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Für unsere Mütter und Hausfrauen

als Bäume, Tannennadeln, Sonnenschein, Mücken, Moos und graue Flechten. Die Luft zitterte vor Hize, und alles stand so still um sie her, daß sie sich fürchtete.

Und Martina, die ihr ganzes Leben lang im Walde gewohnt hatte, die den Fuchs in den Winternächten hatte schreien hören und den Wolf wie ein graues Phantom in der bitterkalten, stern= flaren Winternacht um den verschlossenen Stall hatte schleichen sehen, fürchtete sich zum erstenmal in ihrem Leben davor, allein im Walde zu sein. Es war, als stünden die Bäume zu nahe auf ihr, als würde es zu still um sie her, zu leer, zu öde, zu ruhig. Bitternd erhob sie sich, um zu gehen. Bitternd hing sie den Sack über ihre Schultern und nahm die Milchflache zur Hand. Zitternd stand sie und horchte auf dies tiefe Schweigen, das wie ein ein­ziges, schweres, von keinem Laute unterbrochenes Seufzen klang. Ihrer eigenen Schritte unsicher, ging sie weiter und blieb nicht eher stehen, als bis sie das Ufer erreicht hatte, wo der morsche Kahn lag. Hastig stieg sie ein und stieß vom Lande ab. Aber ihr deuchte, um sie her wäre es wie Hände, die sie greifen würden, sobald sie sich umwendete. Die Knorren im Walde, die Baum­wurzeln, die Steine, die alten, verwitterten Bäume, die moos­bewachsenen Felsblöcke und die Wachholderbüsche, die rund und buschig zu äußerst auf dem Berghang wuchsen, alle hatten sie Leben, und alle schwiegen sie, schwiegen so, daß sie die Luft mit ihrem Schweigen erfüllten und sich zu abscheulichen Gözenbildern wandelten, die in steinernem Schweigen ihre Not angrinsten. Nasch ruderte Martina über den langen, schmalen See. Sie hörte die Wildenten, die ihr Quarr- quarr hinter ihr her schrien, die Wildenten, die Jakob nie das Herz gehabt hatte zu schießen. Aber sie wandte sich nicht um, um nach ihnen zu sehen, sondern zog den Kahn ans Land und lief mehr, als daß sie ging, an den Erlen am Ufer vorbei und hinauf nach dem Haus. Es war, als wenn das Schweigen des Waldes hinter ihr herriefe und sie vorwärts jagte.

Im Haus lag Jakob in seinem Bette, wie er nun zwei Jahre lang gelegen hatte. Als Martina eintrat, schlug er nicht einmal die Augen auf, und, noch immer am ganzen Körper von dem Waldesentsetzen zitternd, ging die Frau zum Herd, füllte ihn mit Reisig und Zweigen und zündete Feuer an. Es leuchtete auf in dem dämmerigen Raum, in den die kleinen Fenster nur so wenig Tageslicht einließen. Aber bis hin zu dem Winkel, wo Jakobs Gesicht lag, drang der Feuerschein nicht, und von dem Plaz aus, wo Martina saß, vermochte sie nicht zu sehen, ob der Kranke noch immer schlief oder wach war.

,, Bist du's, Martina?" flang plöblich Jakobs Stimme aus der Ecke hinter dem Fenster. Du bist lang ausgeblieben."

" Ich war müde und hab im Wald gesessen und ausgeruht," er­widerte die Frau. Wie ist es dir heut gegangen?" ,, Wie alle Tage," kam die Antwort.

"

Jakobs Stimme klang so flar und mild, daß Martina näher­gehen und ihn ansehen mußte.

" Ich glaube, ich hab eine Weile geschlafen," sagte der Alte. ,, Das kommt daher, daß ich so lang allein gelegen und gedacht habe." ,, An was hast du denn gedacht?" fragte Martina. Sonderbar! Es war, als hätte der Wald sie bis ins Haus ber­folgt und das Entseßen mit sich gebracht.

Jakob wandte den Kopf, um besser zu sehen. Jetzt fiel der Feuerschein über sein Gesicht. Es war mager und grau, wie das eines Menschen, der das Licht der Sonne lange nicht gesehen hat. Aber die alten Augen glänzten.

Ich möchte gern die Sonne noch einmal sehen, eh' ich sterbe," sagte er. Ich habe die Sonne immer so gern gehabt, und den stillen See draußen mit dem Wald. Glaubst du, du könntest mich so weit tragen, wenn ich selber helfe, so gut ich kann?"

Martina ging zu ihm hin und setzte sich auf den Bettrand.

"

Was willst du draußen?" sagte sie.

Jakob sab sie an mit Augen, die auf einmal ganz seltsam klar wurden. " Ich will sterben," sagte er. Und du sollst mir helfen. Du brauchst dich nicht zu fürchten, weil ich dich darum bitte. Es kann nicht so schwer sein, zu sterben. Leben kann ich doch nicht länger. Und wenn ich fort bin, brauchst du nicht mehr im Ort herum­zugehen und für meinen Unterhalt zu betteln."

Wieder deuchte es Martina, als wäre das Entsetzen aus dem Wald ihr ins Haus gefolgt. Sie faltete die Hände. Es waren dürre, alte, eingeschrumpfte Hände. Sie verstand, was der kranke Mann wollte; lang, eh es gesagt war, deuchte Martina, hatte sie Jakob bitten hören wie jetzt; und durch das Fenster sah sie, wie die Sonne schien und wie still der Rohrsumpf lag.

" Du sollst mir in den Kahn hinunterhelfen," sagte der Alte, ,, und ihn in den See hinausschieben. Dann sollst du wieder heim gehen und nicht weitersehen."

Nr. 2

Jakobs Augen suchten die seines Weibes, unruhig wie die eines Kindes, wenn es um die Erfüllung seines höchsten Wunsches bittet. Und wie Martina so dasaß, kam es ihr vor, als fönnte es gar nicht anders sein. Das war es, womit der Wald sie erschreckt hatte, an dies hatte sie gedacht, als sie dort saß, wo das Torfmoor aufhörte und der Weg unter den Tannen emporstieg.

" Wann möchtest du es?" sagte sie ,, und Tränen tropften aus ihren alten Augen.

" Jetzt scheint die Sonne," sagte Jakob.

Und seine Stimme klang ungeduldig wie die eines Kindes, das nicht warten will.

" Zwei Jahre lang hab ich hier gelegen und nur an das gedacht." Da setzte sich Martina ans Fenster und dachte nach, so gut ihr Verstand es zuließ. Viel hatte sie nie in Büchern gelesen und viel wußte sie auch nicht. Lange saß sie so, und Jakob lag still und störte ihre Gedanken nicht.

Zuletzt stand Martina auf und sah, daß die Sonne noch am Himmel stand. Da nahm sie, ohne etwas zu sagen, ihren alten Mann, mit dem sie länger als ein Menschenalter zusammengelebt hatte, und richtete ihn im Bett auf. Hierauf trug sie ihn aus dem Hause und setzte ihn auf die Treppe. Er war mager und dünn ge­worden und war nicht schwer zu tragen. Da saß nun Jakob und sah auf Sonne und Wald und See und alles, was einst sein gewesen war. Wenn du jetzt kannst, so hilf mir weiter," sagte er endlich. Da trug Martina den ärmsten hinunter an den Strand und setzte ihn in den Kahn. Aber als sie das getan hatte, sant sie zu­sammen, nahm Jakobs Hand und vermochte nicht zu sprechen.

Schiebe jetzt den Kahn hinaus," sagte Jakob leise, und wenn du es getan hast, so geh wieder ins Haus hinauf und bleib nicht hier. Nimm dort das Buch und lies darin. Gott wird es schon ver­stehen, er, der weiß, wie es mir und dir ergangen ist."

Da nahm Martina Jakobs Hand und drückte sie zum Abschied. Dann stieß sie den Kahn vom Land und wartete am Ufer, bis er in tiefes Wasser hinaustam. Hierauf ging sie allein den Hügel hinauf, und als sie in die Stube tam, nahm sie ein altes Buch und versuchte darin zu lesen. Es war nicht die Bibel. Es war Thomas a Kempis . Aber für Martina waren diese beiden Bücher eins, und irgendwelche andere hatte sie nie besessen.

Halblaut las die alte Frau die unfaßbaren Worte des Buches. Es ging langsam und holperig, und die wohlbekannten Worte, die sie fand, waren ihr fremd. Zu ihrer Zeit lehrte man in den Schulen nicht viel, und das meiste von dem, was Martina gelernt hatte, hatte sie längst wieder vergessen. Ihre Gedanken wanderten über die Worte weg, und doch fand sie eine Art Trost in diesen frem­den Worten, vielleicht gerade deshalb, weil sie so wenig von ihnen verstand. Als sie genug gelesen hatte, stellte sie das Buch sorgsam auf das Regal zurüd. Dann ging sie wieder hinaus auf den Hügel und sah, daß der Kahn leer auf dem Wasser schwamm. Da setzte sich Martina am Ufer nieder, und was sie da dachte und sah, war mehr, als sie selber erklären konnte. Aber sie glaubte, daß sie an Jakobs Seele, an sich selber und an alles dachte, was sie beide mit­einander erlebt hatten. Fromm und einfältig betete sie ein Vater­unser über dem stillen Wasser, in dem sich der Wald spiegelte. Und als sie das getan hatte, ging sie wieder ins Haus hinauf, hängte reine Laken vor die Fenster und streute Tannenreis auf den Weg, der von der Treppe zum See führte.

Hierauf ging fie zu Bett und schlief zum erstenmal allein in dem Häuschen am Rohrsumpf.

Als Martina später in den Ort hinunterkam, um Hilfe für die Auffindung von Jakobs Leichnam und das Begräbnis zu holen, erzählte sie ganz einfältig alles, wie es wirklich zugegangen war. Aber alle glaubten, sie erzähle ein Märchen. Erst als die, die mit ihr gingen, die Laken vor den Fenstern sahen und fanden, daß der Weg von der Haustreppe zum See hinab bestreut war, konnten sie glauben, daß das Seltsame, das sie berichtet, Wirklichkeit war. Und als Jakobs toter Körper zuletzt angekleidet in dem Bett lag, in dem Jakob selbst so lange Jahre frant gelegen hatte, da standen viele um ihn herum, mehr, als je zuvor in dem niederen Häuschen ver sammelt gewesen waren. dit

Und alle begriffen, daß niemand zu wissen brauchte, was hier geschehen war. Was geschehen war, war das Geheimnis des Waldes, und keiner von denen, die es kannten, verriet, was er ge­sehen und gehört hatte, oder erzählte es im Ort. Denn was Mar­tina getan hatte, das hatte sie aus Einfalt und Not getan. Und es paẞte nur hierher, wo der Wald sich meilenweit erstreckte und wo der schweigende See den Wald widerspiegelte.

Berantwortlich für die Redaktion: Frau Klara Betfin( Bundel). Wilhelmshobe, Boft Degerloch bei Stuttgart .

Druck und Verlag von J. S. W. Dtes Nacht. G.m.b.8. in Stuttgart .