18

n

BUNTE WELT

Nr. 9

Oskar Baum  :

Unterhaltungsbeilage

Die Träumerin

Das Zimmer war ausgefühlt, da nebenan| würde, wie sie in dem Hausrock, dem Wolltuch nirgends geheizt war und die Kinder, die leicht- und den alten Hausschuhen aussah und bat ihn, finnigen, den ganzen Tag hin- und herflogen doch Platz zu nehmen. Er habe sicher seine und die Tür nicht schlossen. Gründe für die Zeit des Besuches und es habe ja überhaupt nichts zu sagen.

Eva saß in ein altes Wolltuch gehüllt beim Ofen und flicte Wäsche. Draußen fiel immer noch dicht, gleichmäßig und geräuſchloß der blasse Schnee, so daß sich die Fenster mit matter Däm merfarbe vom Dunkel abhoben.

-

Sie wunderte sich über jedes Wort, das sie herausbrachte. Es tvar ihr unmözich, einen Gedanken festzuhalten.

..Ja, es hat seine Gründe, natürlich!" Eva mußte wieder an Dr. Freyberg ben­fen. Es war ihr unbegreiflich, wie der arme Der Doktor faß schon, immer noch im Mensch so leben konnte. Er wußte ja, daß seine offenen Mantel, der sich bei jeder Körverb- we­Frau ihn betrog und auslachte. Er hatte keine gung heftig hin- und herlegte, und den eiligen Freunde, gar keinen Verkehr, nur geschäftlich Ernst noch erhöhte, den das Gesicht und die zers fam er mit Menschen in Berührung. Wenn er freuten, nachlässigen Bewegungen des Doktors frei waz oft schon hatte das die Bedienerin hervorriefen... Nönnen Sie mir vor allem..." erzählt sobald ihn keine Arbeit mehr abhielt, begann er. Er unterbrach sich leise, auf die saß er bei seinen Büchern oder auch stundenlang Türen des Nebenzimmers deutend: Schlafen rezungslos rauchend vor seinem Schreibtisch, Ihre Geschwister schon?" mit seinen fräftigen dunklen Augen, ohne etwas zu sehen. Er ließ da wohl Erinnerungen oder Pläne vorbeiziehen, denn manchmal lächelte er ohne Grund und manchmal hatte er Tränen in diesen ausdrucksvollen Augen. Nun ja, sie be­griff, daß das vielleicht von Zeit zu Beit über einen fommen mochte, aber Bücher und Erinnerungen fonnten einem doch nicht das Le­ben ausmachen?!

Es läutete. Eva dachte, der Vater habe den Schlüssel vergessen. Im Vorzimmer mischte sich eine fremde Stimme mit der des Dienstmädchens, und nach ein paar turzen Schritten fiopfte es an die Tür.

Erschroden fuhr Eva auf. Wer lonnte das denn sein? Was sollte sie tun? Ein Besuch um diese Stundel Sie hatte ihre älteste Haus­bluse unter dem unmöglichen Großmuttertuch. Aber vielleicht war es nur ein Geschäftsdiener oder ein Schneiderlehrling. der etwas für den Water brachte?

Sie erinnerte sich nicht Herein! geſant zu haben, als die Tür aufging und der Haus­berr, Dr. Freyberg, in Mantel und Hut herein frat und sich vor ihr verbeugte. Eva zudte au­sammen, als wenn nun ein Unglück geschehen müßte. Es flirrte ihr vor den Augen. Vielleicht hatte der Vater schon einige Male feinen Zins gezahlt. Er kam mahnen, fündigen, delogieren. Welleicht auch hatte er den Vater jetzt unten in feiner Wohnung in feinem Bett gefunden, hatte ihn totgeschlagen und kam, es ihr schonend bei­aubringen. Vielleicht sie war ganz verwirrt vom Schreden. Dr. Freyberg war noch nie in ihre Wohnung gekommen. Sie batte ihn öfters schon auf der Treppe gefehen, hatte manchmal in feiner Kanzlei mit ihm über Ofenrepara turen, Wasserleitungsdefekte und andere Mie­terbeschwerden geschäftlich verhandelt; fie batte fich da immer getvundert, wie überaus liebens­würdig und zuvorkommend er gegen fie ae­wefen war, während er doch allgemein als rüd­sichtslofer. furz angebundener Geschäftsmann galt.

-

Eva nickte. Der Doktor schwieg aber auf einmal und fah vor sich hin, mit seinen Zähnen an den Lippen hin und herbeißend. Tann be­gann er langfam, wurde im Neden ruhiger und lächelte später sogar, machte bei den aufregend­sten Stellen eine so überzeugte beruhigte Miene, daß sich Eva in einer rätselbaften freien Sicher heit fühlte, im Sonderbarsten so leich zurechts fand und einfache feite Entschlüsse mit einer Selbstverständlichkeit faßte, wie sie ihrer Natur sonst nicht eigen war.

Ballsaal am Morgen

Von Martin Grill

Durch offne Fenster strömt des Morgens Frische. In einer Ede wird der Saal gekehrt. Die Kellner stellen Stühle auf die Tische

und gähnen müd, weil es ja niemand stört.

Im Nebenzimmer hocken ein paar Gäste und fingen laut..Nach Saufe hn wir nicht..." nf feuchten Tischen leren Gläserrefte und schale Dünste wehn und ins Geficht.

Papierner Unrat beckt den glatten Boden auf dem bis früh der Gäste Schar geftavft; im Separé veripürt man noch die Boten, die sie bei einem Glase Bier verzapft.

und zwischen Bändern, Karten, Flaschenfcherben liegen paar Blumen, die ein junger Mann vom Faschingsmut beschwingt, im Liebewerben dem Mädchen gab;-fie nahm fie lächelnd an.

Der Qualm der Nacht hängt noch in den

-

Gardinen.

In einer Effe liegt ein trunker Mann. Sogar die Wände haben trübe Mienen und schau'n das wüste Durcheinander an.

er Doftor stand immer noch mit dem Die letzten Gäste gehn, und was die Guten Hut in der Hand vor ihr und entschuldigte sich hier übriglaffen, türmt sich beld zuhauf. ausführlich wegen der so späten Stunde. Sie mit Besen, Eimer und mit Wasserfluten vergaß aus Angst vor dem, was nun kommen räumt man das Schlachtfeld ihrer Freuden auf.

|

1938

,, Wo wollen wir anfangen?" begann er. Kennen Sie das Verhältnis meiner Frau zu Ihrem Vater? Ja. Ich sehe es Ihnen an, ich wußte es auch, daß es Ihnen bekannt ist. Aber das gehört nicht hieher, wir haben heute Wich­tigeres vor. Meine Frau-- ich habe seit Jahren feine Frau mehr- Ihr Vater ist daran zum geringen Teil schuld. Ich will: hn über­haupt nicht verurteilen. Er ist ein lustiger Winver. Er ist zu jung für seine große Tochter und für seine gefegnete Anzahl Kinder. Er ist ein Mensch, der sich das Leben für andere nicht beschneidet. Wer will sagen, daß er unrecht hai? Aber Sie, Fräulein Eva, Sie werden von die­jem Manne um Ihr Leben gebracht, sehen Sie das nicht? Er hat Ihnen die Ueberzeugung ein geimpft, daß Sie sich für den Haushalt und für die Kinder opfern müssen. Sie sind aber zu gut, Sie sind zu frisch und jung für eine so unrettbare Verfümmerung!"

..Wozu ist er hergelommen?" dachte Eva staunend, das ist doch immer noch eine Eins leitung" und sie sagte: Ich kann noch nicht sehr verkümmert sein, wenn Sie mich im glei chen Atem so frisch und jung finden. Uebrigens bin ich nichts weniger als schön und es liegt für häßliche Mädchen eine große Verführung darin, daß ein unabwendbarer fremder Grund sie zwingt, den Freuden der Welt zu entsagen."

,, Das sagt sie so ohne weiteres?" dachte er. Er wunderte sich voll Anerkennung und das blasse, aber kräftige Gesicht mit vortretendem Sinn und hellen eifrigen Augen schien ihm fo mit ihrer Natur im Zusammenhang, daß er sich sie gar nicht anders, gar nicht schöner denken fonnte.

., Was Sie an Ihrem Aeußern auszusetzen haben, möchte ich doch gern wissen?" wies er iie zurecht, aber wir schweifen damit wieder zu sehr von unserer Angelegenheit ab. Würden Sie nicht vorziehen die Freuden der Welt jang ungerechnet in eine Stellung einzutre ten, in der Sie anderen mindestens so viel wre hier bedeuten und sich- na- faffen wir es lieber so: Sie sind hier der ordentlichen ver nünftigen Entwidlung zweier famien im Wege, weil Sie das Unvernünftige, wo es sich zeigt, mit mehr als gewöhnlicher Anstrengung auszugleichen fuchen."

..Ich?"

Es wird ein Unglüd, wenn Sie darin fortfahren. Sie erziehen, überwachen, unter­richten meine Kinder und Ihre Geschtvister, als wenn das eine Familie wäre. Sie brauchen darüber nicht zu erröten Ih weiß es längît, wenn ich auch noch so wenig zu Hause bin. Meine Kinder sind hier oben mehr au Sause als unten in meiner Wohnung. Leugnen Sie eậ richt; es ist nur zum Teil Ihr Verdienst. Sie machen es meiner Frau und Ihrem Vater AU leicht, fich ledig und frei in der Welt zu wäb nen. Die beiden meinen jetzt sicherlich, daß sie nur überwundene ethische Begriffe, Vorurteile nerlegen, aber feine fattifchen Pflichten, nah, dem alles tabellos wie am Schnürl weitergeht. Kommen Sie, Fräulein Eva, fommen Sie mit mir, aber jetzt gleich! Es ist nicht die mindeste