Ausrede ist die zierlichste; wer nun ein reines deutsches Carmen schreiben will, der muß den lieblichsten Dialektum, Meißnisch, sich vorsetzen. Mit der zierlichen Ausrede, die ja viele nicht gerade finden wollen, ist jedenfalls die volle Erhaltung der Wortendungen gemeint, deren sich die Rheinländer, der Bayer u. a. m. nicht rühmen konnten.

Auch Bödiker, einer der besten Grammatiker nach Schottel, ein Berliner  ( 1690), erkennt den Vorrang des Meißnischen an; ebenso der Verfasser des Deutschen Sprachschazes", eines Wörter­buches, Caspar Stieler   aus Erfurt  ( 1691); dessen etwas in lohensteinisch- schwülstiger Manier gehaltene Zueignung an den

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Kurfürsten Johann Georg III. von Sachsen bietet folgende pomp­hafte Phrase: der Angeredete sei der Würdigste, ein solches Werk zugeeignet zu bekommen, da Sie ein Herrscher über solche Städte und Festungen seyn, worinnen die hochdeutsche Sprach glücklich geboren, glücklicher erzogen und auf's glücklichste ausgezieret und geschmücket worden, auch noch täglich einen erneuerten und lieb­lichen Glanz empfähet; ich meine das prächtige Dreßden, das heilige Wittenberg  , und das Süßeste aller Städte, Leipzig  , welches auch von seinem Sprachenzucker dem sonst salzichten Halle ſolch' eine milde Beysteur verehret, daß es sich seiner Lehrlingschaft zu schämen nimmermehr Ursach finden wird."( Schluß folgt.)

Parlamentarier.

II.

Der bedeutendste aller altkonservativen Parlamentarier war un­zweifelhaft Stahl. Derselbe wurde im Jahre 1802 in München   von jüdischen Eltern geboren und trat 1819 zur evangelischen Religion über. 1832 Professor in München  , wurde er 1840 nach Berlin   berufen. Dann war er von 1849 bis zu seinem Tode, den 10. August 1861, Mitglied der ersten preußischen Kammer.

Sein merkwürdiges und deshalb so bezeichnendes Bemühen war, das Recht und den Staat auf christlichen Offenbarungen aufzubauen. Die Materialien hierzu suchte er in der dunklen Ferne des Mittel­alters, in den Ständen und Zünften, sein Jdeal aber lag nicht im Mittelalter, sondern in der Zukunft. Deshalb suchte er nicht, wie Gerlach, das Christenthum als mystisch- romantische, sondern als nüchtern­doktrinäre Grundlage in die Politik einzuführen.

Der Staat war nach ihm ,, eine Anstalt Gottes über den Menschen, ein gegliederter Organismus, dem die Menschen als dienende Glieder angehören, ein jeglicher zu seiner bestimmten Stelle und Verrichtung". An Stelle der mittelalterlichen Privatberechtigung sollte nach Stahl nunmehr, von der Krone bis zu dem geringsten Standesprivilegium, die göttliche Einsetzung und demgemäß an die Stelle gewaltsamer Ab­hülfe die christliche Duldung treten.

Von solcher Basis aus sollte dann die weitere Entwicklung der ständischen Institutionen organisirt werden.

Stahl   spielte eine äußerst glänzende Rolle im preußischen Herren­hause und fand unter den preußischen Junkern die glühendsten Anhänger seines christlichen Staatsrechts.

Die liberalisirenden Elemente im Herrenhause, welche das System der drei Gewalten( Königthum, Herrenhaus und Abgeordnetenhaus) als ihr Jdeal ansahen, hatten natürlich schweren Stand, wenn der flare, konsequente altkonservative Redner das Unhaltbare eines solchen Systems nachwies.

Ganz besonders groß war bei Stahl der Judenhaß. Nach seiner ,, Rechtsphilosophie" billigte er nicht nur, daß der damalige ,, Deutsche Bund  " den Juden blos die bürgerlichen Privatrechte zugestand, son­dern ihm war auch solche Konzession schon manchmal zu viel, indem er es sehr bedenklich fand, den Juden die Erwerbung von Grundbesitz zu­zugestehen.

Noch sei erwähnt, daß Stahl schon als Student in Heidelberg   der damaligen Burschenschaftsbewegung seine Ansichten vom christlich- germa­nischen Rechtsstaate aufdrängen wollte; er fand aber in Feuerbach  einen ihm völlig gewachsenen Gegner, der ihm eine bedeutende, aber feineswegs beneidenswerthe Zukunft prophezeite.

Feuerbach   hat recht gehabt. Trotzdem Reichthum und allerlei Ehren sich bei Stahl angehäuft hatten, so ist er doch, nur von sehr wenigen Menschen betrauert, gestorben, und sah noch vor seinem Tode seine Theorie in Trümmer fallen. Feuerbach   aber, obwohl arm, wurde vom ganzen Volke betrauert und erblickte noch das Morgenroth einer, ja seiner besseren Zeit. H.

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Bildung macht frei. Bewahre das Ebenmaß in allen Dingen, hüte dich vor jubelnder Lust, wie vor klagendem Jammer und strebe darnach, deine Seele harmonisch und wohlklingend zu erhalten, wie die Saiten einer schöngestimmten Harfe." Dies ist nach Pythagoras   das Arkanum der Weisheit und zugleich die Definition jener moralischen Kraft, die unbezwinglich dasteht im Kampfe um's Dasein, die über scheinbar unüberwindliche Hindernisse triumphirt und die einzig mögliche Siegerin über rohmaterielle Angriffe ist. Ans der Antike in's Moderne übersetzt, heißt sie die Menschenwürde. Glaube ja nicht, lieber Leser, daß dieser seltene Artikel in den oberen Gesellschaftsschichten öfter wie beim ,, Volk" zu finden ist. Grade auf den Höhen der Menschheit" grassirt der chronische Seelenschnupfen, vulgo Verstimmung, deshalb weit mehr, weil dort die Zugluft alle Tage aus einem andern Loche pfeift. Die reine Seelenstimmung ist nur bei förperlicher und geistiger Frische möglich, denn Faulheit ist Dummheit des Körpers und Dumm­heit ist Faulheit des Geistes; darum: Lerne und arbeite, denn Bil­dung macht frei!" Wenn alle Menschen das allgemeine Sittengesetz in sich tragen und ausüben, so handelt jeder aus seiner Lebensstellung

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heraus richtig und die Harmonie ist hergestellt. So kalkulirte der Kri­tiker der reinen Vernunft, Immanuel Kant  , und dasselbe Thema variiren alle Philosophen von Anaragoras bis Hartmann, nur vergessen die ge­lehrten, aber unpraktischen Herren, daß zur richtigen Harmonie die Kenntniß des Kontrapunktes nothwendig ist, oder um mich populär auszudrücken das Bewußtsein der Nothwendigkeit der Moral, welches nur aus einer sorgfältigen Erziehung resultirt. Und was thut der Staat für die Erziehung der Gesammtheit? Nichts! Die Kinder seiner Schleppträger läßt er zu Aspiranten auf Ordenssterne und Kreuze erziehen, stachelt durch Verfälschung der Weltgeschichte ihren Ehrgeiz, um sie dem Volke zu entfremden, und wenn er aus ,, Staatsmitteln" einige Stipendien für Afrikareisende und Nordpolfahrer bewilligt hat, glaubt er alles gethan zu haben. Und unsere Dichter und Denker? Deutschlands   größter Dichter, der frankfurter Patriziersohn Goethe, der nie ,, sein Brot in Thränen", fümmerte sich troß seiner tiefbegrün­deten Einsicht in das Bedingte aller menschlichen Leistungen, nur um das unbedingt Vollendete". Glücklicher Grieche, der du nur die Blumen und nicht den Grabeshügel sahst! Schillers Briefe über ästhetische Erziehung" und Lessings ,, Erziehung des Menschen" haben das Dioskurenpaar im Reiche der Schönheit bei ihren demagogen­riechenden Zeitgenossen in den Verruf republikanischer Bestrebungen ge­bracht, und doch war seit jeher den Dichtern ,, von Gottes Gnaden" die Regierungsform gleichgiltig, wenn sie nur das Menschengeschlecht veredelte. Der Staat mit seinem noch nicht abgestreiften ,, Polizei­begriff" steht nach wie vor auf dem Standpunkt der realistischen Zweck­sezung oder, richtiger gesagt, Bevormundung des künftigen Kanonen­futters, und überläßt die Entfaltung der idealen Keime der Religion. Kein Vernünftiger wird die welterziehende Macht der Religion leugnen. Nur bitte ich den Leser, das Dogma und die Hierarchie nicht mit dem Christenthum zu verwechseln. Dieses unscheinbare semitische Reis auf den abendländischen Stamm gepfropft, hat des Baumes Säfte belebt und seine Frucht veredelt. Seine unverfälschte Lehre hat die feinsten Schwingungen in das Gefühlsleben der abendländischen Welt gebracht und mit den letzten Ausläufern des klassischen Alterthums verschwistert, zum erstenmale den lebendigen Begriff der Menschlichkeit ohne Klassen­unterschiede erzeugt. Aber auf dem orthopädischen Streckbett des Dogma wurden die Säße: Selig sind die Armen" und die Wahrheit wird euch freimachen" bis zur Unkenntlichkeit verrenkt. Nun, wir haben den Stoff und können der Form entrathen. Wie lange die Menschheit brauchen wird, um das Christenthum der Päpste zu vergessen, das kann ich dem Leser nicht sagen. David Strauß   meint: ,, Warum sollen wir uns darüber die Köpfe der Nachkommen zerbrechen?" Der Menschen­geist muß aber beständig eine Lösung des Welträthsels suchen, und da der Busen der Natur für das Religionsmieder zu üppig geworden ist, so sah sich die Menschheit nach einer andern Schnürmethode um und glaubt das Richtige in der Naturwissenschaft gefunden zu haben. Sehen wir uns einmal die ,, Unfehlbaren" Griechenlands   an. Diogenes Laertius  zählt über hundert griechische Philosophen auf, wovon einer den andern befehdet. Thales   erklärt das Wasser als die Grundursache aller Dinge, Diogenes   die Luft, Heraklit   das Feuer. Die vier Elemente des Empedokles  löst Demokrit   in ,, Atome" auf, Anaxagoras   läßt das Weltall durch Intelligenz", Parmenides   durch Liebe", Heraklit   durch Haß" und Pythagoras   durch die Zahl" entstehen. Bei den Naturforschern fahren wir absolut sicherer, sie prätendiren wenigstens nicht die Unfehl­barkeit. Die Naturerkenntniß ihrer Zeit liegt ihrem jeweiligen System zugrunde. Schreitet die Erkenntniß vor, so wird ihr System werthlos, und somit unterstüßen und fördern sie sich gegenseitig. Freilich ist die augenverderbende Spizenarbeit der Forschung nicht jedermanns Sache, aber ihre Resultate sind nicht, wie das Brimborium der Pfaffen, Mono­pol der Bevorzugten, sondern Gemeingut des Volkes. Die Wissenschaft, diese ultraradikale Lehrerin der Menschheit, kennt keine historischen Rechte und stellt mit unerbittlicher Strenge den Grundsatz auf: ,, Dem Menschen ist gar keine Erkenntniß angeboren, denn was er weiß, erlangt er nur durch Erfahrung." Das ist wohl auch der Grund, warum sich die Kinder ,, genialer" Abkunft so selten auf der geistigen Höhe der Erzeuger be­haupten. Aber ist denn die Welt, die im innersten Kern absurd ist, auch werth, daß man an ihre Erkenntniß sein Gehirnschmalz vergeudet? Unbedingt, denn das Erkennen und Ueben der platonischen Trias, des Schönen, Guten und Wahren ist der einzige ruhige Genuß in der athemraubenden Regsamkeit dieses Erdballs, der im Hintergrunde einer

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