Nr. 10 Unterhaltungsbeilage 1938 Im Kai II pf mit Nebel und Wind Von Ferry Rocker Täglich berichten bie Zeitungen von Re- kordleistungeit auf dem Gebiete der Luftfahrt. Dreißig, vierzig Tage ununterbrochen in der Luft. Reue Weltrekorde, SchnelligkeitS- und Höhenflüge, dazwischen ein Todes stürz und man liest darüber hinweg. Ich fliege morgen mittag-»ach London  , bin aber übermorgen wieder in Wien  ". Heine Verwunderung, kein ehrfürchtiges Stau­nen. Alles, was früher unerhörtes Wagnis n>ar, ist heute zur Selbstverständlichkeit, zu einer jeder Sensation entkleideten Tatsache ge­worden. Auf den Straßen der Großstädte bleibt niemand mehr stehen, wenn die Sil­houette eines Flugzeuges am Hinuuel austaucht. Wer spricht heute groß von den Leistlin­gen uikserer Verkehrspiloten?Ter Flugzeug, sührer P. hat heute seinen 500.000. Kilometer zurückgelegt." ktaum wird es noch ertoädnt in den Zeitungen, lind im Kreise der Kameraden wird eine kleine Rede auf den Fl»igkapitän P. gehalten, man drückt ihm die Hand, und am nächsten Morgen klemmt er sich wieder in die Kiste. Wind fällt ihn an, der Rebel, Regen er sitzt an der Steuerung und fliegt. Die Maschine schwankt im Sturm, Böe:» trommeln gegen die Tragflächen. Flugzeugführer P. und sei» Bordmouteur starren auf das Jnstruinen- renhrett, lauschen auf den Pulsschlag der Mo­toren. Sie stiegen und bringen ihre Passa­giere sicher auS Ziel. lieber hundertundfünfzig Jahre sind ver­strichen seit der Geburtsstunde der Montgol- fiece, dreiunddreißig seit dem ersten Aufstieg des Motorflugzeuges der Brüder Wright. Im Meere und unter der Erde   rachen unzählige Opfer. Sie starben vor dem Siege, und sie star­ben nach dem Siege. Sie wurden hinunterge- schleudert durch die Tücke des Wetters, durch die Schäden des Materials. Sie starben, und andere traten an ihre Stelle. WaS der eine nicht zwang, schaffte der andere. Und jetzt geht es unaufhaltsam vorwärts. Aber wird man nicht vielleicht in hundert Jahren über unS lä­cheln, über unsere schmucken Maschinen, so wie wir heute über den Mann lächeln, der einst ein Buch schrieb über die Kunst, einen Luftballon durch Adler zu regieren?" Wer kann das wissen? Eines jedoch wissen wir: wir können fliegen! Und um dieses Wissen ist viel Freude, Arbeit und Stolz. Die erste Luftreise über den Kanal ES war an einem sehr kalten Jänner­morgen deS Jahres 1733. Rebel schwelte um Dover-Castle. Bon jour, Monsieur Jefferies!" Good morning, Mr. Blanchard!" Zwei Männer begrüßten sich, dann gin­gen sie. Arm in Arm, auf das FelSplateau, wo Mechaniker mit der Füllung eines großen Bal­lons beschäftigt waren. Tie Hülle blähte sich auf, rüttelte an den Fesseln und gegen Mit­rag, als sich der Rebeldunst verzogen halte, und die Sonne auf die weißen Felsen schien. wiegte sich die große Gaskugel im Winde. Im­mer mehr Zuschauer strömten herbei. Freunde der Lufrfahrer, Abgesandte der Behörden. Dem französischen   Luftfchiffer Blanchard wurden dicke, versiegelte Schreiben übergeben. Er nahm sie mit ärgerlicher Miene in Empfang. Dann verstarite er zwei Korkwesten, eine Fla­sche Branntwein, eine französische und eine englische Fahne in der Gondel. Ein Uhr! Blanchard und Jefferies bestei­gen das Traggerüst. Die Arbeiter lockern die Seile, der Ballon hebt sich. Ein Heller Pfiff, u:»d ruhig gleitet die Gaskugel in die Höhe. Hüte werden geschwenkt, die englische Fahne entfaltet sich im Wind. Höher und höher steigt der Ballon. 30 Minuten, 40 Minuten. 30 Minute»». Die Luftjchifser befinden sich ii» der Mitte des Kanals. Segelschiffe gleiten unter ihnen hin­weg. Blau schimmert das Wasser herauf. Plötzlich bemerken die Luftschiffer, daß der Ballon sinkt. Blanchard gibt den ganzen Ballast ab. Der Ballon schnellt wieder in die Höhe, llnd mit einem Male sehen sie toeit, weit hinter dem Wasser einen feinen schwarzen Strich die französische   Küste. Eine Stunde und dreißig Minuten befin­den sie sich bereits in der Luft. Schon können sie die einzelne»» Dörfer an der Küste unterschei­den, schon sind Häuser und Bäume zu erken­nen, lichtüberflutet liegt Frankreich   vor ihnen. Ta beginnt dec Ballon abermals zu fallen. Die Kugel Wer den Lustschiffern schcmnpft zusam­men und sinkt so schnell, daß Blanchard und Jefferies alles aus der Gondel tverfen. Die Fahnen, die Anker m»d Taue, Bücher und Briefe. Sie schleudern auch noch die Korkroesten über Bord, Röcke und Hosen. Vor Frost zitternd, klammer»» sich die Aeronauten an die Seile, be­reit, auch noch die Gondel abzuschneideu. Aber der Ballon steigt wieder, schwebt schnell der Küste entgegen. Blanchard und Jefferies sind gerettet! Ilm drei Uhr befinden sie sich über Calais  . Sie sehen die Menschen aus den Häusern stür­zen. IefferieS winkt wie besessen mit beide« Händen. In» Walde von Guines, zwischen hoch- wipfelnden Bäumen, sinkt der Ballon zu Bo­den. Blanchard  - reißt das Ventil auf, die Hülle schrumpf» zusannnen. Als die Reiterkalvakade, die den» Ballon folgt, nachdem er über dem Festlande schwebre, in den Wald eindringt, findet sie die vor Kälte zitternden, halbnackten Aeronauten. Man reicht ihnen Decken, lleberröcke und bringt sie im Triumph nach Calais  . Auf der Landungsstelle der Charliere wurde später ein Denkmal errichtet. Unter der Regierung Ludwig XVI.   ist im Jahre 1783 der Franzose Jean Pierre Blan­ chard   in Begleitung des Engländers John Jef­feries au» 12. Tage des Monats Jänner,»nn zwei lkhr nachmiitags ans dem Kastel von Do­ ver   mit einer Flugulaschine in die Höhe gestie­gen. Die Meerenge zwischen England und Frankreich   hat er als erster überwunden und sich nach zweistündigem Fluge durch die Luft an dieser Stelle niedergelassen. Die unerhörte Kühnheit belvundernd, haben die Bürger von" Guisnes dieses Denkmal gesetzt". Bleriot   fliegt nach Dover  Einhnndertvierundztvaiizig Jahre späier. Durch Saugarte, einem Marktflecken von 2000 Einwohnern, rasten in der Rächt vom 24. zum 23. Juli einige Autos. Bor einem Flugzeug­schuppen»nachten sie halt. Kkapptiiren dokter­ten zu Boden. Zwei zierliche Eindecker»ourden aufS Feld gerollt. Bon sour, Monsieur Lathan»!" Good mornin", Mister Bleriot!" Zwei Männer begrüßten sich, zwei Kon­kurrenten. Jeder will als erster über den Ka­nal. Vor sechs Tagen erst war Latham ge­startet. Schnell hatte sich sein Antoinette-Ein- decker in die Höhe geschraubt und war bann, nicht weit von der französischen   Küste, ins Meer gestürzt. Am 25. Juli sollte der Versuch wiederholt werden. Bleriot   läßt den Propeller anwerfen. Der Motor arbeitet einwandfrei. Aber das Wetter, das Wetter! ES ist böig, ei», leichter Sprühregen rieselt herab. Latham steht miß­mutig neben seiner Maschine und raucht eine Zigarette. Um vier Uhr klärt sich der Himmel auf. Bleriot   zieht über seinen blauen Arbeitskittel einen Tweed-Anzug und darüber noch eine ge­fütterte Jacke. Er ist etwas nervös. Hat weder gegessen noch, getrunken, alle seine Gedanken sind auf den Flug gerichtet. Plötzlich klopft er seinem Freund Leblanc auf die Schulter.Los!" Der Propeller knat­tert, die Maschine rast über den Boden, fliegt. Ich begann meinen Flug ruhig»md gleich­mäßig über der Küste. Das TorpedobootEs- copette" hat mich gesehen, es geht mir Voll­dampf voran und macht vielleicht 42 Kilome­ter pro Stunde. Ich überhole es in einer Höhe von 80 Metern. Zehn Minuten find vorüber. Der Torpedojäger liegt hinter mir. Ich drehe mich, um zu sehen, ob ich in der rechren Rich­tung fliege und bi:» verblüfft. Es ist nichts zu sehen, weder der Torpedojäger, noch Frank­ reich  , noch England, ich sehe nichts. Zehn Miun- ieu lang habe ich meinen Weg verloren. Es ist eine seltsame Lage. Allein, ohne Kompaß in der Lus», inminen des Kanals zu sein. Ich rühre nichts an meiner Maschine. Ich lasse den Aeroplan seinen eigene»» Kurs nehmen. Zwar»» zig Minuten nach meinem Aufstieg sede ich die grauen Kliffs von Dover  , das Schloß, und im Westen den Fleck, wo ich zu landen beabsich­tige. Was soll ich tun? Der Wind bat mich offenbar ans meinem Kurs gebracht, jetzt ist der Augenblick gekommen. zu steuern. Ich drücke dm Hebel mit meinem Fuß u»ri> drehe leicht nach Westen. Die Richtung verlassend, in der ich bisher subr. Jetzt habe ich mi sächlich Schwier'gkeiteu, denn der Wind an den Kli-fs