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Für unsere Mütter und Hausfrauen
er wollte nicht. Er hatte die Vorstellung, daß er es allein überwinden müsse.
Da die Luft still war, so konnte er ungehindert mehrere Moosdochte entzünden, ohne daß der Qualm ihn belästigte. Drei bläuliche Flammen, von roten Funken gesprenkelt, schwammen lautlos in den Holzgefäßen und schickten ihren schwarzen Ruß gleichmäßig aus dem Kamin. Eine feuchte Wärme füllte die Jurte. Der beizende Geruch des frischgegerbten Leders, das die Nähte doppelt überspannt hielt, vermengte sich mit dem säuerlichen Duft von schwarzem Mandallabrot und dem Dunst zweier Lebewesen, die seit Wochen eingeschlossen waren.
Es war eine Nacht am Ende des Februar.
In dieser Nacht hatte Utkus Fieber seinen Höhepunkt erreicht. Er bewegte sich rhythmisch in hockender Stellung von einer Seite zur andern, und seine Augen waren blind. Sein Gesicht glich dem eines alten, geängstigten Weibes, und sein Atem kam wie der Laut eines Ventils über seine gespitzten Lippen. Denn er träumte und konnte seinen Träumen nicht wehren.
Er sah ein unendlich großes Nordlicht, einen zadigen Kranz von drei untereinandergehängten Glanzbändern, die wie die Reifen cines entseßlich großen Regels in einer fremden, frostweißen Luft hingen. Von diesem Nordlicht gingen Strahlen aus, die alles mit ciner Verwesungsfarbe badeten; ein Gefühl größter Einsamkeit ging von diesen eiszapfenähnlichen, violetten, zitternden Ringen aus, die aus Eisregionen, vom Wrangelland und den Aleuten, herüberwuchsen und ihren Ausgang dort hatten, wo jene wahnwißige Stille ist, die keines Menschen Chr je erlauscht hat.
Und das Nordlicht wuchs und schob Quadern von rosigem Quarz vor sich her, die ihn zu zermalmen drohten. Er stand allein auf der Tundra und fürchtete sich sehr.
Seine Herde war gestorben, die Jurten waren abgebrochen: das Ende aller Dinge nahte. Sieben Regenbogenfarben, unerträglich flimmernd, nahten sich in schweigsamem Pomp; und als sie dicht über ihm waren, wurden sie zu einem Chaos schreiender Töne. Das Not gewann die Oberhand und blendete ihn stark.
Er bewegte sich hastig und erwachte halb. Er blickte in das Innere der cigenen Jurte, das sich wirbelnd um ihn drehte... Nur die Blflammen lohten in stiller Beständigkeit.
Utfus Arme lagen schwer wie Blei in den Pelzen; und das Nordlicht Tam wieder auf ihn zu und bedrängte ihn. Da sah er sich nach Jamuk um und sah ihn nicht; er wußte, daß Jamuk in allernächster Nähe ruhen müsse und nach ihm verlange. Er rief und lockte ihn; er irrte ratlos umher; er mußte ihn finden...
Er riß die Augen gewaltsam auf und fiel nach vorn. Da schnellte das Nordlicht wieder zurück, es ward dunkel und traulich, und Jamuk lag in seinem Kinderschlaf mit einem halb trotzigen, halb friedlichen Gesichtchen im Bereich seiner Hände.
Doch ein neues Traumbild erwachte: ein Dritter war in der Jurte, der Schamán, der Priester.
Er trug eine Mitra auf dem kahlen Schädel und über seinen dicken Pelzen eine Stola, mit Vögeln bestickt, die bis zu seinen gegerbten, perlbeseßten Stiefeln reichte. Ein großer Rosenkranz aus Jaspissteinen hing um seinen Hals. Sein gelbes, rundes Geficht mit der breiten Geiernase war vorgestreckt, und in den Händen hielt er cin großes Messer, das Messer, mit dem er Mawka getötet hatte. Blut tropfte von diesem Messer, und Blut war an den Händen des Schamán , deren Finger wie Krallen aus dem Otterbesatz der Ärmel hervorschlichen.
Utku beugte sein Haupt und wartete voll Ehrfurcht, bis der Schamán beginnen werde. Dieser trat dicht an ihn heran und sprach mit heiserer Stimme:„ Es ist falt, Utku; es ist bitter falt. Nie noch hatten wir einen solchen Winter. Du bist frank, Utku; ich weiß es, wenn du dich auch versteckst. Du wirst sterben müssen, und es ist gut, daß du geopfert werdest. Hängst du am Leben?"
Utku neigte sich tiefer, ganz in Demut und Bereitschaft. Er starrte auf die bunten Vögel und hörte das Rascheln der langsam bewegten Seide. Er war bereit zu sterben. Alle mußten sterben. Er war alt und nuklos. Schon vor Monaten hatten seine Handgelenke gezittert. Der Schamán begann seine Beschwörungen. Da aber ertönte ein Heller, troziger Schrei, und Jamuk war erwacht.
Utfu fuhr zusammen. Er machte einige ratlose Bewegungen mit dem Kopfe nach der Ecke hin, als wolle er den Schamán bitten, darauf zu achten, daß das Kind schreie; denn das Kind brauche ihn doch!
Der Priester wandte sein gelbes Gesicht und machte runde Augen. „ Es ist Mawkas Kind," sprach er.„ Wir haben es nicht begraben. Wir haben cs den Göttern vorenthalten. Es ist an der Kälte schuld. Wir wollen es opfern, Utku. Wir haben schon fünfzig Hunde geopfert; es war fruchtlos. Gibst du es uns, dann darfst du leben.
Nr. 5
Der alte Buginik kaufte sich mit seiner Herde los. Das Kind ist groß und fett; ein gutes Kind; es wiegt eine Herde auf. Gib es mir, Utfu!"
Utku stand auf und ging in der Hütte umher. In der Not seines Herzens wiegte er den Kopf wie einen Pendel.„ Laßt das Kind leben," sagte er in tiefen Stehllauten zu den gefräßigen Göttern, die die Kälte schicken.„ Laßt es leben. Ich will sterben. Ich bin ein alter, nußloser Mann."
„ Das Kind ist ein besseres Opfer als du," flüsterte der Priester und spielte mit dem Messer. Du bist weise und rüstig. Sieh! schon gehst du frank umher, und das Feuer aus deinen Adern ist gewichen. Was soll dir das Kind? Es ist eine Last. Sein Tod wird die Götter versöhnen."
Und Utku neigte sich über das Kind und sah in seine brombeerschwarzen Augen. Die gelben Fäustchen griffen nach ihm, und er grinste. Da sah er das Messer des Schamán, der wie ein böser Geist über dem Kinde schwebte, funkeln: und wurde irr und wild. Er hockte sich dicht neben das kleine Wesen, beide dürren braunen Arme darübergestreckt, und heulte vor Angst und Schrecken. Dann erhob er sich taumelnd und ging dem Priester zu Leibe; er tastete nach dem Polog, wo die Waffen lagen, und vertrieb ihn Schritt um Schritt; er sah, wie er sich hob, durch den Kamin entschwand, mit hämischem Gesicht und wackelnder Mitra, wie seine perlbesetzten Stiefel durch den Qualm entglitten und Utku nahm die lange Flinte und schoß blind hinter ihm drein. Der Schuß krachte wie ein Donner von tausend Kartaunen; es war ein schneidender Krach, ein Bersten, eine flammende Explosion mit einem Getümmel von nachspringendem Echo Und Utku erwachte mit zitterndem Herzen.
Nichts in der Jurte war verändert. Es war totenstill. Utku sah sich erstaunt und atemlos um; sein Kopf war frei, und ein fernes Läuten war in seinen Ohren. Ein wohliges Gefühl hatte ihn ergriffen; es war warm und traut ringsum. Und draußen hatte sich ein Sausen erhoben.
Die Flammen erloschen knisternd; und Utku begann zu singen. Er sang im Tremolo; es waren liebliche Dinge, an die er dachte. Und wenn es auch wieder dunkel um ihn war er wußte, daß draußen etwas im Werk sei: Der Frost war gebrochen!
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Utku wußte: nun ist der Südsturm da; endlich ist er da. Er kommt vom Ganaltal und vom Fuße des Kljutschew. Und der Alte dachte während dieser Nacht mit ihrem weichen Winde und ihren Tropfen an den Garten Kamtschatkas ; dachte an Fünffingertraut, an blauen Rittersporn und hohe Doldenstauden mit gezackten Blättern. Sein Lied wurde weich und zu einer einzigen trillernden Passage, die er sich zum Vergnügen unzählige Male wiederholte so feierte der alte Utku die gehobene Last, die weggeblasene Schwermut, den Einzug des März und die gesprengten Ketten des Frostes. Nun keimt der Roggen, nun blüht das Moos... und wir werden westlich ziehen, ans Ochotskische Meer , und die laichenden Lachse mit den Händen greifen!
Und als der Morgen graute, stieg die Sonne nicht mehr blutig, sondern rosenfarbig aus dem Nebel. Die Kälte war gesunken, und Utku verließ mit dem Kinde das Zelt.
Alles war auf den Beinen. Knaben balgten sich kreischend. Die jungen Leute hatten ihre schlafwirren blauschwarzen Haare in manierlichen Frisuren unter den eckigen Müzen versteckt. Gestern waren noch viele Tiere erfroren, und Rudel von Hunden wühlten jauchzend in dem Fraß.
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Der Schamán trat heraus. Sein gedunsenes Gesicht hob sich blinzelnd in den Wind; er war friedfertig, in graue Felle gehüllt, und war so klein und so unscheinbar wie jeder Korjäke. Er hatte -mit Eßpausen an die siebzig Stunden geschlummert; sein Tamtam hatte geschwiegen, sein Rosenkranz hatte geruht. Nun stimmte er seinen langgedehnten Ruf an.
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Der Horizont glich einem üppigen Schwall von Rosen.
Und Utku, sein Enkelkind auf den Armen, ging zu seiner Herde, drängte sich durch die feuchten Pelze, streichelte, hieb und stieß mit Besitzerwonne und versteckter Schelmerei; er hatte allerlei Flausen im Kopf, rosenfarben wie der Morgen, und war sehr vergnügt. Die Tiere schoben ihre Nasen an seinen Nacken und rieben sich an dem quarrenden Bündel, das er im Arme trug.
Der Märzsturm blies wie eine Orgel, und alle Götter waren versöhnt; sie hatten keine glanzlosen, hungrigen Augen mehr: sie waren satt und lenzhaft heiter. Sie plauderten im Winde mit dem fleinen Jamuf. Dieser schrie, hoch und schrill; und Utku freute sich der Musik.
Verantwortlich für die Redaktion: Frau Klara Bettin( Bundel). Wilhelmshöhe. Post Degerloch bei Stuttgart .
Druck und Berlag von J. H. W. Diez Nachf. 6.m.b.6. in Stuttgart .