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I.
Alle Parteien blicken jetzt mit einem gewissen Hohn auf jene Bewegung zurück, welche der sogenannten neuen Aera in PreußenDeutschland ein so eigenthümliches Gepräge aufdrückten ich meine diejenige Bewegung, die in den vielen nationalen Festlich feiten zu Anfang der sechziger Jahre ihren Ausdruck fand.
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In Preußen hatte ein Regierungswechsel stattgefunden, und wie jedesmal bei einem solchen Ereigniß waren neben der Amnestie für politische Vergehen auch allerlei kleine Freiheits spielsächelchen dem Volfe zum Geschenk gemacht worden, an welche natürlich sich große Freude und noch größere Hoffnungen an knüpften.
Auch verschiedene der Fürsten in den kleineren Ländern, der Herzog Ernst II. von Koburg- Gotha voran, folgten solchem Beispiele, und so war es nicht zu verwundern, daß der deutsche Reichsphilister vor lauter Entzücken und Enthusiasmus die schönsten Turnerpurzelbäume schlug, wie eine Lerche, wenn auch nicht mit so flaren Tönen, seine Freude in lautem Gesange kundthat, eine Masse Pulver verknallte und eine noch größere Masse des bräunlichen, ächt deutschen Saftes, Bier genannt, vertilgte.
" Ich war auch einst so ein sentimentaler Esel!" Diese Worte eines alten Freundes kommen mir immer in den Sinn, wenn ich an jene Zeit zurückdenke.
Und doch ist der Ausdruck viel zu hart, und doch hatte jene Zeit ihre gewisse Berechtigung!
Diese Berechtigung aber leite ich aus dem Umstande her, daß das deutsche Volk, welches seit 1848 im politischen Murmelthier schlaf lag, wenigstens seinem theilweisen Erwachen einen, wenn auch manchmal recht ungeschlachten Ausdruck gab, mit einem Worte, daß es sich bewegte, und jede Bewegung hat ihre Berechtigung.
Die konservative Partei war gleich damals mit den Turn-, Gesang und Schüßenfesten nicht einverstanden, deshalb suchte sie auch oft genug die reaktionär gesinnten Polizeibehörden zu veranlassen, solchen Festlichkeiten Hindernisse in den Weg zu Legen, sie täuschte sich über die Gefährlichkeit derselben. Sie höhnt jezt über diese Bewegung, weil ihr die Augen aufgegangen sind und weil sie mit solchem Hohne auch die liberale Partei zu treffen glaubt, aber sie täuscht sich auch darin wieder.
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Die liberale Partei blickt jetzt nämlich gleichfalls mit unver kennbarem Spott zurück auf jene Zeit, zurück auf jene Einheitsbestrebungen, weil der von ihr angeregte Gedanke von mächtigerer Faust in blutiger Weise zur Wirklichkeit übergeführt ist und sie das erlangt hat, ohne irgendwelche Opfer, daß sie ihre Ehre und Selbständigkeit verloren hat, ist für eine solche Bartei fein Opfer was sie anstrebte: die staatliche Einheit Deutschlands und die Herrschaft des mobilen Kapitals, im Gegensaz zu der vorher mehr oder minder noch durch den Staat geschüßten Herrschaft des Großgrundbesitzes. Dann aber auch weiß sie, daß die Ueberbleibsel jener Turner-, Sänger- und Schüßenbewegung in ihrem Dienste sich befinden, daß die Turnvereine jetzt zur höheren Ehre Moltke's ihre Uebungen machen, daß die Gesangvereine Bismarck- und Laskerhymnen singen und daß die Schützenvereine das Pulver gegen den Reichsfeind" verknallen, und mit den Kriegervereinen, die jetzt jene Ueberbleibsel überragen, sich verbünden der nationale Gedanke, der früher bei jenen Vereinen herrschte, ist zum„ reichsfreundlichen" geworden, und das bischen Freiheitsliebe, welches vorhanden war, hat dem Servilismus weichen müssen.
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Mit Hohn blicken die Liberalen deshalb auf die deutsche Festzeit zurück, aber mit besonderer Liebe und Sympathie auf die übriggebliebenen Trümmer jener Zeit.
Wir Sozialdemokraten wollen gerecht sein; wir wollen anerkennen, daß durch jene Zeit ein idealer Zug ging, welcher die verschiedenen deutschen Stämme zu gleichem Denken und zu den gleichen Aeußerungen desselben antrieb; daß dieser ideale Zug auch die Sehnsucht nach einem gemeinsamen Vaterlande wachrief und die Deutschen von Süd und Nerd und aus allen Gauen nach den gemeinsamen Feststätten hintrieb.
Fern sei es von mir aber, die Ausschweifungen vertheidigen zu wollen, welche in großem Maße sich einstellten, da die Festbesucher durchweg den besserſituirten Klassen angehörten; fern sei es von mir, die vielfach auftretende Exklusivität der einzelnen Vereine irgendwie in Schuß zu nehmen, die grade aus dem Festwesen, wie ich noch besonders betonen möchte, entstand; aber immerhin, nehmen wir all' dieses Beiwerk fort, so bleibt der eine gute Kern: das Sehnen nach Freiheit und das Erwachen aus dem Schlafe, die Bethätigung am öffentlichen Leben.
Fassen wir zunächst und hauptsächlich die Turnvereine in's Auge, in welchen die frischere Jugendkraft sich zeigte, die auch in den Jahren 1848-49 in Baden und Schleswig- Holstein Zeugniß von ihren Freiheitsbestrebungen abgelegt hatten, so finden wir, daß die großen Feste durchweg von einem guten Geiste getragen waren, daß aber die kleineren Gau- und Ortsfeste einen rein spießbürgerlichen Charakter an sich trugen.
Wie kam das? Auf dem Turnplaze und auch in der Kneipe war es dem besserfituirten Turner nicht grade so sehr unangenehm, mit dem Handwerker oder Arbeiter verkehren zu müssen; aber auf den Turnfesten, auf denen auch die Familie erschien, da war es unausstehlich, in Gegenwart der Mama oder gar der Braut sich von irgendeinem Handwerksgesellen anreden zu lassen.
Deshalb wurden eigene Turnvereine für die Besserfituirten geschaffen, darauf die Ballotage eingeführt, und so fand man bald in allen kleineren Städten zwei Turnvereine, einen vornehmen" und einen„ geringen", die selbständig auch ihre Bälle und Festlichkeiten abhielten. Das Zopfthnm stand in der größten Blüthe.
Auf den großen Turnfesten, die nur in größeren Städten gefeiert wurden, fiel solche Klüngelwirthschaft weg, weil die verschiedenen Stände bei den Fremden durch die Turnjacke verdeckt wurden.
Aber auch im Anfange der ganzen Festbewegung, der ich meine Sfizzen widmen will, war der Kastengeist noch ein geringer, derselbe bildete sich immer stärker aus, jemehr die Begeisterung schwand, jemehr durch die königlich preußische Regierung und durch Herrn von Bismarck die erstrebten Ziele erreicht wurden.
Die jezigen Turn-, Schüßen- und Sängervereine sind eine getreue Kopie der herrschenden Standesunterschiede geworden, jeder Stand hat einen Verein, und wenn es mehrere Reichskanzler gäbe, so sollte es wundernehmen, wenn wir nicht einen Schützenverein der Reichskanzler hätten.
Aber ich wollte ja nicht von der heutigen Zeit reden, sondern von der vergangenen, die mir und mit mir vielleicht noch manchem allerlei schöne und allerlei wehmüthige Erinnerungen hervorruft.
Und wahrlich, wenn man zurückdenkt an die vielen Freundschaften, die im Festrausche mit Gleichgesinnten geschlossen, wenn man der Händedrücke gedenkt, die beim Gruße und beim Scheiden gewechselt wurden, wenn man die Erinnerungskarten, die Photographien und sonstige Andenken an jene Zeit durchstöbert, so treten unbemerkt fast zu gleicher Zeit Freude und Wehmuth hinter uns und blicken über die Schultern in all' die kleinen Erinnerungssächelchen hinein.
Freude und Wehmuth leiten dann die Gedanken in jene vergangene Zeit und drücken auch mir die Feder in die Hand, um zu plaudern von all' der Lust und all' dem Leid, welche die jugendliche Brust durchtobten.
Und so will ich in den nächsten Nummern den Lesern erzählen, nicht allein von den äußern Erscheinungen, wie sie sich auf den Turn- und Festpläßen, bei Gelagen und auf den Tanzsälen zeigten, nicht allein von den Liedern, die aus froher Turnerbrust erschallten, sondern auch von den Gedanken, welche die deutsche Jugend vielfach ergriffen hatten, von ihren Idealen und von ihren Hoffnungen, die bei einer Anzahl sich verwirklicht haben, bei andern aber zu Grabe getragen wurden, um wieder aufzuleben in anderen, größeren Ideen, die zur Jetztzeit dem besten Theil unseres Volkes zum Leitstern dienen.