Auf dem Balle sah man in erster Linie der Tanzenden, viel umworben von den fremden Turnern, des Gefangenwärters schönes Töchterlein. Das weiße Kleid mit den blaßrothen Schleifen schmückte die schlanke Gestalt, welche dem flüchtigen Rehe gleich, kaum den Fußboden berührend, dort vor den Augen der Bewunderer verschwand, dort plötzlich wieder auftauchte. Der brave Schreinergeselle aber stand stumm und träumerisch in einer Ecke.

Während des Balles wurde eine Sammlung veranstaltet für verfolgte holsteinische Lehrer, patriotische Freiheitslieder dekla­mirt und gesungen bei immer wachsender Fröhlichkeit.

Der brave Schreinergeselle, der sonst ein recht lustiges Blut war, stand immer noch stumm in der Ecke und nur ein aufmerk­sames Auge konnte das hohe Wogen der Brust erblicken, und nur ein aufmerksames Ohr konnte die unterdrückten Seufzer ver­nehmen, die sich der gepreßten Brust entrangen.

Der kleine Gott Amor war vielgeschäftig; dort schlang er unsichtbar leise aus den Haaren einer schönen Tänzerin für den Tänzer ein festes Band, welches denselben durch das Leben leiten sollte; hier lenkte er den heißen Athem der Tanzenden gegenseitig auf das glühende Gesicht, so daß die Flammen emporschlugen, um nimmer zu verlöschen. Dort lispelte der böse Schalk dem schönen Töchterlein des Gefangenwärters in's Ohr, daß der feine, schlanke und so intelligent dreinschauende Glasmaler aus Ilmenau  doch viel liebenswürdiger sei, als der derbe Tischlergeselle, und er lispelte das böse Wort solange, bis sie es glaubte.

Ueber 100 Personen aus allen Ständen traten an dem Abende dem jungen Turnverein theils als aktive, theils als passive Mitglieder bei die ursprünglichen Dreizehn glühten vor Lust und Siegesbewußtsein- doch nicht alle.

Denn der brave Schreinergeselle, der einer der eifrigsten der

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Dreizehn gewesen, stand immer noch stumm in der Ecke, und als ein Freund ihm das fröhliche Ereigniß verkündete, nickte er so in sich versunken, daß derselbe erschreckt nach der Ursache seiner der Mißstimmung frug. Keine Antwort, nicht ein Wort Freund wurde gerufen die glühenden Blicke des Schreiner­  | gesellen aber durchbohrten förmlich das schönste Paar, welches auf dem Tanzsaale sich in einem sinnberauschenden Walzer dahinwiegte.

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Der Turnverein in S. nahm seitdem einen großen Auf­schwung. Manches habe ich noch von ihm gehört, meist freudiges, aber auch eine traurige Kunde ereilte mich in meiner fernen Heimat.

Der junge Maler aus Ilmenau   führte nämlich die schöne Tochter des Gefangenwärters heim. Der Tischlergeselle aber hatte in einem Anfalle von Wahnsinn in einsamer Nacht einen Schuß abgefeuert gegen das Fenster des Stübchens, in welchem seine frühere Braut schlief und darauf einen Selbstmordversuch gemacht, der aber gänzlich mißglückte.

Er konnte nun ein ganzes Jahr lang aus seiner Zelle hinaus­blicken auf den Hof, auf dem er frühmorgens am Festtage den Treuschwur erhalten, er konnte auch das ferne Dach des Schüßen­hauses erblicken, unter welchem Abends der Treuschwur gebrochen

wurde.

Und dennoch kann man dem holdseligen Mädchen nicht zürnen, daß es sich einen andern erkoren, der ihr lieber und besser er­schien. Sie hatte auch für sich eine glückliche Wahl getroffen, indem sie ein andres treues Herz geknickt.

Möge dasselbe sich wieder aufgerichtet haben! Ich habe weiteres von dem armen Tischlergesellen nicht gehört.

Parlamentarier.

IV.

Dahlmann  , der große Dahlmann, der Vater des deutschen Kon­stitutionalismus, der Prediger der politischen Dreieinigkeit.

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Die beste aller Staatsformen ist der Konstitutionalismus; in einem fonstitutionellen Staate muß jeder Staatsangehörige glücklich sein, alles politische und soziale Leben schmiegt sich in die Form und es gibt ein schönes, prächtiges, untadelhaftes Glück und Dahlmann   ist der Staatskoch. Solche oder ähnliche Gedanken müssen einen beschleichen, wenn man in Dahlmann's   Geschichte der englischen Revolution liest. Die Altliberalen der vormärzlichen Periode gehörten durchweg der reichen Bourgeoisie an;, daß sie die englischen Zustände liebten, daß sie den Professor Dahlmann   als den Mann verehrten, der solche Zustände nach Deutschland   übertragen wollte, ist wohl sehr begreiflich, deshalb erklang auch überall in ganz Deutschland  , soweit der Einfluß des Geld­sacks reichte, jahrelang der Ruf: Dahlmann  , der große Dahlmann  ! Friedrich Christoph Dahlmann  , geboren im Jahre 1785 in Wismar  , 1812 Professor der Geschichte in Kiel  , 1829 der Staatswissenschaften in Göttingen  . 1837 aus Göttingen   verwiesen, weil er mit noch sechs anderen Professoren gegen die Aufhebung der Verfassung protestirte ( die göttinger Sieben), 1842 Professor der Geschichte zu Bonn  , 1848 Delegirter Preußens beim Bundestage, arbeitete er den preußisch- deutschen  Verfassungsentwurf mit aus, war Mitglied der deutschen   Nationalver­sammlung, der preußischen ersten Kammer und des erfurter Parla­ments. Er starb 1860.

Besonders in den Jahren 1848-49 war Dahlmann   an seinem Blaze. Die altliberale Bourgeoisie fühlte, daß sie zwischen zwei Feuern stand auf der einen Seite die Revolution, auf der andern die Re­aktion. Sie erkannte vielfach die traurige Rolle, die sie spielte; ihre großen Wünsche, die sie so laut geäußert hatte, und ihre Kräfte, die so schwach waren, und ihr Muth, der noch viel schwächer war, eine durchaus klägliche Rolle. Da kam Dahlmann  , der der altliberalen Partei nach jeder Niederlage bewies, daß ihre Ohnmacht eigentlich ,, staatsmännische Klugheit" gewesen sei.

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ja,

Wie jubelten da die Philister! Wie heldenhaft schmiegten sie sich nach den jeweiligen Fußtritten, die sie von oben erhalten hatten! Auch die Kaiseridee hat Dahlmann   zuerst auf das Tapet gebracht, und bald hatte er es fertig, daß in der Bourgeoisie der Glaube sich festseßte, daß der Erbkaiser zum ,, organischen Fortschritte" Deutschlands  gehöre.

Arnold Ruge   fragte allerdings in seiner Reform" an, ob die Deutschen   nicht noch zum Eichelfraße zurückkehren sollten, da das Kaiser­thum von Dahlmann   besonders als eine urgermanische Institution gepriesen worden sei. Hei, wie die Professoren über den Verwegenen herfielen, der die Kaiseridee verspottete: er hatte kein ,, deutsches Herz". Gradeso, als wenn jezt Jemand den Bismarckkultus verspottet ist er ein ,, Reichsfeind".

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dann

Im übrigen war Dahlmann   von ekelhafter Bissigkeit und mit maß­loser Arroganz behaftet, ein dünkelhafter Gelehrter, dem der Zopf hinten hing, er mochte sich drehen wie er wollte. In der Paulskirche   merkte man es allen seinen Reden an, daß er in jedem noch so zahmen Demo­fraten einen Schuft sah.

Noch sei bemerkt, daß Dahlmann   das Niederwerfen der berliner Revolution eine ,, rettende That" nannte. Friede seiner Asche! H.

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Gift im Zucker. Der Standard" sagt: ,, Das Auftreten der Cholera bei uns mag mit atmosphärischen Veränderungen, mit un­reiner Luft, mit elektrischen Erscheinungen oder örtlichen Einflüssen in Verbindung stehen; ja, der Ursprung der Krankheit mag sogar im Diät­wechsel zu suchen sein. Daß eine solche Veränderung wirklich eingetreten, ist allgemein bekannt. Auf unsern Märkten wird jezt viel ungesunde thierische Nahrung ausgeboten. Andere Nahrungsmittel, deren Zu­bereitung wir nicht kennen, wobei man aber gewiß wenig an die Ge­ſundheit des Konsumenten denkt, werden in unseren meisten Kaufläden gefunden. So wird zum Beispiel der Zucker, welcher aus Kuba   und Brasilien   kommt, auf eine Weise zubereitet, welche die französische   und belgische Regierung verboten hat. Das Läuterungsverfahren und das letzte Klären des Zuckers hat unter den Männern der Wissenschaft ernst­liche Bedenken erregt. Es heißt, daß sich der Gebrauch dieses Mittels ( Bleiessig) auf Kuba   und Brasilien   beschränkt, aber da es 30 pet. mehr Zucker gewährt, als das unschuldige Mittel( fohlensaurer Kalk) in den britischen   Kolonien, so steht zu befürchten, daß es allgemein angenommen werden wird. Lähmung der Leber und der Nieren ist das erste Cholerasymptom, und Jedermann weiß, daß die gewohnheits­mäßige Aufnahme von Blei in den Körper Lähmung erzeugt."

Das Bäckerschupfen. Von je ist das Volk geneigt gewesen, die­jenigen schwer zu bedrohen und ihre Bestrafung zu verlangen, welche sich dadurch versündigten, daß sie das unentbehrlichste Nahrungsmittel, das ,, liebe Brod  " verfälschten oder vertheuerten. Es gibt in den ver­schiedenen Ländern auch verschiedene Strafen für derartige Vergehungen. Eine der originellsten dürfte das sogenannte ,, Bäckerschupfen" sein, wie es in Alt- Wien Brauch war. Nämlich Bäcker, welche ungenießbares, oder im Gewichte zu geringes Brod buken, wurden in einen geschlossenen Korb gesezt, welcher am Ende eines, in Gestalt einer einfachen Schaufel, angebrachten langen Balkens hing, und so in die Donau   oder sonst in eine Pfüße getaucht. Schon Herzog Albrecht der Zweite von Dester­reich ordnete im Jahre 1340 an: die Bäcker sollen geschupft werden, nach altem Brauch" was natürlich ein viel höher hinaufreichendes Alter dieser Strafe vorausseßt, die erst unter Kaiser Joseph   dem Zweiten eingestellt wurde. E. v. W.