BUNTE WELT

Nr. 8

Edmund Dostal:

Unterhaltungsbeilage

Im Schnee begraben

jeder einzelne um sein Leben.

Grimasse: Todesahnen.

1938

Bereits Anfang November lag der Schnee! Mit der Schneeschaufel in den Fäusten ringt den fladernden Augen, entſtellt das Gesicht zue einen halben Meter hoch. So zeitig schon wurde jener furchtbare Winter 1916/17 eingeleitet, der, zumindest in meteorologischer Hinsicht, der härteste Kriegswinter werden sollte. In unge­heuren Mengen fiel der Schnee. Das wichtigste und unentbehrlichste Gerät, weit wertvoller als Gewehr und Handgranate, wurde mun die Schneeschaufel. Jede freie Minute, Tag und Nacht, schaufelten und wühlten wir uns Gänge im Schnee, mannshoch schon türmten sich die Mauern um die engen Wege.

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Der Aufenthalt im Freien wird fast unmöglich. Nur wenige Posten sind in den vor­dersten Gräben, sie versuchen sich Wärme in ihre Glieder zu strampeln. Alles andere muß sich in die schützenden Unterſtände zurückziehen. Drau­Ben heult und tobt in pechschwarzer Nacht eine schaurige Melodie. Ein Schneesturm rast über das Gebirge. Flackernd und zittrig steht das fleine Petroleumlicht im Kampfe gegen die Fin­sternis. Da: ein zudender Feuerstrahl, furcht bares Getöse, Donnergrollen, ein gischen, wie wenn glübendes Eisen in faltes Wasser versenki würde und allen Lärm übertönend ein scheil­ler, durchdringender Schrei voll Schreck und Schmerz. Tiefste Nacht, ein Augenblick Toten­stille, dann Gepolter, Stöhnen. Endlich haben wir wieder Licht..., wir sehen die Katastrophe: der Blitz bat in die Telephonstation eingeschla­gen, ein Mann tot, zwei gelähmt. Ein Gewitter 24. November, mitten im Schneeſturm.. Am nächsten Morgen strahlender Sonnen­schein. Das blendende Weiß schmerzt die unge­wohnten Augen. Der Herrliche Rundblid ist dunkelblau überfuppelt. Harte Arbeit den gan zen Tag; die meisten Wege werden im Schnee tunneliert, was sich in der Folge sehr bewährte. ( Die letzten dieser Schneetunnels zerstörte ein Trommeifeuer am 10. Juni des Jahres!) Endlich Abend. Die ersten Sterne flimmern. Schneidende, schmerzhafie Kälte. Wir haben noch eine Pflicht vor uns: wir müssen die Toten des Tages begraben. Drei find's. Aber dieſe Arbeit ist rasch getan. Denn die steinige Erde ist tief unter unseren Füßen, zu tief. Wir gra­ben schon seit langem nur noch Schneegräber. Die Toten müssen Geduld haben bis zur Schnees schmelze. Bis dahin sind sie bloß proviſoriſch begraben

am

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Verhältnismäßig ruhig verlaufen die näch sten Tage. Aber am 4. Dezember seit ein Sturm von nie geahnter Stärke ein. Ein Orfan. Dazu ein Wolkenbruch von Schnee. In unglaublicher Dichie wirbeln die Floden. Es flimmeri und flitzt und legt sich undurchdringlich vor die Augen. Unheimlich rasch werden alle freien Wege verweht, die Ausgänge der Tunnels verstopft, die Hütendächer überlastet. Alles ist draußen und schaufelt. Alle Mannschaft, die Offiziere, der Arzt und selbst der Feldgeistliche alles schaufelt. Wir haben aber Mühe, uns gegen die Gewalt des Sturmes zu stemmen. Die Eiz­nadeln zerreißen die Gesichtshaut, schmerzend bohrt die Kälte in den Knochen. Das Atmen allein ist schon eine ungebeure Anstrengung.

Mit steigender Todesfurcht kämpfen wir Unheimlich langsam verrinnt die Zeit. Uns gegen das Verhängnis. Aber es ist vergebens. gebrochen rast der Schneesturm über uns; wir Unsere Arbeit ist nußlos. Denn das Unwetter können nun auch die Tür nicht mehr aufmachen. nimmt noch zu. Es steigert sich zur Raserei. Wir Gefangene des Schnees! Es hängt von einer erkennen unsere Ohnmacht und find froh, uns Laune der Natur ab, wann und ob wir über­noch den Rüdiveg zu unseren Hütten erkämpfen haupt aus diesem Kerker befreit werden. Glück­zu fönnen. Wir fehren zu unserem Unterstand lich der, den dieses Grauen schlafen läßt! Viel­zurüd. Vier Meter hoch ragen die Schneewände leicht erzwingt er sich ein Traummärchen von um ihn empor. Erschöpft, verzweifelt, seelisch blühenden Wiesen und lachendem Himmel, von zermürbt torfeln wir wie Betrunkene in die hellem Sonnenschein und fernem Frieden. Bes lichtlose Dedung. Wir friechen in die graueneidenswert jene, die sich mit dem Rosenkranz in Soffnungslosigkeit, umschattet von Todesahnun- der Hand einen Trost erbetteln! Ob sie in ihrem gen. Wierzig lebende Leichname, denn nun wer- Gebei auch an die anderen denken? Alle Ener­den wir im Schnee begraben.... Ich denke gien sind zermürbt. Wir fühlen die Umklam­an ein sinkendes U- Boot. merung des weißen Todes. Hier lernt man wars Nacht und Schnee um uns. Das Gehirn ten können! Wir verlieren jeden Zusammen­tobt, die Nerven schmerzen, der Herzschlag häm- hang mit außen. Doch nein. Der spagatdünne mert im Halse. Mund und stehle find trocken, Telephondraht zum Bataillonskommandoer nervös gernagen die Zähne den Zigaretten- liegt unter dem Schneehält stand. Und von stummel. Sitze und Kälte durchschauern den dort nach, rückwärts bleibt die Linie auch erhal­schlaffen Körper. Angst, nadie Angst glost austen. Alle anderen Leitungen sind zerstört. Zwar

Europa  !

Neige ehrfurchtsvoll bein Haupt. Schnitter Tod band reiche Garben Deine besten Söhne starben. Kämpfend haben sie geglaubt an dich, Europa  .

Freiheit stolzen Menschentums solltest du mit Sieggebärde tragen über alle Erde als ein Diadem des Ruhms. Und dn, Europa  ?

Tief aus deinen Völkern brach Sehnsucht auf in hellen Flammen. Mörser schossen sie zusammen. Ihr Triumph ist eine Schmach für dich, Europa  .

Und dn ließeft es geschehn. Statt die Völfer zn begnaden ließest du auf Barrikaden die dich liebten, untergehn. Stirbst du, Europa  ?

Nein, du lebst, und mit dir lebt alles, was an hartem Willen eine Sendung zu erfüllen, stark im Menschen aufwärts strebt. Hör es, Europa  !

Hör und sieh! Red hoch das Haupt. Fahnen ranschen, Kulse schlagen. leber alle Totenklagen fiegt der Mensch, der an sich glaubt. Wach auf, Europa  !

Freiheit stolzen Menschentums soll die Völker einst beglücken, als ein Diadem des Ruhms soll die ganze Erde schmücken durch dich, Europa  !

Hans Reino w.

wird die Verrichtung der Notdurft für uns zum Problem, aber wir erfahren telephonisch jede Torpedierung auf dem fernsten Meere...

Wir sind mun vierundzwanzig Stunden begraben. Schon oder erst? So muß die Ewigs feit beginnen. Noch immer wütet der Orkan. Mit ungeschwächter Kraft. Das meldet uns das Telephon. Und weiter: Ausharren... nicht betzagen... Ein neuer Feind gefellt sich zur Kälte und zum Schnee: der Hunger. Bir dür fen eine Konserve öffnen. Aber wer hat noch eine? Eiserner Vorrat? Bei diesem fortwähren. den Hunger! Einige Zwiebackbrösel sind alles.. Was wird eher eintreten? Das Erfrieren? Das Verhungern? Oder wird uns der Schädel breits gedrückt von dem einstürzenden Hüttendach? Oder soll vielleicht gar ein feindliches Geschoßz in blindem Zufall...? Es ist doch eigentlich Krieg! Den tönnte man beinahe vergessen... Wenn man nur das Gehirn ausschalten könnte! Ein unnüßes Ding, ein lästiges, in folchen La­gen! Wozu dies alles erdulden?...

Nach der Uhr ist nun auch die zweite Nacht vorüber. Eine Unendlichkeit. 44 Stunden des Grauens liegen hinter uns. Ileber unseren Köpfen muß der Morgen dämmern. Ist das Unwetter vorbei? Raft noch immer der Schnees sturm? Wie tief sind wir gesunken? Das heißt, wie hoch hat sich der Schnee über uns getürmt? Wir wissen feine Antwort darauf. Die meisten haben auch gar fein Interesse mehr an diesen Fragen. In ihnen ist wohl der Hoffnungsfunke erloschen. Und manche warien mur mehr auf den Tod, nachdem sie das Ende noch erlebten...

Telephonmeldung: Der Sturm hat sich gelegt!" Na ja. Es dürfte ein rubiger Zag werden." So? Gleich darauf der Befehl, die Verbindung mit den anderen Unterſtänden zu suchen. Denn außer uns ist das ganze Batails ..berschollen." Was sollen wir mit dem Befehl" anfangen? Vorerst müssen wir ja selbst aus unserem Gefängnis hinaus können. Ist das denn überhaupt möglich? Der Versuch muß ges

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