Die Zene Well
Illustrirtes Unterhaltungsblatt für das Volk.
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Preis vierteljährlich 1 Mark 20 Pfennig. In Heften à 30 Pfennig. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postämter.
II.
Erscheint wöchentlich.
1877.
Der Erbonkel.
Novelle von Ernst von Waldow.
( Fortsetzung.)
Es ist selbstverständlich, daß sowohl der Abgang von Wolfs-| ausgerichtet, doch ehe er eine Wohnung für dich miethen kann, burg , als die Uebersiedelung nach Dohlenwinkel, mit dem der Hofräthin nothwendig scheinenden Pomp inszenirt wurden.
Bu lezterem Zweck mußte Herr Sebaldus einen Brief an den Erbonkel schreiben, in welchem demselben der große Entschluß gleichsam als ein ihm gebrachtes Opfer dargestellt wurde. Die beigefügten Grüße der Schwägerin Edeltrud von Bartels, Geborenen von Reckenstein und der Nichten, wie des Neffen, waren bestimmt, den Erbonkel schon von vornherein für diese edlen Glieder des Bartels'schen Stammes günstig zu stimmen.
An Bruder Johann Bartels, den Möbelfabrikanten," re er jetzt von der Hofräthin genannt wurde, war noch die Bitte gerichtet: eine„ standesgemäße" Wohnung zu besorgen und dieselbe zum würdigen Empfange des hofräthlichen Mobiliars vorzubereiten. So schien denn alles auf das beste eingeleitet und alle Vorbereitungen, den Hausstand aufzulösen, waren getroffen, als, zu spät für die Ungeduld der Hofräthin, endlich aus Dohlenwinkel das längst erwartete Antwortschreiben des Erbonkels eintraf. Selbes stat in einem selbstfabrizirten, schief geschnittenen Kouvert, und war mit blaffer Tinte in großen Bügen auf graues, dices Papier beschrieben. Es lautete:
Lieber Bruder Sebastian!
Es thut mir leid zu hören, daß man dir den Abschied gegeben hat. Freilich ist es eine alte Wahrheit, daß Hofbeamte und Karrengäule gleich schlecht belohnt werden, daran hättest du denken sollen, als du in den Dienst des Herzogs tratest, wovon ich dich, jedoch vergebens, abzuhalten suchte.
Deshalb, mein lieber Sebastian, fühle ich mich auch durchaus nicht veranlaßt, dir irgend welche Unterstüßung angedeihen zu Lassen, was ich, um jede Irrung zu vermeiden, hier gleich anfangs
bemerke.
Was nun deinen Entschluß betrifft, nach Dohlenwinkel zu kommen, so fürchte ich, daß du, wie es heißt, die Rechnung ohne den Wirth gemacht hast. Auch werden die Umzugskosten schwer herauszuschlagen sein und dann der Heller gilt nur da, wo er geprägt wird. Aber du wirst dir ja als vernünftiger Mann und Hausvater alles dies reiflich überlegt haben.
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An unfern Bruder Johann, den Tischler( ich weiß nichts davon, daß er Möbelfabrikant" geworden) habe ich deine Botschaft
mußt du deine Wünsche, eine solche betreffend, genauer formuliren. Weder ich noch Johann wußten, was eine„ standesgemäße" Wohnung ist. Meiner Ansicht nach ist eine standesgemäße Wohnung die, welche man zahlen kann so sage uns denn, wie viel deine Mittel erlauben, darauf zu verwenden.
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Der Frau Schwägerin, sowie den Nichten und dem Neffen, von denen ich zum erstenmale Genaueres höre, meinen Gegengruß. Dein aufrichtiger Bruder
Jakob Bartels."
Der Brief dieses„ aufrichtigen" Bruders machte auf die Familie von Bartels natürlich keinen sehr angenehmen Eindruck.
Frau Edeltrud sprach von„ vulgären Krämerseelen, welche Höheres nicht zu würdigen verständen", und auch Herr Sebaldus
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recte Sebastian, wie sein Name ursprünglich lautete- schüt telte gar bedenklich das graue Köpfchen und murmelte trübe vor sich hin:„ er hat sich nicht verändert- immer noch der Alte." Die Hoffnung, das Erbe des Bruders für sich oder die Seinen zu erwerben, hatte sich sehr verringert.
Nur Adelgunde erklärte den„ Erbonkel" für ein Original und stellte die kühne Behauptung auf, daß es ihr zweifellos gelingen werde, seine Gunst zu erobern. Das arme Mädchen spann sich in romantische Träume ein und ersann immer neue Pläne, die alle zum Zweck hatten, den Sieg über die übrigen erbberechtigten Verwandten zu erringen.
Sie dachte es sich so schön, als die Besizerin fabelhafter Reichthümer wieder nach Wolfsburg zurückzukehren, vor den treulosen Geliebten hinzutreten und ihm zuzurufen:„ Du hast mich verschmäht, weil ich arm war, siehe, meine Liebe vergibt und will dich mit Krösus- Schäßen überschütten sei glücklich!"
Adelgunde hatte sich so fest in diese angenehme Vorstellung hineingelebt, daß sie oft sogar im Sinne der einen oder anderen Rolle, die sie heimlich sich zutheilte, auch im gewöhnlichen Leben sprach. Ihren Vater hatte sie schon verschiedene Male„ theurer Dheim", den Laufburschen Theobald" genannt und zu der alten Scheuerfrau sagte sie, als sie derselben einen zerrissenen Morgenrock und mehrere defekte Schuhe schenkte: sei glücklich".
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