Di« Neue Welt. Illustriertes Unterhaltungsblatt.

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»on UNS nach rückwärts. Natürlich darf uns dies nicht abhalten, la weit hinaus au forschen, row es eben noch gelingt. Noch weniger aber darf es uns abhalten, einen Blick auf die Zeiten zu werfen, in denen such die uns unbekannten Vorfahren ge» lebt haben dürsten. Welches war in der und der Generation von Vorfahren der poli- tische und kulturelle Zustand Deutschlands ? Es war beträchtlich anders als heute, da �der Großvater die Großmutter nahm", aar erst alsder Urgroßvater die Urgroß­mutter nahm" Das letztere führt uns in die vierte Ahnengeneration zurück, etwa in das Jahr 1831 Und nun fragen wir unsere Jungen aus ihrer Geschichtskenntnis heraus, wie es damals ausgesehen haben mag. Di« politischen Verhältnisse sind bald festgestellt: Deutscher Bund . Schluß der französischen Lulirevolution und Ansang des Bürger- königtum» usw. usw. Lehrreicher aber und Interessanter dürfte die Frage nach den da- «naligen Kuiturverdältniffen sein. Wer im Lahr 1831 lebte, konnte noch weder tele- »raphieren. da der Telegraph erst in den Jahren 18311837 aufkam, noch auch mit Eisenbahnen fahren, da diese erst ungefähr 1833 praktischer zu werden begannen. Gehen »vir noch weiter zurück, zu unseren Ur- Großeltern in der fünften Generation anno 1802, so läßt sich vielleicht hervorheben, daß auch diese Leute chr Antlitz noch nicht photo- «raphieren lassen konnten, daß aber kurz vorher(1736 usw.) die Lichographie erfunden und ausgebildet worden war, und daß diese Leute sowie ihre Kindergeneration Hassent- sich Geld genug hatten, die damals beliebte Porträtlithographie für sich zu benutzen. Noch eine Generation zurück, und wir stehen im Jahre 1774, als eben<1772) die erste Teilung Pob-ns geschehen war, als die Bereinigten Staaten von Amerika sich noch nicht von England unabhängig gemacht hatten<1783), und als vor kurzem(1768) die erste Erfindung der Dampfmaschine verzeichnet werden konnte. Und die da- malige Generation durfte In ihrer Jugend den ersten Eindruck von Klopft ock'» Messias" genießen und sah dann mit ihrem Alter den pro« ßen Auischwung der deutschen ßlwfikerzeit. Noch eine Generation zurück, und wir kom- men der europäilchen Erfindung des Por- zellans(1709) nahe, wie wir uns denn überhaupt unser« Vor- fahren aus dem 18. Jahrhundert schwer- lich ohne jene Por- zellanpüppchen den­ken können, deren Ausläuier noch heut« in so vielen Familien- beständen erhalten sind oder vielleicht bereits neueren Kunstformen weichen. Abermals weiter zurückzugehen, möge ein« immer wie- der fruchtbare Beschäftigung der Jugend fein. Aber vielleicht besteht bei ihr speziell so viel kunsthistorisches Interesse, daß wir den Weg noch einmal von heute nach rückwärts mit besonderem Absehen aus den Wandel der Slile durchschreiten mögen. Gegenüber der allgemeinen und vornehmlich auf dem Kunstgebiei ertönenden Klage, daß wir einerseits zu viel und andererseits zu wenig Tradition haben, mag es von Jnterefie sein, bleier einmal on der chand der Genealogie nachzugehen. Dies um so mehr, als ja doch auch jeder Künstler sein Ureiacnstes in eine Welt hin.-insctzt, deren Verhältnisse ihn bc- Änflufisn, und von deren reisen Künstlern einer oder der andere sein Meister war.

tzauS im Stadtinnern Gibt es ja doch sogar Familienltnlm von Künstlern, einschließlich mehrerer Erbauer von deutschen Domen: und Beispiele aus der neuesten Zeit liegen erst recht nahe. Wie sah es nun kunstinstorisch und spe­ziell stilistisch in den jeweiligen Zeiten un- serer oberen Generationen aus? Die El- tern der Generation von 1917 setzten wir aus das Jahr 1888 an. Damals entstanden gerade die Sezessionen sowie der selbstän- dige kunstgewerbliche Aufschwung: die großen und wirkungsvollen Ausstellungen zu Paris 1867 und 1873, zu Wien von 1873,

Die Marienkirche zu München vo� 1876, zu Berlin von 1879 liegen zwischen der Blüte dieser Genera- tion utid der der vorhergehenden. Diese letztere, von 1839, sah nicht eben einen Hoch- stand des Künstle.rtums(und auch nicht etwa der Philosophie), bekam aber reichliche Er- innerungen an vergangene Stile. Manche retrospektiven Ausstellungen der jüngsten Zeit, zum Beispiel in Berlin , führten uns besonders in die Zeit der nächstvorhergehen- den Generalion zurück, also in das Jahr 1831, die eigentliche Generation desBie­ dermeier ". Wieder eine Generation zurück, und wir kommen mit dem Jahr 1802 in den Ansang des Empire kliiein: ebenso mit der Generation von 1774 in dasAnclen rögime", speziell in den Stil, der franzö- sifchLouis feize" und deutsch Zopf" heißt: mit 1745 stehen wir rnftten im Rokoko: mit

dem Jahr 1717 geraten wir MischenLouis guatorze" undLouis quinze " In den Uebergangsstil derRegence " hinein: 1688 zeigt die Höhe der Barocke: und wer noch weiter zurückgeben will, kann sich immer noch wundern, wie verhältnismäßig rasch da die Stile einander ablösen. Das alles am besten an der Hand einer Sammlung von charakteristischen kunstgewerbegeschichllichen Musterstücken> Ein analoges Jnterefie wie dieses kunsb geschichtliche vermag das schulgeschichiliche zu werden. Auch die mehr oder minder ge- bundenen oder freien Schul- und Er« ziehungsstötten haben ihre Generationen. und zwar von Lehrern oder Erziehern einer» seits, von Schülern oder Zöglingen ander«» seits. Hat eine Schule neun Jahrgänge, so erneut sie sich in neun Jahrgänge» oder hat einen neuniährigen Generaiionenabftand (ungerechnet die Sitzengebliebeilen). Und die Lehrer sowie die Direktoren? Wir gehen mit unseren Jungen einen histortschea Schritt zurück bis zur Gründung Ihrer Schulanstalt, fragen wieder, wie damals di» Zeiten politlfch und kulturell waren, und steigen dann abermals in dl« Statistik hin« ein, indem wir zunächst die Zahl der Direk« toren seit der Gründung feststellen. Den Durchschnitt ihv.-r Amtsdauer kann man als Direktorengen»ratlon ansetzen oder bezeich- nen. Analog lafien flch Lehrergenerattonen Heraussinden. Ganz besonder» lehrreich kann die Sache werden, wenn die Schule selbst ein Archiv besitzt, und wenn Urkunden aus älterer Zeit von ihm der Jugend gezeigt werden. Doch auch sonst läßt sich nach Urkunden fahnden: ein Ausflug in Irgendein nahegelegenes Archiv wird wohl durch«inen freundlichen Beamten gern ermöglicht und lehrreich g» mackft werden können. Doch auch eine philosophischere Betrach» tung liegt bereits seit längerem nahe. Wir deuteten die Verlchie» dSnhett der Genera- tlonendauer in den verschiedenen Kultu- ren an. Jetzt fragen wir, ob eine kürzer« oder längere Dauer kulturell von größerer Bedeutung sein dürfte. Da wird sich bald denken lafien, daß dieser Vorteil auf der Seite der längeren Ke« uerationendauer liege. Die Last, welche uns in der beutigen Kwl- tur durch die abnorm« Länge der Bildungs- pänge aufgebürdet Ist» namentlich in den Be- ruisoorschuleu, den Berussschulen(und zwar nnmenillch den .Hochschulen), endlich in der auch noch lan- gen Prakiikanienzett, oerbürgt zugleich ein« umfangreichere Ausbildung und sogar ein« geschlossener« Tradition. Sind immer gleich Kinde.' und Kindeskinder da,' so läßt sich in der Verfeinerung der Kultur weniger leisten, und starke Aenderungen aller Ver- hältnifie drängen sich auf. Gerade di« Pädagogik leidet unt.-r kaum etwas so sehr wie unter raschem Generationennwchsel: sie kann dann wegen der Kürze der Zeit nicht nur quantitativ wenig tun, sondern kann auch nicht mit großen Linien eine» planmäßigen Vorgebens arbeiten. Aber noch eine Betrachtung vermag für uns sruchibor zu werden. Des Zuriicfaehen zu immer höheren Anzahlen von Vorsahren und das Vorwärtsgehen zu immer höher werdenden Anzahlen von Nachfahren zeigen uns. auch wenn wir gar nicht mit der Ab­stammung von einem einzigen Menschen-