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BUNTE WELT

Nr. 1

Willi Tieze:

Unterhaltungsbeilage

Die stolze Stadt

Kleine Geschichten aus Madrid  

1938

Madrid   wird in die Geschichte eingehen als| ter Rotwein in ihre mitgebrachte Flasche. Wäh-| schlagen, sie hat in der Decke ein Loch gerissen. großes Beispiel. Wofür, das ist mit einem Wort nicht gesagt. Wer es nicht erlebt hat, vermag kaum den innersten Jubelruf nachzuempfinden. Vorstellen läßt sich so etwas nicht. Die Wirk lichkeit übertrifft die Phantasie; diese bleibt arm dagegen.

Wieviele mögen den Wunsch geäußert haben, teils aus Neugierde, teils um das Gru= seln fennenzulernen, einen Tag in Madrid   zu verbringen, um zu erfahren wie man in einer belagerten Millionenstadt lebt, die unter Kano­nenfeuer steht, wo man mit der Straßenbahn an die Front fahren kann? Wo immer du dich befindest, was immer du auch tun magst, wann immer es auch sein möge, ob du arbeitest, schläfst, ißt, über die Straße gehst, auf die Tram wartest, ein Kino, einen Tabakladen be­trittst, kann vor, hinter und über dir eine Gra nate einschlagen, dich verwunden oder töten. Läßt sich das der Wirklichkeit nachempfinden?

Was sind das für Menschen, die Madrider, die ein solches Leben der Gefahren und Ent­behrungen nun schon bald ein Jahr erdulden?

rend er damit beschäftigt ist, trepiert ganz nahe eine großkalibrige Granate mit donnerndem Getöse, daß die Mauern beben. Die Hand des Jungen beginnt zu zittern, er vergießt Wein. Da sagt die Frau aus dem Volt: One chico, no tiembles, me tiras el vino."( ,, Du, Junge, zittere nicht, du vergießt mir den Wein.")

In diesen lakonischen Worten erschöpfte fich ihre Reaktion auf den Mordanschlag auf der Luft. Die Anwesenden lachten, auch der Bar­junge.

Die unerschütterliche Ruhe dieser ein fachen Frau aus dem Madrider   Volk bleibt ein Erlebnis. Die Madrider   Zivilbevölkerung, und gar die Frauen, sind nicht bewaffnet, es sei denn mit Stolz; sie ertragen einseitig passiv die Todesgefahr.

Ein anderes Beispiel. Jm Kinosaal ist während der Vorstellung eine Granate einge­

Lied

Worin liegt das Geheimnis ihrer Widerstands von den Kampfmaschinen

traft?

Ein Bekannter, der aus Madrid   zurück­tehrte, sagte steptisch: Ich glaube nicht ans Heldentum der Madrider  ; alles ist nur Ge wohnheit.

Gewiß, alles ist nur Gewohnheit. Auch das Dafein im Schüßengraben wird zur Gewohn heit. Also nichts Besonderes?

Wieviel gehört aber dazu, bevor aus einem Zustand der Lebensgefahr Gewohnheit wird! Wer an die Front geht, in Madrid   verbleibt, schließt in Gedanken mit seinem Leben ab; darauf kommt es an. In dieser Ueberwindung Tiegt der Mut, in der Bereitschaft, sein Leben zu opfern, die Größe. Daß jeder insgeheim denkt, ihn werde es nicht treffen, ist nut natürlich.

-

Wer oder was hat die Madrider   gezivun­gen, in der belagerten Stadt zu bleiben, ihr Leben aufs Spiel zu setzen? Die Regierung ordnete die Evaluierung an. Die Madrider nahmen Gesetze noch nie übertrieben ernst; auch diesmal nicht. Sie blieben. Was hielt sie au­rüd? Verachten sie das Leben, den Tod? Das wäre unnatürlich und auch uninteressant. Welche ist die Triebfeder ihres Handelns? Ein Wort genügt; bielleicht umfaßt es nicht den ganzen seelischen Gehalt, aber ins Wesentliche zielt es. Es heißt: Stola. Darin liegt meiner Meinung nach das Geheimnis ihres Stoisis­mus, ihrer großartigen, großen Lebensart. Mit dem Blick auf den Belagerer, auf den Feind, wird aus dem Wort Stolz: Verachtung. Sie berachten alles, was von ihm kommt; auch seine Granaten.

Es ist Mittag. Wir befinden uns in der engen, wimmelnden calle Tetuan, die auf die plaza del Sol mündet, Madrids Zentrum.

In einer Weinschente hinter der Theke verkauft ein Junge Wein. Er gießt für eine bejahrte Frau aus dem Volt durch einen Trich

Einst schlief das Erz; wir weckten es zum

Leben

und trieben in die Erde   Schacht auf Schacht. Wir schürften, schlugen, preßten es in Defen, bis sprühend sichs ergoß aus dunkler Nacht. Maschinen wurden; doch nicht uns zu dienen entstanden sie aus glutgeschweißtem Stahl. Wir beugten uns zum Takte der Maschinen: Wir dienten ihnen weils ein Herr befahl. Maschinen spieen Seide, Garn und Leinen, Maschinen gruben Furchen in das Feld. Im Stahlgedröhn versank der Menschheit Weinen:

Maschinen spien Feuer in die Welt.

Maschinen zogen donnernd durch die Lüfte und fäten Granen über Land und Meer. Und alles, alles nur zum Heil der Wenigen: In Nacht und Tod verging das große Heer. Doch einmal schweigen rings die Werk­maschinen.

Mit harten Zügen alle Knechte steh'n und wollen nicht den gold'nen Göken dienen und langfam, stumm dabei zugrunde geh'n. Sie reden hoch die eisenharten Fäuste und drohend starren dunkle Eisenmänler, Maschinen, die sie schufen, aus den Reih'n..

Zu ihrem Fluche wirkten sie bis heute und schütten ihrer Herren Glück und Ruh. Nun decken sie mit wildem Eisenhagel die Ordnung zu.

Und hämmern, bis die Ketten all zerfprunger, und find beflammte Diener ihrer Hand, die mit dem letzten Feind sich selbst zerstören. Dann seid ihr frei, und frei ist euer Land. Martin Grill.

Das Publikum besieht sich den Schaden, man beratschlagt, ob die Vorstellung abgebrochen oder fortgesetzt werden soll. Alle sind dafür; die unter der schadhaften Stelle des Plafond fizzen, rüden etwas zur Seite, es wird wieder dunkel und der Filmstreifen rollt wieder an.

An einer beliebigen Haltestelle der Stra Benbahn, in einer beliebigen Straße, warten mehrere Personen, darunter auch Frauen und Mädchen auf den nächsten Wagen. Eine Gras nate tötet zwei, verwundet drei. Feuerwehr und Sanität sind gleich zur Stelle; bevor sie aber noch fommen, haben die Umstehenden den Ver­wundeten schon die erste Hilfe gebracht.

tige Anziehungskraft aus. Die es noch nie ge­Madrid übt eine merkwürdige und mäch sehen, wollen es zum ersten Male sehen, die es um zu sehen, wie es jetzt ist, wie jetzt die Men­vor dem Krieg kannten, möchten es wiedersehen, schen leben. Für diese kann die Anziehungs fraft unwiderstehlich werden und sie das Leben fosten. Folgende kleine Geschichte möge dafür

zeugen.

Fast jeder Spanier und viele Ausländer, die seit längerer Zeit im Lande wohnten, haben im faschistischen Gebiet einen oder mehrere Vers wandte und Bekannte. Der Krieg brach gerade zur Ferienzeit aus. Tausende waren auf Ur­laub, zur Erholung in andere Provinzen ge reist, nach Hause zu den Eltern oder nach dem fühleren Norden ans Meer. Und tamen nicht mehr wieder.

Beim internationalen Roten Kreuz find bisher etwa 150.000 Anfragen eingegangen, die sich an Personen richteten im Machtbereiche Francos. Davon konnten 30.000 nicht beants wortet werden. Und wieviel Todesurteile mag es unter den 130.000 gegeben haben? Wieviel unersetzbarer Verlust für Eltern, Söhne und Geschwister! Unzähligen ging diese stets bange Frage nach: was mag aus ihm geworden sein? Ist er tot, im Gefängnis, in Freiheit? Viele lich in Galicien  . Manchen gelang es über die meiner Freunde wurden ermordet. Hauptsäch Grenze nach Portugal   zu entkommen. Ber­gebens. Sie wurden dort ins Gefängnis ges worfen, dann an die spanischen   Faschisten auss geliefert, wieder eingekerfert, gefoltert und dann hingerichtet, denn Salzar Oliveira, der Machthaber Portugals  , leistet Franco Henters dienste. Von Ramon aber wußte ich lange nichts. Ich fragte mich oft: was mag aus diesem her­zensguten Zungen geworden sein? Vor nicht allzu langer Zeit wurde mir auch über sein Schicksal Bescheid.

Ich fannte ihn viele Jahre in Madrid  . Er hatte einen Heiligenkopf, wie ihn die spans ichen Meister malten: länglich und blaß. Er fonnte aber findlich lachen wie ein Mensch, der gefißelt wird. Sein Vater war ein woh! habens der Landwirt und Mühlenbefizer aus Kastilien, tort wo es am faftilischsten ist, das Mittelalter Lebendiger als die Gegenwart, der beste Weis zen Spaniens   gedeiht, auf die rotbraune, baum