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als wenn man ihnen jetzt einen Namen nennt, der für sie eben nichts weiter als Name ist, von dem sie nichts wissen, nichts be­greifen und dessen einziger, gefährlicher Reiz in seiner geheimniß vollen Unbegreiflichkeit liegt? Dies Fest wird erst ein wahres Kinderfest werden, wenn alles Uebernatürliche, wenn die fromme Lüge und die himmlischen Gleichnisse daraus verbannt werden, wenn es rein menschlich geworden ist.

Wer ist denn das Christkind?" fragte Georg noch dringender. Er war, wie alle wißbegierigen Kinder, ein ewiger Frager. " Das Christkind, Georg, das die guten Kinder so lieb hat und ihnen gern eine Freude macht, das ist das ist eben das Christkind."

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" Aha!" machte der Kleine, als wäre ihm damit alles klar geworden.

Der Vater aber flüchtete nach dieser geistreichen Auseinander­segung in das Zimmer.

,, Mach nicht zu viel Lärm," ermahnte er nochmals mit dem Finger drohend, ehe er die Thür hinter sich zuschloß.

,, nein!" rief sein Söhnchen ihm nach, und seitdem hörte er nicht auf zu springen und zu tanzen, daß der Boden zitterte, und sein: Heut ist Christkind" nach eigener Melodie herunter zu singen.

Frau Gustel störte das nicht, sie war daran gewöhnt, und dann hatte sie heute so viel zu denken, ihr liebender, sorglicher Sinn war von der Freude, die sie den Ihrigen bereiten wollte, ganz eingenommen. Sie hatte ihren Jüngsten auf den Boden gesezt, und war nun beschäftigt den Fisch, der zum Nachtessen be­stimmt war, zu pußen und in Stücke zu schneiden, auch Kartoffeln hatte sie an's Feuer gesetzt, sie wollte einen Salat daraus machen, das sollte alles gar gut und appetitlich werden.

Der um zwei Jahre jüngere Bruder ihres Mannes, der Ab­gott der Kinder, Onkel Friz, wurde erwartet, um den festlichen Abend mit ihnen zu feiern. Ueber alles gerne hätte die Gustel auch ihre neue Freundin und Wohnungsnachbarin, die achtzehn­jährige Rosa, dazu geladen.

Sie hatte das Mädchen herzlich lieb gewonnen und dieses hing an ihr und den Kindern mit gleicher Zärtlichkeit. Rosa wurde nimmer müde, ihr, der Aelteren, allerlei kleine Aufmerk­samkeiten und Gefälligkeiten zu erzeigen, um sich ihr nach Mög­lichkeit nüßlich zu erweisen, und heute am Christabend sollte das arme, junge Ding allein bleiben, mutterseelenallein?! Ihre Miethfrau, bei der sie mit noch zwei Kameradinnen gemein­schaftlich ein Kämmerchen inne hatte, brachte den heutigen Abend bei ihrer verheiratheten Tochter zu, und auch die Kameradinnen waren außer Hause zu befreundeten Familien geladen worden; Rosa hatte Niemanden, der sich um sie gekümmert hätte. Sie hatte keine Anverwandten in der großen Stadt, in die sie vor einigen Monaten gekommen war, um daselbst in der großen Buchdruckerei, in der die beiden Mahlknecht als Sezer beschäftigt waren, als Einlegerin, sogenannte Punttirerin Verwendung zu finden. Ihre einzige und beste Freundin war Auguste und diese hatte das junge Mädchen, das ihrem Manne und Schwager wohl bekannt war, noch nicht geladen, einfach deßhalb, weil sie es nicht gewagt hatte.

Zwischen Frizz und Rosa existirte seit ungefähr drei Wochen eine grimmige Feindschaft, wie jedes von ihnen nämlich selbst ver­sicherte. Was der eigentliche Grund zu dieser Ungeheuerlichkeit war, hatte sie noch nicht erfahren können, beide Theile beobachteten darüber ein unverbrüchliches Stillschweigen, und Auguste war viel zu delikat, um in die Freundin zu dringen und ein Geständniß zu provoziren. Auch war sie der Ansicht, die plötzliche Abneigung sei doch nur eine Kinderei und könne nicht von Dauer sein. Was sollte auch zwischen zwei so lieben, guten Personen, wie die Beiden es waren, die überdies in feinem Verhältniß zu einander standen, die sich täglich nur auf Minuten sahen und bisher kaum einige Worte mit einander gewechselt hatten, so Be­deutendes sich ereignet haben, daß ihre Gemüther in gegenseitiger Erbitterung jede Versöhnung zurückweisen sollten?

Gustel wollte diese Versöhnung herbeiführen, der heutige Abend wäre am passendsten dafür gewesen, und doch fehlte ihr wieder der Muth, den Feind mit der Feindin gerade an diesem Abend zusammenzubringen; wer weiß, es hätte ja auch übel ablaufen können und hätte eines von der Gegenwart des andern in vor­hinein gewußt, so wären sie wahrscheinlich beide nicht gekommen. An alles das dachte Frau Auguste, erwog das Für und Gegen, das Gelingen und Mißlingen ihres Planes, und dabei salzte sie den Fisch und wickelte ihn in Semmelbrösel. Da läutete

es, behende öffnete sie; es war der Briefträger, er brachte ein an ihren Mann adressirtes Schreiben. Das ist vielleicht wichtig, dachte sie und da Hansl so ruhig mit seiner gestrickten Puppe spielte, ersah sie den günstigen Moment, um es ihrem Karl so­gleich zu überbringen. Sie war auch etwas neugierig die gute Gustel, sie wollte sehen, was er da drinnen mache, wie weit er mit dem Aufpuz des Baumes gekommen, sie wollte ihm dabei helfen; und dann hatte sie noch allerlei Sächelchen in Verwahrung, die sie heraus legen mußte.

" Gib hübsch auf deinen kleinen Bruder acht," sagte sie zu Georg, und nachdem sie vorsichtshalber noch die Lampe auf einen erhöhten Platz gestellt hatte, huschte sie, selbst glücklich wie ein Kind, zu ihrem Manne in das Zimmer. Dieses war durch eine Petroleumlampe erleuchtet. Es war ein geräumiges, überaus nettes Zimmer, freilich das einzige das sie hatten.

Das ziemlich hohe Tannenbäumchen stand am Boden, es war bereits mit einer ziemlichem Anzahl von Nüssen und kleinen Alepfelchen, Papierrosen und goldenen Sternen geschmückt. Der emsige Vater war soeben daran, bunte Papierketten festonartig von einem Zweig zu dem andern zu winden. Frau Gustel scht.. entzückt die Hände zusammen.

" Das wird sehr hübsch werden, Karl, das wird " Nicht wahr, Gustel, ich mein' es auch, und der Bub' damit haben wird."

Beide, der Hansel versteht das auch schon, was der für Augen machen wird, er ist gar ei er ist so gescheidt für sein Alter."

Die vielen Lichter, die werden ihn verblüff gierigsten bin ich doch, was Georg dazu sagen: nur sein erstes Wort sein?"

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Er wird jubeln, beide werden sie jubeln Ach, wenn es nur schon fertig wäre, ich kann es kaum erwarten, aber wie ich sehe, gibt's da noch viel zu thun."

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" Freilich, freilich, ich weiß garnicht, wie ich fertig werde, da haben wir's, die Ketten reichen nicht, ich muß noch ein Stück dazu machen, und hier das Backwerk! Daran müssen noch rothe Bändchen gebunden werden, damit ich es aufhängen kann, und die Kerzchen müssen aufgesteckt werden. Donnerwetter, wenn nur der Friß käme, daß er mir helfen könnte."

" Ich will dir helfen, gib her, ich schneide das Papier für die Ketten und du kannst es zusammenkleben. Die Kinder sind so ruhig, ich kann schon noch ein Weilchen hier bleiben." " Das ist mir lieb, Gustel."

" Ah ja!" machte sie jetzt. Hätte ich doch bald vor lauter Freuden vergessen, weshalb ich hierher gekommen ein Brief für Dich.( Sie zog ihn aus der Schürze.) Sieh her!"

Er öffnete verwundert sogleich das Couvert und sah nach der Unterschrift. Ach, von unserem dicken Anton!" rief er lachend aus, und er schob hierauf den Brief ungelesen in die Tasche. Das ist eine Weihnachtsgratulation, weiter nichts; habe ihn selbst noch diesen Nachmittag gesprochen; aber ich habe jetzt wahr­lich keine Zeit, sie durchzubuchstabiren, ich spare mir dies Ver­gnügen für später auf."

" Ihr kennt euch schon seit lange?"

Ja, es existirt zwischen uns so eine Art Jugendfreundschaft, wir trafen als Knaben immer auf der Straße zusammen, und da ich ihm einmal eine lange Nase machte, so prügelte er mich seitdem regelmäßig durch, sobald er mich nur irgendwo zu Gesicht bekam. Der Schurke konnte es fast ungestraft thun, er war gewiß um fünf Jahre älter und ist schon damals ein vierschrö­tiger Bursche gewesen; da aber meine Faustschläge, mit denen ich mich zu wehren versuchte, auf seinem breiten Rücken gänzlich spurlos vorübergingen und ich ihm niemals wehe that, so faßte er nachgrade eine Art zärtlicher Zuneigung für mich, und diese hat sich bis heute nicht verleugnet."

Er ist Hausknecht in eurer Buchdruckerei, nicht wahr?" fragte Auguste, ein neues Glied in die Papierkette fügend.

" Ja, er ist unser Hausknecht und zugleich unser Don Juan ," setzte Karl lachend hinzu. Der Dicke ist troß seiner Häßlichkeit immer hinter den Fabrikmädchen her, und ich versichere dich, der Kerl hat Glück. Aber Gustel, suche mir ein Tuch heraus, das wir über den Weihnachtstisch breiten können, aber ein hübsches, weißt du, ein brillantes, in Anbetracht, daß sehr viel von dem Tuche und sehr wenig von den Geschenken zu sehen sein wird.- Ach, Gustel," fügte der junge Mann seufzend hinzu, warum haben wir so wenig! Ich wollte, ich könnte heute mit vollen Händen geben." Er faßte plötzlich von rückwärts sein Weibchen