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Hier faßen blinde Männer, Jünglinge und Knaben, fünfzig oder fechzig an der Zahl, und waren mit der Anfertigung von Ble nenförben, mit Stuhlflechten, Seiler- und Bürftenbinderarbeit beschäftigt. Vor dem Preppergolder Eberle stand der Bertlehrer Stiehl und fagte: Das ist der vierte Stuhl, Den Sle beziehen: Sie machen Ihre Sache wirklich gut!" Eberle erhob sich und sprach: Herr Bertlehrer, daß mir die Arbeit so von der Hand geht, darüber wundre ich mid nicht. In mir ist's fonnenhell. Ich hef eine Frau, die treu und anhänglich ist und hab ein Töchterle, goldig!" Ein alter r" e feine Geige herbei,[ pielte einen Choral, und alle fangen. Ludwig liefen die Tränen über die Boden. Er legte den Mantel ab und rief: Eberle, Du hast ein nichtsnußig Welb, fie betrügt Didy mit mir!" Eberle preßte die Fäufte in die eingefun­fenen Augen und brach unter lautem Ge ftöhn zufammen. Da warf fich der Werk lehrer Stiehl auf Ibold, friegte ihn an der Kehle, daß er zu erstiden vermeinte. Lud wig erwachte, sprang aus dem Bett und 30g fich an. Bor Tagesaubrud verließ er das Haus. Eine Zeitlang fchlenderte er in den Straßen umher, dann stieg er zur Höhe des Hasenbergs hinauf. Droben fächelte ein frisches Lüftchen ihm die heiße Stirn. Sa feinen Füßen Jah er die Schwabenhaupt Stadt im jungen Licht, mitteninne tunstvoll angelegte Gärten, von alten Kastanien. Däumen überragt. Ueber den Rahmen des Stadtbilds hinaus ruhte der Bild auf Re­bengehängen und dunklen Wäldern. Fernab blauten die Berge der Alb.

Als Ludwig im Badischen schaffte, war über die Schwaben oft gewißelt worden. " Sie haben fein Herz, hieß es, aber zwel Magen. denken nur an Knöpfle und Brätte und fluchen, als wollten fie dem Teufel zur Meffe läuten!" Bis zu dem Tag, da er In die Hauptstätterstraße gezogen war, hatte er fich in Stuttgart fehr wohlgeführt. Die Schwaben waren helle Köpfe, wußten, wo die Zäune hingen und wie fie's anzugrei fen hatten. daß fie im Wirrfal der Welt bestanden.

Bielleicht war's das lehtemat, daß er fich hier oben an der Ausflcht auf das ftolze Stuttgart ergöhte. Es war sein fel­fenfefter Entschluß, das schandvolle Band, bas ihn hielt. zu zerreißen, er wollte helm.

Er ließ sich auf einer Bant nleder, 30g einen Brief aus der Tasche, den er gestern von seinem Freund Eberle aus der Blin­Denanstalt in Gmünd erhalten hatte und fas ihn.

Ibold steckte den Brief wieder in die Tasche und schaute nachdenklich vor sich hin. Sem Freund hatte ihm aus treuem Herzen geschrieben und verdiente eine offene, ehr­Ilche Antwort., Ronnte er die geben? Er fonnte hundert Gründe anführen, weshalb, er Stuttgart den Rüden fehrte, den triftig. ften mußte er verschweigen. Lügenspiel! In der Heimat tat fid) ein neues Leben für ihn auf Der Grete würde er freiheraus fagen, was ihn in die Krümme gebracht. Nur so fonnte er wieder ihr Bertrauen ge­winnen. Wie hatte seine Mutter geschrie ben? Wer Jovie! Menschenliebe in fich trägt wie die Grete, tann etwas verzeihen!"

Er brach auf und nahm den türzesten Weg in die Stadt. In den Straßen war es trop der frühen Morgenstunde schon fledewarm. Er atmete auf, als er in feinen tühlen Arbeitsraum fam.

Während der Frühstückspause begab er

Die Neue Welt. Juftriertes Unterhaltungsblatt.

fich in das Privattontor des Prinzipals und bat diefen um seine Entlaffung.

Warum wollen Sie gehen?" fragte Herr Dittmar mit einem prüfenden Blick.

Dem Blid auswelchend, wie jemand, der etwas im Hintertüirchen hat, erwiderte Zbold:

Ich hab Nachrichten bekommen, ich bin nötig zu Haus," und setzte hinzu: Dürft ich vielleicht morgen schon fahren?"

Der Prinzipal zog die Brauen hoch. Preffiert's denn jo?"

D

Jawohl!"

Da filmmt etwas nicht,' dachte Herr Dittmar. Behält er's für fich, wird er wiffen, warum."

Ich war zufrieden mit Ihnen." fagte er, und laffe Sie ungern gehen. Ich lege Ihnen natürlich nichts in den Weg. Sie fönnen sich hernach Ihre Paplere holen."

Der Gesell richtete sich auf und schlug Die Hände ineinander.

Ich möcht dem Herrn Dittmar auch viel mals danken! Hier sind mir die Augen auf gegangen. Freilich, je mehr man lernt, desto weiter möcht man kommen. Ich muß mir daheim nun selber helfen."

" Ich bemühe mich, meine Leute zu einem guten Geschmad zu erziehen." fagte der Prinzipal leutselig. Der Buchbinder foll ein Gefühl dafür haben, was schön und was unfchön ist. Sie haben's. Troy der Maschinen davon bin ich überzeugt wird sich die Handarbeit in der Buchbin­derei behaupten. Und wer den tunstgewerb lichen Geift im Buchbinderhandwerk pflegt, trägt dazu bei, es zu heben. Bergeffen Sie das nie, wenn Sie Meister find!"

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Er relchte dem Gesellen zum Abschied die Hand.

Nachmittags begann Ludwig in seiner Stube zu paden.

Das Ritele fligte herein und fragte: Was machscht dann da?"

"

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Ich will verreifen, Beißtöpfdjen," ants wortete der Gefell .

Wohin willscht verreife?"

" Nach Haus."

Und mann fonimscht wieder?"

Das fann ich heut noch nicht sagen." Bann Du net da bischt, wer soll mi Dann hozzele?"

"

Dein Bater, Ritele. Er hat mir ge Jchtleben. er fommt."

Und wer foll Bitschebatsche mit mir madhje?"

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Deine Mutter."

Und wer foll mir Geschichtle verzähle?" Dein Bater."

Mel Bater hat mir nie Befchichtle ver­zählt 3 bitt Di, bleib dal"

Ritele, Ich muß heim!" Die Kleine verzog das Mäulchen zum Weinen und fief hhiaus.

Gleich darauf erschien Fran Eserle; altternd vor Zorn.

Hakht Det Wasch' nachgezählt?" 3a."

Stimmt's?"

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Deht geht's affo fort?" 3a."

Indes er elfrig weiterpadte, fuhr fle .los:

I pfu di an! Gell,' s isch Dir a'viel, mir ordentlich Antwort zu gemme? Muscht Dir net einbilde, daß bittermütig wär. O neil Um fo'n fiautsch macht sich fel Frau, die was auf flch hält, Gramanze. I dant Bolt, wann Du den Tempel drauß

bischt. A Mann soft à Mann fein. Was bischt Du? Net Fisch und net Fleisch. I denk als, Dei Gänsle daheim glaubt wun­der was an Dir zu kriege. Was friegt's? A Gogg, a Wetterhahn. Des wollt i Dir bloß noch lagel

Sie drehte fich auf dem Abfah herum und ging.

Zugleich mit dem Dienstmann , der gegen Abend des Gefellen Habfeligkeiten zur Bahn schaffen follte, trat ein Bostbote in die Stube und brachte ein Telegramm. Es lautete:

Bater schwer ertrantt. Romme fofort­zurüd. Mutter."

Eine Stunde später stieg Ludwig in den Bug, der ihn der Heimat entgegenführte. Obwohl er von Ludwigsburg an mit nur einem Fahrgast das Kupee teilte und Ge­legenheit gehabt hätte, fich auszuftreden, blieb er in seiner Ede fißen und schaute betlommen in die Nacht hinaus. Es war fein redlicher Wille. insfünftig dem Bater gegenüber fich versöhnlich zu zeigen und mancherlei wieder gutzumachen, deffen er fich fchuldig fühlte. Die Fremde hatte etwas Tüchtiges aus ihm gemacht, daran war nicht zu rütteln, immerhin hatte er in legter Zeit, wenn ihm die Erinnerung an Dergangene Tage Gesellschaft leistete, über vieles anders denten gelernt. Er war fich der Fertigkelt in seinem Handwerk be wußt, brauchte für feln Können freie Bahn, aber er baute doch auf dem Grund weiter, den der Vater für ihn gelegt. Borum galt es denn in allem Gewert? Das Beste zu suchen und nugbar zu machen. Darin konnten zwel Menschen mit flaren Sinnen wohl einmütig feln. Man mochte über die Geschäftsgrundsäße feines Baters denken, wie man wollte, fein Biederfinn und feine Charakterfestigkeit nötigten einem Achtung ab. Der Bater hatte seine: Jugend behütet, hatte sich für ihn abge­müht. Er aber als Storretopf, der nie feln liebes Ich vergaß, hatte immer getan, als finge die Welt bei ihm erst an. Mit feinem rechthaberischen Wesen hatie er die Sohnespflicht oft verletzt. Um des lleben Friedens willen mußte er sich etwas ge­fallen laffen. Bater," hatte er sich vorges nommen zu[ prechen, ich weiß, was ich Dir fhudia bin. Das Unlchterlae hab ich draußen gelaffen. Du hast Dein Teil in Ehren geschafft, lah möcht Dir jetzt helfen. Ich mein, wir fofften uns das Leben nicht Schwerer, wir follten's uns leichter und schöner machen!" So zu sprechen war fein Borfaß gewesen. Nun hatte ihn die Hiobspoft überrascht. Der Gedanke lle ihn nicht los, daß er den Bater nicht mehr am Leben traf.

Der Reisegefährte, ein junger Mensch, deffen Sülge das Gepräge eines Südlän­ders trugen, lag auf seiner Bank und schnarchte.

Es war zum Erstiden heiß. Ludwig öffnete ein Fenster. Die Nacht fah mit tohlschwarzen Augen herein und wisperte: Mir Jawant nichts Gutest"

Dem Gefellen war das Herz bedrückt, als ob ein Mühlftein darauf läge.

Ats er am anderen Morgen die Schwelle des elterlichen Hauses betrat. fam ihm felne Muties in Tränen zerflehend entgegen, Den Baler hatte in der Werf statt der Schlag gerührt. Er hatte das Bewußtsein verloren und bis jeg! n't. wiedererlangt. Der Arzt hatte fo gut wie nichts verordnet. Er meinte, man müsse