einen der seltenen Besuche abzustatten, die Eusebius , der Sonder­ling, von seinen Geschwistern zu empfangen pflegte. Vor dem Thore des Städtchens, nahe der Kastanienallee, stand ein kleines, einstöckiges Haus. Es gehörte einer Wäscherin, und deshalb war auf dem wüsten Grasplaz vor dem Hause, den ein einziger alter, fnorriger Nußbaum schmückte, auch zu allen Tageszeiten jemand damit beschäftigt, Leinen zu ziehen, nasse Wäsche aufzuhängen oder trockene herabzunehmen.

Da die Wäscherin, eine arme Wittwe, nur mit Kinderſegen vom Geschick reichlich bedacht worden war, hatte sie nie die Mittel gehabt, dem Häuschen innen wie außen einen wohnlichen Anstrich zu geben, ja, fie vermochte nicht einmal, die nothwendigsten Re­paraturen machen zu lassen, was denn zur Folge hatte, daß Thüren und Fenster nur noch lose in den Angeln hingen und das rauchgeschwärzte Dach sich stark auf die linke Seite neigte, als wolle es dem breitästigen alten Nußbaum irgendeine inter­effante Neuigkeit zuflüstern.

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Hier wohnte Eusebius , der verdorbene Student, wie er ge­nannt ward, der Schuhflicker und Weltweise in einer Person. Er hatte der Frau Meier schon seit vielen Jahren die leerstehende Parterrestube, auf der linken Seite gelegen, mit der Aussicht auf den Nußbaum, abgemiethet. Dazumal, als das bemoste Haupt" hier eingezogen war, lebte der Herr des Hauses, Schuhmacher Meier noch, und da der Student, welcher in allen Examen durch gefallen war und doch zur größten Verwunderung der Dohlen­winkler das Studiren nicht lassen konnte, doch auch eine nüßliche Thätigkeit üben wollte, so lernte er von seinem Hausherrn das Handwerk und trieb es schlecht und recht nach des alten Meier Tode auf eigene Faust. Die Wittwe wusch die Wäsche der kleinen Leute" und ihr Miethsmann flickte die zerrissenen Schuhe dieser Kunden. Neues Schuhwerk zu verfertigen, hätte der Philosoph faum vermocht, auch strebte er nicht darnach, dieses höchste Biel zu erreichen, er tannte den Ehrgeiz nicht, und ebenso wenig, als es ihn gelüftete, die Menschheit durch eine neue Erfindung, oder mindestens die Wissenschaft durch ein neues System zu bereichern, ebenso wenig schmeichelte er sich mit der Hoffnung, je ein Paar neuer Backstiefeln oder Schuhe unter seinen Händen hervorgehen zu sehen. Eusebius lebte in seiner ärmlich ausgestatteten Kammer genügsamer als weiland Diogenes in der Tonne, jedenfalls besaß er weniger Eitelkeit und mehr innerliche Befriedigung. Auf einem alten, wurmstichigen Bücherbrette war die Bibliothek des Schuh­flickers aufgestellt, eine erlesene Sammlung der herrlichsten Geistesschöpfungen aller Zeiten und Nationen. Freilich fehlte hier und da ein Band, oder die zerlesenen Hefte waren mit Pechdraht zusammengeheftet, nichtsdestoweniger bildeten sie den Stolz und das Glück ihres Besizers. Dieser selbst saß auf seinem drei­beinigen Schemel einem Erbstücke Meister Meiers und blickte zu dem grünen Drahtbauer auf, in welchem ein maisgelber Kana­rienvogel schlaftrunten auf seinem Stengel ruhte. Ein Lächeln spielte um die bartlosen Lippen des alten Studenten, als Bruder Johann jetzt, der auf einer hölzernen Bank Platz genommen, seine lange Jeremiade mit den Worten schloß:

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Und all das hat diese unglückliche Erbschaft zuwege gebracht! Störung und Unruhe, wohin man nur blickt, Bank im Hause, Aerger mit der Frau, Plage mit der Geschwistern und jetzt durch Sebastians Ankunft wieder neue Sorgen, denn unmöglich ist's doch nicht, daß Jakob uatürlich nur um uns zu ärgern, der adeligen Sippe den Vorzug gibt. O, diese Erbschaft!"

" Hm, hm," machte Eusebius , indem er sich von dem Bauer des gefiederten Lieblings ab und dem Bruder zuwandte.

" Also nur die Erbschaft macht euch alle so unzufrieden und sorgenvoll. Warum läßt denn mich der Gedanke daran so völlig ruhig?"

" Ja dich," erwiderte Johann gedehnt und mit einem sehr einfältigen Gesichte, das ist etwas anderes."

" So, das freut mich, daß du dies einsiehst. Es ist freilich traurig genug, daß von sechs Kindern eines Elternpaares nur ein einziges vernünftig genug denkt, um den Mammon zu verachten und das Haupt nicht vor dem goldenen Kalbe zu beugen, das ihr alle umtanzt."

" Du hast leicht reden," seufzte Johann. Sicherlich würdest du anders sprechen, wenn du Weib und Kinder hättest, wie ich." " Schlecht ausgedrückt, Bruder Johannes! Nicht du hast Weib und Kinder sie haben dich, so sagt ein großer Weiser, und er hat nur zu sehr recht. Deshalb auch habe ich nie meine Frei­heit verkauft, indem ich mein Herz einem Weibe verpfändete; wenn Herz und Hand gebunden sind, ist bald auch die Ueber­

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zeugung nichts weiter als eine Waare, die dem Meistbietenden verkauft wird."

Wahr gesprochen!" sagte da eine dünne Stimme mit einem gewissen feierlichen Nachdruck, und ein graues Figürchen glitt schattengleich in das Gemach.

Das ist Bruder Sebastian der Hofrath!" rief fröhlich der alte Student und sprang von seinem dreibeinigen Schemel auf. Nach den ersten Begrüßungen und Fragen trat eine kleine Pause ein, welche der Hofrath benußte, seine prüfenden Blicke durch das ärmlich ausgestattete Stübchen gleiten zu lassen.

Eusebius war eben damit beschäftigt, einen defekten Rohrstuhl vom Staube zu reinigen und ihm durch eine in der Ecke befind­liche Tonne die nöthige Festigkeit zu verleihen, um ein würdiger und ungefährlicher Sitzplatz für den seltenen Gast zu werden, als dieser entrüstet ausrief:

" Dieser Jakob ist doch der eingefleischteste Egoist von der Welt, er schwelgt im Ueberflusse und läßt dich, seinen leiblichen Bruder, hier im Elend fast verkommen!"

Der alte Student wandte mit dem Ausdruck ungeheuchelten Erstaunens den Kopf um.

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" Sprichst du von mir? Ei, da müßte ich! davon wissen, wenn es mir so schlecht gehen sollte " Da bist du schön bei ihm angekommen," lächelte meister, indessen der Hofrath erregt fortfuhr:

Aber das ist doch nicht zu leugnen, daß du, am nothwendigsten Mangel leidest, das sagt mir j dieses Zimmer!"

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" Was ist nothwendig, lieber Bruder? Weißt du, 1 sagte, als er die aufgehäuften Waaren eines Marktes betrachtete? Ich sehe da viele Waaren, deren ich nicht bedarf! Nun, auch mir geht es also mit den Dingen dieser Welt, und nur die reinen Geistesfreuden haben Werth in meinen Augen und nach meiner Schäßung."

" Sie sind selten, Bruder," seufzte der Hofrath, besonders für einen Familienvater!" Eusebius lächelte.

" Das ist heut schon die zweite Klage, die an mein Ohr dringt, über den Segen, den Gott euch Familien­vätern verliehen, da muß man ja froh darüber sein, als einsamer Junggesell durch's Leben zu wandern. Euer Glück scheint schwer zu tragen,-warum denn beklagt ihr meine Armuth?" Man müßte ein Herz von Stein haben, wenn man dies nicht thäte," erwiderte Sebastian und warf einen verlegenen Blick auf die mehr als bescheidene Zimmereinrichtung. Es liegt ja so klar am Tage, daß darüber kein Zweifel obwalten kann Worüber?" fragte Eusebius mit mildem Ernst.

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Nun, daß du dich unmöglich hier glücklich fühlen kannst." Du bist kein Philosoph, sonst wüßtest du, daß eine erhabene Wahrheit in der Lehre von der Nichtigkeit all' jener Freuden und Genüsse liegt, welche die Menschen im allgemeinen für nothwendig zu ihrem jogenannten Glücke halten. Wir haben genug zu thun, wenn wir gegen jene Mühsale und Beschwerden ankämpfen, die mehr oder einmal des Loos jeglichen Erdenbürgers sind weniger. Der Kampf gegen elementare Einflüsse und Ereignisse, sagt es selbst, ihr Brüder, ist's gegen Krankheit und Tod nicht genug an dem? Wozu sich künstlich Qualen schaffen, sich an Bedürfnisse gewöhnen, deren Entbehrung Leid bringt, nein, weise zu nennen ist nur derjenige, welcher freiwillig entsagt. Armer Sterblicher, nicht klagen, noch Bitten ändern den Gang des Fatums, das Loos, das jedem gefallen, vollzieht sich, ob er darob verzweifelt oder sich ruhig in sein Schicksal ergibt. Deshalb ergab ich mich, und spare mir die Mühe, das zu be­klagen, was mir nicht beschieden. Macht es wie ich!"

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Der fleine Hofrath lächelte. Mir fällt bei deinen Worten das Gedicht ein, welches du als Junge einmal auswendig lernen mußtest, zur Strafe für einen verübten schlimmen Streich. Weißt du noch, es hieß, wenn ich nicht irre ,, das Hemde eines Giftd­lichen. Einem kranken König ward von seinem Magier als letztes Mittel, die verlorene Gesundheit wiederzuerlangen, der Rath ge­geben, das Hemd eines glücklichen Menschen sich zu verschaffen und anzulegen. Jetzt ward nach einem Glücklichen gesucht, und siehe da, unter all denen, die ihrer glänzenden Verhältnisse wegen für glücklich gehalten wurden, fand sich niemand, der sich allen Ernstes glücklich zu preisen vermochte, als ihm die Gewissensfrage vor­gelegt ward. Der franke König war außer sich und sein Born traf alle seine Räthe, welche ihm stets so eindringlich versichert hatten, sein Volt sei glücklich! Da endlich gelang es den fort­gesetzten Nachforschungen, in der Einsamkeit eines Wiesenthals,