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Es war an einem kühlen Herbstabend, als die N.'sche P futsche, ein alter, langer, gelb gestrichener Rumpelkasten, durch den grauen Thorbogen des Städtchens Dohlenwinkel rasselte.

Die engen und nicht eben sauber gehaltenen Straßen waren öde und menschenleer. Nur hier und da schritt noch ein ver­späteter Spazirgänger über das holperige Pflaster seiner Behau­sung zu, oder eine Magd, die am Rathsbrunnen einen fühlen Trunk zum Nachtmahl geholt, schlüpfte behende an den Häuser­reihen entlang, trotz der Eile noch einen schnellen Blick in das Innere der Postkutsche werfend und sich darüber verwundernd, daß selbige heut so gefüllt erschien.

Die gelbe Arche barg trotzdem nur vier Personen in ihrem Schoße: das Ehepaar von Bartels und dessen weibliche Sprossen. Der kleine Adelhardt war einer Militär- Erziehungsanstalt anver­traut worden und in Wolfsburg   zurückgeblieben. Frau Edeltrud hatte dies mit dem Aufgebot ihres ganzen Einflusses durchgesetzt, und der regierende Herzog in Gnaden dem einstigen Hofbeamten die nachgesuchte Freistelle für den Sohn bewilligt. So war doch wenigstens die Gefahr beseitigt, daß der Stammhalter der Familie Bartels gleich dieser in dem elenden Nest versauere- wie die Hofräthin seufzend gemeint.

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Jezt saß die gute Dame steif wie ein hölzernes Heiligenbild aber ohne Gnade auf dem hartgepolsterten Wagensize; sie war zwar todtmüde und ,, unmenschlich" hungrig, wie sie erst vor einer halben Stunde versichert, aber die Verpflichtung, den Dohlen­winklern zu imponiren, die Nothwendigkeit der Repräsentation gab ihr auch die Kraft, alle die kleinen Leiden des menschlichen Lebens mit herzhafter Geduld zu ertragen. Frau Edeltrud war eine Märtyrerin der Convenienz, und sie hätte besonders in ihrer Glanzzeit bei Hofe eher die Qualen eines indischen Säulen­Heiligen ertragen, als auch nur um Haaresbreite gegen die Eti­fette verstoßen.

Es war zu beklagen, daß der Heroismus der stattlichen Dame so wenig Anerkennung fand, denn selbst als der Wagen nun end­lich in dem schmutzigen Posthofe hielt, war auch nicht der Schatten eines Menschen zu erblicken, noch war irgend eine Vorkehrung getroffen, die Reifenden zu bewillkommnen.

Herr Sebaldus  , obgleich von der langen Fahrt gleichfalls sehr erschöpft, sprang indessen so behende aus dem geöffneten Wagen­schlag, daß die Vermuthung nahe lag, er wollte sich der immer peinlicher werdenden Situation durch schleunige Flucht ent­ziehen. Wirklich eilte er auch auf die Straße hinaus und spähte ängstlich, ob nicht endlich jemand nahe, der wenigstens als ein Abgesandter der Familie Bartels gelten und die säumigen Ver­wandten in den Augen der strengen Gattin hätte entschuldigen

können.

Indessen blieb diese noch immer mit der gleichen Grandezza im Fond der alten Postkutsche ſizen, ihr gegenüber Adelgunde, welche die gelösten Hutbänder knüpfte und den schmerzenden Kopf mit der Hand stüßte. Die kleine Rose blickte neugierig und er­wartungsvoll um sich und jetzt in das runzelvolle Gesicht des alten Postillons, der seine Kappe rückend mürrisch sagte:

,, Wollen denn die Madame nicht aussteigen, wir sind ja nun da, und der Wagen soll in den Schuppen."

Frau Edeltrud wandte dem Sprecher ihr Antlitz zu und auf demselben lag ein Ausdruck so großer Entrüstung, als hätte er ihr eben eine Liebeserklärung gemacht und den Antrag gestellt, mit ihm zu fliehen. Das ging ihr aber auch zu weit! Der Mensch muthete ihr, der Hofräthin von Bartels, geborenen Freiin  v. Reckenstein, zu, so ohne weiteres ihren Fuß in einen finsteren, schmutzigen Hof zu sehen, aus dem Wagen zu steigen, ohne daß sie von diesen erbärmlichen Kleinstädtern, welchen sie die Ehre erzeigte, unter ihnen zu wohnen, gebührend empfangen worden wäre! Und wo war denn er, der ,, unverantwortliche" Gatte und Vater, der die Seinen schutzlos den Brutalitäten ,, solcher Plebejer" überließ?

Adelgunde, der Mutter Aufregung bemerkend, mischte sich schnell ein. Ihre poetische Natur traf, wie sie wenigstens glaubte, auch im Umgange mit niederen Leuten stets den richtigen Ton.

,, Der brave Mann", sagte sie mit sanfter Stimme ,,, weiß ja nicht, was er spricht, er wollte dich sicher nicht beleidigen, liebe

Mama."

,, Na, da hört alles auf," unterbrach der Postillon, noch mehr erstaunt als verletzt. ,, Jch, der Martin Klehuber, soll nicht mehr wissen, was ich rede? Da müßte ich doch betrunken sein und ich fann Ihnen versichern, Mamsellchen, daß ich so nüchtern bin, wie eine Fastenbrezel. Uebrigens milffen Sie das selbst am besten

wissen, da mir der Herr Papa auch nicht das kleinste Glas Bier unterwegens hat einschenken lassen. Kurios genug aber ist's, daß Sie hier, wie mir scheint, in der Postkutsche übernachten wollen." Die Hofräthin unterbrach den Redestrom des ehrlichen Martin Klehuber.

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, Enden wir diese empörende Szene", sprach sie würdevoll, indem sie sich langsam anschickte, den Wagen zu verlassen.

Glücklicherweise erschien in diesem Augenblick Herr Sebaldus in der Einfahrt des Hofes und beeilte sich, der erzürnten Dame seine Hilfe anzubieten, die ihr auch sehr nothwendig war, denn sie stützte sich bebend auf des Gatten Arm und stieß abgebrochen hervor: ,, Nur fort von hier in das erste beste Hotel.

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Das graue Männchen war dadurch völlig konsternirt und wiederholte, fast maschinenmäßig, sich fragend zu dem Postillon wendend: ,, Wo ist denn hier ein Hotel?"

,, Ein Hotel?" murmelte Martin, sich hinter den Ohren krazend ,, ein Hotel?" dann erleuchtete ein Blizz des Verständnisses seine gefurchten Züge und er sagte: Ah, darum auch! Na wissen Sie, lieber Herr, aus der Geschichte ist ja nichts aemora lich war der Grund schon gegraben, aber es ist zu früh ausgegangen, da haks der Fleischermeis Billiges gekauft. Was sollten wir denn auch hier i mit einem Jrrenhause. Da hat man Sie falsch be sind nun gewiß recht weit hergereist gekommen 1 Madame!"

Bei diesen letzten Worten warf der ehrliche M einen halb scheuen, halb mitleidigen Blick auf das der Hofräthin.

Herr Sebaldus brach in ein gezwungenes, krampfhaftes Lachen aus, dann entgegnete er schnell:

,, Ah, das ist ein Hauptspaß. Ich glaube gar, der gute Mann hält uns für Kranke, die"

,, Aber Sie wollten ja in ein Hotel," warf der Postillon ver­legen dazwischen ,,, und die Anstalt von dem Doktor Meyer hatte auch so einen französischen   Namen."

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,, Kann sein wir wollen allerdings in ein Hotel- das ist ein Gasthaus- verstehen Sie, lieber Freund," mischte sich die sanfte Adelgunde ein ,,, wo ist denn das erste hier in Dohlen­winkel?" so, in ein Gasthaus ,, SD  ja, warum haben Sie das denn nicht gleich gesagt, Mamsellchen. Und in das erste wollen Sie, nun, das hätten Sie bequemer haben können, da sind wir vorbeigekommen. Das erste ist gleich beim Thor, das ist aber nur eine Fuhrmannskneipe."

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Frau Edeltrud zuckte zusammen, aber sie erwiderte nichts. er Hofrath wartete es nicht ab, bis sie die Sprache wieder er­halten, denn den Irrthum des Postillons schnell gewahrend, rief er: ,, Nicht der erste- der beste Gasthof welcher ist das?"

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" So, der este! Na, das ist doch natürlich der ,, Schwarze Wallfisch", justament gegenüber, spaziren Sie nur hier durch das Thor, da drüben ist's, wo der Hausknecht jetzt die Laterne an­zündet. He, Christian, der ,, Wallfisch" kriegt Gäste, komm er hernach auf einen Sprung herüber und helf' er mir das Gepäck vom Wagen laden. Wird Ihnen alles prompt auf die Stube gebracht werden," schloß er, indem er dem kleinen Röschen, das von den übrigen ganz vergessen worden war, aus dem Wagen half.

Die fleine Rose erreichte die Ihrigen eben noch, als diese über die ebenfalls nicht sehr saubere Schwelle des Gasthauses zum Schwarzen Wallfisch" schritten.

Doch brachte der vorerwähnte Hausknecht des besten Hotels in Dohlenwinkel den Gästen ein wohlthuendes Verständniß entgegen.

Die hochmüthige Miene, mit welcher Frau Edeltrud seinen Gruß ignorirt, flößte ihm jedenfalls Respekt ein, und so führte er denn die vornehmen Reisenden sogleich über die matt erleuchtete Stiege in das erste Stockwerk des Hauses, öffnete dort eines der besten Gastzimmer und rief mit lautschallender Stimme: ,, Rieke

Rieke!"

Als die Gerufene, das Stubenmädchen, erschien, empfahl er sich und machte nun erst seinem Herrn eine Mittheilung von dem großen Ereigniß.

Die Hofräthin hatte sich indessen in die weitausgebreiteten Arme eines großen Lehnstuhls sinken lassen und räusperte sich vernehmbar. Diese leisen Anzeichen eines bevorstehenden Sturmes flößten dem Gatten eine sehr gerechtfertigte Besorgniß ein, und in dem Bestreben, dem tiefverlegten Gemüthe der geborenen Fretin