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1847 Mitglied des vereinigten preußischen Landtags, 1848 Mitglied der deutschen Nationalversammlung, in derselben konstitutionell und erbkaiserlich mit ständischem Hinterhalt, 1849 Mitglied der zweiten preußischen Kammer und zwar bis 1855, in welchen Jahren er die Fraktion Vincke bildete und unbeschränkter Herr der Beschlüsse des Abgeordnetenhauses war. 1858-1863 war er gleichfalls Mitglied des preußischen Abgeordnetenhauses; sein Einfluß aber war geschwunden, er zog sich darauf vom parlamentarischen Leben zurück. 1866-67 bewarb er sich wieder um einen Sih, wurde aber in seinem heimischen, westfälischen Kreise nicht gewählt, sondern erhielt ein Mandat für Stargard in Pommern.

Im Norddeutschen Reichstage war er kurz vor seinem Tode eine Zeitlang Abgeordneter, ohne sich irgendwie hervorzuthun. Sein Stern war im Erlöschen, der ,, Kladderadatsch" hatte sich nach einer Rede

seiner bemächtigt:

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Aber das liegt klar zu Tage, daß der Raisonneur von Stargard ein konfuser Narr ward." H.

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Thenre Hotelrechnung.( Bild Seite 100.) Das Pflaster der großen Stadt ist theuer und die Großstädter gleichen in einer Beziehung alle ihrem Halbgotte Bismarck sie nehmen das Geld, wo sie's kriegen. Der Herr Schulze von Xfirchen ist zwar ein reicher Mann; sein Gut ist das größte im Dorf, Schulden hat es keine und an Stelle der alten, großen Zweithalerstücke liegen, seit die Markzeit angebrochen, die neuen, fast ebenso großen Fünfmarkstücke zu Hauf bei einander. Er hat's Er hat's also, der Herr Schulze, und er läßt sich auch nicht gerne lumpen! Drum ist er eben, als er seit langen Jahren wieder zum erstenmal aus seinem von der Eisenbahn noch nicht berührten Dorfe in die Hauptstadt mußte und Kind und Kegel mitzunehmen beschlossen war damit sie auch einmal das tolle großstädtische Treiben sähen in ein feines Gasthaus gegangen, hat zwei Zimmer im ersten Stock vorn­heraus bezogen, hat Mittags ,, Tabel todt", oder wie das vertrackte Wort heißen mag, gespeist und wollte nun, seiner bürgerlichen Stellung und seines Reichthums würdig, mit einem solennen Abendessen schließen, um mit dem Nachtzug wieder der Heimat zuzueilen. Aber diese Rechnung! Das ist ja beinahe zum Haarausraufen. Logis 10 Mark; Frühstück 6 Mark; Table d'hote, drei Couverts( die beiden kleineren Sprößlinge hatten natürlich zusammen an einem Couvert genug!). 6 Mark; Abendessen mit zwei Flaschen Wein 10 Mark; Bou- Bu­Bougies( was das ist, weiß der Teufel!) 2 Mark; Service( das hat der Herr Schulze auch nicht verlangt, aber bezahlen muß er's doch!) 1 Mark Summa Summarum 35 Mark für einen Tag ist zum Tollwerden! Doch was hilft's, gezahlt muß werden und wenn's auch eine Prellerei ist, die zum Himmel schreit. Ja, die guten, alten Zeiten! Gut wenigstens in der Reellität dessen, was man kaufte, und in der Billigkeit der Preise; aber heute drängt in der Jagd nach dem Mammon einer den andern, und dabei gehen Reellität und Billigkeit rettungslos zum Teufel! G.

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Wiener Lebensbilder.

I.

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das

Sie wünschen Briefe aus Wien ? Aber Wien ist nicht mehr das Wien der ,, guten alten Zeit", wo Freude und Frohsinn herrschte, wo die Silberzwanziger flangen und die Harfenisten sangen, wo Gemüth­lichkeit an allen Ecken und Enden weilte und das Ungemüthliche wieder auf die gemüthlichste Art und Weise vertuscht wurde. Es ist nicht mehr dieselbe Stadt, von der einst das geflügelte Wort galt:

,,' s gibt nur a Kaiserstadt,' s gibt nur a Wien !"

Schiller noch besang sie als die ,, Stadt der Phäaken", wo ,, immer am Herd sich der Spieß dreht"; aber diese schöne Zeit ist schon lange vor­über, und wenn man zwar in der Epoche des ,, volkswirthschaftlichen Aufschwungs", wo alles an die ewige Dauer des Schwindels glaubte und die ,, höchste Fruftifizirung" ihre Orgien feierte, einen neuen An­fang zu nehmen schien, so war der Kazenjammer der nachtrachlichen fünfthalb Jahre ein desto größerer. Die jeßt nach vier Jahren noch immer wachsende Anzahl der Konkurse, namentlich neuestens zahlreicher Gastwirthe und Restaurateurs; die schauerlich überhandnehmenden Ver­brechen und Selbstmorde; die Ueberfüllung der Gefängnisse und Asyl­häuser, welche die Menge der Obdachlosen nicht zu fassen vermögen, dabei das Leerstehen so vieler Wohnungen; der Minderertrag aller Steuern, besonders der indirekten, trotzdem die Einwohnerzahl stets stieg und durch Einrechnung einiger entlegener Dörfer glücklich auf eine Million gebracht wurde, alles dies dürfte wohl zur Genüge beweisen, daß das Phäaken Zeitalter schon lange hinter uns liegt.

Ja, wäre Wien noch das alte, das fröhliche, das gemüthliche, so würde es sich wohl lohnen, daraus Berichte für ein Unterhaltungs­blatt zu schreiben; aber so: die Gemüthlichkeit ist längst entweder im allgemeinen Elende erstickt oder in der Verjudung des gesammten öffent= lichen Lebens untergegangen( wobei ich aber bitte, mich nicht miß­zuverstehen, da mir nichts ferner liegt, als der jüdischen Nationalität oder Religion irgendwie nahezutreten, sondern den Ausdruck Ver­judung" lediglich als einen terminus technicus betrachte für ein System, welches den schnödesten Egoismus mit der aufdringlichsten

Arroganz vereint). Der Nimbus der einzigen Kaiserstadt" ist selbst im Bereich deutscher Zunge verschwunden, seit die ,, freie Konkurrenz" sich auch auf diesem Gebiete geltend macht und die Kaiserstadt an der Spree stolz mit der älteren Donaustadt rivalisirt. Daß es aber auch nicht mehr ,, nur a Wien " gibt, das haben wir erst vor einigen Wochen aus dem Berliner ,, Gewerkverein" erfahren, wo Herr Hugo Polke in seiner heiligen Einfalt sich darüber lustig macht, daß am heurigen Sozialistenkongresse zu Gent ein und derselbe Delegirte Lyon und Wien vertrat. Der gute Knabe scheint nie etwas von einer Stadt Vienne gehört zu haben und übersetzt den Namen flugs mit ,, Wien ". Und da wir wiener Sozialisten nicht wußten, je einem lyoneser Arbeiter ein Mandat gegeben zu haben, woran uns unter anderen Kleinigkeiten auch die sprüchwörtlich gewordene ,, Freiheit wie in Desterreich" hindert, so mußten wir annehmen, daß sich in der ,, Gewerkvereins"- Geographie ein zweites Wien befindet, welches unbekannt wo, jedenfalls aber sehr weit von Lyon liegen muß, sonst könnte es Herr Polke doch nicht so sonderbar gefunden haben, daß ein Delegirter beide Städte vertrat. Wo also in dieser traurigen Zeit des Krachs und des Elends noch das Zeug hernehmen, um den Lesern der ,, Neuen Welt" Erbauliches und Erquickliches aus Wien zu berichten?

Doch ich will's versuchen. Gibt es ja glücklicherweise noch einige Orte, wohin sich Reste der alten wiener Gemüthlichkeit geflüchtet, und wenn dieser Orte auch nur wenige sind, so liefern sie doch dem un­befangenen Beobachter eine Fülle von Ausbeute. Den ersten Rang unter diesen Stätten wiener Gemüthlichkeit nimmt unbestritten der Gerichtssaal ein. Wir scherzen nicht im mindesten; wir Wiener sind es längst gewöhnt, das öffentliche Leben unserer Haupt- und Residenz­stadt in den Verhandlungssälen der verschiedenen Gerichte pulsiren zu sehen, und namentlich die letzten Jahre haben uns in dieser Beziehung die lehrreichsten Belege geliefert. Wer erinnert sich nicht an den Pro­zeß Ofenheim, in welchem der ehemalige Student mit den zerrissenen Stiefeln, nachher gefeierter ,, Voltsmann" und später Bürgerminister, nunmehriger vierfacher Verwaltungsrath und Oberkurator der wiener Sparkasse, Exzellenz Dr. Karl Giskra, die Trinkgeldertheorie zu hohen Ehren und auch zur gerichtlichen Anerkennung brachte? Und zwischen Ofenheim und Nachtnebel, dem Verräther des Üchatius'schen Stahlbronze­Geheimnisses, dessen Prozeß erst in den jüngsten Tagen spielte, liegt eine lange Reihe ähnlicher Verhandlungen, die alle mehr oder weniger ein getreues Bild von unserem öffentlichen Leben mit seiner ganzen Korruption und all' den gesellschaftlichen Gebrechen, die dasselbe durch­ziehen, geben. ( Schluß folgt.)

Räthsel.

Ein Glied, ein Fluß, ein deutsches Land Wird mit demselben Wort genannt; Darin ein kleines Zeichen streiche

Und set' ein anderes dafür, So nennet es ein Wesen dir Jm nördlichen Polarbereiche.

Korrespondenz.

F. B.

Konstantinopel . V. L. Auch durch andere Vermittlung als die Ihre hat man sich von Konstantinopel aus um die Nr. 4 unseres Blattes bemüht. In den Palast des Sultans wird dieselbe allerdings wohl nur durch Ihre Verbindungen eingedrungen sein. Uebrigens wenn auch unsre Russenverachtung mit dem türkischen Russenhaß momentan Berührungspunkte findet, so wird doch die Tendenz der N. W. ", wie sie überall in und zwischen den Zeilen hervorquillt, auf wenig Verständniß und wohl auf gar keine Freundschaft bei den Anhängern des Propheten zu rechnen haben. Für die zuletzt gesendeten Blätter ,,, La Turquie" und Stamboul", freundlichen Dank. Der Artikel über Osman Pascha in ersterer ist ebenso interessant, als die in legterer enthaltene Ueber­setzung der Begleitzeilen zu den Greuelszenen in Nr. 4 u. Bl. trefflich ist. Nach Montreug Clarence ist das zweite Heft Ihrem Wunsche gemäß sofort abgesendet worden. Greifswald . T. T. Was Sie thun sollen, einen Ihnen, sehr nahestehenden einer Liebe zum Todtschießen"

"

48jährigen Mann von einer wüthenden Liebe"

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zu einem 15jährigen Mädchen zu heilen? Nun, ist's wirklich eine Liebe zum Todt­schießen", so lassen Sie den Ihnen Nahestehenden nur zuschießen. Auf einen Narren weniger tommt's heutzutage nicht an. Sollte Ihnen indeß der Mann so nahestehen, daß die Kugel, die er selbstmörderisch abfeuert, Sie treffen könnte, so bringen Sie vor dem Knalleffekt lieber noch ein paar kalte Douchen auf das liebefiedende Gehirn in An­wendung.

Wien . Fr. P. Ihr Brief ist unserer Expedition übermittelt worden. Dieselbe erfüllt Ihre Wünsche so rasch als möglich.

Kaufbeuren. M. Wollen Sie mit Herrn Dr. M. in Korrespondenz treten, so be= dienen Sie Sich gefälligst unserer Vermittlung.

Zerbst . H. R. Sie haben ganz recht, wenn Sie meinen, daß in einer Volksver­ſammlungsrede Fremdwörter möglichst vermieden, jedenfalls nicht so reichlich gebraucht werden sollen, daß dadurch, der Sinn ganzer Säße für die anwesenden Arbeiter un­verständlich" wird, wie Sie das in einer sozialistischen Versammlung in vor. M. bemerkt zu haben meinen. Ebenso ist wahr, daß lange, tünstlich tonstruirte Säge den Eindruck einer Rede schwächen. Bedenken Sie jedoch, daß jeder zunächst so spricht, wie ihm der Schnabel gewachsen ist, und nur sehr wenige so des Wortes Meister sind, daß sie die Form ihrer Rede stets dem Verständnisse ihres Zuhörerkreises anzupassen vermögen. Verden . A. G. Ihr Gedicht Scheidegruß der Konskribirten" zeigt treffliche Gesinnung und anerkennenswerthes Streben. Mit dem poetischen Vermögen ist es aber weniger gut bestellt. Verse wie: Es ist bestimmt im hohen Rath, dem wohlhochvorgesezten,

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Daß heut wir werden Mußsoldat, drum anhebt den Gruß, den letten", und Bilder, wie die von der, dumpfen Herzensschwüle", von dem ,, wiehernden Dampf­roß" sind nicht gelungen. Doch nehmen Sie Sich's nicht zu Herzen, daß wir Sie nicht als guten Dichter anerkennen; der Achtung, die wir dem guten Sozialisten zollen, thut dieser Mangel gar keinen Abbruch.

Verantwortlicher Redakteur: Bruno Geiser in Leipzig ( Plagwizerstr. 20).

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( Schluß der Redaktion: Freitag, den 16. November.)

Druck und Verlag der Genossenschaftsbuchdruckerei in Leipzig .