Was die übrigen hinter dem Rücken thaten!" lachte Röschen, die ihre gute Laune wiedergewann.

" Jungfer Naseweis!" murmelte Emmerenzia ärgerlich. Dann schickte sie sich zum Rückzuge an, da sie aber die stolze Hofräthin auch noch zu demüthigen wünschte, sagte sie mit einem tiefen Bückling: Einen schönen guten Abend, Frau Schwägerin, und nichts für ungut. Sie haben sich nun überzeugt, daß ich nicht zuviel gesagt, als ich Ihnen versprach, Sie sollten noch heut unser liebes Pärchen beisammen finden. Bedaure, Frau Schwägerin, daß Sie so traurige Erfahrungen machen. Wir Kleinstädter sind eben an strengere häusliche Zucht und Sitte gewöhnt. Das sind Großstadt Manieren! Wünsche wohl zu ruhen!"

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Der letzte Stich galt Adelgunde, denn auf sie waren die stechenden Blicke des alten, abschreckend häßlichen Wesens gerichtet. Die Hofräthin, bleich vor Merger, schlug ihre Hände, in denen sie noch den rostigen Hausschlüssel hielt, zusammen in wortlosem Jammer und sah der Enteilenden nach, während sie bei sich be­rechnete, daß morgen ganz Dohlenwinkel von dieser standalösen Szene Kenntniß haben werde. Unwillkürlich flammte ihr Zorn gegen die Schuldige wieder auf und durchbrach für kurze Zeit den Damm künstlicher Fassung, den sie in jeder Lebenslage sich zu bewahren suchte, weil man ihr von Kindheit an eingeprägt, daß wirklich vornehme Leute weder ihren Schmerz noch ihre Freude laut äußern dürften.

" Der Hofrath von Bartels"," schrie sie dem jungen Uebel thäter zu, wird von Ihrem Vater eine strenge Bestrafung Ihres Leichtsinns verlangen. Mein mißrathenes Kind werde ich selbst richten; ein Kloster wird der beste Aufenthaltsort für dies leicht­sinnige Geschöpf sein!"

Aber Mama, ich bin ja nicht katholisch!" rief, unter Thränen lachend, Röschen über die Mauer.

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, Einerlei, so wirst du in eine Diakonissenanstalt gebracht werden. Vorläufig verfüge dich in das Haus, und Sie, mein Herr," fuhr die Hofräthin zu Jakob gewendet fort, Sie werden sich unverzüglich zurückziehen!"

" Ich gehe ja schon," sagte der arme Bursche ganz kleinlaut, denn der fremde Ton, welchen die Tante ihm gegenüber anschlug, die Anrede: mein Herr!" machte ihn mehr verwirrt, als wenn die Dame sich einige landesübliche Ehrentitel erlaubt hätte. Um seinen Gehorsam zu zeigen, sprang er denn auch, nach einem letzten Blick auf das weinende Röschen, von seinem hohen Size herab, aber so unglücklich, daß er der gnädigen" oder vielmehr ungnädigen Tante, welche eine so schnelle Befolgung ihres Ge­botes nicht erwartet hatte, im strengsten Sinne des Wortes an den Hals flog.

In dem instinktiven Bestreben, sich zu halten und vor einem gänzlichen Sturze zu bewahren, umflammerte Jakob mit einen langen Armen krampfhaft die eckigen Schultern seiner künftigen Schwiegermama, und erst als diese mit einem Aufschrei der Ent rüstung sich freigemacht und ihn abgeschüttelt hatte, stürzte er, so schnell ihm seine Beine das erlaubten, davon, ohne auch nur einen einzigen Blick zurückzusenden.

Er hätte sonst gesehen, wie Dame Edeltrud, halb ohnmächtig vor Aerger und Empörung und erschöpft von der Kraftanstrengnng, durch die sie sich von der unfreiwilligen Umarmung befreit, ihrer vor Schreck ganz sprachlos gewordenen Tochter Adelgunde in die Arme sank.

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Große und anscheinend vernichtende Schicksalsschläge haben oft die reinigende und erfrischende Wirkung auf das Menschengemüth, die ein starkes Gewitter in der Natur übt.

Solch' ein elementares Ereigniß war für Röschen und Jakob die große Ueberraschungsszene" gewesen. Er beschloß zu handeln, und sie handelte. Am Morgen des andern Tages, nachdem die stürmischen Vorwürfe verstummt waren und die Ruhe eines Fried­hofes in der standesgemäßen Wohnung herrschte, schickte sich Röschen an, mit der Magd, wie gewöhnlich geschah, das Haus zu verlassen, um die nothwendigen Einkäufe zu machen.

Die Hofräthin behauptete, siarte Migräne zu haben, lag auf dem Schlafsopha in ihrem Erkerzimmer und hatte sich frische Gurkenschalen um Stirne und Schläfe gebunden. Adelgunde hatte eben auf der Mutter Geheiß das Gemach verlassen, um der Ungerathenen" anzuzeigen, daß sie bis auf weiteres Hausarrest habe, als die Leidende den ihr wohlbekannten kreischenden Ton vernahm, welchen das Deffnen der Hausthüre stets hervor brachte.

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Mit einem Sage sprang die heftige Frau von ihrem Lager auf und an das Fenster, das sie schnell öffnete. Richtig, es war, wie sie geahnt, da schritt Röschen fein ehrbar hin und neben ihr Hanne mit einem großen Marktkorbe.

Rosa!" rief Tame Edeltrud gebieterisch.

Ein lautes Gelächter antwortete ihr, während Röschen ihren Schritt beschleunigte und angelegentlich dabei mit der Magd sprach, ohne jedoch auf den mütterlichen Zuruf zu achten und den Kopf zu wenden. Inzwischen erschallte erneutes Gelächter, und zwar aus den Kehlen einiger Straßenjungen, die sich mit Ballspielen vergnügten. Dieselben hatten nämlich das in einer großen Nachtmüze steckende Haupt der Hofräthin erblickt, dem die grünen Gurkenschalen, welche durch ein rothes Seidenband um Stirn und Schläfe befestigt waren, allerdings ein höchst originelles Aussehen verliehen. Jetzt ward auch der Dame flar, welchen Grund die Heiterkeit dieser ausgelassenen Schulknaben hatte, und um sich den Beleidigungen der jungen Plebejer nicht noch länger auszusetzen, zog sie ihren Kopf schnell zurück und überließ noth­gedrungen das gewissenlose Kind seinem Schicksal..

Röschens gestreiftes Leinenkleidchen flatterte eben Ecke, die Mama schlug ärgerlich das Fenster zu, daß blinden Scheiben flirrten, und gebot der eintretende die ganz bestürzt ihre Meldung machen wollte, gekommen, den Bapa Hofrath herbeizubeordern. empfand ein gesteigertes Mittheilungsbedürfniß, Frieden des armen Dulders, der sich eben ein gemü pfeifchen gestopft hatte, war es geschehen!

Inzwischen eilte Röschen dem schwarzen fragte schon unter dem Hofthor den alten Herrn Jonas sprechen könne.

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necht, ob sie Eben ist die Fräule Martha fortgegangen," meinte der mit einem verschmitten Lächeln; sie haben lange strausirt und der Herr hat die Hände zusammengeschlagen."

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Glühende Röthe überzog des Mädchens Wangen , bald aber machte sich ein troßiger Zug um den kleinen Mund bemerkbar, und während sie dem Extrazimmer zuschritt, wo Herr Jonas senior, nach des Hausknechts Meldung, seinen Frühschoppen allein in stiller Sammlung zu trinken pflegte, sprach sie muthig vor sich hin: Um so besser, wenn er alles weiß, ich brauche es ihm dann nicht erst zu erzählen, und er muß mir helfen!"

Als die Magd, diesmal allein, die Einkäufe besorgt, kam sie in den schwarzen Wallfisch", um ihr Fräulein abzuholen.

Herr Jonas begleitete Röschen selbst bis zur Hausthür, und ihre kleine, harte Hand noch einmal herzlich schüttelnd und einen Moment zwischen seinen dicken, ungeschickten Fingern gepreßt hal­tend, flüsterte er ihr tröstend zu:" Ich werde darüber nachdenken, vielleicht habe ich eine gute Idee!"

Gewöhnt, sein Wort zu halten, verfügte er sich auch sofort wieder in das Extrazimmer zurück, ließ sich den geleerten Henkel­frug frisch füllen und sann und trank trant und sann, bis ihm das schwere Haupt auf die Brust und die Augendeckel zu­fielen.

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Ein sanfter Rippenstoß weckte den dicken Herrn aus seinem Morgenschlummer. Vor ihm stand Margarethe, die ebenfalls sehr forpulente Gattin, schlug die Hände zusammen und rief ein- über das andremal:

Herrjemine! Alle Hände voll zu thun, und hier sitzt der Mann und schläft!"

" Du irrst, Margarethlein," erwiderte der dicke Wallfisch nicht ohne Würde, ich schlief nicht, ich hatte eine Idee, und da ge= schrieben steht,, den Seinen gibt er's schlafend,' so-"

" So schlief Jonas ein, um erwachend zu finden, daß sein Glaube ihm geholfen!" ließ sich die Stimme des alten Studenten vernehmen, der, in dem Rahmen der geöffneten Thüre stehend, das kleine Zwiegespräch des Ehepaars belauscht hatte.

Frau Margarethe entfernte sich mit kurzem Gruße, der ge­lehrte Gast flößte ihr nicht sonderlichen Respekt ein, obwohl Heri Jonas schon öfter die Behauptung aufgestellt hatte, daß es nicht so ganz unwahrscheinlich wäre, wenn der Erbonkel", um die übrigen recht empfindlich zu kränken, seinen Reichthum just dem Eusebius vermache, der sich darum feinen Deut kümmern werde. Als die Wallfischin das Zimmer verlassen, ließ sich der alte Student am Schenktische nieder, und während Herr Jonas ihm geschäftig ein Stempelglas mit Wein füllte, fragte er lächelnd:

it es ein Geheimniß oder erlaubt, darnach zu fragen, welche Idee euch, edler Ganymed, durch höhere Jnspiration ge­worden ist?"