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„ Ich überlasse dich jetzt dir selbst. Strebe darnach, durch ernstes Nachdenken einen Ausweg aus diesem Labyrinthe zu finden. Du bist das Haupt der Familie, dir liegt es ob, Rath und Hilfe zu schaffen, ich als schwaches und leidendes Weib kann vorläufig nichts thun, als meine unglücklichen Kinder, die unschuldigen Opfer des Verhängnisses, auf diese gänzliche Aenderung ihrer sozialen Stellung vorzubereiten."
Damit entschwand das leidende Weib" den Blicken des ihr betroffen nachschauenden Mannes. Dieser erhob sich langsam und die mageren Glieder streckend, als wolle er sich überzeugen, daß der so plötzlich über ihn hereingebrochene Schicksalsschlag ihn nicht völlig vernichtet habe, sprach er mit resignirtem Lächeln: " Ich bin also das Haupt der Familie, und mir liegt es ob, Rath und Hilfe zu schaffen das ist eine nette Geschichte meiner Treu!"
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Als der Hofrath später in das Speisezimmer trat, erblickte er seine Gattin, umschlungen von den Armen ihrer Töchter; in Frau Edeltrud's großen grauen Augen glänzten Thränen, sie kam sich selbst vor wie Niobe wenigstens sagte sie dies dem gebeugten Gatten, der darüber sehr gerührt schien, aber doch mit einem Seufzer der Befriedigung nach der Thür sah, die eben von Rikens kräftiger Hand geöffnet ward.
Der sehnsüchtige Blick galt übrigens nicht den spärlichen Reizen der dicken Köchin, sondern der großen Suppenterrine.
" Jetzt ist jede Diskussion suspendirt" sagte sich der gleichfalls suspendirte Beamte, und da er zugleich der Ansicht war, daß Speise und Trank die besten Heilmittel auch gegen Seelenleid seien, griff er wacker zu.
Die trefflich zubereiteten Speisen mundeten jedoch nur dem Papa Hofrath und seinem jüngsten Sprossen, einem hoffnungsvollen Kadetten. Der kleine Adelhardt, obgleich der Stammhalter der Familie, dem die erschütterte soziale Stellung" derselben den Appetit hätte billig am meisten verderben sollen, hatte noch zu wenig Verständniß für die traurige Veränderung der Lage. Das selbe ließ sich von dem neunjährigen Röschen behaupten, einem guten, sanften Rinde, dem heut nur deshalb die Augen voll Thränen standen, weil Mama und Schwester Adelgunde so herzbrechend geweint. Arme Adelgunde, sie hatte freilich Ursache, ihre schmachtenden Vergißmeinnichtäuglein roth zu weinen nun war es ja noch viel zweifelhafter, daß Theobald, der heimlich Geliebte, sich zu der längst erwarteten Verlobung entschließen werde! Leider war der liebende Jüngling noch minorenn und der Papa Geheimrath" ein sehr praktischer Mann. Adelgunde, die sich dem verhängnißvollen Wendepunkte im Mädchenleben näherte, wo die Jungfrau zur alten Jungfer wird, besaß schon so viel Menschenkenntniß, um die Theilnahme, welche Freunde in der Noth zu erweisen pflegen, auf das richtige minimale Maß zu beschränken. Eine gestürzte Größe ist bei Hofe und wenn dieser Hof auch nur ein Höfchen ist und die Größe" eine bescheidene Null war, eine nur zur Hälfte tragische, zur Hälfte lächerliche, stets aber für die Kreise, in denen sich dieselbe zu ihrer Glanzzeit bewegte, eine unmögliche Figur.
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Dies fühlte sogar der Hofrath, wenn auch dunkel, und er wagte den Versuch, die Gattin dieser Anschauung zugänglich zu machen. Das Ehepaar hatte sich nämlich nach der ziemlich einfilbig eingenommenen Mahlzeit in das Arbeitszimmer des Hausherrn zurückgezogen, um noch einmal reiflich die nächsten Schritte zu überlegen, welche in dieser schlimmen Lage zu thun wären, um, wie Frau Edeltrud betonte, die Familienehre zu wahren und sich nichts zu vergeben.
„ Wir werden einigen Aufwand machen, eine große Gesellschaft geben müssen, vielleicht sogar wirklich eine Badereise unternehmen, Samit dein Austritt aus dem Staatsdienste auf natürliche Weise, durch deine Kränklichkeit, motivirt werde und die Lästerzungen gleich anfangs verstummen müssen."
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„ Gesellschaften- eine Badereise aber woher soll denn das Geld zu alledem kommen?" fragte das schüchterne Männchen. " Das Geld spielt stets nur eine untergeordnete Rolle, wenn die Ehre mit dabei in Betracht kommt."
Der Hofrath lächelte, er hatte seinen Shakespeare nicht umsonst studirt und hoffte die ihm sonst so überlegene Gegnerin durch ein klassisches Citat zu schlagen, deshalb fragte er jetzt auch achselzuckend:" Was ist Ehre? Ein Wort. Was steckt in dem Wort Ehre? Was ist diese Ehre? Luft. Ehre ist nichts als ein gemalter Schild beim Leichenzuge."
" Du hast wohl den Verstand verloren?" sagte gelassen die Hofräthin, als ihr Gatte endlich schwieg.
„ Verstand verloren wie so?"
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" Weil ein Mensch, den die Gnade Sr. Durchlaucht der obskuren bürgerlichen Sphäre entrissen hat, im Besize seiner fünf Sinne doch unmöglich so konfuses Zeug zusammenfaseln kann." Um die Lippen des Kleinen zuckte es, aber er erwiderte mit immer gleicher Sanftmuth:„ Ich sprach ja nur mit den Worten des großen Briten ."
Ob der Brite groß oder klein war," entgegnete Dame Edeltrud verächtlich, darauf kommt hier sehr wenig an, jedenfalls war er nicht von Adel und besaß in Folge dessen kein point d'honneur."
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,, Es ist wahr Shakespeare war nicht von Adel," murmelte der Hofrath.
Sie achtete gar nicht auf seine Einrede, sondern fuhr strenge fort: Laß uns zur Sache kommen. Triff die nöthigen Vorbereitungen, um unsere Ehre intakt zu erhalten. Wenn du übrigens auch einen Vorschlag zu machen hast, so rede frei, ich höre."
Der Hofrath räusperte sich, zupfte an seinen Manschetten, fuhr sich durch das spärliche, grauschimmernde Haupthaar, räusperte sich noch einmal und lispelte dann:„ Ich dach leicht das Beste wäre, Wolfsburg , sobald di zu verlassen und und"
Nun und vollende doch!"
" Es war nun so meine unmaßgebliche M " Freilich, deine Meinung ist immer unmaßge ich denn endlich erfahren, wohin du, nachdem den Rücken gekehrt, deine arme Familie zu ver ,, Nach nach Dohlenwinkel!"
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Er hatte das letzte Wort mit dem Aufgebote seines ganzen Muthes laut herausgestoßen, erschrak aber jetzt nicht wenig, als die Gattin nach einer kleinen Pause sich gleichsam von der Erstarrung, die sie befallen, erholt hatte und nun in ein kurzes gellendes Lachen ausbrach.
„ Nach Dohlenwinkel in dein heimathliches Nest, in den Kreis deiner plebejischen Verwandten unglaublich! Willst du dein Weib und deine armen Kinder morden- Barbar!?" „ Gott behüte mich davor es war ja blos meine unmaßgebliche"
Schweig!"
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" Aber Trudchen, so höre mich doch an. Gerade weil ich an das traurige Loos der armen Kinder dachte, die ohne Vermögen, ohne Connexionen in der Welt stehen"
Die Hofräthin schluchzte. Ja, ohne Vermögen, ohne Connexionen," wiederholte sie, verlassen von allen, sogar von dem eigenen Vater aufgeopfert und verrathen?"
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„ Nicht doch nennst du das aufgeopfert, wenn ich bemüht bin, meinen Kindern das Geld des Erbonkels zuzuwenden!" " Thörichter Wahn du wärst just der Mann dazu."
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Das Haupt der Familie" ging stillschweigend über diese wenig schmeichelhafte Bemerkung hinweg und zur Sache über. Warum sollte nicht ich oder meine Nachkommen dies Glück er ringen. Einer muß das Vermögen doch erben und der Onkel oder besser gesagt mein Bruder ist in voriger Woche 65 Jahre alt geworden!"
" Und du hast es natürlich nicht der Mühe werth gehalten, ihm in deinem und deiner Familie Namen zu diesem Geburtstage zu gratuliren ein guter Anfang, um die Gunst des alten Herrn zu erringen."
,, D, das wäre der falsche Weg; er ist mißtrauisch und argwöhnisch im höchsten Grade und würde in jeder ihm erwiesenen Aufmerksamkeit eine Spekulation erblicken."
Ich weiß, ich weiß, du erzähltest mir schon davon, nichtsdestoweniger bemühen sich aber alle deine Verwandten in Dohlenwinkel um die Wette, den Erbonkel für sich zu gewinnen."
,, Gewiß, nachdem er einem jeden von uns das feierliche Versprechen gegeben: daß die Erbschaft weder zerstückelt werden, noch einem Fremden zufallen solle, ist ein fieberhafter Wettstreit unter den Familienmitgliedern entbrannt. Der Erbonkel soll im Sturme erobert werden. Früher hielten die Verwandten zusammen, um fremde Eindringlinge zurückzuscheuchen; jezt erblickt jeder in dem andern den Erbschleicher, und ich glaube fast, nur Bruder Eusebius , der alte Student, das bemooste Haupt, ist sich gleich geblieben und sieht nach wie vor der Komödie ruhig zu, ohne Miene zu machen, eine Rolle darin zu spielen."
" Bu letzterem scheinst du jetzt nicht übel Lust zu haben?" Was thut man nicht der Kinder wegen!"