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Lumperans Seuchen.

Von Dr. S. Oidfmann.

Motto: Damals( 1529) wurden die Kranken von ihren Aerzten Absorptionsleistungen der Kleiderstoffe, namentlich der Woll­

mit drei schweren Wolldecken, Wolfspelz 2c. 24 Stunden zugedeckt. Bessere Aerzte warnen vor diesem ,, nieder­ländischen Regiment," so Kröll: ,, Mich verwundert, das du yme den mund und nasen nicht auch verstoffest, damit der lufft durch den athem nicht eingeholt wurde. Budem wollt ich gern wissen, aus was ursach der Kranke 24 stund solle schwizen on unterlaß? Ja wan's eyn pferd oder ochs were." ( Haeser.)

Die ungemein große physikalische Absorptionskraft der Woll­und Kleiderfaser, mit anderen Worten, die Aufsaugekraft der Wolle und Lumpen entpuppt sich in neuerer Zeit als der Haupt­faktor für das Zustandekommen und die Ausbreitung sowohl der sporadischen wie der epi­demischen Blatternerkran­fungen. In dem Maße, wie diese Thatsache ent­nebelt wird, tritt bei allen Gebildeten das Schreck­gespenst des Nichtgeimpft­seins immer mehr in den Hintergrund, besonders da die Ortsstatistik des Pocken­sterbens allenthalben erken­nen läßt, daß zu Seuchen­zeiten nicht die Ungeimpf­ten, sondern mit Aus­nahme der ungeimpften Säuglinge stets die

Geimpften und zwei- und dreifach Geimpften es wa­ren, welche zuerst und in Massen erkrankten und hinstarben. Es ist ein großer Fortschritt in der Seuchenkunde, daß man endlich anfängt, die Blat­tern als eine Woll- und Lumpenkrankheit oder wie bereits die technische Bezeichnung lautet- als eine Hadern frankheit" anzusehen.- Die Pocken folgen in ihrem Auf- und Abmarsche unter der Be­völkerung nirgends den Zahlenoscillationen Nichtgeimpftseins,

des

auch

nicht den an Bocken er­frankten Leibern, sondern nur den Wanderungen der von podenkranken Leibern und Stubenlüften durch­gifteten tertilen Stoffe. Dieser Sazz bezeichnet eine

kleider, gegen kranken Hautdunst unbeachtet. Daher, angesichts der schlafenden Tagespresse, die beispiellose Begriffsverwirrung in der Pockenfrage, daher der wahnsinnige Kulturkampf gegen die reichsfeindlichen Leiber ungeimpfter Säuglinge und Schwäch­linge mit Giftlymphe und Lanzette! Daher endlich die unbewußte Toleranz gegen die wahren und wirklichen Träger des Pocken­giftes, gegen die Lumpen in allen Formen und Stoffen.

Die Betonung der Absorptionsgeseze für die Erklärung der Seuchenausschreitungen hat uns auf von Liebig und seinen lang­jährigen verzweifelten Agrikulturkampf geführt. Auch er hatte,

Petrarca. ( Seite 120.)

AUG.NEUMANN.Sc.

wie wir Impfgegner heute, so ziemlich alle seine Zunft­genossen in allen Ländern gegen sich erbittert. Aber er siegte dennoch durch die Ausdauer und durch die schließliche Unanfecht barkeit seiner Beweis­gründe.

Wir Jmpfgegner man erlaube uns den Ver­gleich

-

stehen in dem

hartnäckigen Impfstreite immer noch nicht so ver­Lassen da, wie einst der junge von Liebig, als er mit seiner Mineraltheo­rie", dieser großen, welt­bewegenden Reform der Landwirthschaft vor seine Kollegen trat und Vor­urtheile zu bekämpfen hatte, welche älter noch und zäher waren als der Impfwahn, und Autori­täten besiegen mußte, welche in der Ackerbauchemie mindestens für ebenso un­fehlbar, wie heute unsere Gegner Virchow und Ge­nossen in der Impffrage, galten. Viele Jahre lang wagte kein Mensch, weder Fachgelehrte noch Land­wirthe, auf von Liebigs Seite zu treten. Im La­ger der Gegner von Lie­bigs, so hieß es, seien ja alle Intelligenz, alle Theoretiker und alle Brak­tifer zu finden; alle Er­fahrung, alle Statistik,

neue Richtung für die Forschungen nach den natürlichen Ursachen| alle Vernunft spreche entschieden gegen Liebigs Theorien, folglich der Pocken, nämlich die Fährte zur Aufsuchung der Absorptions­verhältnisse der Kleider.

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Gleichwie bekanntlich Professor von Liebig, als er die alte Stickstofftheorie der Düngerlehre stürzte und an ihre Stelle die Mineraldüngertheorie sezte, viele Jahre lang in einer Kette von Irrthümern verstrickt blieb, weil, wie er selbst gesteht, er und alle Welt nicht wußte, daß die Ackerfrume auch die in Wasser gelösten Düngsalze nicht durch sich hindurchlasse bis zur Sätti­gung, sie vielmehr auf dem Durchmarsche festhalte und in sich verdichte, fast buchstäblich genau so ergeht es unseren Aerzten und Hygienikern mit der Pockenlehre. Man durchlese die ganze impffelige Pockenliteratur der alten und neuen Heilkunde, man durchstöbere wie ich es gethan in den Bürgermeistereiakten die Bockenjournale der Seuchenjahre: nirgends sehen wir auch nur die geringste Andeutung, daß man mit den Absorptions verhältnissen der Lumpen" bekannt gewesen wäre. Die Aerzte, welche insgesammt mit der Lanzette nur gegen das Luftgebilde des Nichtgeimpftseins zu Felde zogen, ließen die erstaunlich großen

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könne Liebig, als einziger und isolirter Gegner der altbefestigten " Stickstofftheorie" unmöglich recht haben, er könne nicht durch­kommen. Selbst die königliche Agrikulturgesellschaft in England verurtheilte auf Grund aller übereinstimmenden Autoritätsgutachten rücksichtslos die Lehren Liebigs, und die Sache des rationellen Feldbaues, wie Liebig, von aller Welt verlassen, allein sie be­harrlich verfochten, schien für immer gerichtet und begraben.

Grade so wie heute die Impfgegner in der Impffrage, warb damals Liebig unter seinen Fachgenossen vergebens um Bundes­genossen für seinen hoffnungslosen Agrikulturkampf, vergebens schaute er in allen Ländern ungeduldig nach Anhängern seiner Theorie sich um, allein alles, was Autorität im Lande hieß, Landwirthe, Professoren und Hofräthe, alle trennten sich von Liebig und wagten nicht, für die klare Wahrheit einzustehen; mächtiger als die Wahrheit erwies sich hier, wie heute in der Impffrage, ein hundertjähriges Vorurtheil der Welt- Liebig wurde ob seiner freimüthigen Opposition gegen die haltloſe, alte Düngerlehre verlacht und verspottet. Es verrieth Mangel an