Nr. 5 Unterhaltungsbeilage 1938 Adalbert Stifter  : Das Heidehaus @ine-ute SBegjfimbe von dem Rotzberge surnd ein Hau». oder vielmehr«ine weitläufig- Hütte. Sie stand am Rande der Heide, weitab jeder Straße menschlichen Verkehrs; sie stand ganz allein, und das Land nm sie war selber wieder eine Heide, nur anders als die, auf der der Knabe die Ziegen hütete. Das Haus war ganz aus Holz, fatzle zwei Stuben und ein Hir- rrnsiübchen, alles mit mächtigen braunschtoarzen Tragebalken, daran manch Festkrüglein hing, mit schönen Triuksprüchen bemalt. Die Fenster, licht und geräumig, sahen auf die Heide, und daS Haus war umgeben von dem Stalle, Schup­pen und der Scheune. ES war auch ein Gärtlein vor demselben, worin Gemüse wuchs, ein Hol» luuderstrmrch und ein alter Apfelbaum stand weiter ab waren noch drei Kirschbäume und un­ansehnliche Pflaumengesträuche. Lin Brunnen flotz vor dem Hause, kühle, aber sparsam; er floß von dem hohen starken Holzschafte in eine Kufe nieder, die auS einem einzigen Heidestein gehauen war. In diesem Hause war eS sehr einsam ge­worden; es wohnten nur ein alter Vater und eine alte Mutter darinnen und eine noch ältere Großmutter und alle waren sie traurig; denn er war fortgezogen, weit in die Fremde, der das Haus mit feiner jugendlichen Gestalt belebt hatte und der die Freude aller war. Frei­lich spielte noch ein kleiner Schwesterlein an der Türschwelle, aber sie war noch gar zu klein und war noch zu töricht; denn sie fragte ewig, wann der Bruder Felix wiederkommen werde. Weil der Vater Feld und Wiese besorgen mutzte, so war ein anderer Ziegercknabe genommen wor­den; allein dieser legte auf der Heide Vogel­schlingen, trieb immer sehr früh nach Hause und schlief gleich nach dem Abendeffen ein. Alle Wesen auf der Heide trauerten um den schönen, lockigen Knaben, der von ihnen fortgezogen. »LS war ein traurig schöner Tag gewesen, an dem er fortgegangen war. SeinBater war ein verständig stiller Mann, der ihm nie ein Schelt­wort gegeben hatte, und seine Mutter liebte ihn, wie ihren Augapfel; und aus ihrem Herzen, dem er oft und gern lauschte, sog er jene Weich­heit und Phantasiefülle, die sie hatte, aber zu nichts verwenden konnte, als zu lauter Liebe für ihren Sohn. Den Vater ehrte sie als den Ober­herrn, der sich Tag und Nacht so plagen müsie, um den Unterhalt herbeizuschaffen, da die Heide karg war und nur gegen große Mühe sparsame Früchte trug und oft die nicht, wenn Gott   ein beitzeS Jahr über dieselbe herabsandte. Darum lebten sie in einer friedsamen Ehe und liebten sich pflichtgetreu von Herzen und standen einan­der in Rot   und Kummer bei. Der Knabe kannte daher nie den giftigen Mehltau für Kinderher- zen, Hader und Zank, außer, wenn em stößiger Bock Jrrsal stiftete, den er aber immer mit tüch­tigen Püffen seiner Faust zu Paaren trieb, was dal böseste Tier von ihm, und nur von ihm allein, gutwillig litt, weil e» wohl wußte, daß er sein Beschützer und zuversichtlicher Kamerad sei. Der Vater liebte seinen Sohn wohl auch und gewiß nicht minder als die Mutter, aber r ach der Verschämtheit gemeiner Stände zeigte er diese Liebe nie, am wenigsten dem Sohne- dennoch konnte man sie recht gut erkennen an der Unruhe, mit der er aus- und einging und an den Blicken, die er häufig gegen den Roßberg tat, wenn der Knabe einmal zufällig später von der Heide heimkam, als gewöhnlich und der Bube wußte und kannte diese Lieb« sehr wohl, wenn sie sich auch nicht äußerte. Von solchen Eltern hatte er keinen Wider­stand zu erfahren, als er den Entschluß au»- sprach, in die Welt zu gehen, weil er durchaus nicht mehr zu Hause zu bleiben vermöge. Ja. der Vater hatte, schon seit langem wahrgenommen, wie der Knabe sich in Einbildungen und Dingen abouälte, die ihm selber von Kindheit an nie ge­kommen waren; er hielt sie deshalb für Gebur­ten der Heideeinsamkeit und sann auf deren Ab­hilfe. Die Mutter hatte zwar nichts Seltsames an ihrem Sohne bemerkt, well eigentlich ohne­hin ihr Herz in dem seinen schlug; allein sie willigte doch in seine Abreise auS einem dunklen Instinkte, daß er da ausführe, waS ihm not tue. Noch eine Person mußte gefragt werde«, nicht von den Eltern, sondern von ihm: die Großmutter. Er liebtt sie zwar nicht so wie die Mutter, sondern ehrte und scheute sie vielmehr; aber sie war es auch gewesen, an­der er die Anfänge jener Fäden zog, auS wel­chen er vorerst seine Heidefreuden webte, dann sein Herz und sein ganzer zukünftiges Schicksal, weit über die Grenze deS menschlichen Leben­schon hinausgeschritten saß sie, wie ein Sche­men, hinten am Hause im Gatten an der Sonne, einsam und ewig allein in der Gesell­schaft ihrer Toten, und zurückspinnend an ihrer innern, ewig langen Geschichte. Aber so wie sie dasaß, war sie nicht das gewöhnliche Bild un­heimlichen Hochalters, sondern, wenn sie ost plötzlich ein oder das andere ihrer inneren Ge­schöpfe anredete, als ein lebendes und vor ihr wandelndes; oder, wenn sie sanft lächelle, oder betete, oder mit sich selbst redete, wundersam spielend in Blödsinn und Dichtung, in Unver­stand und Geistesfülle; so zeigte sie gleichsam, wie eine«nichtige Ruine, rückwärts auf ei« denkwürdiges Dasein. Ja. der Menschenkenner, wenn hier je einer hergekommen wäre, würde auS den wenigen Blitzen, die noch gelegentlich auffuhren, leicht erkannt haben, daß hier eine Dichtungsfülle ganz ungewöhnlicher Art bor- übergelebt worden war,««gekannt von der Um­gebung, ungekannt von der Besitzerin, vorüber­gelebt in dem siechten Gefäße einer Heide- bauernweibeS. Ihre gemütreiche Tochter, die Mutter des Knaben, war nur ein schwaches Ab­bild derselben. DaS Weib hatte in ihrem ganzen Leben doll Hatter Arbeiten nur ein einziges Buch gelesen, die Bibel; aber in diesem Buche las und dichtete sie siebzig Jahre. Jetzt tat sie eS zwar nicht mehr, verlangte auch nicht mehr, daß man ihr vorlese; aber ganze Propbetenstellen sagte sie oft laut her, und in ihrem Wesen war die Weise jene» Buche» ausgeprägt, so daß selbst zuletzt ihre gewöhnliche Redeweise etwa» Frem­de» und gleichsam Morgenländische» zeigte. Dem Knaben erzählte sie die heiligen Geschichten. Da saß er nun oft an ÄonntagSnachmittagen, ge­kauert an dem Hollunderstrauch und wenn die Wunder und die Helden kamen, und die furch« terlichen Schlachten und die Gottesgerichte und wenn sich dann die Großnmtter in die Be­geisterung geredet, und der alte Geist die Ohn­macht seine» Körpers überwunden hatte und wenn sie nun anfing, zurückgesunken in die Tage ihrer Jugend; mit dem welken Munde zärtlich und schwärmerisch zu reden, mit einem Wesen, da» er nicht sah, und in Worten, die er nicht verstand, aber tief ergttffen instinktmäßig nach­fühlte, und wenn sie um sich alle Helden der Erzählung versammelt und ihre eigenen Ver­storbenen einmischte und alle» durcheinander reden ließ: da graute er sich innerlich entsetzlich ab, und um so mehr, wenn er sie gar nicht mehr verstand allein er schloß alle Tore sei­ner Seele weit auf und ließ de« phantastischen Zug eingehen, und nahm deS anderen Tage» das ganze Getümmel mit auf die Heide, wo er alle» wieder nachspielt«. Dieser Großmutter nun wollte er sei« Vorhaben deuten, damit sie ihn nicht eine» Tages zufällig vermisse und sich innerlich kränke, als fei er gestorben. Und so an einem frühen Morgen stand er neben den Eltern reisefertig vor der Tür, sein dürftig Linnenkleid an, den breite« Hut auf dem Haupte, den Aacholderstab in der Hand, umgehängt den Heidesack, in welchem zwei Hemden waren und Käse und Brot. Einge- r.äht in die Brusttasche hatte er da» wenige Geld, welche» das Hau  » vermochte. Die Großmutter, imrner die erste wach, kniete bereit» nach ihrer Sttte inmitten der Wiese an ihrem Holzschemel, den sie dahin ge« tragen, und betete. Der Knabe warf einen Blick auf den Heiderand, welcher schwarz den lichte« Himmel schnitt dann trat er zu der Groß­mutter und sagte:SieU Mutter, ich gehe jetzt, lebet wohl und betet für mich!" ,Mnd, du mußt k-r Schafe achten, der Tau ist zu früh und zu kühl." Nicht auf die Heide gehe ich, Großnmtter. sondern weit fott in das Land, um zu lerne« und tüchtig zu werden, wie ich es euch ja gestern alles gesagt habe." .La. du sagtest es", erwiderte sie, ,ch« sagtest es, mein Kind ich habe dich mir Schmerzen geboren,«her dir auch Gaben ge­geben, zu werden, wie einer der Propheten und Seher ziehe mit Gott, aber komme wieder, Jacobus!" Jacobus hatte ihr Sohn geheißen, der auch einmal fottgegangen, vor mehr als sechzig Jah­ren, aber nie wieder zurückgelehrt war. Mutter  ", sagte er noch einuml, gebt mir eure Hand." Sie gab sie ihm; er schüttelte sie und sagte: .Lebt wohl, lebt wohl." Amen, Amen", sagte sie, als hörte sie z« beten auf. Dann mandte sich der Knabe gegen die Eltern; da» Herz war ihm so sehr emporge­schwollen er sagte nichts, sondern mit ein­hing er am Hal» der Mutter, und sie. heiß weinend, küßte ihn auf beide Wangen und schob ihm noch ein Geldstück zu, das sie einst«Ich