Dr. Samuel

( Schluß.)

Nach Vollendung seiner Studien bei Hauy   in Paris  , dem Stifter des ersten Blinden  - Institutes, im Sommer 1832, begann Howe in Boston   sein erste Thätigkeit als Blindenlehrer, und zwar mit auf der Straße aufgelesenen Kindern, zuerst blos sechs an der Zahl, welche aber rasch anwuchs.

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Sein Werk war indeß ein viel edleres und umfassenderes, als das Hauy's, der blos darauf abzielte, den Blinden doch einigen Unterricht zu ertheilen. Er hatte die kühne Idee durchdacht, den fehlenden Gesichtssinn durch die übrigen Sinne möglichst und zwar soiveit zu ersehen, daß jeder Blinde ein sich selbst erhaltender, freier und gleicher Mensch, ein Gebildeter auf der Höhe seiner Zeit werden sollte. Dazu bedurfte es einer ganzen Anzahl neuer Erfindungen außer den schon gemachten wenigen, einfachsten; und diese hatte er größtentheils selbst zu erdenken und mit eignen Händen herzustellen, weil die Geldunterstützungen für seine Anstalt anfangs sehr spärlich flossen. Es galt, alle Werke zu studiren, welche über sein neues Fach, über Physiologie und alle den Menschen behandelnden Wissenschaften zu haben waren. Es galt Künste, Handwerke und sonstige Beschäftigungen zu finden, in welchen Blinde genau soviel oder mehr leisten könnten als Sehende, und sie den Blinden zu lehren. Es galt tüchtige Ge­hilfen zu wählen und anzuleiten, wie sie unterrichten müßten, um mindestens zehn verschiedene Broterwerbszweige zu lehren, und einige Fabrikgebäude, sowie einen Verkaufsladen zu errichten, in welchen preiswürdige Waaren geliefert würden, so daß dabei den Blinden aller Reingewinn zufiele. Es galt, eine große Anzahl tüchtiger Lehrer und Leiter für alle Blindenanstalten der Ver­ einigten Staaten   in seinem Sinne auszubilden, damit seine Idee und Praxis nicht nach oberflächlicher amerikanischer Art verwässert würde. Und bis er dieses Ziel erreicht hatte, bis er zugleich die Theilnahme aller empfänglichen Mitbürger für das selbe gewonnen hatte eine in Amerika   trotz allem damaligen Gemeinsinne eine sehr schwere Sache gab er sich nur diesem einen Streben hin und vertagte alle seine sonstigen Reformpläne. Nachdem er es aber erreicht hatte, unternahm er eine weitere Reise durch Europa  , um den Taubstummen-, Blöd- und Wahn­finnigen- Unterricht, die Reformbestrebungen im Gefängnißwesen und das gesammte Schulwesen überhaupt genauer kennen zu lernen. Zum Reisegefährten wählte er sich außer einer eben heimgeführten Gattin- einer der gebildetsten und edelsten Frauen des Landes den nachher als Schul- Reformator unvergeßlich gewordenen Horace Mann  , dessen spätere Schulverbesserungs­pläne er auch vielfach unterstützt hat. Kurz vorher jedoch hatte er ein Kunststück erfunden, welches sofort seinen Namen ter allen Menschenfreunden Europa's   berühmt gemacht hatte. Er hatte die blind und taub geborne Laura Bridgman  , welche obendrein einen sehr schwachen Geruch- und Geschmacksinn zeigte, ein blutarmes elfjähriges Mädchen, soweit unterrichtet, daß sie von anderen weiter unterrichtet werden und fast so sehr als ein vollsinniger Mensch lernen und sich nüßlich machen konnte. Welche Erfindungen dazu gehörten und welche liebevolle, unermüdliche Geduld, das ist von ihm in der allerbescheidensten Weise in einem besondern, auf vieles Verlangen geschriebenen Buche auseinander­gesetzt worden; es hier zu beschreiben, ist ganz unmöglich, unsere denkenden Leser aber werden sich das vorstellen können. In Europa   drängten sich zu seiner Bekanntschaft nicht blos die edlen, fortschrittseifrigen Menschen, sondern auch die Vornehmen und Hochgestellten. Er aber ging den letzteren aus dem Wege, wäh­rend er zu ſehr vielen der ersteren in genaue Beziehung trat. Nirgends und nie hat er den Demokraten, ja, den Sozialdemo­fraten verleugnet. Er war ja nicht blos ein Kopfarbeiter, sondern verdiente gutentheils seinen Lebensunterhalt als Handarbeiter. As Kunstgärtner in seinem Garten verbrachte er jede freie Stunde und erzielte mit seinen feinen Obst- und Beerensorten, Trauben und Gemüsen, Blumen und Sträuchern soviel Neben­einnahme, daß er mit dem Ertrage einer dürftigen Erbschaft und einem sehr bescheidenen Gehalte als Staatsbeamter ein gastfreies Haus halten konnte, in welchem man früher oder später alle Männer und Frauen, auf welche Amerika   wirklich stolz sein fann, kennen lernen mochte. Die Reise dauerte vom Sommer 1843 an anderthalb Jahre und erstreckte sich bis Griechenland  , wo Howe seine Ansiedlung besuchte. Da ihm aller Personenkultus verhaßt war, nannte er nirgends seinen Namen, wurde aber

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überall wiedererkannt und hatte viele stürmische Versuche, ihn zu B verherrlichen, abzuwehren.

Kaum war Howe nach Massachusetts   zurückgekehrt, so nahmen ih die beginnenden Kämpfe um Abschaffung der Negersflaverei rei ihn noch neben seinen vielseitigen Erziehungszwecken in Anspruch, R und er schloß sich nicht nur den Abolitionisten an, sondern re- we digirte ein Jahr lang eine Wochenschrift in sklavereifeindlichem vi Sinne und blieb bis zur Abschaffung der Negerknechtschaft wohl der wirksamste, wenn auch nicht der lauteste Agitator dafür, G außer wo die Gefahr am größten war und fühne That geboten. au Sein Werk vorzugsweise war Ehs. Summer's Erwählung in le den Senat der Vereinigten Staaten  ( achtzehn Jahre lang), ferner au die Befreiung des Territoriums und Staates Kansas   mit Waffen- in gewalt und die Sammlung der Geldmittel zu John Browns B Versuch eines Negeraufstandes in Virginien  , welcher nicht verun- Re glückt wäre, hätte nicht eine Anzahl unzuverlässiger Mitverschworner öff Verrath gedroht und ein verfrühtes Losschlagen veranlaßt. So ve sehr er sich nun auch bei alledem im Hintergrunde hielt, um seinen Erziehungszwecken nicht zu schaden, sowie aus Haß gegen me alle Rollenspielerei, so war seine Hand doch überall zu erkennen, ret und er erwarb sich die bittre Feindschaft der Sklavenhalter- und Ve Geld- Aristokratie, welche gerade in Boston   höchst mächtig war. Ar Und diesem Hasse ist das Mißlingen mehrerer seiner schönsten E Pläne zuzuschreiben.

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So z. B. gelang es ihm nicht, die deutsche Art des Taub- ab stummen- Unterrichts gegenüber der französischen   in Amerika   ein- ga zuführen, obschon er selbst wieder eine Anzahl taubstumme Kinder mi soweit unterrichtete, daß er mit ihnen gelungene öffentliche Vor- An stellungen geben konnte; und noch heute herrscht in den Vereinig: der ten Staaten die französische   Lehrweise. Nach dieser lernen die wi Schüler mit den Fingern sprechen, können also blos mit solchen ab nüßlich sich unterhalten, welche diese Fingersprache ebenfalls ver­stehen, während nach der deutschen sie laut sprechen und an den Gesichts- und Halsmuskeln die Sprache andrer absehen und ver­stehn, also mit jedermann umgehn können. Als er vollends den Blödsinnigen Unterricht befürwortete und die von ihm selbst mit blödsinnigen Kindern erzielten Erfolge öffentlich vorführte, ergoß sich eine Sintflut des billigsten Spottes über ihn, und es dauerte Jahre, bis er Staatsunterstützung erlangte, um ein Blödsinnigen­Institut für alle betreffenden Kinder des Staates zu errichten ( 1848), nach dessen Muster später alle ähnlichen Anstalten in der Au Union eingerichtet wurden. Seinen unermüdlichen Anstrengungen fei ist es auch zu danken, daß eine gründliche Statistik aller Un- so vollsinnigen und Schwachsinnigen im Staate Massachusetts   unter- lidh nommen und von ihm geleitet wurde, wobei das Hauptgewicht Bu auf Ermittelung aller Ursachen, welche zu diesen angeerbten und zu anerzogen Schwächen führen, gelegt wurde. Dieses überaus ver- ihr dienstliche und in vieler Hinsicht wissenschaftlich bahnbrechende die Werk het klar bewiesen, daß alle diese Sinnes- und Geistes- die schwächen theils vor, theils nach der Geburt heilbar sein wo müssen.

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Wir müssen uns mit seinen übrigen Reformbestrebungen furz bie fassen. In engeren Kreisen wurde seine fast beispiellose Menschen hu kenntniß und ökonomische Weisheit immer gewürdigt, womit er we geringe Mittel große Frucht tragen ließ und sich in der Wahl ber seiner Gehilfen und Pläne wohl selten vergriff. Er war der där Vertrauensmann der kleinen Zahl Wohlhabender, welche nicht in selbst fruchtbare Wohlthaten zu erweisen verstanden, und durch zw seine Hände gingen ansehnliche Summen, womit arme aufstre bei bende Talente, freiheitliche Zwecke und verschämte Noth unterstützt En wurden. Governor Andrew, dieser unerseßliche Mann am rechten rid Plaze, der zweimal im Bürgerkriege das größte Unheil abwandte, machte ihn 1865 zum Vorsitzenden der Staats- Wohlthätigkeits- S behörde und gab ihm so endlich Gelegenheit, Gefängnisse und Armenpflege im sozialdemokratischen Sinne zu regeln. Die von im ihm aufgestellten acht Grundsätze sollten, wie seine Leichenredner He fast alle hervorhoben, mit goldnen Buchstaben über der Thür Ei jeder staatlichen Reformanstalt stehen. Sie wurden auch solange der wirklich durchgeführt, als Howe die Anstalten selbst beaufsichtigen die konnte; es ist eine Schmach, daß in andern Händen sie alle ru wieder unbeachtet blieben.

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Im Jahre 1863 wurde Howe, zusammen mit den bekannten sch Sozialisten Robert Dale Owen   und James McKay von der wi