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Die Neue Welt. Illustriertes UnterhaltungSblatt.
erlebt hatte, wischte sich nicht so weg. Am Tag. tat d'« Arbeit dem Spintisieren Ein- halt Nachts fand sie keinen Schlas Duselte sie ein blsichen ein. fuhr sie von schreckhasten Bildern geängstigt auf. Es konnte keine Einbildung sein, jemand schiorple liber den Flur und stöhnte jammervoll Es ging ihr durch Mark und Bern Im Laden hatten sie erzählt, seit er aus der 5)afl entlasten war. lag Ludwig Lbold matt und zitterig zu Bett. Auf Anordnung des Arztes mußte Im Hause die größte Stille herrschen. Ratterte draußen ein Wagen vorüber, schrie Ludwig auf. Deshalb war die Straße mit Stroh belegt worden Der Kranke verweigerte die Nahrung, die Schwäche nahm zu. Er mußte wohl doch etwas auf dem Kerbholz haben, und die Gerechtigkeit Gottes nahm ihren Lauf. So wurde im Laden gesprochen. Wie glühende Pfeile drangen die Worte aus sie ein, und ihr Herz ward von wider- streitenden Gefühlen zerrissen. Frau Ibold und Irina, die Krankenschwester, hatten sich in Ludwigs Pflege geteilt. Drei Wochen lang war sein Zu- stand so besorgniserregend, daß der alte Doktor Kühnhold täglich zweimal kam. Mit einem Male trat eine Wendung zum Bestern ein. Die Herzschwäche, die den Doktor be- unruhigt hatte, minderte sich Stunden un- unterbrochenen Schlafs trugen nicht am wenigsten dazu bei. die gesunkenen Kräfte zu heben. Der Kranke sagte, der Kopsdruck, unter dem er gelitten, sei verschwunden, das Schwindelgesühl lasse nach Auch der Appe- tit stellte sich wieder ein. Frau Ibold. die ihrem Sohn gleich krästigste Kost darreichen wollte, stieß auf den Widerstand des er» fahrcnen Arztes. „Ich denk, der Ludwig ist über den Berg. Nun wollen wir erst recht vorsichtig sein. Nur milde Diät! Und überfüttern Sie ihn nicht. Sie würden ihm bloß schaden. Und das wollen Sie doch nichtl" Der Genesende sollte vollkommener Ruh« überlasten bleiben. Ludwig selber, obwohl sein Lebenstrieb neu erwachte, hatte das Gefühl, daß er der Schonung bedurfte. Noch war seine Erreg- barkeit so groß, daß er I-des Geräusch, ja, jedes überlaut gesprochene Wort wie einen körperliche» Schmerz empfand Eolllobl Die wilde Jagd der Gedanken, die In grau- samem Wirbel sein Hirn durchraste, war vorüber. Still lag er da und überdachte. was ihn berührt und erschüttert hatte. We- nige Tage vor der Begegnung mit Theobald Gonder war er aus Dormstadt zurück- gekehrt. Doit hatte der Direktor der Landes- bibliothek für Buchbinder eine Ausstellung von Erzeugnissen früher, mittelalterlicher und neuzeitlicher Einbandkunst veranstaltet, hatte den Meistern, die von nah und fern sich «ingefunden, die Schätze gezeigt, deren kun- diger Hüter er war. Bei den Prachtstücken de» Kurfürsten August von Sachsen wurde vssenbar, bis zu welchem Grad von Boll- kommenheit schon damals die Einbandkunst sich entwickelt hatte. Di« Eachsenbände mit ihrer reichen Ausschmückung, ihren Zier- goldschnitten hatten es Ludwig angetan. Diese Wunderwerke kamen seinem Streben nach Sttlsicherhelt und Eigenart sichtbar ent- gegen. Gewiß, es waren ihm Einbände von «Infacher. vornehmer Wirkung gelungen! sie wurden geschätzt und nach ihrem Wert dezahlt. Nun ober, durch die Ausstellung geweckt, drang eine Fülle von Ideen aus Ihn ein. Ganz begeistert war er heimge»
fahren, hatte der Mutter und seinem Freund, dem Lehrer in Rainrod - von all den Ein- drücken erzählt, hotte Pläne, die ihn zu verfeinerter Gestaltung seiner Tätigkeit, die ihn zur Reife führen sollten. Da hatte ihn sein Verhängnis in die traurige Begeben- heit am Baumstück verstrickt. Nach dem Entsetzlichen, das er erfahren, war alles in ihm wie ausgebrannt, wie abgestorben. Die bleiche Furcht flüsterte ihm ins Ohr: „Völlig erfchöpst, wie Du bist, wirst Du fortan Deiner künstlerischen Arbeit nicht mehr gewachsen sein!" Die Angst» die Un- ruhe verließen Ihn nicht. Hinter Schloß und Riegel, während er in unerträglicher, nervenzerrüttender Spannung aus die Ent- scheidung wartete, hotte der Richter in ihm seine Stimme erhoben, hatte gesprochen: „Gehst Du'auch hier straflos aus. Du brauchst Dich nicht in die Brust zu werfen. Du hast noch Scharten auszuwetzen. In Deinem Leben häuft sich Schuld auf Schuld. Der Arm des Gesetzes reicht nicht überall hin. Du hast Deinen besten Freund hinter- gangen. Dein Vater hat seine Tage be- schlössen, eh daß Du ihm die Hand zur Versöhnung gereicht. An der Grete hast Du wie ein Schubiack gehandelt. Dir fehlt die Festigkeit, die reine Gesinnung, die Treue in großen und Neinen Dingen. Der Dünkel liegt Dir wie ein Stein vor den Augen, daß kein rechtes Licht hinein- scheinen mag!* So klagte ihn sein Ge- wissen an. Die Tür des Hastlokals öffnete sich, er wankte zu feiner Mutter, die in den Schreckenstagen schneeweiß geworden war. Die Krankheit wars ihn nieder In vielen bitteren Stunden hatte ihn unab- lässig der Gedanke verfolgt:„Wirst Du der Gesundheit auch wiedergegeben. Dein Leben wird arm und elend sein, wenn Du nicht gut machen kannst, was Du an der Grete gesündigt hasti" Die Besserung In seinem Befinden schritt voran. Tagsüber durfte er ein paar Stunden außer Bett zubringen. Er begann an allem Anteil zu nehmen, was In seiner Umgebung vorging. Auf be- qucmem Lager ruhend, hörte er der Schwester Trina zu. Das war eine rot- bäckige Kasselerin, aus deren Augen Güte und Schalkheit sprachen. Si«' hatte oft aus dem Land gepflegt, war mit den Ge- pflogenheiten der Bauern, ihrem Zopf und Aberglauben wohloerttaut. Den Patienten zu unterhalten, trug sie allerlei aus ihrem ländlichen Erfahrungskreis vor. Im ver- gangnsn Herbst war's, daß man sie nach Bermuthshain gerufen hatte. Dort wütete der Keuchhusten unter den Kindern. Der Peter Schrupp,«in begüterter Mann, dem die Dörfler den Spottnamen Tuwack bei- gelegt hatten, wollt« für seine kranken Bu- den keinen Arzt. Er gab ihnen Feld- rautentee. Dann mußten sie sich in ihre getragenen Hemden schneuzen, die beileibe nicht g-waschen werden dursten. Der Bauer, der an entzündeten Augen litt, legte weißen Käse daraus. Das sollte helfen. Im Dorf war Kinnes. Der Echäferhannes. der keinen Steklvertreter hatte, gedachte abends auf den Festplatz zu gehen.»Wenn Dir aber ein Schaf ge- stöhlen wirdi* stellte man ihm vor.„'s wird mir nix gestohlen." erwiderte er. „Und wenn einer grappscht, muß er stehen bleiben, bis ich komm. Ich Hab den Pferch befprochenl" Der Hannes ging auf den Festplatz, war fcelenvergnügt und sagte ein Kännche» Branntwein nackj dem andern
durch die Gurgel. Wie er gegen Mitter- nacht an sesnen Pferch kam, stand mitten drin ein Mann und hatte einen Hammel auf dem Buckel. Es war ein Metzger und großer Lumpsack—" Ludwig verfärbte sich und fuhr in die Höhe, daß die Schwester abbrach. „Ist Ihnen nicht gut, Herr Ibold?" „Mir ist nichtsl" antwortete er und nahm leine bequeme Lage wieder ein. Uebcr eine Weile fragte er: „Haben Sie etwas gehört, wie'» der Frau Eonder geht?" Die' Schwester berichtete über bis Wandlung der Ding« im Metzgerhaus, daß der Altmeister wieder Gesthäftsbesitzer geworden sei, und daß ihm Grete gute Dienste leiste. Sie sei eine seltne Frau, die sich als wahre Heldin in ihr Schicksal zn finden wisse. Die Schwester hatte in Gret« hineingeschaut, da der Meister Fillunger auf dem Siechbett lag. Die Tochter, so weh ihr zumute war, konnte sich nicht ge- nug tun. den Todkranken aufzuheitern und das Lämpl?in der Hossnung in ihm zu ent- zünden. Der Meister schied hin. Erst hatte der Schmerz Grete stumm gemacht. Hernach war's ihr ein Trost, über den Vater zu sprechen. An seiner unerschütter» lichen Ruh« hatte si« einen Halt gehabt, wenn ihr Gleichmut ms Wanken kam. Hatte er etwas an ihr auszusetzen, hielt er mit seinem Tadel nicht zurück. Doch quälte er sie nie mit übertriebenen Reden, was sie zu tun und zu lassen hatte. Sie war«rwachsen. Das achtete er. Vater und Tochter standen zueinander wie gute Freunde. Kein Wunder, daß der Tod des Meisters Grete doppelt schwer traf. Nur aus ihrem Verlassenhettsgefühl war's zu erklären, daß sie zur bösen Stunde den Metzger geheiratet hatte. Die Schwester ging. Ludwig sann ihren Worten nach. Den Kelch bis auf d!« Hefe zu leeren, war Gretes Los. Wieviel Ueberwindung mochte es sie gekostet haben, bis sie ais Angestellte hinter den Ladentisch trat! Hätte er sie nicht im Stich gelassen, hätte ihr Leben ein«» andern Lauf genommen. Ohne daß er sich dar- über klar wurde, wie er es ins Werk setzen sollte, lebte er sich in die Vorstellung hin- ein, es mußte für ihn ein« Möglichkeit geben, der Hartgetross«nen zu Helsen . Die Erinnerung führte ihn all die W«ge wieder, die er mit ihr gegangen war, durchklang ihn wie«ine wundersame Me» lodie. Frau Ibold, die Ihren Sohn vor jeder Aufregung behüten wollte, hatte ihm ver- schwiegen, daß Grete in'Armut und Ab- hänglgkeit geraten war. Als sie Im Zwle- licht mit einem guten Süppchen ins Zimmer trat, erfuhr sie, daß Schwester Trina aus der Schule geplaudert hatte. Indessen gewahrte sie zu ihrer Verwunde- rung. daß Ludwig keineswegs niederge- schlagen war, vielmehr meinte, er sühl« sich weit wohler, er Hofs«, bald ganz ge» sund zu sein. „Guck Mutter," sprach er,„vordem Ich krank war, Hab Ich nur über meine Kunst» einbänd' simeliert. Jetzt weiß ich, ich Hab noch was Wichtigeres zu tim: ich darf nicht ruhen, bis ich der Grete aus ihrem Unge- rück heif'." „Das wär mein größter Wunsch>" sagte Frau Ibold. das Gesicht von«ineni frohen Erstaunen erhellt.„Aber Mischen Dir und der Grete sieht viel. Wenn Du