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zur Menschengestalt geformt und ihm, dem Erdenkloß, die Seele eingehaucht jedes Bolt und jedes Zeitalter hat sich eine Ant­wort auf die Frage gesucht, woher stammt die lebendige Natur, woher sind wir, die wir mitten drin stehen?

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Moses hat eine Antwort hinterlassen, die den Juden und Christen für mehr als drei tausend Jahre Genüge leistete. Aber wir kommen heute mit Moses nicht mehr aus. Sein Wort ist vor dem Richterstuhl der wissenschaftlichen Kritik zum Mährchen geworden und dennoch lebt dieses Mährchen noch als wahr heit" in den Lehrbüchern unserer Volksschulen und Staatskirchen. Wir sind so undelikat, Herrn Virchow zu fragen, ob er wei­terhin dulden will, daß man unsern Schulkindern die Mährchen von Moses   und den Propheten als Wahrheit auftische. Er weiß so gut wie wir, daß es niemals eine mosaische Schöpfungswoche gab; er weiß so gut wie wir, daß es keinen ersten Menschen, feinen Adam und teine Eva gab; er weiß so gut wie wir, daß die Wissenschaft das Alter des Menschengeschlechtes nach Jahr hunderttausenden berechnet, während der mosaische Adam kaum 6000 Jahre hinter uns liegen würde, wenn die Bibel wahr berichtete.

Virchow weiß so gut wie wir, daß es keine erste vollkom­mene Pflanzen und Thierwelt, keinen ersten vollkommenen fün­denreinen Menschen gab, sondern daß die organische Welt auf unserem Planeten mit niedrigsten, einfachsten Lebewesen begann und daß erst im Verlaufe von Jahrmillionen, nach und nach höhere Formen aus niedrigen hervorzugehen vermochten. Er weiß so gut wie wir, daß es ein Frevel am Wahrheits- und Gerechtigkeitsgefühl, ein Frevel an der empfänglichen Kindesseele ist, wenn heute noch und in Zukunft der Staat es duldet, daß das weiche Gehirn der jungen Generation mit Unwahrheiten ge­mißhandelt und für späteres gesundes Denken verdorben wird. Birchow muß wollen, daß mit dem Mosaischen Mährchen in allen Staatsschulen ein für allemal gebrochen wird. Virchow muß wollen, daß alle dogmatisch- religiösen Einflüsse von der Schule ferngehalten werden.

Virchow muß wollen, selbst wenn er den Sozialisten in die Hände arbeitete, daß an die Stelle von Unvernunft die Vernunft, an die Stelle von Unwahrheit die Wahrheit, an die Stelle des Schädlichen das Nüßliche, an die Stelle der Geistesunfreiheit die Geistesfreiheit gesezt werde.

Aber Virchow will nicht. Warum? Weil es eine Häckel'sche Plastidul- Seelentheorie oder eine Plastidul- Psychologie gibt. Aber wer in aller Welt behauptet denn, daß mit der Ein­führung der Abstammungslehre in die Volksschule gleichzeitig die Gesellschaft Kohlenstoff& Cie.", und gar Plastidul- Psychologie den Schuljungen und Mädchen vorgetragen werde? Niemand. Oder will Virchow wirklich wegen der Möglichkeit, daß ein ungeschickter oder tattloser Lehrer einmal während einer Lehr­stunde in Plastidul- Seelen" machen könnte, fieber den alten schäd­lichen Kram von Paradies und Sintfluth und Noa's Menagerie, von Susanna und von Jonas im Bauche des großen Meerfisches und all die dogmatisirten religiösen Mythen in der Volksschule beibehalten?

Der Pädagoge wird uns fragen, ob denn kein anderer Aus­weg denkbar sei, als der des religiösen oder des wissenschaftlichen Glaubens". In seiner theilweise begründeten Angst wird der= selbe Pädagoge vielleicht gar auf den Gedanken verfallen, von Schöpfungsgeschichte im einen oder im andern Sinne garnichts in die Schule zu bringen. Das wäre allerdings sehr vorsichtig und möchte demjenigen am flügsten erscheinen, welcher von reli

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giösen Dogmen ebensowenig, als vom Häckelismus befangen ist. Allein dieser Vorsichtige machte in diesem Falle die Rechnung ohne den Wirth.

Ganz ebenso, wie jedes Volk in seiner Jugendzeit sich nach dem Ursprung der Dinge umsah und bei seinen Priestern und Dichtern oder bei seinen Aeltesten oder Gesetzgebern eine Antwort holte, ganz ebenso wißbegierig, fragend, grübelnd und träumend verhält sich das Kind in unserer Volksschule. Niemand mehr, als aufmerksame Eltern und erfahrene Voltslehrer, weiß von der Unmöglichkeit einer Pragis zu erzählen, derzufolge dem Schul­jungen eine das kindliche Gemüth befriedigende Antwort auf die Es Frage woher die belebte Natur?" vorzuenthalten wäre. hieße, den Born der jugendlichen Phantasie in Fesseln schlagen wollen, wenn man jene Fragen verbieten oder durchaus unbeant­wortet lassen wollte.

Diese oder jene Schöpfungsgeschichte wird also nolens volens in der Volksschule gelehrt werden müssen. Nun gibt es aller­dings keine andere Alternative, als die: Entweder Moses und die Propheten oder aber Abstammungslehre.

Die Ersteren kann kein ehrlicher Mensch mehr mit Ernst dulden wollen, wenn er über den gegenwärtigen Stand der wissenschaftlichen Wahrheiten instruirt ist. Es bleibt somit nur die Deszendenzlehre.

Wenn diese aber, wie wir gezeigt haben, unbedingt in den Lehrstoff der Volksschule aufgenommen werden muß, so gehen wir wieder mit Virchow darin einig, wenn er sagt, daß es nicht Sache der Pädagogen sei( wie Häckel meint), zu entscheiden, in welcher Reihenfolge, in welchem Maß und in welcher Form dies in unseren Schulen zu geschehen habe. Auch wir sind der Ansicht, daß man mit großer Vorsicht diesen neuen Lehrstoff in der Volks­schule zu behandeln, namentlich alles Problematische aus der Ab­stammungslehre für jene Unterrichtsstufe fernzuhalten und nur das durch Paläontologie und Geologie Bewiesene, sowie das Un­zweifelhafteste aus der biologischen Entwicklungsgeschichte und der Systematik in den neuen Schöpfungsbericht aufzunehmen habe. Die Bearbeitung eines derartigen Ersatzes für die Mosaische Schöpfungsgeschichte müßte einem Kongreß anerkannter, gewissen­hafter Fachmänner übertragen werden, welche mit den wissen­schaftlichen Disziplinen der lebenden und der vorhistorischen Schöpfung in intimster Wechselbeziehung stehen. Daß es zugleich bewährte Pädagogen sein müßten, welche das Wieviel und das Wie der zu bietenden Materie mit Takt zu bestimmen hätten, das braucht hier nicht weiter erörtert zu werden. Uns genügt es, an dieser Stelle die Nothwendigkeit der Einführung unserer von der exakten Forschung tausendfach bewiesenen Abstammungs­lehre in die Volksschule entgegen dem Virchow'schen Votum dar­gelegt zu haben.

Und wenn die Reaktion abermals an tausend Enden ihr drohend Medusenhaupt erhebt; wenn Aeltere beginnen, verzagt zu werden; wenn Jüngere auf den reaktionären Ruf zur Umkehr hören; wenn die Konservativsten über ein Virchow'sches Votum sich vergnügt die Hände reiben und die Pfafferei der Gegenwart fast siegesbewußt die Weihrauchtessel schwingt und der Aufklärung höh­nend die Nase dreht: so haben wir die tröstliche Wahrheit als Ersatz:

Troz des Abschwurs, den Galileo Galilei   der Inquisition  leistete, hat sich Mutter Erde die Freiheit ihrer Bewegung er­obert und ist den Schuljungen zur Freude auf ihrer Bahn verblieben. Moses und die Propheten stehen nicht wieder auf; aber die Abstammungslehre wird ihren Einzug in die Dr. A. D.-P. Volksschule haften

Die deutsche Spracheinigung in der neueren Beit.

Von M. Wittich. ( Schluß.)

Nun war im allgemeinen eine feste Sprachgestalt geschaffen, die sich in immer weiterem Umfange Geltung verschaffte, aller­dings nicht ohne daß kleinere Fehden hie und da immer noch über diesen Punkt sich entspannen und durchgekämpft wurden, aber allemal zu Gunsten der schon übermächtig gewordeuen Sprachrichtung. So stand es im 17. Jahrhundert.

Gottsched, dem man erst neuerdings wieder gerecht zu werden angefangen hat, der für seine Zeit gewaltig viel galt, so daß

man ihn nicht mit Unrecht einen Sprach- und Geschmacksdiktator genannt hat, machte seine Autorität auch für das Obersächsische", wie er es nennt, geltend. In seiner auch nach dieser Richtung sehr einflußreichen deutschen Sprachkunst" sagt er: Ganz Deutsch­land ist längst stillschweigend darüber eins geworden, ganz Ober­und Mitteldeutschland   hat bereits den Ausspruch gethan, daß das mittelländische( vergl. oben das mittre D.) oder obersächsische die beste hochdeutsche Mundart sei: indem es dasselbe überall,