BUNTE WELT
Nr. 4
Unterhaltungsbeilage
1938
Ein wenig zu Unrecht trägi Stockholm sprache, die Theater sind gerade während der stadion gibt es feine Balljungen, weil die Pros diesen Namen, denn über ein paar Aeußerlich- Sommermonate gefchloffen und die Geschäfte letarierbuben viel bessere und würdigere Verfeiten hinaus tommt die Aehnlichkeit mit der halten auch nicht lange offen. Stockholm wirbt dienstmöglichkeiten haben, die Kinos sind saus großen Lagunenstadt des Südens nicht. Es ist nicht um Gunst, aber es erhält sie. Und wider- ber und billig, die Theater auf höchstem Niveau, nicht nur der Unterschied des Klimas, der Un- steht dann nicht, sondern gibt sich ganz. Gibt die Boltsbildung auf ebenso hohem Standard, terschied der Menschenrasse, der Unterschied der sich mit all der Stühle seines Herzens, die ebenso Alkoholerzeffe find sozusagen etwas Unbekann Dajeinsbedingungen, der eine tiefere Verwandt- Erbgut des Nordens, wie Erbgut seiner jee- tes.- und alles das in einer Atmosphäre lauer schaft der beiden Städte ausschließt, es ist vor lischen Ausgeglichenheit iſt. Glückseligkeit, die um sich selbst nicht weiß. allem ein Unterschied der Temperamente, ein Unterschied der Stimmung, ein Unterschied der Atmosphäre.
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Uns Mitteleuropäern ist nicht nur die per- Sind die Skandinavier glücklicher als wir? sönliche Sicherheit zum Problem geworden, Hoch im Norden, in Tromsö , soll es überhaupt nicht nur das Stüdchen Brot und die paar klei- teine Armut geben. Die Menschen haben dort, Unsere zerrütteten Mitteleuropäer- Nerven nen Annehmlichkeiten, die dieses von tausend was ihr Begehr: wenig Arbeit, viel Muße. In erschüttert zunächst einmal ein großer, ganz Gefahren bedrohte und von aber tausend obrig- ihrer Freizeit fizen sie vor ihren Hütten und überwältigender Eindrud: die geradezu drama feitlichen Normen eingezwängte Dasein noch zu blinzeln in die Luft einsam, allein, bedürftische Ruhe, die Stockholm ausstrahlt. Es gibt bieten hat, sondern der ganze Sinn und Un- nislos. Mehr gewährt ihnen das rauhe Klima, fein Autohupen, kein Mingeln der elektrischen sinn dieses Lebens überhaupt. Die Unrajt mehr gewährt ihnen ihre der Kargheit angeStraßenbahn, keine Zeitungsausrufer, teine unseres Lebens wird noch verschärft durch das, paßte Seele nicht. Etwas von dieser BedürfHofmusikanten, keine Fabriljirenen, tein Hunde- was wir darüber spekulieren. Der Schwede nislosigkeit und Schyvunglosigkeit seines noch gebell. Der Berfehr ist dicht und doch lautlos. führt ein anderes Leben. Ihm liegt die Unraft nördlicheren Landsmannes wohnt auch in der Wenn du an den Passagen zwischen den zwei fern, ihm liegt die Sorge um das Heute und Brust des Stockholmers. Er hat relativ im vorgezeichneten Linien die Straße überquerst, um das Morgen viel, viel ferner als uns, ihn Ueberfluß, was die Güter der Zivilisation find. so richtet sich der Verkehr nach dir, bleibt alles bedrohen nicht die Aengste der persönlichen Aber Wohlbehagen und Sicherheit baben ihn stehen und wartet, bis du am anderen Ende Sicherheit, der wirtschaftlichen Wohlfahrt oder unproblematisch gemacht und die Nähe des bijt. Die Technit unterordnet sich dem Men- wenigstens bei weitem nicht in dem gleichen Polareises hat seiner Seele den Gluthauch ges schen und es geht ohne jeden Lärm, ohne Banken Maße wie uns. Er braucht darum auch nicht so fühlt. Unsereins ist„ interessant", aber unglüdund Schimpfen. Man faßt es im Anjang gar zu hasten wie wir, er wird nicht zu spät kom- lich, der Schwede ist glüdlicher als wir, aber nicht, daß jemand da ist, der dir zuruft: Bitte, men, er fann sein Rebenstempo viel gemäch-|..unintereſſant". Man hat die Wahl, was vorweitergehen!" oder noch liebenswürdiger: licher regulieren und seine Seele bedrängen zuziehen ist. Hundert Jahre nach uns werden ..Zupf' di', notiger Bimpf!" Ez fehlt einem direkt und man fühlt sich förmlich beschämt, daß keiner da ist, der einen zurechttwiese und abkanzelte, weil man das und jenes falsch gemacht hat. Doch nach ein paar Tagen merkt man, daß der Ablanzler und zurechtweiser nun in dir selber wohnt und das du das kostbare Gut der Selbstdisziplin erworben hajt. Wer sich selbst tommandiert, braucht kein Kommando mehr von außen, wer sich selbst führt, braucht feinen Führer und das eine schließt das
andere aus.
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Freilich, die Dinge haben auch ihre Kehr seite: es gebt weniger vor in Naum und Zeit, wenn man so lebt wie in Stockholm . Man, muß viel Muße und viel Nervenruhe haben, um mit dem Ebenmaß dieses Lebenstempos fertig zu werden. Ein Mittagessen im Restaurant, auch wenn es nur aus drei Gängen besteht, dauert nicht unter eineinhalb Stunden, und wenn du einen Tee bestellit, muß du 30 Minuten war ten. Als wir einmal einen Kellner fragten, warum denn das alles se schrecklich viel Zeit erfordere, antwortete er mit weißem Lächeln ein einziges Wort:„ Schweden !" Ja, das ist so: die Schweden haben Zeit, sie sind ein frieds fertiges Volf, relativ fern wenigstens den ängs jten Aufregungen der Epoche, nicht gehetzt von den Fiebern unserer Regionen, ein Bolt des Maßzes.
nicht die Phantasien und Abenteuer und Spekulationen, die die unsere von Sensation zu Senjation heßen. Da er in der Freiheit wohnt, fennt er feine Sehnsucht. Seine Eisenbahnen dritter Klasse sind so ausgerüstet wie bei uns die erste Stlaffe, seine Wohnungshygiene für unsere Begriffe ein Paradies, in Stockholm gibt es fast überhaupt keine Bettler, im Tennis
Zeitungspapier
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wertvoller als Seide
uns unsere Nachfahren beneiden, in welch einem spannenden Zeitalter wir doch gelebt haben und wie aufregend schön es damals gewesen ein muß. Wir heutigen aber würden offenbar vorziehen, lieber hundert Jahre später zu leben, und wenn schon heute, so doch lieber bei den uninteressanten Schweden .
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Dr. J. Hannal.
auch einen Blick auf die Produktionsziffern dies fes Wirtschaftszweiges zu werfen, handelt es fich doch um Zahlen, von deren Höhe der Nichteingeweihte kaum sich einen Begriff zu machen in der Lage ist:
Eine der sensationellsten Wirtschaftsmel dungen der letzten Tage ist ein Bericht über die internationale Zellstoffproduktion, in dem unter Wie erst fürzlich bekanntgegeben wurde, anderm auf die Schwierigkeiten hingewieſen belief sich die Welterzeugung an Zeitungspapier wird, die sich einer wenn auch nur gering: im abgelaufenen Jahr auf nicht weniger als fügigen Erhöhung der Welterzeugung an Zei- 8.2 Milliarden Kilogramm! Diese gigantische tungspapier entgegenstellen würden. Es man gelt nämlich an Zellstoff, dem so wichtigen Rob- Bahl bejagt, daß it in dI ich faſt eine Million material, und dieser Mangel ist einerseits auf Silogramm Zeitungspapier durch die Rotations den scharf ansteigenden Zellstoffbedarf der im maschinen der Welt läuft; da diese Rotationss Dienst der Rüstungsindustrie stehenden Bünd- maschinen täglich rund dreiviertel Milliars und Sprengmittelfabrikation, und andererseits den Zeitungen liefern, und daß eine solche„ Tas auf die zunehmende Verfnappung der Weltvors gesration", zu einem meterbreiten Streifen zus räte an Holz zurückzuführen. Bekanntlich tours jammengeklebt, ein Band ergeben würde, lang den bereits vor einiger Zeit sowohl in Deutsch genug, um unsere Erdkugel zwölf mal umland wie auch in Italien Bestimmungen bezüg- spannen zu können! Diese Ziffern verans lich Einschränkung des Umfanges der Zeitungen erlassen, und nun kommt aus Japan die Nach richt, daß ein dortiges großes Blatt statt wie bis her auf Rotationspapier, ab nun auf Seide gedrudt werden wird. Zeitungspapier ist also gewissermaßen wertvoller geworden als Seide
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Ein Volf der Kühle, auch im Seelischen. Stockholm unterscheidet sich von Venedig vor allem dadurch, daß es von sich kein Aufhebens macht, feine Reflame, tein Marktgeschrei. Ber fommen will, seine scheue, stille Schönheit zu sehen, muß von selbst kommen, ohne Lodung, zumindest im Land der aufgebenden ohne Werbung, ohne Zwang. Es ist erstaunlich, Sonne". Ein Schulbeispiel für die teils unwie wenig Mühe sich diese wunderbare Frem alüdfeligen, teils ganz abfurden Auswirkungen denstadt um die Gewinnung der Fremden von Krieg und Rüſtungsfieber. macht. Sellner und Hotelpersonal sprechen nur Spricht man vom Zellstoffbedarf der Beis selten eine andere Sprache als ihre Mutter- tungspapierindustrie, ist es jedoch notwendig,
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schaulichen einigermaßen, welch gewaltige Pas piermengen die Zeitungen der Welt konfumies ren. Darüber hinaus vermitteln sie aber auch eine beiläufige Vorstellung einerseits von der ungeheuren und vielfältigen Arbeit, die mit dem Begriff Presse “ verbunden ist, und andererseits von der hervorragenden Bedeutung. die ihr, der Presse, als Stulturfatior(!) sowie im Rahmen des Wirtschaftslebens unserer Zeit als Brot- und Arbeitgeber eines schier unabsehbaren Heeres geistiger und manuellet Arbeiter zukommt.
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et. ma,