Correspondence inédites. Genève 1877.) Galiffe hat bei dieser Arbeit auch die Rathsprotokolle nachgeschlagen und dabei die Entdeckung gemacht, daß schon Mitte November 1791, somit immerhin anderthalb Monate vor Erlaß des Dekrets, welches den schweizer Soldaten die Ketten abstreifte, in Genf die rothe Müze von revolutionär gesinnten Bürgern getragen wurde. Die Protokolle vom 15. bis 18. November enthalten im Wesentlichen Folgendes:
In der Nachmittagssigung des 15. theilte das Oberhaupt der Polizei mit, ein gewisser Mottu, genannt la Liquette, sei, begleitet von zahlreichem Volk, durch die Gassen gewandert, mit einer rothen, den weißen Buchstaben ,, G" tragenden Müze bekleidet, wie solche in Frankreich die Galeerensflaven befizen; offenbar wolle der freche Meusch dadurch andeuten, daß er und seine Klasse, die Natifs*), ebenfalls in Fesseln geschlagen seien. Er habe
*) Die politisch- soziale Gliederung des Gemeinwesens war eine sehr schroffe. Zuerst kamen die ,, Citoyens", kaum ein Sechstel der Gesammt heit, als die eigentlichen Machthaber; den zweiten Rang nahmen die Bourgeois", den dritten die ,, Natifs" ein, die Nachkommen von bloßen Einwohnern. Die zwei untersten Schichten, die ,, Habitans" und die Domiciliés" bildeten die große Mehrzahl, waren jedoch in rechtlicher Hinsicht so übel dran wie die ,, Sujets" der zur Stadt gehörigen Landgemeinden. Aus Galiffe's Buch erfahren wir auch einiges über die Familie des berühmten Revolutionärs Marat. Auf eine Anfrage aus Paris über den ,, jungen Doktor Marat", antwortet Professor Le Sage im Jahre 1774: Der Vater Marat's war zuerst Professor in seinem Heimatland Sardinien , später in Spanien . Er kam nach Neuenburg um die Religion zu wechseln, heirathete, und der Sohn, welcher ihm geboren wurde, ist der Doktor, den sie kennen. Die Frau starb; er heirathete eine Genferin, welche ihm einen Sohn und drei Töchter schenkte. Er ließ sich in Genf nieder und starb, nachdem er auch seine zweite Frau durch den Tod verloren, leztes Jahr dahier in größter Dün tigkeit. Der jüngere Sohn ist seit langer Zeit Kandidat der
wwwd im Klublokal de la Grille" verhaften lassen, worauf sofort zwei Bürger erschienen, um Beschwerde zu führen. Das mit ihnen angestellte Verhör ergab, daß drei solcher Müzen fabrizirt worden waren, was auf das Bestehen eines Komplottes wies. Man behielt die zwei Bürger im Gefängniß und zog noch einen Dritten ein. Der Rath beschloß Einleitung des Strafverfahrens und provisorische Schließung des Gesellschaftshauses de la Grille, ,, welches das ganze Jahr über der Sammelplatz der turbulentesten Natifs und der eigentliche Heerd der Empörung gewesen." Man wagte indessen nicht so weit zu gehen, sondern begnügte sich den Mitgliedern des Klubs anzuzeigen, daß man sie überwachen, und für alle weiteren Vorkommnisse verantwortlich erklären und das Lokal auf die erste Klage hin schließen werde.
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Hiermit war die Frage" für einmal erledigt; erst im November des folgenden Jahres hatte sich der Rath nochmals mit derselben zu beschäftigen. Die Betrübniß über diese ,, Störung der öffentlichen Ruhe" war groß, doch suchten die Herren mehr auf dem Wege der Güte vorzugehen, einem Wege, den die Gewalt stets dann betritt, wenn ihr fein anderer übrig geblieben. Das aristokratische Regiment trachte bereits in seinen Fugen und im Dezember brach es vollends zusammen.
Auf die politische Entwicklung Frankreichs in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts hat die kleine Republik Genf in mächtiger Weise eingewirkt. Man hat J. J. Rousseau den Theoretiker der Revolution genannt; es wäre interessant, zu wissen, ob auch deren Symbol, die rothe Müze, von Genf aus nach Frankreich hinüber gewandelt ist. Reinhold Rüegg .
Theologie und einer der hißigsten Natif's. Die Fräulein Marat gaben Unterricht in Geographie, Modearbeiten 2c. und sind gleichfalls sehr exaltirt." Die Familie Marat existirt heute noch in Genf , schreibt sich aber der ursprünglichen Orthographie gemäß Mara.
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Der Erbonkel.
Novelle von Eruft von Waldow. ( Fortseßung.)
Es war völlig dunkel geworden, die säumige Magd erschien immer noch nicht mit den Speisen. Gertrud, fürchtend, daß irgendein Unglück in der Küche geschehen und dem Kalbsschlägel etwas zugestoßen sein könnte, der zu den schönsten Hoffnungen berechtigte, da sie ihn verlassen, begab sich langsam hinweg und machte so der Hofräthin Play, die mit einer gewissen Feierlichkeit sich nahte, und die Hand Jakobs ergreifend ihn nach dem freien Plaze vor die Laube führte.
Hier angelangt, sprach sie vernehmlich:" Mein verehrter Schwager! Vertraut mit den Sitten und Gebräuchen hochstehender Leute, wenn es sich um die Feier eines solchen Tages handelt, wie der heutige, glaubten wir, Sie nicht besser ehren zu können, als wenn wir eine ähnliche, würdige Feier arrangirten, und haben wir weder Zeit noch Mühe gespart, um Ihnen ein schwaches Zeichen unserer Verehrung geben zu können."
Diese weihevolle Anrede erregte allgemeine Aufmerksamkeit bei den älteren Mitgliedern der Gesellschaft, das junge Völkchen bewegte sich nämlich immer noch lachend und scherzend im Hintergrunde des Gartens umher und tändelte, gleich muthwilligen Sommervögeln, zwischen den Rosenbüschen.
Hans hatte sich zu Adelgunde gesellt. Die Liebe, welche in den Herzen dieser beiden seltsamen Menschenkinder gekeimt, war endlich zur Frucht gereift, die nur eines leßten, kleinen Anstoßes bedurfte, um von dem Baume der Erkenntniß wie Emmerenzia in einem ihrer Liebesgedichte in gereimter Prosa sagte leichter Mühe herabgeschüttelt zu werden.
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Der Abenddämmerung dunkler Schleier verhüllte gütig den Blicken des Mädchens die Häßlichkeit ihres Geliebten, sie hörte nur seine zärtlichen Worte, fühlte den Schlag seines Herzens, als er, ihren Arm innig an sich pressend, ihr immer und immer nur von seiner Liebe sprach und sie fragte, ob sie ihn nicht ein wenig wieder lieben könne.
Adelgunde fühlte, daß dies der Fall sei, es bereitete dem alten, einsamen Mädchen eine unendlich süße Empfindung, sich
doch von einer Menschenseele treu und wahr geliebt zu wissen. Freilich wohnte besagte Seele in einer ziemlich unschönen Hülle, und was mehr sagen will, die letztere gehörte einem blutarmen und auf einer sehr niederen Stufe in der Gesellschaft stehenden Manne an. Ein kurzer Kampf noch gegen die mit der Muttermilch eingesogenen Vorurtheile, und Fräulein Adelgunde von Bartels sank hingebend an die schmale Brust des getreuen Hans, dessen lange Arme die zarte Gestalt umschlossen, als gälte es, eine kostbare Beute festzuhalten.
Lauter und sehnsuchtsvoller schlug die Nachtigall, süßer hauchten die Rosen ihre holden Düfte, das Geräusch des lauten Lebensmarktes drang nicht bis zu diesen Glücklichen.
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Selbstvergessen ruhte Adelgunde noch immer an des Geliebten Brust, während die Lippen der beiden sich zu einem langen Stuffe geeint. Mitleidig verhüllte die Nacht mit ihrem Schleier das zärtliche Paar vor den neidischen und spottsüchtigen Blicken der ein verrätherischer Menschen. Da auf einmal blizte es auf Strahl. Sie sehen es nicht. Und jetzt wehe! Tageshelle herrschte plöglich. Das elektrische Licht, welches Papa Hofrath entzündet, verscheuchte siegreich das Dunkel und zeigte mit fürchterlicher Deutlichkeit, was sich im Schuße der Nacht geborgen gewähnt!
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Auf dem Kieswege, an den Stamm eines hochstämmigen Apfelbaumes gelehnt, stand Hans und sein Liebchen vor aller Augen, Brust an Brust, Mund an Mund geschmiegt.
Mit einem Schrei des Entsetzens brach die Hofräthin zu sammen, und wie ein Echo antwortete diesem mütterlichen Rufe ein leiser Aufschrei Adelgundens, die sich jetzt, von der mitleidslosen Helle überfluthet, bleich und zitternd aus den Armen ihres Geliebten riß.
Hans stand da, als sei er zu Stein erstarrt; dann fuhr er sich mit den Fingern seiner graubehandschuhten Hände in das künstliche Toupet und stürzte unter dem Spottgelächter, das Emmerenzia und Martha ausstießen und in das Meister Johann