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Von W. Wiffich*).
Die Sänger der ersten Blütheperiode deutscher Literatur waren verstummt, das Ritterthum, welches wie Parzival begonnen hatte, um wie Tristan zu enden, war verfallen. Wieder trat eine allgemeine Sprachzersplitterung ein, jeder sprach und sang wieder in lokalen Tönen und Lauten: die großen Stoffe waren erschöpft und das Interesse an ihnen erloschen, die Form ward immer gleichgiltiger behandelt, und die an Stelle der ritterlichen Sänger tretenden Meistersänger mit ihren Reguln und Tabulaturen machten die Poesie zu einem bloßen Handwerk; aber bald fand sich in der schwarzen Kunst", die der Deutsche Gutenberg erfand ein neues fräftiges Bindemittel. Lange zwar zeigen die Bücher verschiedener Druckorte sehr starke sprachliche Verschiedenheiten. Vielleicht hätte die große Verbreitung der Druckschriften durch fast alle deutschen Lande von selbst und allein wieder eine Sprach einigung hervorgebracht, aber es sollte noch einmal eine große Bewegung die Geister anfrütteln und sie anspornen zu erhöhter Regsamkeit.
Eine neue Zeit war heraufgekommen über unser Vaterland. Die Erfindung des Schießpulvers hatte dem Ritterthum endgiltig den Todesstoß versetzt. Eine neue Gesellschaftsgruppe, das Bürger thum, war schon lange ans Licht getreten und wuchs immer mehr an Bedeutung. Ein neuer fruchtbarer Gewitterregen entlud sich über Deutschland : die Reformation. Es ist hier nicht der Ort, geschichtlich Entstehung und Verlauf derselben zu erörtern. Da wir es nur mit der sprachlichen Seite des Lebens jener Tage zu thun haben, sei erwähnt, daß unter den verschiedenen Dialekten jetzt das Mitteldeutsche unter dem Namen der obersächsischen oder meißnischen Mundart die Hauptrolle übernahm.
Hier ist nun der Ort, wo Luther's Thätigkeit auf diesem Gebiete etwas näher ins Auge zu fassen ist. Die Urtheile über seinen Charakter und die Rolle, die er in der Geschichte gespielt hat, laufen ganz bedeutend weit auseinander, wie es die Natur der Sache mit sich bringt, ja sie stehen sich meist einander gradezu ausschließend gegensätzlich gegenüber. Die Zeitgenossen Luthers sowohl, wie die meisten seiner Lebensbeschreiber zerfallen in absolute Verehrer und absolute Gegner: seine damaligen Gesinnungsgenossen und Glaubensbrüder verehrten ihn als den„ Mann Gottes" schlechthin, während seine katholischen Gegner in ihm natürlich einen übermüthigen Narren, ja den Beelzebub selbst sahen. Die Wahrheit dürfte hier, wie bei allen derartigen Streitfragen auf feiner der beiden entgegengesetzten Parteien, sondern grade in der Mitte zu suchen und zu finden sein. Wenn man das revolutionäre Element, welches sich gegen die von Rom ausgehende Geisterknechtung aufbäumt, voll und ganz anerkennen und würdigen muß, fann man doch andererseits nicht leugnen, daß der Mann, der im Bauernkrieg 1525 den Fürsten rieth, die Aufrührer todt zuschlagen wie die tollen Hunde, der empfiehlt, auf Befehl der von Gott eingesetzten Obrigkeit wider seine Vernunft zu gläuben, daß zweimal zwei fünf ist, entweder ein sehr enger Kopf oder ein stark macchiavellistisch angelegter Charakter in seinen politischen Aften und Aeußerungen war. Mit diesen Dingen haben wir es jedoch hier nicht zu thun; wir behandeln den Uebersetzer, Publizisten und Sprachbildner Luther, der nur sein D. M. L.( Doktor Martin Luther ) auf den Titel seiner Trattate und Flugschriften zu setzen brauchte und damit jedem lesenden Deutschen jener Tage seine Autorschaft zur Genüge angezeigt hatte. Und dem Schriftsteller Luther müssen wir ein äußerst hohes Verdienst um unsere Literatur und besonders um unsere einheitliche Sprache in ihrer neuhochdeutschen Gestalt zugestehen.
Sleidanus, der Zeitgenosse und erste Geschichtsschreiber der Reformation, läßt sich höchst anerkennend über Luther's Sprache vernehmen: er habe zu dem tüchtigen Sinne stets das treffende Wort gefunden, ein feines Kunstgefühl an den Tag gelegt und die deutsche Sprache auch glücklich bereichert. Die meisten Schriftsteller jener Zeit, selbst die Verfasser von Streitschriften gegen Luther konnten sich auch dem übergewaltigen Einfluß der Sprache ihres Gegners nicht entziehen; da sie in ebenso weiten Kreisen, wie dieser, gelesen und verstanden sein wollten, mußten sie wohl oder übel betreffs der Sprache den von Luther so glücklich gefundenen und eingeschlagenen Weg betreten. Dafür diene als
Beleg, daß die Jesuiten , gewiß die erbittertsten Gegner alles dessen was von Luther fam, in ihren Schulen im deutschen Unterricht schon im 16. Jahrhundert die 1578 verfaßte Grammatik des Johann Clajus zu Grunde legten. Der Titel, welcher ursprünglich( lateinisch) lautete:" Deutsche Grammatik des Magister Johannes Clajus aus Hirzberg, aus den Bibeln Luthers und seinen anderen Schriften zusammengestellt," wurde freilich dahin geändert, daß der Luther wegblieb; das Lehrbuch blieb in den Jesuitenschulen in Gebrauch bis ins 18. Jahrhundert hinein. Zuerst ward Luther bewußt als Autorität in sprachlichen Dingen aufgestellt( 1531) von dem Schlesier Fabian Frangt, der ein grammatisches Werk verfaßte mit dem Titel„ Teutscher Sprach Art und Eigenschaft, Orthographie, gerecht und buchstabig Teutsch zu schreiben." Besonders bedeutend ist für uns dieses Werk, weil darin zum ersten male die Schriftsprache den Mundarten scharf gegenüber gestellt wird. Der Verfasser lehrt, zu einer„ rechtförmigen teutschen Sprache" gehöre nicht nur das Meiden von Provinzialismen, d. h. mundartlichen Eigenthümlichkeiten und Auswüchsen in Wortform und Sagfügung, sondern man müsse auch immer anerkannte Muster vor Augen haben und als solche stellt er hin Kaiser Maximilians Canzlei und dieser Zeit D. Luthers Schreiben."
Ganz verkehrt wäre es, zu glauben, Luther habe sich eine ganz absonderliche Sprache aus eigner Machtvollkommenheit geschaffen; am schlagendsten sprechen dagegen zwei bekannte Aeuße rungen von ihm selbst. In den Tischreden" bemerkt er gelegentlich ausdrücklich: Ich habe keine gewisse sonderliche eigene Sprache im Deutschen , sondern brauche der gemeinen deutschen Sprache, das mich beide Ober und Niederländer verstehen mögen. Ich rede nach der sechsischen Cangley, welcher nachfolgen alle Fürsten und Könige im Deutschland . Alle Reichsstedte und Fürstenhöfe schreiben nach der Sechsischen und unseres Fürsten Cangley. Darumb_ists auch die gemeinste Deutsche Sprache. Kaiser Maximilian und Churfürst Fridrich, Herzog zu Sachsen haben im Römischen Reich die deutschen Sprachen also in eine gewisse Sprache gezogen." Mit welchem Recht er Friedrich den Weisen nennt, steht noch dahin; daß aber der auch literarisch thätig gewesene Maximilian genannt wird, hat seinen guten Grund in der grellen gegensätzlichen Stellung, welche dessen Nachfolger Karl V. zur deutschen Sprache einnimmt. War es doch dieser Karl der Hispanier", wie ihn die Deutschen nannten, der die schrecklichste Verwelschung über unsere Muttersprache heraufbeschwor, er, der erklärte, deutsch rede er naig mit seinem Pferde! Freilich fragt sich, ob er auch nur so viel Deutsch konnte, da seine Kenntnisse auf diesem Felde nur aus aufgeschnappten Brocken der garstigen Brabanter Mundart bestanden haben dürften, welchen Schaß er auf den Straßen seiner eigentlichen Residenz und Reichshauptstadt Bruxelles" ( Brüssel) erworben hatte. Seine private und geschäftliche Correspondenz führte er lateinisch, spanisch, meist französisch, nur seine lieben Vetter und Gefreunde", die Mecklenburgischen Herzöge beglückte er mit Handschreiben in der Sprache, deren er sich im Umgang mit seinem Pferde bediente, vielleicht nicht ohne damit anzudeuten, daß sie ihm auch auf einer dementsprechenden Werthstufe stehend erschienen. Thatsächlich hat dieser Karl ja auch keine einzige der großen Hoffnungen erfüllt, welche ganz Deutschland bei seiner Wahl auf ihn gesezt hatte.
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Die andere Bemerkung Luthers , welche uns Licht gibt für dessen Sprachbehandlung, findet sich in dem„ Sendbrief vom Dolmetschen", von der Ueberseßerkunst. Ein wichtiger Zug ist es, daß er die lebende Sprache, wie sie auf dem Markte und in den Straßen. an sein Ohr schlug, zu Rathe zog beim Uebersetzen und aller schriftstellerischen Thätigkeit, sowie auch beim Predigen. Darüber sagt er:„ Man muß nicht die Buchstaben in der Lateinischen sprachen fragen, wie man soll Deutschen reden, das thun die, Buchstabilisten', sondern man muß die Mutter im Hause, die Kinder auf der Gassen, den gemeinen Mann auf dem Markt darumb fragen, vnd selbigen auff das Maul sehen, wie sie reden vnd darnach dolmetschen, so verstehen sie es dann vnd merken, das man deutsch mit inen redet." ( Fortsetzung folgt.)
*) Diese Abhandlung knüpft an eine Arbeit desselben Verfassers an: ,, Ueber die deutsche Spracheinigung bis zum Mittelalter", welche sich in den letzten Heften des eben beschlossenen Jahrgangs befindet.