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Blutende Hoftien.

In einer Zeit, da die Muttergottes- Erscheinungen in ver­schiedenen Ländern Europa'  s geradezu mit einander rivalisiren, da bunderte und tausende gläubiger Christen nach Lourdes  , a) Marpingen   und andern verwandten Wallfahrtsorten pilgern, in einer Zeit, da bereits auch jedes katholische Land seine eigenen blutschwitzenden Jungfrauen haben will und Louise Lateau   durch Konkurrentinnen bedroht wird, mag es am Plaze sein, daß auch die Naturforscher von Erscheinungen Notiz nehmen, die früher, im Mittelalter sowohl, wie bis in die neueste Zeit, eine irre­geführte glaubende Menge zu fanatisiren vermochten und durch Betrüger in's Interesse der Kirche gezogen wurden. Wir re­gistriren an dieser Stelle folgende Thatsachen:"

Am 25. Juli dieses Jahres entdeckte ich auf einem drei Tage alten Speiserest( abgekochte Kohlrabi), der aus Versehen im Speise­schrank unbemerkt stehen geblieben, blutrothe, feuchte Flecken, die genau so aussahen, als ob sie von frischem, ungeronnenen Blut herrührten. Die Erscheinung war so täuschend, daß ich im ersten Moment daran dachte, die Köchin zu fragen, auf welchem Wege das Blut" auf den alten Kohlrabiabkoch gekommen sei. Indeß bemerkte ich alsbald, daß neben den rothen Flecken auch kleine Erhöhungen von weißlich gelber Farbe sich vorfanden, welche genau den Glanz und die Gestalt der ,, blutenden" Stellen besaßen. Diese weißgelben Flecke waren Fäulnißpilze, oder wie man sie wissenschaftlich auch zu nennen pflegt Spaltpilze, Schizomy ceten. Sie fanden sich hauptsächlich zahlreich an jenen Stellen, wo das dem Kohlabkoch beigesetzte Mehl in größeren Klümpchen angehäuft war.

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Daß wir es hier mit Fäulnißpilzen zu thun hatten, lehrte uns schon jener spezifische Geruch, den faulende Kohlmassen ab­geben. Unter dem Mikroskop löste sich aber die Masse dieser feuchten gelblichweißen Erhöhungen in zahllose kleinste Organismen auf, welche nur bei den stärksten uns zugänglichen Vergrößerungen als scharf umgrenzte fugelige oder eiförmige Zellen erscheinen. Oft begegnet man stäbchenförmigen oder Forkzieherartigen Ge­stalten, welche aus einer geraden oder schraubig gekrümmten Reihe mehrerer oder vieler Zellen bestehen. Sie sind farblos, wie die Sie sind farblos, wie die viel größeren Wein- oder Bierhefezellen. Liegen sie in faulender, tropfbarflüssiger Substanz, so zeigen sie eine lebhafte Bewegung. Die fugeligen und eiförmigen Zellen tanzen hin und her und be­wegen sich auch von der Stelle, wodurch sie sich leicht von todten Splitterchen, organischer Körper unterscheiden, welche in Wasser liegend auch eine tanzende Bewegung( sogenannte Molekular Bewegung) zeigen, aber nicht von der Stelle zu rücken vermögen. Die stäbchenförmigen Spaltpilze wandern ebenfalls in der Flüssig­keit herum; oft sind zwei oder mehr Stäbchen an den sich berührenden Enden mit einander verbunden; dann machen sie während ihrer Bewegung ganz den Eindruck, als zanften sie sich herum und wollten sie auseinander treten. Aeußerst zierlich sind. die Schraubenbewegungen der forkzieherartigen Formen, die häufig in gerader Richtung vorwärts eilen, bis sie auf einen Widerstand stoßen, um sofort ihre Bewegungsrichtung zu ändern.

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Alle diese Spaltpilzformen treten überall auf, wo organische Substanzen, gleichviel ob thierischen oder pflanzlichen Ursprungs, in Wasser faulen. Sie gelten heute allgemein als Fäulnißerreger. Manche von ihnen spielen erwiesenermaßen bei ansteckenden Krank heiten eine bedeutende Rolle; ja man betrachtet manche Formen von Spaltpilzen als die sichtbar gewordener Kontagien und Miasmen, als die Ursachen und übertragbaren Vermittler der Best, Cholera, der Diphterie und des Typhus, des Milzbrand und der Roßkrankheit, des gelben Fiebers und anderer epidemischer und endemischer Krankheiten.

Eine mikroskopische Probe jener blutroth gefärbten feuchten Erhöhungen zeigte uns ganz dieselben kleinsten Organismen, wie bei gewöhnlichen Fäulnißprozessen: kleine fugelige Zellen, in der Größe und in ihren Bewegungserscheinungen ganz und gar die Spaltpilznatur verrathend. Nur durch die röthliche Farbe scheinen sie sich von der gewöhnlichen Fäulnißhefe zu unterscheiden. Sie sind dem Volumen nach viele hundertmal kleiner als die Hefe­zellen des Weinmostes oder des Bieres und dürften kaum größer sein, als jene weitverbreiteten kleinsten Fäulniß- und Ansteckungs­pilze, von denen nach Nägeli's Berechnung in lufttrockenem Zu­stande etwa 30 Billionen erforderlich sind, um das Gewicht von 1 Gramm voll zu machen. Ein einziger Blick durch das stärkste

Mikroskop zeigt uns auf einmal etliche Millionen solcher röthlich schimmernder Spaltpilzchen.

Halten wir das Glasstück, auf welchem diese Wundermonaden der blutenden Hostien" zu Hunderttausenden und Milliarden neben einander unter dem Deckgläschen in einem Tröpfchen Wasser liegen, gegen das Licht, so sind wir kaum im Stande, mit unbewaffneten Augen den röthlichen Schimmer dieser unzählbaren Lebewesen wahrzunehmen. Sie sind zu klein, um von unserem Auge wahr­genommen zu werden, wenn sie in lufttrockenem Zustande zu Hunderttausenden in der sonnendurchleuchteten Atmosphäre schweben und zu Millionen und Milliarden auf den Flügeln des Windes durch die Lüfte wandern.

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Die Vermehrungskraft dieser Monaden grenzt an's Unglaub­liche. Wir berühren mit einer feinen Nadelspiße einen Blut­flecken" unseres faulenden Kohles und entführen demselben einige tausend Spaltpilzzellen. Die Nadelspize ist kaum röthlich ge­färbt; wir führen sie über feuchte, weiße Oblaten hinweg, indem wir diese letzteren taum berühren. Wir geben der weißen Hostien­substanz einige beliebig gruppirte Nadelstiche und stellen sie in einen feuchten Raum, z. B. in einer kleinen Porzellanschale liegend unter ein umgestürztes Trinkglas. Am nächsten Morgen, nach 12-16 Stunden haben wir blutende Hostien" vor uns allen Stellen der weißen, feuchtgehaltenen Oblate, welche von der Nadelspiße berührt wurden, die prächtig glänzenden, anscheinend ausgeschwitzten blutig rothen Flecke unserer Monas prodigiosa ( Ehrenberg).

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an

Ja, die Nadelspitze hat Wunder bewirkt: Gestern Abend glitt sie über die Oberfläche der feuchten Oblate, ohne eine sichtbare Spur zu hinterlassen, heute blutet" die gestreifte Sub­stanz.- Ich habe auf diese Weise alle möglichen Figuren in hellstem Blutroth hervorgezaubert und unter anderem auch das Kreuz nicht vergessen, um meine Hausgenossen sowohl, wie meine Schüler von der Wunderkraft der Nadelspizze zu überzeugen.

Die Fäulnißpilze, wozu ohne Zweifel auch unsere blutende, von Ehrenberg so benannte Monas prodigiosa gehört, pflanzen sich einfach durch Theilung oder Spaltung fort, wie dies schon der Familienname der ganzen Gruppe der Schizomyceten an­deutet. Hat zum Beispiel eine eiförmige Zelle eine gewisse Größe erreicht, so theilt sie sich in der halben Länge in zwei Hälften, die wir Tochterzellen nennen. Letztere wachsen nun weiter und wiederholen den gleichen Vorgang, wobei aus ihnen 2X2-4 Zellen dritter Generation entstehen. Das ganze Leben dieser niedrigen Organismen ist also nichts anderes, als ein Wechsel von Wachsen und Zweitheilen, wobei selbstverständlich Stoffe eingenommen, andere Stoffe abgeschieden werden. Der Theilungsvorgang fann sich unter günstigen Verhältnissen, bei zuträglicher Temperatur und hinreichender Nahrung, welch legtere in der faulenden Substanz dargeboten wird, innerhalb 20 bis 30 Minuten wiederholen. Das einzelne Individuum zerfällt innerhalb einer Stunde successive erst in 2, dann in 4 und endlich in 8 Individuen dritter Generation, mit anderen Worten: ein einziges Fäulnißpilzchen kann im Verlauf einer einzigen Stunde in der Bildung von 8 Urenkeln aufgehen. Aus diesen 8 Indi­viduen gehen im Verlauf der zweiten Stunde 8X8= 64, in der dritten Stunde 8x64 512 Individuen hervor. Die Nach­kommenschaft eines einzigen Fäulnißpilzes beläuft sich nach zehn Stunden glücklicher Vermehrung auf nicht weniger denn 1,073,741,824 Individuen. Dies geschieht z. B. bei einer Tempe ratur von ca. 37 Grad Celsius, die unserer eigenen Blufwärme entspricht.

Im Hinblick auf diese immense Vermehrungskraft erklärt sich der rasche Verlauf pestartiger Krankheiten oder der unerwartet schnell eintretende Tod bei sogenannten Blutvergiftungen, nicht minder aber auch die rasche Entwicklung anscheinend schweißartig austretender blutrother Flecken auf der feucht gehaltenen Oblate, die ja aus derselben Substanz( Stärkemehl) besteht, wie die Hostie.

Bringe ich mit der Nadelspiße auf die feuchte Oberfläche der Oblate, oder auf feucht gehaltenes Brod nur ein einziges Indi­viduum unserer Monas prodigiosa, so werde ich nicht allein mit unbewaffnetem Auge von dem Pilzchen absolut nichts wahrnehmen, sondern auch mit dem besten Mikroskop umsonst nach der einzelnen Monas suchen Vermehrt sie sich aber nur halb so rasch, als