"

Luthers   unmittelbare Schüler gaben meist, wenn sie in's Amt" tamen, ihre heimische Mundart zu Gunsten der in Witten  berg erlernten sächsischen, in der das Wort lauter nnd rein ge= lehret ward", ganz auf und wirkten in der Ferne wieder auf weitere Kreise als Pioniere der lutherischen Lehre und, was uns angeht, der lutherischen Sprache. So gewaltig schritt diese Strö mung nach allen Seiten vorwärts, daß im Jahre 1574 ein Böhme, Benedikt Edelbeck, des Erzherzog Ferdinanden zu Dester­reich Britschmeister," in der Beschreibung eines 1573 zu Zwickau  abgehaltenen großen Schießens" entschuldigend in der Einleitung sagt:

"

Wem dis büchlein kompt zuhandt,

Den bit ich, wolt mir lassen nach, Mich nicht urtheile in*) meiner sprach, Die ist nicht nach der Meischnischen arth, In Osterreich   ich teudsch gelerndt wart.

Es wer mir ein schwere sach,

Solt ich gefolgt haben jedes Lands sprach, Das wer mir ja nicht möglich gewesen,

Drumb wolt Ostreisch für Meischnisch lesen."

Aber doch nicht ohne mancherlei Anfeindungen zu erfahren, wandelte das lutherisch- sächsische Hochdeutsch seine Siegesbahn bis zur allgemeinen Giltigkeit: es wurde nachdrücklich dagegen an­gekämpft, doch, wie die Folge gelehrt hat, vergeblich. Da war es zunächst Huldrich Zwingli, der sein obertoggenburger " Schwizerdütsch  " in seinen Schriften festhielt, worin ihm natürlich seine Anhänger folgten. Aber obgleich der schweizer   Reformator uns stellenweis mehr anmuthet, weil er energischer und gründ­licher auch in das gesellschaftliche Leben umgestaltend einzugreifen sich bestrebte, so war seine Mundart doch nicht geeignet, einer wirklichen Einheitssprache zugrunde gelegt zu werden, schon aus dem einfachen Grunde nicht, weil eine solche leichter aus der räumlichen Mitte der gleichsprachigen Gesammtheit, schwerlich aber aus dem äußersten Winkel mit Erfolg angebahnt und durchgeführt

werden konnte.

Blicken wir nach dem Norden und Westen Deutschlands  , so sehen wir auch dort in dem Norddeutschen einen Konkurrenten sich erheben. Unter Luthers   eignen Augen besorgte dessen Freund Buchenhagen Uebersezungen oder Umschreibungen der Bibel, der Katechismen, der Postille und anderer Hauptschriften in die nieder­deutsche( plattdeutsche) Mundart. Daneben aber finden wir viel häufiger das Umgekehrte, daß Niederdeutsche in der Sprache Luthers   schreiben, ebensowie fast alle seine Schüler und Anhänger; so nennen wir hier nur den einen Johannes Arnd, der auch schriftstellerisch einer der bedeutendsten Männer auf diesem Felde

*) verurtheile wegen.

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der Literatur war.

Auch dort las das Volk den Luther lieber

in seiner mitteldeutsch- meißnischen Sprache.

Den

Die letzte niederdeutsche Bibelausgabe erschien 1621, während schon seit 1540 Staatsschriften, Verordnungen und andere offi­zielle Aufzeichnungen hochdeutsch verabfaßt wurden. Eine Lite­ratur von selbständiger Bedeutung haben auch die späteren Leistungen in jenem Idiom nicht mehr erlangen können. durchschlagendsten Beleg aber für die Allgewalt der Luther'schen Sprache bietet uns ihr sieghaftes Vordringen sogar bis nach dem skandinavischen Norden, nach Dänemark  , Schweden  , welche bei­nahe ihre eigne Sprache zu Gunsten der Luther'schen aufgegeben hätten.

Diese ganze Zeit hielt übrigens, abgesehen von vereinzelten Erscheinungen, dafür, daß das Deutsche   jedenfalls nicht geeignet sei, als Sprache der Wissenschaft zu dienen, und auch hier ist Luther   ein Bahnbrecher, der zwar auch wissenschaftliche Abhand­lungen lateinisch schrieb, in solchen aber auch die deutsche Sprache verwendete. Wir hatten erwähnt, daß schon das Mittelalter eine bedeutende und ausgedehnte Prosaliteratur besaß; jetzt wagte man nicht deutsche   Wortbildungen, man schöpfte nicht aus dem Reich­thum der älteren Sprache, wie es die zum guten Theil mit Un­recht so arg verunglimpften Mystiker des Mittelalters mit großem Glücke gethan hatten: wenn sich die Nöthigung herausgestellt, für einen neu herausgearbeiteten Begriff ein treffendes Wort zu be­fizen, bildete man sich merkwürdigerweise in der absterbenden lateinischen Zunge allerlei wunderbare Worte, die sehr oft dem Geist der alten Römersprache gradezu in's Gesicht schlugen. Diese Thatsache ist um so sonderbarer, als man ja sonst das Latein mit einem tiefen Respekt, fast wie etwas Heiliges betrachtete. Durchgeführt ward ja die Anwendung der deutschen Sprache zu wissenschaftlichen Zwecken erst im 17. Jahrhundert durch den ge­lehrten Thomasius, der auch zuerst 1688 in seinen lustigen und ernsthaften Monatsgesprächen" das Beispiel einer belletristi­schen Zeitschrift gab.

hatte in Luther   den Wortführer der Geistesrevolution gefunden, Die außerordentliche geistige Gährung der Reformationszeit der seines Amtes waltete in einer kräftigen, heldenmäßigen Sprache, in der er schon spizige Flug- und Streitschriften verabfaßte und begeisternde Lieder dichtete. Dabei entwickelte er eine Fähigkeit als Sprachbildner, wie sie faum zum zweitenmale anzutreffen sein dürfte. Man vergleiche nur einmal die unmittelbaren Vorgänger Luthers   in der Schriftstellerei, und man wird zugeben müssen, daß unser Urtheil gerechtfertigt ist. daß unser Urtheil gerechtfertigt ist. So kommen wir zu dem Schlußresultat, daß, troß jener bedeutenden Vorarbeiten, Luthers  persönliches Verdienst ein ganz eminentes bleibt; ohne ihn wäre die Entwicklung wohl bedeutend langsamer von statten gegangen. ( Fortseßung folgt.)

Parlamentarier.

I.

Kaiser Nikolaus von Rußland nannte einstmals den Konstitutio­nalismus ein großes Lügengewebe, und gewiß wird niemand leugnen, daß der absolute Monarch ein richtiges Urtheil gefällt hat.

Die drei Gewalten einer konstitutionellen Regierung, die alle drei immer einig sein müssen, wenn ein Gesez zu Stande kommen soll, oder die zwei Gewalten des modernsten konstitutionellen Staates, des deutschen Reichs, von denen die eine immer das beschließt, was die andere will, und diese aber niemals den besondern Wunsch des Reichs­tags erfüllt, sie rechtfertigen den kaiserlichen Ausspruch, und wenn wir dazu noch das Wort eines andern, aber größeren Cäsaren nehmen: ,, Europa   ist in fünfzig Jahren entweder kosakisch oder republikanisch" so finden wir auch hier, nur in anderer Form, dem Konstitutionalismus das Todesurtheil gesprochen.

Und in der That, möge man eine konstitutionelle Monarchie oder eine konstitutionelle Republik   betrachten, jeder Unbefangene wird in ihnen nur einen Uebergang vom absoluten Staate zu einer wirklichen Volks­regierung erblideu.

Diese Uebergänge dauern aber mehr oder minder lange, dieselben schneiden mehr oder minder tief ein in die Kulturentwicklung der Völker, so daß man unwillkürlich ihnen gern eine größere Aufmerksamkeit schenkt und die Männer betrachtet, welche eine hervorragende Rolle bei den­selben spielen.

So wollen auch wir in einer Reihe von Bildern unseren Lesern in kurzen Zügen die bedeutenderen Parlamentarier und parlamentarischen Staatsmänner des deutschen   Parlaments, des preußischen Landtags und des deutschen   Reichstags seit dem Jahre 1848 vorführen.

von Gerlach wurde im Jahre 1795 in Berlin   geboren; studirte Rechtswissenschaft; wurde 1842 Mitglied des Staatsraths, 1844-1874 erster Präsident des Oberlandesgerichts in Magdeburg  .

Gerlach war ein Führer der konservativen Partei und als solcher im parlamentarischen Leben thätig, im preußischen Herrenhause von 1849-51 und im Abgeordnetenhause von 1852-58.

Die konservative Partei jener Zeit kann man auch die christlich­germanische nennen; das ständische Prinzip soll an Stelle des mili­tärisch- bureaukratischen treten in der Kirche, im Staate und im

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gewerblichen Leben. Zunächst die Kirche, streng gegliedert nach der geringeren oder größeren Entfernung der einzelnen Konfessionen von den festgeseßten Symbolen; der kirchlichen Ordnung steht die gesellschaft­liche zur Seite, womöglich schon durch vorgeschriebenes Kostüm an­gedeutet: die Prälaten, die Junker, die Pfahlbürger. Alle bereitwillig den Druck von oben ertragend, weil jeder Tritte nach unten hin aus­theilen kann; alle mit ihren eigenen verbrieften Privilegien bewaffnet. Daneben im gewerblichen Leben fastenartige Zünfte: Meister, Gesellen, Lehrburschen, jeder auf Kosten des andern patentirt und alle zusammen auf Unkosten der Konsumenten, die wieder durch Gewerbegerichte und Degradirung unfähiger Meister geschüßt werden sollen.

Das ist konservativ- reaktionäre Weltanschauung, diese predigte einer der berufensten Vertreter des christlichen Germanenthums.

Die alten, ächten Konservativen waren niemals heißblütige Schwär­mer, welche ihre Ideen mit Feuereifer und vielen großen Opfern ver­theidigten, welche die Menschheit durch That und Beispiel entflammen mollten, nein, es waren Doktrinärs, welche, nicht im Stande, das men, hliche Treiben in seiner lebensvollen Tiefe und Frische, das stür­mische Wogen desselben zu begreifen, die Schöpfung Gottes" verpfuscht glaubten, und nun in einem spezifischen, selbstgebauten Christenthum ein neues Organisationsprinzip entdeckt zu haben meinten. Sie wollten