Sammenzudrängen, indem man sie derartig typographirte, daß man daraus gewissermaßen die Spalten eines Journals bildete, um sie ferner unter Reduktion ihrer Flächen auf den möglichst geringsten Maßstab zu photographiren und endlich die Photo­gramme durch Tauben nach Paris   an die Centralpostverwaltung zu senden, welche damit betraut war, den Inhalt photographisch vergrößert auf telegraphischem Wege an seine Adressaten in der Stadt weiterzusenden. Das System ist am 8. November 1870 eingeführt und am 14. November hat die Verwaltung die erste Nummer dieser Art eines telegraphisch  - photographischen Journals in sehr kleinen Schriftzeichen empfangen, welches zu lesen nur der Gebrauch einer sehr starken Lupe gestattet. Bei Marne   in Tours  , dessen bedeutende Geräthschaften allein für ein so aus­gedehntes Werk ausreichten, wurden die Bogen zusammengesetzt, Seren Photographie sogleich gedruckt wurde.

Die erste Nummer von 12 Centimeter in Quatdratfläche ent­hielt 226 Depeschen aus allen Gegenden Frankreichs   und des Auslandes.

Ebenso leicht, als die Besorgung eingerichtet wurde, bedurfte auch das Publikum nur der Anweisung, was es zu thun hatte, um diese kleine Zahl von Depeschen möglichst auszunuzen. Mehrere Familien in derselben Stadt, welche Verwandte oder Freunde in Paris   hatten, vereinigten sich aus freien Stücken und sandten Gesammttelegramme in der Weise, daß 250 Depeschen in Wirklichkeit Nachrichten von mehr als 1000 Familien brachten. Die gewöhnliche typographische Zusammenstellung wurde auf dem Wege der Photographie mikroskopisch reduzirt, so daß sie ein winziges Papierblättchen von 30 bis 40 Millimeter ausfüllte, welches zusammengerollt in eine Federpose verborgen wurde, die man mit 3 Federn der Länge nach an eine Schwanzfeder der betreffenden Brieftaube band. Dies Blättchen, durch eine starke Lupe betrachtet, kaum lesbar, hatte das Aeußere eines Journals mit 4 Spalten. Diejenige der linken Seite enthielt die Worte: " Dienst der Brieftaubenpost. Steenackers à Marchandie, 103 rue de Grenelle  ." Die 3 anderen Spalten dagegen enthielten den Wortlaut der Depeschen, eine nach der anderen ohne Weiß noch zwischenreihen, alles auf der Vorderseite. Die in Paris  am 25. November 4 Uhr früh mit der Nachricht von der Wieder­einnahme von Orleans   eingetroffenen 266 Depeschen waren in 4 Stunden Zeit vergrößert und umgesetzt und um 4 Uhr Abends an ihren Bestimmungsorten. Mit der Lupe, deren man sich bediente, kamen die Buchstaben auf die Größe der Buchstaben heraus, welche man zu den Minuskelanzeigen der Times" be­

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nutzt. Die folgende Zeichnung zeigt die erste Seite der Depesche in der wirklichen Größe des Originals:

Service de dépêches par pigeon

voyageur

Steenackers à Marchandie 103 rue de Grenelle

Vornehmlich zeichnete sich in Herstellung der Depeschen der. Photograph Dragon aus, welchen ein aus Paris   am 12. No­vember abgegangener Luftballon nach mancherlei Gefahren nach Tours   geführt hatte. Dieser machte in wahrhaft bewunderns würdiger Weise von der Photomikroskopie Gebrauch und ermög­lichte dadurch, daß er nicht auf Papier, sondern auf ein eigens präparirtes Häutchen die verkleinerten Depeschen photographirte, außerordentliche Vortheile. Eine Taube konnte 18 solcher Häutchen, in einem Gesammtgewicht von 1/2 Gramm tragen, deren jedes etwa 3000 Depeschen enthielt, welche mit Hülfe des elektrischen Lichtes vergrößert 12 bis 16 Folioseiten einer großen Zeitung repräsentirten, so daß ein einziger dieser geflügelten Kuriere mehr als 50,000 Depeschen zu vermitteln vermochte. Dazu ließ sich die photographische Aufnahme troz der trüben Wintertage so schnell ausführen, daß die um 12 Uhr Mittags übergebenen Depeschen bereits um 5 Uhr Nachmittags zur Absendung bereit waren. Um den richtigen Empfang der Depeschen zu sichern, wurden die­selben öfter, ja 20, 35, sogar 40 Mal vervielfältigt abgesandt. Vermittelst des Luftballons hat man im ganzen 354 Brief­tauben von Paris   herausgebracht. Von diesen gelangten etwa 100 wieder zurück. Verschiedene davon haben die Reise zwei­und dreimal erfolgreich gemacht. Von der Gesammtzahl von 115,000 und, alle Kopien mit inbegriffen, 2,500,000 Depeschen, welche abgesandt worden, gelangten allerdings nur 52 Depeschen­serien nach Paris  . Dieses immerhin noch günstige Ergebniß be­ruhte vorzugsweise darin, daß die Brieftauben auf der ihnen längst bekannten Linie Paris- Orleans- Blois- Poitier zu fliegen hatten. ( Schluß folgt.)

II.

Deutschlands   Festzeit.

Sfizzen aus den Jahren 1860-1863 von 28. H.

In S., einem kleinen Städtchen an den südlichen Ausgängen des Thüringer Waldes   gelegen, sah man an einem herbstlichen Sonntagsmorgen des Jahres 1860 allerlei Flaggenschmuck und Laubgewinde an den Häusern und in den Straßen prangen. Das Städtchen wunderte sich selbst über diesen ungewohnten Schmuck und mancher ehrsame Spießbürger, der mit der Nacht­müße über den Ohren aus den Fenstern blickte, schüttelte sein erstauntes Haupt über den Unfug, als er bemerkte, daß selbst sein eigenes Haus nicht verschont geblieben und an der Wasser­rinne eine Guirlande befestigt worden war.

Die Turner des Städtchens hatten in der mondbeglänzten Herbstnacht die Häuser bekränzt und willig waren auch einige Besizer der Aufforderung, die in dem Wochenblättchen sich be­fand, nachgekommen und hatten einige grün- weiße, schwarz- weiße und schwarz- roth- goldene Flaggen ausgesteckt.

So wenige ihrer auch waren, so machten sie doch auf die harmlosen Gemüther der Einwohner einen großen Eindruck, da zum erstenmale seit dem Jahre 1821 ein öffentliches Schauturnen in dem Städtchen wieder stattfinden sollte.

Auf Veranlassung eines fremden Handwerksgesellen, der seit einigen Monaten in dem Städtchen arbeitete, hatte sich nämlich, dem damaligen Zuge der Zeit folgend, ein Turnverein gegründet, der die große Zahl von 13 jungen Leuten umschloß, die auch dem Handwerkerstande angehörten; und da in dem kleinen Ge­

birgsstädtchen das Handwerk niemals einen goldenen Boden be­sessen hat, so waren es sämmtlich arme Teufel, die sich der Turnkunst mit aller Hingabe widmeten.

Troß ihres Eifers und trotzdem ihre Bemühungen sich des Wohlwollens des dortigen Gymnasialdirektors zu erfreuen hatten, waren die eigentlichen Bürgersöhne dem Verein fern geblieben und so fristete derselbe nur ein äußerst kümmerliches Dasein. Der Gymnasialturnplatz stand ihm allerdings zur Verfügung, aber die schlechte Witterung, die den September hindurch an­gehalten, hatte es unmöglich gemacht, die Uebungen regelrecht ab= zuhalten. Tragbare Geräthe aber, die in einem Saale   benußt werden konnten, waren zu theuer, als daß die geringen Beiträge der 13 jungen Leute ihre Anschaffung erlaubt hätten.

Es galt jezt, einen großen Streich auszuführen. Ein Turnfest, wenn auch in der späten Jahreszeit, sollte die Bevölkerung des Städtchens aus ihrer Lethargie wecken und auf die Bestrebungen des Vereins aufmerksam machen.

Die Turnvereine der Nachbarstädte hatten ihren Besuch zu­gesagt, und nur das Wetter war eine ganze Zeit lang vor dem Festtage so schlecht gewesen, daß der Mißmuth förmlich die Herzen der jungen Burschen verzehrte und alle ihre Hoffnungen zu ver­nichten schien.

Doch Sonnabend gegen Nachmittag brach seit Wochen zum erstenmale die Sonne durch die dichten Wolken, die ein scharfer Wind vollends zerstreute, welcher Weg und Steg leidlich abtrocknete.