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Die Chemie des täglichen Lebens.
( Schluß.)
Ebenso wichtig für die Ernährung ist das Getreide. Brot ist schon seit undenklichen Zeiten ein hauptsächliches Nahrungsmittel, ja sein Name ist zu einem Sammelbegriff geworden, unter dem wir die zum Lebensunterhalt nöthigen Speisen verstehen. Nach Brot rief das hungernde Proletariat schon im alten Rom ," Freiheit und Brot!" steht auf der Fahne, um welche es sich heute schaart. Besonders bei uns Deutschen spielt Brot eine große Rolle. Wir sprechen von Mittagbrot und Abendbrot, wobei wir aber nicht ausdrücken wollen, daß wir zu jenen Mahlzeiten nur Brot genießen. Wasser und Brot sind zwar genügend, mäßige Stoffausgabe zu ersetzen, doch wirken sie bei lange fortgesetzter Zufuhr
wie alle einseitigen Nahrungsmittel schädlich, denn die 4-5 Pfund Brot, welche das tägliche Kostmaß an Albumin enthalten, haben mehr stickstofffreie Nahrung als nöthig ist. Das Getreide besteht hauptsächlich aus Stärkemehl und Kleber, ersteres ein stickstofffreier, leßteres ein Eiweißkörper. Der Kleber findet sich in nicht unbedeutender Menge in der äußersten Hülle, welche gewöhnlich abgeschält wird. Daher ist ungeperlte Gerste und Kleienbrot so nahrhaft und die Kleie ein so gutes Mästungsmittel. Jemehr Kleber aber im Brote vorhanden ist, umsomehr ist auch Bewegung nöthig, da er viel Sauerstoff zur Verbrennung braucht. Bei beschränkter Athmungsthätigkeit, bei körperlicher Ruhe ist die Orr
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Bad Ems.( Scite 60.)
dation nicht vollständig, und der Ueberschuß kann in Bestand| oder geringeren Ausbildung desselben. Wir haben schon gezeigt, theile des Körpers abgelagert werden. Eine solche Fettansammlung nennen wir Mästung, und daß diese eine geistige Entwicklung, auf welche beim Menschen doch stets Rücksicht genommen werden muß, nicht grade fördert, ist bekannt. Shakespeare , der große Menschentenner, läßt in seinem Schauspiel" Julius Cäsar " den selben zu seinem Vertrauten Antonius sagen:
,, Laß Männer um mich sein von fettem Bau, Mit glatten Köpfen, welche ruhig schlafen. Der Cassius hat so hohlen Hungerblick;
"
Er denkt zu viel; die Leute sind gefährlich." Kraft und Stoff, Geist und Materie, stehen in einem ursächlichen Zusammenhange mit einander. Das Eiapopeia vom Himmel", von welchem die göttliche Seele kommen soll, die da denkt und empfindet, ist durch die Naturwissenschaften dorthin gewiesen worden, wo es hingehört: in die Märchenwelt. Die Chemie beweist, daß der Geist ebenso abhängig ist von der Nahrung, wie der Körper, ja, fie geht sogar so weit, daß sie die Entwicklung des ersteren durch die Zufuhr eines bestimmten Stoffes bedingen läßt und den Satz aufstellt:" Ohne Phosphor kein Gedanke." Das Vorhandensein phosphorhaltiger Bestandtheile im Gehirn steigt und fällt nachgewiesenermaßen mit der größeren
von welchem Einfluß auf den Charakter der häufige Fleischgenuß ist. Andrerseits wird aus der wilden, fleischfressenden und menschenfeindlichen Kaße ein zahmes Hausthier durch vegetabilische Kost. Beweis genug für den Einfluß der Nahrung und zugleich eine vernichtende Kritik derjenigen Verhältnisse, welche es millionen von Menschen unmöglich machen, sich geistig zu entwickeln. Es ist wohlfeil, bei voller Tafel den" Unverstand der Massen" zu beklagen. Gebt ihnen nur zu essen, dann werden sie auch denken können. Der Hunger, sagt Moleschott, läßt jeden Druck mit Centnerschwere fühlen und ist daher die Hauptursache zu Empörungen. Alle Revolutionen, mochten sie auch geistig schon lange vorbereitet sein, tamen erst zum Ausbruch, wenn die brutale Magenfrage in den Vordergrund trat. Ihr betet ja so gläubig die Schiller'schen Worte nach:
"
Wenn sich die Völker selbst befrei'n, Da kann die Wohlfahrt nicht gedeih'n." Macht sie nur satt, dann habt ihr für eure Wohfahrt nichts zu fürchten. Der Satte ist äußerst friedliebend. Ist es dem Menschen aber nicht vergönnt, seine Nahrungsbedürfnisse in gehöriger Weise zu befriedigen, dann läßt er sich entweder zu Gewaltthaten hinreißen oder, wenn der Druck, der ihn unterjocht, zu stark ist, so