war die Revolution von 1848 das folgenschwerste Ereignis ihres Lebens. Hartmann, der sich ebenso wie Meißner zunächst an der demokratischen Bewegung seiner engeren Heimat beteiligt hatte, wurde Mitglied des Frankfurter Parlaments, gehörte jener berühmten„ äußersten Linfen" an, dem„ Donnersberg ", ohne übrigens in dem politischen Getriebe hervorzutreten. Nach der Sprengung des letzten Restes dieser Volksvertretung, des Rumpfparlaments in Stuttgart , durch württembergische Dragoner ging er mit den anderen Radikaleu in die Verbannung. In der Schweiz , in England fand er ein Asyl, am längsten aber lebte er in Paris , wo er als Zeitungsforrespondent sein Brot erwarb. Der Krimkrieg mit seinen weitreichenden politischen Folgen zog den immer tatfrohen und beweglichen Mann wieder ins Weite. Konstantinopel , ein Stück Kleinasien , besonders aber den Kriegsschauplatz an der unteren Donau bcreiste und schilderte er als Berichterstatter. 1860 ist er in Italien , freudig bewegt als Beobachter Anteil nehmend an den Kämpfen der Nation wider den österreichischen Unterdrücker und die von ihm abhängigen Kleinfürsten. Auf diese neue revolutionäre Episode folgen ein paar Jahre friedlichen Gelehrten- und Schriftstellerlebens an der damals noch nicht zur Universität erhobenen Genfer Akademie. Die fortschrittliche Entwicklung der deutschen Zustände ermöglichte ihm dann die übersiedlung nach Stuttgart . Als das reaktionäre Systent in Österreich im Kriege von 1866 zusammenbrach, kehrte Hartmann in die Heimat zurück, nach zwanzigjähriger Verfolgung endlich„ begnadigt". Er trug aber schwer an der Formung der deutschen„ Einheit", die dem großdeutschen Demofraten bejammernswert dünkte. In Wien ist er dann 1872, kaum fünfzigjährig, gestorben, an einer Krankheit, deren Keim die Stra pazen an der unteren Donau gelegt hatten.
Viel einfacher und gradliniger verläuft das Leben Alfred Meißners, um dann jäh in einer tragischen Kurve zu fallen. Als Sohn eines geachteten Arztes und Enkel eines verdienstvollen Schriftstellers der zu Ende gehenden Aufklärungszeit, erhielt er cine sorgfältige literarische Bildung. Aber der Vater hätte ihn gern in seine einträgliche Praris eintreten sehen: er zwang dem Lyriker das medizinische Studium auf. Der Widerstand gegen den verhaßten Beruf trug auch dazu bei, die oppositionelle Stimmung Meißners zu vertiefen. Zugleich aber gab eben dieses Studium dem Dichter eine Fülle von Erkenntnissen, die dem einseitigen Literaten im österreichischen Vormärz nie geworden wären: seine Arbeit in Krankenhäusern, Entbindungsanstalten und Anatomien schärfte ihm den Blick für die sozialen Nöten der Zeit. Meißners politische Dichtung ist daher mehr als die seiner meisten Sangesgenossen von sozialen Gedanken und Stimmungen durchdrungen. Er brüstet sich geradezu mit dem„ Kotfleck cm Gewande", dem „ Demokratenwappenzeichen", und kofettiert ein wenig mit seinem Kommunismus, der einen damals freilich noch als neueste Mode in den Salons interessant machen konnte. Unter Meißners frühen Gedichten finden wir daher eine ganze Anzahl, die sich mit dem sozialen Aufbau der Gesellschaft beschäftigen oder mit der Armutsfrage", wie man das zu jener Zeit philanthropisch abschwächend zu bezeichnen liebte. Aber sein Erkenntnisdrang brachte ihn auch mit den Lehren Saint- Simons und Fouriers in Berührung. Der Einfluß ist unverkennbar in Meißners Balladenzyklus„ Ziska", deur ersten Teil einer geplanten Reihe aus der an romantischen Episoden reichen böhmischen Geschichte. Er zeigt sich hier in der Schilderung des Lebens der taboritischen Brüder, in der sozialphilosophischen Ausdeutung ihres demokratisch religiösen Dogmas:„ den Kelch für alle". Im Jahre 1848, während der Revolution in Prag , in Frankfurt , in Paris , ist Meißner nur Beobachtender, nicht MitHandelnder. Auch jetzt ist ihm der soziale Gehalt der Zeit deutlicher als den meisten. Eines seiner schwungvollsten Gedichte aus diesen Tagen bringt den tieftönenden Refrain:„ Das arme Volf will nichts als schwarzes Brot." Das Scheitern der Revolution traj ihn im Innersten. Er begann an allen Jdealen zu zweifeln, die er gehegt hatte. Stumpf und öde schien ihm die Zeit. Der Lyrifer verstummte. Seine epischen Pläne hatte er aufgegeben unter demt