hergestellt ist, selbst zu erfinden und anzuwenden. Niemand wird die Bewohner ganzer großer Landstriche Deutschlands verhungern lassen wollen, um nur die nicht einheimische Kartoffel aus dem Lande zu verdrängen. Jedes Gleichniß hinkt, aber etwas Aehnliches ist es, was auch in der vielleicht manchem Puristen vor schwebenden sprachlichen Isolirung uns entgegentritt. Wie weit wir entfernt sind, unsre geliebte Muttersprache aufgeben oder nur geringschätzen zu wollen, das zu zeigen, werden wir im weiteren
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Verlaufe noch sattsam Gelegenheit haben. Zunächst wenden wir uns zu einigen allgemeinen Betrachtungen über das Wesen und das Leben der Sprachen überhaupt und zu den Schicksaler der deutschen Sprache insbesondere, soweit die Kenntnißnahme von diesen Dingen für unsere Erörterungen über die Fremdwörter unumgängig nothwendig erscheint und soweit dieselben nicht im weiteren Verlaufe unsrer Abhandlung an geeigneter Stelle angedeutet werden können. ( Fortseßung folgt.)
So stand er jung im Streite Bis in's Alter würdevoll Gegen Drachennachtgeleite, Das aus allen Eden schwoll."
Rückert.
Es könnte fast als ein müssiges Unternehmen erscheinen, heu tigen Tages noch für eine belletristische Zeitschrift über Goethe, diesen Heros der deutschen Literatur, wenigstens was die Universalität seines Geistes anlangt, zu schreiben, es sei denn, daß es novellistisch gehaltene Schilderungen einzelner Episoden seines an innerem und äußeren Inhalt reichen Lebens wären, wie solche aus der Feder Berufener und Unberufener in fast zahlloser Menge vorhanden sind, und von denen leider gesagt werden muß, daß sie durch die Verbreitung schiefer und falscher Vorstellungen über den großen Menschen und Dichter in ihrer Mehrheit der Kenntniß desselben eher geschadet, als diese gefördert haben. Man betrachtet es heutzutage als etwas Selbstverständliches, daß jeder Deutsche, der lesen und schreiben kann, wenigstens oberflächliche Bekannt schaft mit dem Leben und den Werken Goethe's gemacht habe, und sogenannte Gebildete sehen es beinahe als eine Beleidigung an, wenn man es wagt, ihnen in dieser oder jener Hinsicht einen Mangel in ihrer Kenntniß der geistigen Thaten des Dichters nachzuweisen. Im Grunde ist das auch eine Folge der maßlosen Schmeicheleien, die man unserm Volfe von gewisser Seite über seine Bildung" seither gesagt hat und vermittels deren ihm die richtige Selbsterkenntniß allmählich verdunkelt worden ist. Denn bei Lichte besehen, ist alles Fabeln und Faseln über diese Bildung" eitel Humbug, der nichts weiter als die unerhörte Dünkelhaftigkeit und Ignoranz des weitaus größten Theils unserer sogenannten Gebildeten gegenüber allen hohen Geistesinteressen und über die Begriffsfähigkeit des Augenblicks hinausgehenden Strebungen und Strömungen erzeugt hat. Und was nun im besondern die tiefere Kenntniß der Werke unserer Geistesfürsten und ihrer welthistorischen Bedeutung angeht, die man gemeinhin bei diesen Gebildeten vorausseßt, so ist dies vollends nur leeres Geflunker und hohler Schein, was schon daraus augenscheinlich und greifbar hervorgeht, daß unser Volt, besäße es diese Kennt niß oder, sagen wir besser, dieses Verständniß der Ideen unserer geistigen Vorfämpfer und Lichterwecker, auf einer durchaus höheren Stufe der Bildung, und vor allem freierer Bildung stehen müßte, als es thatsächlich der Fall ist. Wir wollen nur einmal ernst haft prüfen: wie viele in den sogenannten höheren Ständen besigen denn wirklich eine hinlänglich richtige Auffassung unseres Lessing, Goethe, Schiller, um nur die bedeutendsten unter den bedeutenden hervorzuheben, wie groß ist die Anzahl derer in unserm sogenannten guten Bürgerstand, welche die Werke der selben auch nur einigermaße genauer als oberflächlich kennen, und nun vollends das niedere Volk, die große Masse,- wieviel hat man hier bislang von den Gedanken unserer hervorragendsten Ritter vom Geiste gewußt? Dank den Maximen unsrer Volks schule, Verstand und Gemüth der ihr Anvertrauten zum Theil mit unnüßem Zeug zu belasten, anstatt ihnen große Vorbilder einzuprägen und die Körner ächter Weisheit darein zu senken, dank vielfachen anderen Umständen, die man im Augenblick viel leicht nicht einmal beim richtigen Namen nennen darf:-soviel wie nichts!
Von diesen Gesichtspunkten aus betrachtet, ist das Unternehmen, unter anderen großen und größten Geisteshelden, die dieses Blatt seinen Lesern in Bild und Porträt vorführt, den legteren nun auch ein Lebens und Charakterbild Wolfgang des Großen", wie man Goethe mit allem Fug genannt hat, vorzuführen, nicht blos kein unnüßes, sondern eine in hohem Grade
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dankbare und sogar zeitgemäße Arbeit. Und dazu kommt noch ein anderer Umstand, der den Lesern vielleicht am besten in's Bewußtsein tritt, wenn wir hier, zu Anfang dieser Arbeit, die Worte anführen, mit welchen der englische Schriftsteller G. H. Lewes seine berühmte und zugleich beste Lebensbeschreibung unseres großen Landsmanns, dieses Muster biographischer Darstellung*), beginnt. Sie lauten so:
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, Der römische Geschichtschreiber Curtius erzählt, Baktrien sei zu gewissen Zeiten von Staubwirbeln verdunkelt worden, welche die Wege vollständig bedeckten und verschütteten, und die Wanderer, ihrer gewohnten Wegzeichen beraubt, hätten dann den Aufgang der Sterne abgewartet, zu leuchten ihnen auf dem düsteren Pfad.... Läßt sich das nicht auch auf die Literatur anwenden? Ihre Wege liegen ab und zu unter dem Schutt der Zeiten so vergraben, daß mancher müde Wanderer über den bedeckten Pfad sich beklagt. In solchen Zeiten thun wir gut, dem Beispiel der Baktrier zu folgen: hören wir auf, die Verwirrungen des Tages zu betrachten, wenden wir den Blick auf die großen Unsterblichen, die vor uns gewandelt sind, und suchen wir von ihrem Lichte Führung. Zu jeder Zeit sind die Lebensbeschreibungen großer Männer reich an Lehren, zu jeder Zeit mächtige Antriebe zu edlem Ehrgeiz gewesen. Zu jeder Zeit sind sie als Rüstkammern betrachtet worden für die Waffen, mit denen große Schlachten gewonnen werden...."
Die Geschichte der Wiedergeburt der deutschen Literatur knüpft sich vornehmlich an die sechs Namen: Klopstock , Wieland, Lessing, Herder , Goethe und Schiller, denen noch der Name Kant hinzuzufügen ist, welcher der mit dieser Wiedergeburt verbundenen Aufklärung in Deutschland auf spezifisch philosophischem Gebiete den größten Vorschub leistete. Wenn Klopstock , Wieland, Lessing und Herder die deutsche Literatur vom Auslande emanzipirten und zn einer selbständigen gestalteten, so entfalteten die zunächst nachfolgenden Dichter auf diesem solchermaßen vorbereiteten Felde die Fahnen des Fortschritts und halfen so, eine jener Epochen weiterzuführen, wie sie von Zeit zu Zeit ,, wie ein Frühling des Geistes über der Gesellschaft aufgehen", und deren allgemein wiederkehrender Charakter ist, daß alles, was Edles im Menschen, gegen die herrschende Lüge und Unterdrückung sich empört und daß die besten Kräfte energisch sich bemühen, das ewige Sehnen nach Erkenntniß, Freiheit, Schönheit und Glück, welches uns eingeboren ist, der Befriedigung wieder um einen Schritt näher zu bringen. An Homer , Shakespeare , Rousseau sich anlehnend und ihnen nacheifernd, hatten diese jüngeren Geister, wie Voß, Bürger, Hölty, Stolberg , Klinger, Lenz, Wagner u. a., alle das Bestreben, die einen fruchtbaren Regen gleich in die Zeit hineinfallenden befreienden Ideen zu beherrschen, in ihren Werken zum Ausdruck zu bringen und sie durch letztere den weitesten Kreisen mitzutheilen; dem Willen aber entsprach nicht immer die Kraft, das Gewollte zu vollbringen, den großen Gedanken mangelte nicht selten das geeignete Gewand, und so stellt sich die Geistesarbeit dieser Dichtergruppe vorerst nur als ein fraftvoll auf das Ziel zusteuerndes Ringen und Kämpfen nach Klarheit und Beherrschung der Gedanken dar, wodurch sich dieser Abschnitt der deutschen Literaturgeschichte eben als eine Sturm und Drangperiode" charakterisirt. Erst Goethe und Schiller, beide in ihrer Jugend noch durchaus in dieser Sturm- und Drangperiode stehend und in ihren Erstlingswerken noch ganz den Charakter der letzteren offenbarend, sollte
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