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Für unsere Mütter und Hausfrauen
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Zuspruch von Freunden, die ihm mit nationalen Bedenklichkeiten den Weg verlegten. Seine dramatischen Versuche worunter cine sehr interessante Davidtragödie und cine, die Aufstieg und Sturz eines Emporkömmlings in der Welt des Geldes" schildert
brachten ihm nur Mißerfolg und Unfrieden. Der Dichter wandte sich dem Roman zu. Auch Erwägungen materieller Art begannen hier mitzusprechen. Es waren die Jahre, in denen Gutzfow mit seinen langatmigen Schöpfungen alle Welt begeisterte und Spielhagen seine ersten überwältigenden Erfolge davontrug. Meißner fühlte sich verlockt, es den beiden gleichzutun. Aber ihm fehlte die kräftige Phantasie, die ihr Stück Wirklichkeit sicher ergreift und die vor allem nie aussetzt. Er war ein feiner und gewissenhafter Arbeiter. Da kam der Versucher in Gestalt eines Freundes, eines armen Literaten, den Meißner lange unterstützt hatte. Er war nicht ganz ohne Begabung, doch eigentlich ohne schöpferische Kraft. Aber gerade die Festigkeit und zielbewußte Führung, die fleine Schlauheit, den Leser zu spannen und zu überlisten, die Meißner versagt war, die hatte er. Es war cin Geschäft, das so zustande kam. Und dieses Geschäft florierte. Aber Meißner, dessen Name allein auf den Titeln der von beiden verfaßten Werke genannt war, hatte nie den Mut, sich zu diesem sonderbaren Kompaniegeschäft zu bekennen. Er gab sich damit ganz in die Hand seines stillen Teilhabers", der nun seinen Vorteil rücksichtslos bis zur Überspannung verfolgte. Meißner war immer eine furchtsame Natur und wie hypnotisiert von der Energie des anderen. Der Freund wurde zum Erpresser. Und er wußte sein Opfer so zu umstellen, daß es keinen Ausweg mehr sah als den Tod. Alfred Meißner starb 1885 an den Folgen eines mißglückten Selbstmordversuchs.
Die Lyrik Hartmanns und Meißners hat vorwiegend den Einfluß Heines und Lenaus erfahren, die in Sentimentalität und Ironie, in Naturgefühl und Reflegion, in politischer und sozialer Kritik die literarischen Vorbilder jener Zeit waren. Hartmann widmet seine erste Sammlung mit dem Hussitentitel Kelch und Schwert" Lenau und besingt hier eine Episode aus dem Leben dieses Unsteten, seine Amerifareise. Meißner dichtet bei der Kunde von Lenaus Wahnsinn" ergreifende Strophen, sein Bista" ist ein eigengearteter Nachkomme der„ Albigenser". Hartmann und Meißner greifen mit zornigen Versen in den politischen Kampf ein; gegen die Zensur, für Volksrechte, gegen Fürstenwillkür, für Verfassungswesen erheben sie die Stimme, wobei, der Zeitstimmung entsprechend, vielfach die Geister der in den Befreiungskriegen Gefallenen angerufen werden und der Lohn geschildert wird, den das Volk für seine Blutopfer erhalten. Hartmann wächst durch böh= mische Elegien, in denen der Groll eines seit Jahrhunderten unterdrückten Volkes in romantischer Glut auflodert, und durch Balladen voll dramatischer Wucht, Meißner in seinem„ Ziska" über diese Lyrik hinaus. Diese" freien Dichtungen" gehören mit dem rauschenden Klange ihrer Verse, der Farbigkeit ihrer Bilder, der Kraft ihres Pathos, mit ihrer Ausdrucksfülle und der Weite ihrer geistigen Beziehung sicher zum Schönsten unserer neueren Literatur.
Das tolle" Jahr zeigte die beiden wieder auf den Wegen Heines. Meißner macht seiner Bitterfeit über den kläglichen Ausgang in ciner Spottschrift Luft, die den plumpen Fußtapfen des Heincschen Tanzbären nachschreitet:" Der Sohn des Atta Troll". Ju Hartmann, der eben die letzten Kämpfe des aufständischen Wien mitgefochten hatte neben Blum und den Windischgrätschen Galgenurteilen mit knapper Not entronnen war, erwacht der Satirifer beim Anblick des Politikergewimmels um ihn herum in der Paulskirche. Diese gespreizten Wichtigkeiten und kleinen Nichtigfeiten in staatsmännischer Pose, diese orakelnde Gelehrtenweisheit, die sich bei jedem Quark selbstgefällig ausbreitete, dieses Intrigantentum, das nur an sich und sein Fraktiönchen dachte, diese jämmerliche Paragraphenreiterei, die Monate hindurch an„ Grundrechten" herumtüftelte und die Not und Forderung des Tages nicht sehen wollte: da war es schwer, feine Satire zu schreiben. Hartmann gab sie in seiner Reimchronik des Pfaffen Maurizius". Hier glossiert er mit wahrhaft überlegenem Humor die Ereignisse des Winters und Frühjahres, die auf den März des Jahres 1848 folgten. Hier findet er aber auch die erschütterndsten Töne der Trauer und des Zornes, wenn er von dem gefallenen Wien und den gemordeten Freunden spricht, des Trozes und der Erhebung, wenn er den Ruhm der siegreichen Ungarn verkündet. In Zweifel und Trübnis wie diese Zeit endet auch ihre Dichtung. Die„ Reimchronik " ist der Klarste Spiegel der großen und fleinen Welt des Bewegungsjahres, die bedeutendste satirische Dichfung, die es hervorgebracht hat. Wer immer Herz und Sinn für die Geschichte der deutschen Revolution hat, sollte sie lesen und sich an ihrem Wize erfreuen.
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Im Eril hat Hartmann seine schriftstellerische Tätigkeit immer weiter ausgebreitet. Er hat die interessantesten Episoden, die ihm tätig mitzuerleben beschieden waren, in memoirenhaften Bruchstücken geschildert: die Revolution in ihren verschiedenen Phasen, den Staatsstreich in Frankreich , die italienische Erhebung und vieles andere. Er hat Landschaft und Leute, die ihm Asyl boten, mit liebevoll zeichnender Feder festgehalten: Languedoc und Provence und Bretagne , Dänemark und Irland , die Schweiz und das Land an der unteren Donau . Aus diesem Schauen und Erleben erwuchs nun seine spätere Dichtung. Nach 1848 ist Hartmann im wesentlichen Novellist. Nur eine Gedichtsammlung,„ Die Zeitlosen", hat er noch gegeben, in der seine Ballade zur größten Fülle der Farben und Töne entfaltet ist, seine Weltanschauung zu gröBerer Klarheit fortschreitet. Hier möge nur die äußerst kunstvolle portugiesische Romanze„ Der Camao" genannt sein, eine Episode aus dem Leben des großen Dichters Camoës , sowie die umfangreiche„ Herrn Mannwelts' Woche", die ich eine sozialkritische Ballade nennen möchte, eingegeben durch die hoffnungslose Stimmung nach dem Zusammenbruch der Revolution. Hartmanns Novelle ist die unmittelbare Frucht seines Flüchtlingslebens, und der Flüchtling ist eine ihrer häufigsten Figuren. Alle seine Wanderungen geben die Szenerie, Süd- und Nordeuropa und der Orient mit seiner fremden Völkerwirrnis und Lebensweisheit sind die Umrahmung dieser sonderbaren Schicksale. Am liebsten aber fehrt Hartmann in sein heimatliches Böhmen zurück, das er in aller Ferne sehnsüchtig mit der Seele sucht. In den älteren„ Erzählungen eines Unsteten" tritt der Dichter selbst noch gern hervor, mittätig oder als Zuschauer. Später wird er objektiver, er beginnt die Technik der Novelle mit jener Gelassenheit zu handhaben, die ihren Meistern eigen ist. In seinen reifsten Stücken steht er durchaus auf der Höhe Heyses oder Storms, die zu weit größerer Popularität gelangt sind als er. Aber wo Heyse immer der aristokratische Künstler, Storm bei aller Zurückhaltung der freiheitliche, immer etwas philiströse Kleinbürger bleibt, dringt bei Hartmann der demokratische Grundton der Gesinnung immer wieder durch. Am Klarsten vielleicht, wenn er in seiner Heimatsnovelle vom„ Krieg um den Wald" einen Kampf ums Recht schildert, Kleists Kohlhaas vergleichbar: aber es ist nicht das Recht eines einzelnen, das als ein mystisch- starres Prinzip in die Sterne geschrieben scheint, es ist das Recht eines Volkes, das um sein Leben kämpft. Der satirische Reimchronist schwieg nach 1849 fast ganz. Er erhob sich nur noch bei einzelnen Gelegenheiten, um gegen die militaristische Reaktion Einspruch zu erheben, die der alte Großdeutsche nach den Siegen Preußens voraussagte. So ist seine Geschichte des Affenfaisers Hanuman die föstlichste Verhöhnung der stehenden Heere und des Rüstungswahnsinnes. Aber noch in den wenigen Gedichten, die er nach 1866 schrieb oder nach dem freudig begrüßten Sturze des Napoleonischen Kaisertums, zur Versöhnung im Geiste der Demokratie aufrufend, herrscht dieser tätige Lebensglaube.
Unterdessen hatte Meißner sich der Produktion von Zeitromanen im größten Stile zugewandt. Die ganze neuere Geschichtsperiode, Restauration, Revolution und Reaktion sollte in ihnen abgeformt werden, womöglich für alle Zeiten. Aber so groß die Anstrengungen Meißners und seines Mitarbeiters waren, die Ausführung blieb weit zurück hinter der Absicht. Liberalismus und konservative Romantif, jesuitischer Klerikalismus und Freigeisterei, Demokratie und Nationalitätenfrage, Individualismus und kommunistische Agitation, alle großen und fleinen Sorgen des Tages und der Kultur trafen und bekämpften sich in diesen Romanen. Das ganze verwickelte Getriebe wird durch mühseligste Erfindungen aller Art in Verbindung und Bewegung erhalten. Der Zeitgeschmack war damals auf allerlei sensationelle Effekte gerichtet, welche die gewünschte Spannung erzeugten und den Ballast an Ideen und Tendenzen leichter tragen ließen. Nie ist in der Literatur ein so verschwenderischer Gebrauch von rätselhaften oder entwendeten Testamenten gemacht worden wie in dieser Zeit, von verborgenen oder falschen Urkunden, von heimlichen Ehen, Entführungen oder Kindesweglegungen. Und natürlich fommen immer höhere Motive" in Frage. Gerade im Aushecken immer neuer Verwicklungen, welche die Möglichkeit boten, den Faden ins Unendliche weiterzuspinnen, lag die Stärke seines Mitarbeiters Hedrichs, die der erfindungsärmere Meißner über Gebühr bewunderte. Uns erscheint heute dieses sich stets in ähnlichen Verbindungen wiederholende Spiel wenig geistvoll und auf Sie Dauer sogar langweilig. Die Bedeutung des Romans wie aller Dichtung liegt für uns im Stil, in der Ausdrucskraft und bei: Zeitroman ganz besonders in der Schärfe und Weite des Blicke für gesellschaftliche Zustände und Entwicklungsmöglichkeiten. Un gerade in diesen Punkten stehen die Romane Meißners, eilfertice Erzeugnisse der Sensation, nicht auf jener Höhe künstlerifd