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von Bern   in der Schweiz   bis nach Reval in Liefland und von Schleswig   bis Trident in Tyrol, ja von Brüssel   bis Ungarn   und Siebenbürgen   auch im Schreiben nachzuahmen und zu erreichen sucht." Auch er, der Preuße( er war bei Königsberg   geboren), spricht scharf und deutlich aus, daß seit der Glaubensreinigung der Sitz der Gelehrsamkeit Obersachsen geworden sei, besonders durch die hohen Schulen zu Wittenberg  , Jena   und Halle; ferner würdigt er auch die Bedeutung des von Frankfurt am Main  immer mehr nach Leipzig   übersiedelnden Buchhandels, sowie er zu historischer Begründung speziell erwähnt, daß, weil auch durch die fruchtbringende Gesellschaft in diesen Gegenden die meisten und besten deutschen   Bücher geschrieben und gedrucket worden: so hat die hiesige Mundart unvermerkt die Oberhand bekommen." Als Beweis für die hohe Geltung Gottscheds in sprachlichen Dingen sei angeführt, daß seine Deutsche Sprachkunst" zum Er­lernen des Deutschen für Franzosen in's Französische übersetzt, von ihm selbst durchgesehen, in Straßburg   herausgegeben ward. In Süddeutschland   war sie allgemein verbreitet, ebenso im Osten in Desterreich, wo eine schwächliche Gegenanstrengung von Wien  aus in Szene gesetzt wurde, natürlich ohne jeglichen Erfolg. Ein Herr von Antesperg gab dem dort auftauchenden Streben, von Ser Reichshauptstadt aus die deutschen Lande für ein kaiserliches Deutsch  " zu gewinnen, einen konkreten Ausdruck durch eine 1747 erschiene kayserliche deutsche   Grammatik"; ein in derselben in Aus­sicht gestelltes kayserlich deutsches Wörterbuch" ist nie erschienen, weil der ganze Plan bei dem dermaligen Stande der Dinge so fort beim Auftauchen als ein todtgeborenes Kind bezeichnet werden mußte. An Gottsched   selbst schreibt ein österreichischer Dichter nicht nur, daß dortselbst Gottsched's Grammatik im Buchhandel " haufenweis" abgehe, so daß das Deutsche   nunmehr auch sich bessern werde, er theilt auch mit, man gehe in Wien   damit um, einen Lehrstuhl für deutsche Sprache zu errichten, den ein Sachse einzunehmen habe, ja höchsten Orts dachte man an ihn, Gottsched selbst, um durch Sie", wie sein Korrespondent ihm schrieb, den Grund zu der Verbesserung der Teutschen Sprache allhier zu legen." Da gab es allerdings keine Aussicht auf ein Durchdringen der kaiserlichen deutschen Sprache und Grammatik! Gottsched's Gegner auf dem literarischen und ästhetischen Felde, die schweizer Kunstrichter Bodmer   und Breitinger, suchten zwar auch den anderen Provinzen bis zu einem gewissen Grade ihr Recht zu wahren, doch äußert sich letzterer über diesen Punkt wie folgt: Unter den vielen Provinzen Deutschlands   hat Sachsen   sich den Ruhm der wohlgeschicktesten, in sonderheit seit der prächtigen Regierung ihres föniglichen Kurfürsten Friedrich Augusts, erworben; ihre Sorgfalt für das Ergeßen der Sinne ist am weitesten gegangen und hat sich auch auf das Gehör erstreckt; dadurch hat ihre Sprache, die in dem Reichthum und der Deut lichkeit der Wörter mit anderen Mundarten schon geeifert hat, zum wenigsten in dem Wohlflang den Vorzug über alle andere Aussprachen in Deutschland   behauptet." Und in der Vorrede desselben Buches, der Kritischen Dichtkunst", meint Bodmer: " Soviel mir bekannt ist, hat Meißen   das beste Recht von anderen Provinzen Deutschlands   zu fordern, daß sie ihre eigne Aussprache und Mundart für die seinige verlassen; allermaßen es darinnen wahre Vorzüge vor allen anderen aufweisen kann, die in der Natur und der Absicht der Sprache gegründet sind," und in diesem Tone wird fortgefahren, das Verderbeu läge meist in der schlechten Aussprache, die den schweizer Worten eine Härtigkeit gebe, an der sie keine Schuld hätten und die sich in eine sanfte Lieblichkeit verwandelt, wenn dieselben durch die zarten Organa eines Meißners sublimiert werden." Er schlägt vor, daß man aller wärts das meißnische Ohr und die meißnische Zunge sich aneignen möchte und will schließlich zum Guten reden, freilich nicht ohne hie und da seine Spize gegen Gottsched zu fehren: Ob der Verfasser zwar kein Meißner und was noch schlimmer, ein Schweißer ist, so hat er es doch als ein Mensch geschrieben." Seine Uebersehung des verlorenen Paradieses", eines Epos des Engländers Milton, hat Bodmer von einem Obersachsen revidiren Lassen, ebenso wie sein Landsmann, der treffliche und gelehrte Hafler, nachdem er durch seinen Aufenthalt in Deutschland   sein Ohr geschärft hatte, sich wohl hütete, seine Muse schweizerisch reden zu lassen.

Den schärfsten und entschiedensten Vertreter fand aber das neuere Hochdeutsch oder Obersächsisch" in Adelung, der dieses die gesellschaftliche Sprache der oberen Klassen der ausgebildetsten Provinz" nennt. Man solle, falls man an der Wahrheit dieser Behauptung zweifle, nur nach dem südlichen Chursachsen kommen,

und man werde finden, daß das gute Hochdeutsch nirgends so allgemein, wie hier, selbst von den niedersten Klassen gesprochen werde, daher es wohl hier kein Fremdling sein kann. Die hier bewirkte Aufklärung des Verstandes, des Geschmackes und der Sitten haben sich von hier über alle deutschen   Provinzen ver­breitet, die dieselben aufzunehmen fähig waren, und in dem Maße, als sie dies waren. Mit ihr verbreitete sich auch die hier verfeinerte Sprache und mußte sich verbreiten, weil sie eben so sehr ein Werk des guten Geschmackes war als alles übrige. Adelung fand allerdings auch Widerspruch, jetzt ist er ebenso wie Gottsched beinahe vergessen, ja unverdientermaßen mehr geschmäht, als gekannt. Er ist nicht ohne einige Uebertreibungen, aber sein wirklich ernſtes, überzeugungsvolles Streben verdient keinen Spott und Hohn, am wenigsten von solchen, die seine Arbeiten nie in der Hand hatten. Jean Paul Richter macht sich einmal in der Vorschule der Aesthetik" über ihn und seine meißnischen Klassen" als die preisausschreibenden Sprachmächte 2c. 2c. des Deutschen   lustig; die übrigen großen Dichter stehen ihm meist gleichgiltig gegenüber. Hier handelte es sich ja auch um ein fait accompli, um eine abgeschlossene Thatsache, ein weiterer Streit wäre einer um des Kaisers Bart gewesen.

Interessant dürfte jedoch noch eine Stelle in Goethe's Wahr­heit und Dichtung sein, geschrieben im Jahre 1810. Dort heißt es: " Jede Provinz liebt ihren Dialekt, denn er ist doch eigentlich das Element, in welchem die Seele ihren Athem schöpft. Mit welchem Eigensinn aber die meißnische Mundart die übrigen zu beherrschen, ja eine Zeit lang auszuschließen gewußt, ist jeder­mann bekannt. Wir haben viele Jahre unter diesem pedantischen Regimente gelitten, und nur durch vielfachen Widerstreit haben sich die sämmtlichen Provinzen in ihre alten Rechte wieder ein­gesetzt."

Wir dürfen wohl hinter verschiedene Punkte dieses Sazes, die zu stark aufgetragen sind, ein bescheidenes Fragezeichen sezen. Durch Wilhelm Grimm   ist die folgende mündliche Aeußerung Goethes bezeugt: Man soll sich sein Recht nicht nehmen lassen; der Bär brummt nach der Höhle, in der er geboren ist." So hatt denn der Bär" auch in der Unterhaltung seine angeborne Mundart nie verleugnet, und die Norddeutschen haben sie ihm auch angehört. Uebrigens hatte Goethe selbst in Leipzig   einen Bildungskursus durchzumachen, in welchem besonders die jungen und alten Damen eine große Rolle spielten und dessen eingedenk er vielleicht später im Faust das bekannte Lob Leipzigs   nieder­schrieb: Mein Leipzig lob ich mir, es ist ein klein Paris   und bildet seine Leute. Soweit sich Goethe gegen eine Vergewaltigung der mündlichen Rede nach einem bestimmten Muster als einer Unnatur wendet, hat er Recht, aber Unrecht hat er, wenn er von einer förmlichen Tyrannei spricht auf dem Gebiete der Schrift. sprache: hier ist der Prozeß ganz organisch vor sich gegangen, ohne Defrete einer Akademie oder irgend, welche Hülfsmittel; die Dinge selbst brachten die Lösung der Aufgabe mit sich und er selbst, wie auch Schiller  , benußten trotz alledem und alledem Gottsched's einschlagende Werke.

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Von Schiller   zum Schluß noch einen Doppelvers aus einer Reihe von Sinngedichten, betitelt Die Flüsse"( Deutschlands  ), worin die Elbe   redend eingeführt wird: All ihr andern, ihr sprecht nur Kauderwelsch unter den Flüssen Deutschlands   rede nur ich, und auch in Meißen   nur, deutsch  .

Aber auch diese Polemik ist mehr auf die übertriebenen Ver­ehrer des Meißnischen, welche ihre Bildung" in einer andere verlegenden Weise zur Schau tragen, gerichtet, als gegen die Sache selbst: auch Schiller   holte sich, wie schon bemerkt, in zweifelhaften Fällen bei Gottsched Rath.

Heutigen Tages ist nun die Frage keineswegs mehr eine brennende, die Spracheinheit ist zur Wirklichkeit geworden, sie ist vollzogen und die Akten sind geschlossen. Höchstens pflegt man hie und da Erörterungen über den Werth der verschiedenen Aus­sprachen des Neuhochdeutschen, bei denen oft die hannoversche be­sondere Anerkennung findet: ob und mit welcher Berechtigung dies geschieht, das zu untersuchen ist hier nicht unsere Aufgabe. Aus dem Gemeindeutsch des Mittelalters, jenem Mitteldeutsch, hat sich das Neuhochdei. iche entwickelt und hat lebensfähig und siegreich alle Anfeindungen überdauert, es hat jetzt in allen anneftirte Gauen des deutschen   Landes anerkannte Geltung Länderstrecken gelten für unsere sprachgeschichtliche Untersuchung eben nicht als deutsche   Gaue und neue tiefgreifende Um­geſtaltungen, welche das jetzt Feststehende und Geltende in Frage stellen könnten, dürften wohl kaum zu befürchten sein.

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