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um die noch immer feine Taille. Gustel," rief er lebhaft, Gustel, ich habe Sachen gesehen! Sie hängen ja jetzt das Schönste in die Schaufenster, unt einem armen Teufel das Herz recht schwer zu machen. Ich habe immer dabei an dich gedacht, und wie hübsch dich dieses oder jenes kleiden würde, ich möchte einmal so für dich einkaufen können, nach Herzenslust, ich wollte dich schön machen! Indeß ist meine Weihnachtsgabe recht arm­selig ausgefallen, du mußt schon vorlieb nehmen."

Sie drehte sich rasch um und faßte ihn um den Hals." Du Ungehorsamer!" sagte sie mit ihrem lieblich gewinnenden Lachen, und sie schüttelte ihn dabei ein wenig." Hatte ich es dir nicht ernstlich verboten, mir überhaupt etwas zu faufen? Brauche ich denn etwas? Uebrigens ist das ein Kinderfest, und wir müssen uns glücklich schäßen, daß wir diesen bescheeren können."

" So, was bescheeren wir ihnen denn eigentlich?" schmunzelte Karl." Ich weiß von nichts, ich habe keine Spielerei gekauft, ich habe mich da ganz auf dich verlassen, Alte; ich weiß ja, Mütter haben für dergleichen immer etwas übrig. Ich habe nichts anderes für unsern Georg, als den Schimmel da." Da bei zog er aus einer Ecke ein ziemlich großes, rabenschwarzes Pferd, das auf Rädern lief.

" Prächtig!" rief Gustel." Ich versiche dich, es sieht noch ein­mal so hübsch aus, seitdem du daraus einen Rappen gemacht hast. Es sieht jetzt ganz frisch, ganz neu aus, als Schimmel ist es schon so abgenutzt und sehr schmutzig gewesen." " Das habe ich alles verstrichen."

"

Ein Ohr hat auch gefehlt."

" Das habe ich angeleimt. Ich glaube, er erkennt es nicht wieder," lachte befriedigt der Vater, indem er sein Werk aus einer gewissen Entfernung liebevoll betrachtete, und der kleine Betrug gelingt mir."

Natürlich," sagte Gustel, wie sollte er es denn erkennen? Wenn ich es nicht wüßte, ich würde darauf schwören, daß das ein nagelneues Pferd ist, und gewiß nicht den alten Schimmel vom vorigen Jahr dahinter vermuthen."

Nun, und was haben wir sonst noch?"

Frau Gustel machte recht schelmische Augen und lief dann zur Kommode. Sie suchte zuerst das verlangte Tuch heraus. Es war ein altes rothes Umhängtuch, noch von der Großmutter her, und wenn auch etwas defekt, doch von brillanter Farbe, dann schob sie einige Päckchen verstohlen in ihre Tasche und endlich brachte sie zwei ziemlich umfangreiche Packete herbei.

Boztausend!" rief Karl. Meine Alte hat sich angestrengt." Er öffnete hastig das erste. Eine Arche Noah! An die hatte. ich auch gedacht. Und hier? Eine Schachtel mit Häusern

ah!"

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Aber die gehören dem Hans, der Kleine muß auch etwas bekommen."

Natürlich, alle, alle sollen heute etwas bekommen!" der junge Ehemann zog in übermüthiger Frende sein Weibchen an sich und drehte sich mit ihm im Kreise herum.

Indeß waren die Kinder wirklich sehr artig gewesen., Georg hatte sich, gleich nachdem die Mutter sich entfernt hatte, zu dem fleinen Hans auf den Boden gesezt, um mit ihm zu spielen. Bei armen Leuten sind die älteren Kinder immer die Hofmeister und Erzieher der jüngeren, und dies kommt beiden zugute. Der Kleine war immer ganz glücklich, wenn der Große sich zu ihm herabließ, und Georg war nie so liebenswürdig und dabei so verständig, als wenn er auf seinen Bruder acht haben mußte. Er sprach jetzt gar eindringlich zu Hans, und dieser lachte dar­über, soviel er nur konnte. Von seinem pädagogischen Erfolge entzückt, fing Georg ebenfalls zu lachen an und dann schnitt er Gesichter und schüttelte seinen Kopf, und der Kleine versuchte dies alles nachzumachen. Georg erfand aber immer neue Be­lustigungen. Jezt machte er den Hund; er kroch auf allen Vieren, er bellte und legte sich auf den Boden zu den Füßen des Kleinen, und dieser, höchlich vergnügt, fing an, den Bruder bei den Haaren zu raufen. Der arme Georg ließ ganz geduldig seine blonden Locken zausen, er muckste nicht, er war ja der Hund und dem fleinen Hansel machte das so viel Spaß.

Aber plötzlich entwand er sich mit einer raschen Bewegung den Händen seines Peinigers, so daß diesem ein Büschel des goldigen Haares zurückblieb. Während er sich am Boden ge­wälzt, hatte er das Licht bemerkt, das durch die Thürspalte hin­durchdrang. Das erregte seine Neugierde. Er wendete sich gegen Haus und tippte auf seine Hand." Schau, da unten, siehst du,

da ganz unten, das kommt vom Christkind." Er demonstrirte dies mit einem großen Aufwand von Mimik und Gestikulation. " Toi, toi!" antwortete ihm Hans.

" Komm, schauen, komm!" Georg ergriff ihn an der Hand und zog ihn in die Höhe. Du mußt auf den Zehenspizen gehen," flüsterte er ihm diktatorisch zu. Und mit gutem Beispiel vorangehend, trippelte er bis knapp zur Thür, legte sich vor dieselbe platt auf den Boden und guckte durch die erleuchtete Spalte.

Der Kleine that wie ein Affe das nämliche.

Ich seh schon was!" rief Georg hocherfreut ihm zu. " To ta toi," antwortete Hans mit einem sehr lustigen Ge­sicht, und er ließ dabei reichlichen Speichel auf den Boden fließen. In diesem Augenblick ward nach einem leichten Pochen die Eingangsthür rasch geöffnet und ein hübsches Mädchen trat ein. Sie trug, obwohl das Thermometer einige Grad Kälte wies, ein dünnes, lichtes Perkalkleid, das jedoch auf das sorgfältigste ge= waschen und gebügelt war. Trotz dieses leichten Anzuges schien sie nichts von Kälte zu verspüren, ihr Teint war von zarter Frische, ihre Wangen zeigten das blühendste Roth. Sie gehörte eben zu den leppigen, zu den Gutgenährten, die schon in früher Jugend einiges Fett ansammeln. Fröhlich guckte sie mit ihren blauen Augen in die Welt, ihr kleines Näschen, das, im Profil wenigstens, einen leichten Schwung nach aufwärts nahm, verlieh ihrem Gesichte etwas neckisches, und sobald ihre Augen ernster blickten, etwas resolutes; und resolut war sie auch, diese kleine, runde Person, dabei flink und lebhaft in ihrer Sprechweise und in allen ihren Bewegungen.

" Ihr seid allein, Kinder?" rief sie, sich in der Küche um­sehend. Und was treiben denn die Schlingel da? Hahaha, da liegen sie beide am Boden und wollen durch die Rize gucken." Sie lief zu ihnen und kniete an ihrer Seite nieder, vergaß jedoch nicht, vorher ihr Kleid vorsorglich in die Höhe zu nehmen. Heda, ihr Neugierigen, kommt zu mir." Sie nahm Hans auf den Arm und füßte ihn. Der mußte sie gut kennen, er ließ sich, was sonst nicht seine Sache war, ihre Liebkosung ruhig gefallen und schwang sich in ihren Armen behaglich hin und her. Georg aber legte den Finger an den Mund. Pst, Rosa," machte er, er ist schon drinnen."

" Wer? Onkel Friz?" fragte das Mädchen, fast erschreckt. Der Kleine schüttelte verneinend den Kopf. Der Vater, er spricht mit dem Christkind; ich habe ihn schon reden gehört, o ja," und er schnitt ein ungeheuer pfiffiges Gesicht dazu.

" I du Affert!" rief Rosa. Du freust dich wohl schon sehr? Ich kann mir's denken. Höre, ist die Mama auch drinnen?" Sie zeigte nach der Thür.

" Ja," nickte Georg.

" Und Onkel Friß noch nicht?" " nein."

Sie nahm ihn beim Kinn und füßte ihn, von dieser Aus­kunft sehr befriedigt. Sie wollte ihn ebenfalls auf den Arm nehmen, aber Georg wehrte sich dessen.

" Ich lasse mich nicht mehr tragen, ich bin schon groß," sagte er. " freilich, du bist schon ein ganzer Mann, sprichst ja auch wie ein solcher; sage mir nur" das Mädchen neigte sich noch etwas mehr ihm zu und dämpfte ihre Stimme- jage, wird Onkel Friz heut Abend bei euch sein?"

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Georg sah sie groß an, der veränderte Ton war ihm jeden­falls aufgefallen. Ja," sagte er ebenso leise. Und nach einer Weile noch leiser ihr in's Öhr: Die Mutter hat schon einen Fisch für ihn gekauft."

Rosa mußte lachen. Ich möchte doch wissen, Georg, ob du den Onkel Frizz sehr lieb hast?"

" O ja, ich habe ihn sehr lieb." Warum denn?"

.Er ist immer mein Pferd, und ich kann auf ihm reiten." Rosa stellte keine weiteren Fragen, sie setzte Hans nieder auf den Boden und ganz wie vorher die Mutter sagte sie: Gib hübsch acht auf den Kleinen, Georg, ich muß ein wenig hinein­sehen. Ehe sie aber in's Zimmer trat, sprang sie noch zur Eingangsthür und versperrte diese, zweimal den Schlüssel um­drehend. Jetzt war sie doch sicher, daß dieser Frizz sie nicht un­vorbereitet hier überraschen könne." Ich komme gleich wieder!" Sie winkte nochmals den Kindern zu, und dann verschwand auch sie in der Thür, diese fest hinter sich zuziehend.

( Fortsetzung folgt.)

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