BUNT Nr. 6 Unterhaltungsbeilage 1938 Land der Zukunft? EindrGcke aus Albanien  Zehntausende Tschechoslowaken bevölkern jahraus, jahrein im Sommer in immer größe­rer Zahl die dalmatinische Küste von Suöak bis Dubrovnik  -Ragusa  ; aber über Ragusa   hinan? oder äußerstenfalls über Cattaro   hinaus wagen sich die Wenigsten, als wäre die Belt dort mit Brettern vernagelt. Und doch entgeht ihnen viele-, vor allem viel Sehenswertes, wenn sie die übrigens sehr reizvolle Dampferfahrt in die albanischen Gewässer meiden und sich um die Kenntnis«ine- Landes und seiner Bewohner dringe», die unser Interesse in vollem Maße verdienen. WaS weiß man gemeinhin von Albanien  ? Daß e- ein Land ist. das im Nor­den und Nordwesten von Jugosawien, im Süd­osten und Süden von Griechenland   und im Westen vom Adriatischen Meer begrenzt wird, daß es eine Reihe von Revolutionen hinter sich bat und daß es gegenwärtig vom König Ahmed Zogu   diktatorisch regiert wird, daß dieser daS Land an Italien   verkauft hat, oder, wenn man eS anders ausdrücken will, ein Freundschafts­verhältnis mit Italien  «ingegangen ist. DaS Land ist aber wirklich zu interessant, als daß man sich mit diesen dürftigen Kennl- r.iffen begnügen dürfte. Albanien   ist etwa so groß wie Mähren  -Schlesien  , wird«wer nur von ungefähr einer Million Menschen bewohnt. In Mähren  -Schlesien   wohnen 133 Menschen aut einem Quadratkilometer durchschnittlich, in Albanien   nur 37. Fragt man Albaner nach der Einwohnerzahl ihrer Landes, so hört man nun ungefähr folgende?:Albanien   hat«ine Mil­lion Einwohner. Wenn man aber das von Ju­ goslawien   beseht« albanische Gebiet dazuzählt, find«S fast 1% Millionen!" Also eine natio­nalistisch-revisionistische Einstellung, die nur noch von Ungarn   erreicht wird, daS die Slo­ wakei   als daSderzeit von der Tschechoslowakei  besetzte Gebiet" bezeichnet. Die Albaner spre­chen ein« Sprach«, die kaum«inen Anklang an die Sprache einer angrenzenden Voll«? hat und die der Ausländer auch nicht zum Teil ver­steht. Allerdings ist daS nicht notwendig, da di« natürlich nur sehr schmale Schicht der Gebildeten nahezu durchwegs deutsch spricht. Die albanische Sprache ist übrigens in den einzelnen Landesteilen recht verschieden und viel« Worte werden im Süden ganz ander- ausgesprochen al- im Norden. So heißt z. B. die wichtigste Stadt Süd-Albanien- Balona innordischer" Aussprache Blor, während der Einheimische sie Blon" nennt. Auch die Religion ruft manchen Grgrnsatz innerhalb de- Volke- hervor. Im Norden ist die katholisch« Religion stärker ver­breitet, im Süden die griechisch-orthodoxe. Heber das ganze Land verftreut leben zahlreich« Mohammedaner. Auch der König und seine Familie gehören dieser Religion an. Es ist ein merkwürdiges Land, das man betritt, wenn man, von Jugoflawien kommend, in Durazzo   das Schiff verläßt. Albanien  , Abretnija Skquiptare", Reich der Skipetaren, ist erst seit acht Jahren Königreich. MS zum Baitankrieg war das Land eine türkische Pro­vinz; da- ohnehin morsche Türkenreich ließ dies« iveit von Konstantinopel   gelegene Gegend natür­lich verlottern. Mit der Zeit, mit der fortschrei­tenden Schwächung de? türkischen Imperiums, schwächte sich auch die Herrschaft der Türken zum bloßen Protektorat ab, das auch nicht ein« mal so etwa? wie eine Rechtsordnung aufkom­men ließ. Nach der Abspaltung von der Türkei  wurde der deutsche Prinz von Wie» Fürst von Albanien   und zog in die. damalige Hauptstadt Durazzo   ein. Freilich konnte er sich nicht lange halten und unmittelbar vor Kriegs­ausbruch 1914 füllten die Berichte über die Kämpfe des Fürsten   mit den aufständischen Stämmen die Spalten der Zeitungen. Im Wir­bel de- Weltkrieges kam es zur Besetzung des nördlichen Teile- des Landes durch die Oester­reicher, während sich im Süden schon damals die Italiener, allerdings nicht mit Erfolg, ein­zunisten versuchten. Aus den Rachkriegskämpfen der einzelnen Stammesführer untereinander ging schließlich Ahmed Zogu   al- Sieger hervor, der jahrelang in Wien   in der Emigration gelebt Haire und«S erst zuur Präsidenten und dann zum König wenn auch von Mussolini  ? Gna­den brachte. Ein Albaner erzählte un-, daß er den König von früher her sehr gut kennt. ES klingt nicht so, al? ob er damit sagen wollt«, daß er auf diese Bekanntschaft besonder- stolz wäre. DaS Regime ist diktatorisch, aber eS will größeren Vorbildern folgend auf eine schein-demokratische Maske nicht verzichten. ES besteht kein Zweifel darüber, daß Zogu auch einige Reformen durchgeführt hat, die. wie di« Eindämmung der Blutrache, vernünftig sind und in der Richtung de? kulturellen Fortschrit­te- liegen. Trotzdem wär« eS verfehlt, sein« Herrschaft, die man kaum mit der Bezeichnung aufgeklärter Absolutismus  " belegen kann, vielleicht als einen Segen für daS Land darzu­stellen. WaS er gemacht hat, hätte einfach jedes Regime gemach», da? verhindern will, daß daS unglücklich« Land wieder jenem Zustand der Verlotterung anheimfällt, in dem«S die Türken vor fast LS Jahren verlassen haben und der durch di« Krieg-» und Rachkriegswirren nicht gerade abgeschwächt wurde. Da? Land besitzt sogar eine Art Parlament, in dem aber natürlich die wie schon flüch­tige Beobachter erkennen müsse« im Volk sehr stark verwurzelte nationalistische sowie jede andere Opposition unvertreten ist. Die«57 Mit­glieder de? Parlamentes sind durchwegs Anhän­ger der König-Partei, andere Kandidaten dür­fen gar nicht ausgestellt werden. Als wir einen Albaner frugen, WaS denn«in Wahlakt auf dieser Grundlage überhaupt für einen Sinn habe, antwortete er schlagfertig:Wem das große, gebildete und zivilisierte deutsche Volk so einen Reichstag wählt, brauchen wir Albaner nicht mehr zu tun.' T«gegen läßt sich freilich schwer argumentieren.... Fast keiner der Albanienfahrer auf dem jugoflawischen Schiff wußte, was denn das Land der Skipetaren eigentlich für eine Wäh­rung hat und als wir cs erfuhren, waren wir auch nicht viel klüger, denn angeblich kann man in Albanien  , dessen Bewohner sich durch eine geradezir sprichwörtliche Gastfreundschaft aus ­zeichnen, in jeder Währung zahlen, eventuell auch in altösterreichischen Krone». Di« offizielle Währung heißt äber Lek. Ein Lek. der(oder das) merkwürdigerweise in 20 Untereinheiten zerfällt und nicht in 100, hat einen Wert von ungefähr KC 1.80, also ebensoviel wie eine Lira vor der Devalvation. 8 Lek sind 1 Goldfranc, 20 Goldfrancs nennt man Napoleontaler oder abgekürzt 1 Nap. Doch wie gesagt, man kommt auch ohne albanische Valuten in diesem übri­gen» sehr billigen Lande sehr gut aus. Für 1 Bek erhält man eine sehr geschmackvoll aus­geführte Schachtel mit 20 Zigaretten, die. wie Raucher versichern, sehr gut sind und auch in großen Mengen verkauft werden. Freilich ist das fast der einzige Exportartikel des Landes, dessen Bewohner sich zum Großteil kümmerlich von Viehzucht, an der Küste von Fischfang nähren. Di« Hauptstadt Albaniens   ist bereit Tirana  , etwas über eine Auwstuitde von der Küste bei Durazzo   gelegen. ES soll als ganz einzigartige Mischung einer orientalischen Sied­lung mit einer europäischen   Metropole«ine be­sonders interessante Stadt sein. Sitz des Königs und der Zentralbehörden. Auch in Durazzo  , da? jetzt offiziell Dürre? heißt un- von den Jugoflawen Draj genannt wird, der früheren Hauptstadt, die von dem hochgelegenen Schloß deS Königs beherrscht wird, gibt es eine uwderne Avenue, die zwar selten von höheren als ein­stöckigen Häusern eingesäumt wird. aber eia paar hundert Meter lang vom Hafen der Stadt zu, an einem windschiefen.Hotel Royal" vor­bei, asphaltiert ist. Darum heißt die Straße auchBoulevard Zogu I." und prang» auf allen Ansichtskarten, die schon wegen der ungewöhn­lichen Marken von Fremden hier in groß« Mengen abgeschick» werden. Aber wenn man die­sen Boulevard verläßt, ist man wieder mitte» im echtesten Orient mit diel Geschrei und noch mehr Schmutz. Allerdings geht«S hier wesent­lich moderner zu als in V a I o rr a, dem wich­tigsten der siidalbanischen Häsen. Diese Stadt kann man vom Hafen nur mit einer Pferdebahn erreichen, die aber nur fährt, wenn 12 Passa­giere gesichert find, WaS nicht allzu häufig vor­kommt. Man hat den Namen Balona immer wieder gehört, wennunten weit in der Türkei  die Völker aufeinanderschlugen" und wundert sich nur, daß um einen so armseligen Flecken Landes so erbittert gekämpft worden ist. Einen ganz anderen Eiickwuck macht die Grenzstation gegen Griechenland  , die der Insel Korfu  , gegenüberliegend« kleine Stadt Sa­ra n d e. italienisch Sanfi Ouaranfi. Hier sieht man lauter neue Häuser, hier scheint wirklich ein ernster Aufbauwille am Werk zu sein. Wir sprechen mit dem Stadtbaumeister von Saraude. Er ist«in junger Wiener   Ingenieur, dec mit seiner Frau dort lebt, sehr zufrieden ist, der Höll« der österreichischen Arbeitslosigkeit ent­ronnen zu sein und in knapp zwei Jahren seine? DortseinS perfekt albanisch erlernt hat. Wenn man sieht, daß allenthalben Oesterrcicher Intellektuelle, qualifizierte Arbeiter und Kauf­leute hier eine neue Existenz gefunden